World of X

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Sweet little Creatures

von Marion Kirchner, Stefan Rackow

Kapitel 2

- 1. Kapitel -
„Etwaige Widerlichkeiten“


Wald außerhalb der Stadt, 20:17 Uhr





Die im Wind tanzenden Bäume erschienen in der Dunkelheit wie monströse Gestalten, die sich feiernd an einer Party erfreuten und nur darauf warteten, den nächsten Wanderer zu Tode zu erschrecken, doch zu diesem Zeitpunkt, an diesem Tag, verließ fast niemand die sichere Stadt. Obwohl Halloween nur ein Brauch war, wagte es niemand so recht auch nur in die Versuchung zu geraten, irgendwelche Geister aufzuschrecken, denn man wusste ja nie. In jeder Legende steckt ein klein wenig Wahrheit…

Klumpen seinerseits konnte sich darüber nur amüsieren. Auf der einen Seite fühlte er sich pudelwohl, wenn er daran dachte, dass die Menschen der gierigen Konsumwelt in ihrem Unterbewusstsein doch etwas duldeten, das irrationale Angst hervorrufen konnte. Auf der anderen jedoch machte es ihn traurig, denn offenbar reichte das Unterbewusstsein nicht aus…sein Job war ihm irgendwie peinlich, veraltet, wenn nicht zu sagen altmodisch. Er wäre viel lieber eine Mumie in einem Horrorfilm oder irgendein Wesen, das nachts durch Wälder streifte, um unschuldige Menschen zu verspeisen. Das hatte etwas, das gefiel den Leuten, das war medientauglich…!

Jetzt jedoch streifte der kleine runde Kerl selbstbewusst durch die dunklen Waldwege und strecke seinen nichtvorhandenen Hals in die Höhe. Er fühlte sich unglaublich cool und dachte daran, sich in Zukunft ein richtig unheimliches Cape zu besorgen, eine Scream-Maske und Ketten, mit denen er richtig schlottern konnte. Er war ein richtiges Monster…er hatte einen Mord begangen!

Jetzt konnte er sich endlich zeigen, jetzt würde er sich endlich vor den anderen behaupten können. Er malte sich innerlich aus, wie seine Freunde vor Eifersucht platzen würden. Er, der kleine runde Klumpen, hatte einen Unschuldigen ermordet, wie ein richtiges Frankensteinmonster.



Der Kleine bog ruckartig ab und vor ihm breitete sich ein nebeliger dunkler Weg aus. Er grinste, er liebte es hier entlangzugehen, heute zumindest. Er würde sich vor nichts erschrecken lassen, nicht heute. Die Fledermäuse und die leuchtenden Augen in den Bäumen, das unheimliche unmenschliche Knurren und die Krähe - er war viel mehr als all das. Ein Monster erschreckte sich nicht, ein Monster hatte vor nichts Angst! Ein Monster…



„Buuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuh!“



„Ahhh!“ Er stolperte ungelenkig nach hinten und wäre beinahe in einer Schlammpfütze gelandet.

„Hey, keine Panik, Kleiner. Ich bin’s bloß. Immer noch so schreckhaft wie jedes Jahr?“



Vor ihm tauchte aus den Schatten der Bäume eine große dünne Person auf. Klumpen wurde von ihrem Schatten fast völlig bedeckt und er kniete sich auf seine nicht vorhandenen Knie.



„Hey, Oz, du weißt, ich finde das nicht komisch!“ Er kreischte und Tränen bildeten sich in seinen großen Kulleraugen. Er war kein Monster…



„Ach, komm, steh wieder auf, ich habe das doch echt nicht böse gemeint, wirklich…aber weißt du, normalerweise geht man davon aus, dass so ein schönes grausiges Halloween – Monster wie du keine Angst vor einem „Buuuuh“ - Ruf hat. Tut mir wirklich Leid.“ Er nahm Klumpens Hände und steckte etwas hinein. Klumpen öffnete sie schüchtern. In seinen Augen blinkten Süßigkeiten, deren bunte Verpackungspapiere im Licht des Mondes schimmerten.



„Wo hast du die her?“ Er sah zu Oz auf. Dieser trat nun ins Mondlicht. Seine langen, bis zum Kopf reichenden Beine wirkten wie die eines Riesen.



