World of X

Das älteste Archiv für deutsche Akte-X Fanfiction

Familienbande V: Vermächtnisse

von Dawn

Kapitel 6

Unbekannter Ort
Samstag
22:34 Uhr


Furcht existierte in ihm wie eine lebende Kreatur, die mit jeder einsamen Minute zunahm und so wuchs, dass er sie nur mit äußerster Willenskraft bändigen konnte. Greys Augen wanderten rastlos durch das Zimmer, suchten machtlos nach etwas Ablenkung, etwas worauf er sich konzentrieren konnte. Unglücklicherweise war seine Umgebung schmerzlich steril und ihm fehlte es an jeglicher Inspiration.

Ein quadratischer Raum, 3x3 Meter, die Wände weiß wie in einer Anstalt, ohne Fenster, leer, bis auf eine Toilette, ein Waschbecken und das Bett, an dem er festgeschnallt war. Ja, er war in einem 5-Punkt-System festgeschnallt, sodass er noch nicht mal den Juckreiz über seinem linken Auge stillen konnte, der ihn quälte.

Das körperliche Unwohlsein war jedoch gegenüber dem Mentalen blass. Wenn er nicht gerade damit beschäftigt war sich jede einzelne Horrorstory die Fox und Dana über ihre Entführungen erzählt hatten vor Augen zu rufen, dann dachte er schmerzlich über die Reaktionen seines Bruders auf seine Entführung nach. Mehr als 25 Jahre waren seit Samanthas Verschwinden vergangen und trotzdem wachte Fox jede Nacht schreiend auf und trieb sich unablässig an sie zu finden. Grey befürchtete, dass ein weiterer solcher Verlust die zerbrechliche Linie der Stabilität, auf der Fox wandelte, verwischen ließ, was ihn einem Zusammenbruch näher führen würde. Nichts davon war Foxs Schuld, aber er würde sich ohne Zweifel schuldig fühlen.

Grey verzog das Gesicht und rieb es gegen das Kissen um den Juckreiz zu stillen. Wenn seine momentane Lage irgendjemandes Schuld war, dann seine eigene. Fox hatte wiederholt versucht ihn vor dem gesichtslosen Feind, der in den Schatten lauerte, zu warnen, aber er hatte arroganterweise die Warnungen in den Wind geschlagen. Um ehrlich zu sein hatte er einen Großteil davon auf die überaktive Paranoia seines Bruders geschoben und war sich sicher gewesen, dass er auf sich aufpassen könnte. Ein großer Fehler.

Der Türknauf rasselte und zog seine volle Aufmerksamkeit auf sich. Einen Augenblick später betrat sein Entführer den Raum und schloss die Tür fest. Er hatte seine Lederjacke ausgezogen, und das schwarze T-Shirt welches er trug zeigte deutlich den muskulären rechten Arm und die Prothese, da wo der linke Arm sein sollte. Grey zog die Augen zusammen als er die Verbindung knüpfte.

„Du bist die hinterlistige Ratte über die Fox mir so viel erzählt hat.", sagte er cool. „Alex Krycek, hab ich Recht?“

Krycek grinste wie ein Wolf und drückte seine Hand auf seine Brust. „Es ist herzerwärmend zu wissen dass Mulder von mir spricht“, sagte er und ging durch den Raum um sich an die Wand am Fußende von Greys Bett zu lehnen.

„Glaub mir, er wird ziemlich… ausfallend wenn dein Name genannt wird.“, sagte Grey trocken. Er schaute Krycek grimmig an. „Also, wo bin ich und warum bin ich hier? Ich bin kein Teil dieser Rechnung, was wollt ihr also mit mir?“


Krycek schnaubte. „Wenn du Bill und Teena Mulder als Eltern hast bist du Teil der Rechnung. Aber um deine Frage zu beantworten. Ich wollte gar nicht *dich*. Deine Anwesenheit hier ist rein zufällig.“

Grey erinnerte sich an Kryceks Schmährede beim Auto und seine Augen wurden weit. „Das Auto, die Jacke – du hast geglaubt ich sei Fox! Du warst hinter ihm her, nicht hinter mir!“

Krycek knirschte mit den Zähnen. „In der Dunkelheit könntet ihr Zwillinge sein. Mir war nicht klar, dass du in der Stadt bis, also hab ich niemand anderen als Mulder erwartet.“

„Du hast den Riemen *sabotiert*, nicht wahr?“, knurrte Grey. „Es war kein Glück, dass du vorbeigekommen bist.“

„Ich glaube nicht an Glück… ich mach mein eigenes.“, sagte Krycek mit erhobenem Kinn. „Mulders Samstagabende sind erstaunlich vorhersagbar geworden seit er zur Vernunft gekommen ist und angefangen hat seine Partnerin zu vögeln. Er fährt immer zur selben Zeit rüber zu Scully. Es war mein Pech, dass du hier warst und die Routine durcheinander gebracht hast.“

„Das tut mir unendlich Leid“, erwiderte Grey sarkastisch. „Warum markierst du diesen Abend nicht als pure Zeitverschwendung und lässt mich gehen?“

„Netter Versuch. Aber nur weil du heute Abend nicht das Objekt der Begierde warst, bedeutet das nicht, dass du nicht auf dem Plan stehst.“

„Was soll das denn heißen?“ Grey hoffte er hörte sich entrüstet an und befürchtete, dass er eingeschüchtert klang.