„Na, was wohl, erbettelt hab ich’s, und wenn du Glubschauge auch nur ein Wort davon sagst, dann schwör ich dir, dann bekommst du niemals wieder etwas. Ich möchte nicht wissen, was er sagt, wenn er davon erfährt…! Es ist doch alles im Grunde nur für ihn.“ Er senkte den Kopf, lächelte dabei aber.



Klumpen sah ihn verehrend an.



„Ich werd schweigen, ich schwör’s, aber zuerst muss ich dir unbedingt etwas erzählen!“ Er griente, hüpfte, nachdem er sich nun wieder erhoben hatte, aufgeregt hin und her und zupfte an Oz` Umhang, bis dieser sich nach unten beugte, oder besser gesagt auf den Boden setzte, damit Klumpen ihm so nahe kommen konnte, dass er ihm etwas ins Ohr flüstern konnte. Aufgeregt brabbelte der Kleine seine Neuigkeiten in die Ohren des Großen, dieser verzog schon nach ein paar Worten das Gesicht.



„Komm…hey…du denkst doch nicht im Ernst, dass ich dir das abkaufe! Jemanden umgebracht? Komm schon…du? Außerdem, und ich gehe mal davon aus, dass du das weißt, darfst du das gar nicht…“ Er klopfte dem Kleinen auf die nicht vorhandenen Schultern. „Lass uns gehen, du kannst das gerne den anderen erzählen, aber bitte schweig wenigstens vor Glubschauge, der mag solche Lügengeschichten nicht.“

Er schwang sich wieder nach oben und setzte sich in Bewegung, Klumpen folgte ihm joggend. Er zupfte wieder an seinem Umhang.



„Was mag Glubschauge denn überhaupt?“, fragte er zögernd. Langbein zuckte mit den Schultern.



An dieser Stelle ist es nicht nötig anzumerken, dass er keine hatte...



*


Vor der großen Hütte



Nach ein paar Minuten öffnete sich der Weg zu einer großen Lichtung. Dicke Nebelschwaden bündelten sich zu Ringen, die, wie um einen Planeten, um eine kleine Holzhütte kreisten, die mitten in der Lichtung stand. Es drangen keine Lichter hinaus und sie war alt und verwest. Manch einer würde meinen, sie sei seit Jahren nicht mehr betreten worden, doch dieser Jemand würde sich irren. Sie war bewohnt und zwar von fünf lustigen Gesellen, die sich hier zu jedem Halloween versammelten. Und sie tranken auch hin und wieder was...



Kalter Rauch stieg den Neuankömmlingen entgegen, als sie die hölzerne Tür öffneten. Selbige begann plötzlich, schaurige Lieder zu singen, während sie sich langsam zurück ins Schloss fallen ließ. Langbein und Klumpen mussten grinsen. „Hast dir ja einen tollen Platz ausgesucht, Chamäleon!“, sagten sie beinahe im Kanon.



„Danke Jungs“, sagte die Tür und ließ zwei kleine Augen erblicken. „Der Tisch war mir zu dreckig. Schleimi hat ihrem Namen mal wieder alle Ehre gemacht.“ Es zeichneten sich plötzlich die Umrisse eines Reptils auf der Tür ab. „Tja, somit musste ich mit der Tür vorlieb nehmen... kratzt ganz schön. Muss mir vorhin einen Splitter im Gesäß eingefangen haben...“



„Eklig.“



„Was?“, fragte die grüne Echse. „Mein Gesäß?“



„Nein“, erklärte Klumpen, „der Tisch. Der ist ja richtig ...“ - Er dippte in die durchsichtige Masse – „naß??“



„Naß?“ Langbein zog die Stirn kraus. „Seit wann nässt unser Glibberchen? Eine neue Marotte?“



„Das ist kein Schleim“, stellte Klumpen fest und senkte die Stimme. „Das ist salzhaltig. In der Flüssigkeit ist Salz.“



„Und? Was heißt das?“, fragten die beiden anderen Kreaturen und richteten zwei Paar grüne Augen auf den kleinen Klumpen. „Können wir sie jetzt etwa auch noch zum Würzen benutzen?“



„Nein, das sind Tränen...“



Chamäleon und Langbein nickten daraufhin als Zeichen, dass sie es verstanden hatten. Kurz darauf nickte jedoch nur noch Langbein. Und auch er hörte auf, als er bemerkte, dass die Echse nicht mehr mitmachte (was jedoch einen Moment dauerte, da sein Gehirn in den Füßen saß und die Impulse bis zum Kopf einen weiten Weg zurücklegen mussten, um das Nicken zu beenden). Und plötzlich sahen sie gar nicht mehr so schlau aus. Im Prinzip schauten sie sogar recht doof drein.



„Ähm, was sind denn nun eigentlich diese Tränen?“, kam es nach einer Weile zaghaft vom Stuhl, auf dessen Rückenlehne gleich darauf ein Paar Augen erschien.



Klumpen gab es auf und nahm unter lautem Protest des Stuhls auf selbigem seufzend Platz. Manche Monster hatten die Dummheit wohl mit Löffeln gegessen und mehrmals nachgelangt, weil’s so gut schmeckte.





*


Haus von Hubert Gordons Leiche

20:40



„Nein, wie abscheulich!“



„Ja...“



„Das kann man ja fast gar nicht mit ansehen, geschweige denn darüber reden!“



„Ähem, ja...“



„Wie kann man nur so was tun? Eine abscheuliche Tat!“



„Das hattest du schon, John.“



„Ich weiß, aber es betont noch einmal die Melancholie, die heute allüberall in der Luft danieder steigt und die Menschen mit diesen seltsamen Gefühlen beglückt, die wir Unwissenheit und Unbehagen nennen. Nein, wahrhaft abscheulich...!“



Monica Reyes musste den Kopf schütteln über das Gerede. Sie war ja schon vieles von ihm gewohnt, aber der Wahnsinn schien sich erst jetzt einzustellen. Gedankenverloren blickte sie gen Himmel und versuchte daran zu denken, irgendwann einmal wieder in dem Kellergeschoss ihres Arbeitsplatzes ordentlich zu lüften.



„Monica?“ – Die Stimme ihres Partners ließ die Agentin aus den Gedanken fahren.



„Ja?“, fragte sie auf dem Fuße und ging in Richtung der geöffneten Eingangstür, an der nun neben einem Nadelkranz auch noch der Kopf und ein Teil des Dünndarms des Opfers hingen. Obwohl sie es nicht wollte, musste die Agentin zugeben, dass das irgendwie zu Halloween ziemlich cool aussah. Doch dann wurde sie sich wieder der Tatsache bewusst, dass sie es hier mit einem waschechten Mord zu tun hatten, der in seiner Abscheulichkeit (nein, sie mochte das Wort nicht. Absurdität traf es besser!) fast nicht zu überbieten war.



„Die Leiche ist hier, da, dort, und da drüben zu finden. Und sonst so ziemlich über den ganzen Vorgarten verteilt. Als wir eintrafen, bin ich auch auf etwas getreten, Monica“, sagte Doggett und verzog das Gesicht. „Ich finde das nur widerwärtig...“



„Das war etwas, was der Hund ausgeschieden hat...!“



„Das ist auch widerwärtig“, murmelte der Agent und wischte sich mit einem Taschentuch den Mund ab. „Ich glaube, so langsam wird mir schlecht...“



„Tu dir keinen Zwang an, John. Wir alle müssen mal den Gefühlen freien Lauf lassen.“ – Reyes lächelte und wandte sich von ihrem Partner ab.

Alsbald trat ein Polizist an sie heran und grüßte die Agentin freundlich. „Mein Name ist Clark. Ich leite diesen Einsatz hier“, erklärte er und stellte sich in voller Montur vor Reyes auf. Selbige nickte.