Krycek zog eine Augenbraue hoch. „Ach komm schon! Du kannst nicht wirklich so naiv sein! Mulder hat dir sicher von dem Projekt erzählt, und von deines Vaters Verwicklung in dieselbe.“

Grey wich den durchdringenden grünen Augen aus. „Fox hat mir viele Dinge erzählt. Das heißt nicht, dass ich ihm alles glaube, obwohl ich sehen kann, dass *er* es glaubt.“

„Dann liegst du falsch“, antwortete Krycek. Er stellte sich hin und ging durch den Raum und wieder zurück. „Fox Mulder mag viele Dinge sein, aber ein Narr ist er nicht. Die Bedrohung gegen die er kämpft ist sehr real und ob du’s magst oder nicht, aber seine Rolle in diesem Drama stand schon lange vor seiner Geburt fest. Deine muss erst noch gefunden werden.“

„Ich habe nichts mit Bill Mulder oder diesem *Projekt* von dem du sprichst, zu tun.“, fauchte Grey und zog an den Riemen um seinen Handgelenken.

Krycek vergrub seinen Kopf in seinen Händen und schüttelte ihn langsam. „Du kapierst es wirklich nicht, oder? Was meinst du warum deine Eltern jegliche Beweise über deine Existenz versteckt haben? Du bist an das Projekt gebunden, dadurch dass Bill Mulders Blut in deinen Adern fließt. Wie unentbehrlich muss erst noch herausgefunden werden.“

Grey starrte ihn an, sein Gehirn arbeitete auf Hochtouren. „Du meinst Fox…?“

„Fox und Samantha waren die ersten Früchte eines Planes, und dieser Plan wurde lange bevor du geboren wurdest gemacht – sogar bevor Bill Mulder für das State Department gearbeitet hat. Menschen genetisch verändern um eine natürliche Resistenz gegen den außerirdischen Virus zu erhalten. Ein Experiment, das bis vor kurzem erfolgreich zu sein schien.“

Grey fühlte wie ihm das Blut aus dem Gesicht wich. „Weiß Fox davon?“

Krycek schüttelte scharf den Kopf. „Nein und er wird es auch nicht herausfinden. Wenn wir festgestellt haben wie erfolgreich Bill Mulder war dich vor dem Projekt zu bewahren werden wir deine Erinnerung auslöschen.“ Das wölfische Grinsen war zurück. „Du wirst gar nicht wissen, dass du weg warst.“

Grey presste die Kiefern zusammen und sein Hirn drängte weg von *dem* Bild. Krycek hatte etwas Wichtiges gesagt, etwas das ihn nicht losließ. Er durchleuchtete seine Erinnerung bis es mit einem Mal klickte.

„Du hast gesagt das Experiment an Fox schien bis vor kurzem erfolgreich zu sein. Was hast du damit gemeint?“

Kryceks Gesicht verschloss sich im selben Augenblick wo sich die Tür öffnete und ein Kerl wie einen Footballspieler in der weißen Kleidung eines Krankenpflegers eintrat. Greys Herz setzte einen Schlag aus als sein Blick auf die Spritze in der fleischigen Hand des Mannes sah.

„Krycek, warte! Wir sind noch nicht fertig, du schuldest mir eine Antwort, nicht…“

Grey konnte sich nicht wehren, genau wie ein gefangenes Tier, als sein Arm erst sterilisiert und dann gestochen wurde. Dieses Mal zog ihn die Droge nicht runter aber sie verwandelte seine Muskeln in Gelatine und ließ ihn vergessen warum er eigentlich wüten sein sollte. Kryceks Gesicht schwamm sanft in Fokus und wieder raus und als der Footballer seine Fesseln löste, kam es Grey gar nicht in den Sinn zu kämpfen.

Als Krycek zu sprechen begann betrachtete Grey fasziniert wie dessen Zunge zwischen seinen Zähnen tanzte aber er war nicht fähig die Worte zu verarbeiten.

„Wenn du anfängst so herumzukommandieren, *hörst* du dich auch noch so an wie er.“ Krycek gluckste und beobachtete, wie Grey auf eine Trage verfrachtet wurde. „War nett dich kennen zu lernen – nicht, dass du dich daran erinnern wirst.“

Er trat zur Seite und sah gleichgültig zu als der Pfleger Grey aus dem Zimmer schob.


Am Straßenrand
Sonntag
12:01 Uhr


Scully lehnte sich müde an die Seite ihres Autos und sah zu wie Mulder erneut den Boden des Grabens durchkämmte. Sie war so sehr auf ihren Partner konzentriert, dass sie sich nur so gerade einen überraschten Schrei verkneifen konnte, als sich eine große Hand auf ihre Schultern legte. Skinners Finger spannten sich kurz an und ließen sie dann los als er ihre Position imitierte.