„Reyes vom Federal Bureau of Investigation“, sagte sie und zückte ihren Ausweis. „Wir haben telefoniert, nehme ich an.“



„Ja, in der Tat, das haben wir“, sprach der hochgewachsene schlanke Polizist und zupfte angeberisch an seiner viel zu großen Mütze. „Bei der Schwere der Tat waren wir uns nicht sicher, ob wir lieber die Abteilung für Gewaltverbrechen hätten anrufen sollen.“ – Er stockte – „Aber dann erschien uns das hier alles doch ziemlich ab...“



„Ich weiß, was Sie sagen wollen, und Sie haben guten Grund dazu“, unterbrach Reyes den Mann und strich eine Strähne aus der Stirn. „Das hier muss ein Fanatiker getan haben – eine Sekte, ein irrer Serienkiller – die Palette der möglichen Täter ist groß, aber sicher ist, dass dieser Jemand eine gewisse Faszination für das Töten entwickelt haben muss. Und selbige herauszufinden und die Ursachen zu klären, die zu dem Mord geführt haben, gehört zu den Aufgaben des FBI und seinen Unterabteilungen.“



„Das – dachte – ich – mir – auch – so“, kam es zögerlich von Clark. Er schien von der Ausdrucksweise überwältigt und zupfte, diesmal merklich nervös, an seiner Mütze. „Dann – will ich Sie nicht länger...“ – Er machte eine seltsame Handbewegung, deren Bedeutung er in diesem Moment wahrscheinlich selbst nicht begriff, zog schlurfend von dannen und trat in etwas, das der Hund ausgeschieden hatte.



*



Doggett trat gerade aus der Toilette von Hubert Gordon und wirkte ziemlich bleich, als Reyes durch die geöffnete Eingangstür schritt. Sie brauchte nicht viel Phantasie, um zu erkennen, warum er so aussah. Sie setzte ein falsches Lächeln auf und klopfte ihrem Partner auf die Schulter. „Das wird schon wieder!“, sagte sie. Der Agent zog die Stirn kraus und wirkte innerlich erregt.



„Das hoffe ich“, begann er, „denn wenn ich die Schuhe wegen diesem Köter noch zur Reinigung bringen muss, bin ich ab morgen Hundehasser!“



*



währenddessen in der großen Hütte, tief, tief im Wald – sehr tief...



Als Glubschauge, der Boss, die Hütte betrat, verstummte alsbald jäh jeder Ton, so dass man nur noch das Zirpen der Grillen in den Weiten des Waldes vernahm. Und das verstummte auch kurz darauf.



„Erfolg gehabt?“, grummelte er und schaute umher. Seine Untergebenen hatten noch immer nicht den Mut zu sprechen und legten stumm ihre „Beute“ auf den Holztisch. Süßigkeiten über Süßigkeiten. Allesamt in der heutigen Nacht gesammelt. Glubschauge grinste fies und ließ seine ungesunden Zähne sehen, welche versuchten, sich im einfallenden Mondlicht glänzen zu lassen, doch sie versagten kläglich.



„Fein“, sagte der Boss und zog einen großen Sack hervor. „Gute Arbeit! Das ist alles meins, damit ihr es wisst!“



„Ja, Meister, wie all die Jahre“, seufzte Langbein und setzte eine Trauermiene auf. Selbige verschwand, als er unbewusst mit der Hand die Außenseite seiner Jackentasche berührte und sich daran erinnerte, dass er ja etwas hatte mitgehen lassen. Er lobte sich innerlich für diese kluge Tat und versuchte, weiter traurig dreinzublicken.



Glubschauge hatte währenddessen die Süßigkeiten verstaut. Plötzlich sah er auf. „Wo ist eigentlich die Schleim-Tussi? Vorm Spiegel kann sie ja nicht sein, da sie nix zum Schminken hat, das hässliche Ding.“



„Wissen wir nicht...“, erwiderte das Chamäleon und zischelte einmal. „Wahrscheinlich will sie sich noch bei jemandem einschleimen.“



„Lass die doofen Witze“, knurrte Klumpen wütend. Er konnte es nicht haben, wenn man sich über die einzige weibliche Gestalt in der Gruppe lustig machte, wenngleich es sich auch anbot... Er bedachte Chamäleon mit einem bösen Blick, bis er merkte, dass es schon längst wieder verschwunden war. Daher bedachte er nach kurzem Suchen den Tisch mit einem bösen Blick, was irgendwie komisch aussah.

Was machte die Kleine jetzt wohl?, dachte er und setzte sich stumm auf einen Hocker, nicht unweit von Glubschauge entfernt, welcher anfing, genüsslich die ersten Süßigkeiten von ihrem tristen Dasein als eingepackte Köstlichkeiten zu befreien.
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