„Es gibt wirklich nichts mehr was wir heute Nacht noch tun können, Scully.“, sagte er wobei seine Augen Mulders unnachgiebigen Suche folgten. „Wir kommen wieder, wenn es hell ist und in der Zwischenzeit können die Forensiker das Auto nach Spuren absuchen.“

Scully nickte. Die Polizei hatte die Szene vor circa einer halben Stunde verlassen und das Auto war kurz danach zum Bureau geschleppt worden. Ihr war kalt bis auf die Knochen nachdem sie über 3 Stunden in dem kalten Wind verbracht hatte. Ein heißes Bad sowie ihr Flannellpyjama waren die Hauptfiguren ihrer Fantasie. Aber die einsame Figur, die ruhelos hin und her durch die Gräser stapfte hatte andere Ideen.

Als ob er ihre Gedanken gelesen hätte fügte Skinner hinzu: „Sie müssen ihn hier wegbringen. Er hat den Punkt nützlich zu sein vor über einer Stunde überschritten. Ich denke, das Einzige, was ihn jetzt noch auf den Füßen hält ist pures Adrenalin.“

Irrationale Wut, angefacht durch ihren eigenen hilflosen Frust, brach auf Skinners Worte hin aus. „Glauben Sie ich hätte das nicht bemerkt? Falls Sie einen Vorschlag haben wie wir das bewerkstelligen können, ich bin ganz Ohr!“

Skinner nahm es ihr nicht übel. „Ich bin für die Ideen zuständig“, erwiderte er trocken. „Ich hatte gehofft die Durchführung Ihnen zu überlassen.“

Das Lachen was in ihr hoch kam wurde zu einem Schluchzen in ihrem Hals. Geschockt biss Scully sich fest auf ihre Lippen und zwang sich langsam zu atmen. Skinner respektierte ihren Versuch die Fassung wiederzuerlangen und legte seinen Arm nicht um ihre Schultern, aber er lehnte sich etwas gegen sie, seine Wärme und Masse waren beruhigend

„Was auch immer geschieht, Scully, wir werden ihn da durchbringen.“

Scully klimperte schnell mit ihren Augen. „Das möchte ich gerne glauben, Sir. Denn ich befürchte, Mulder würde es nicht überleben noch ein Geschwisterkind an seines Vaters Projekt zu verlieren.“

Skinner berührte ihren Handrücken und war erschrocken, dass diesem jegliche Wärme fehlte. „Starten sie den Wagen und lassen Sie die Heizung laufen, Scully, Sie sind eiskalt. Ich werde mich um ihn kümmern.“

Sie schämte sich etwas ihrer Erleichterung auf seine Worte und nickte nur als sie sich selbst in Bewegung zwang. Skinner ging langsam dahin, wo sein anderer Agent mit steinerner Miene wieder und wieder mit der Taschenlampe den unebenen Boden ableuchtete. Er blieb am Rand stehen, da wo der Randstreifen in den Graben überging und wartete. Nachdem mehrere Minuten vergangen waren ohne das Mulder angehalten oder ihn sonst wie bemerkt hätte, räusperte er sich.

„Mulder.“

„Hier muss einfach was sein, das wir nicht sehen.“, murmelte Mulder ohne aufzusehen oder stehen zu bleiben.

„Mulder, das hier ist ein Tatort und ich ziehe Sie jetzt offiziell ab.“, sagte Skinner mit etwas mehr Härte in der Stimme.

Er erreichte die gewünschte Reaktion. Mulder erstarrte und sein Kopf schoss hoch, so dass er seine Augen in die seines Bosses bohren konnte. Der unverschämte Protest, der nun begann wärmte Skinners Herz tatsächlich - es war eine große Verbesserung als die geschockte Aura, die Mulder den ganzen Abend ausgestrahlt hatte.

„Das können Sie nicht tun! Ich führe hier eine Untersuchung durch und…“

„Mulder, das einzige was Sie hier durchführen ist an diesem Punkt eine Lehrstunde in Sinnlosigkeit.“ Skinner schüttelte die Verärgerung, die Mulders Gehorsamsverweigerung immer hervorrief ab und sprach sanfter weiter. „Sie sind seit Stunden hier dran. Ihnen ist kalt, Sie sind müde und es ist zu dunkel und verdammt noch mal etwas zu sehen. Und zusätzlich die Tatsache, dass Ihr Partner kurz vorm Kollaps steht… ich würde sagen wir machen Schluss für heute.“

Mulder kletterte den Graben hoch um sich zu Skinner zu gesellen aber die vorgeschobene Unterlippe und zusammengezogene Augenbrauen bescheinigten seinen Widerwillem.

„Sie können Scully nach Hause bringen. Ich komme dann mit ihrem Auto, wenn ich fertig bin.“, beharrte er.

„Könnte ich, aber werde ich nicht“, sagte Skinner streng. „Sie *sind* hier fertig, Mulder. Ruhen Sie sich aus und führen Sie Ihre Untersuchung durch, wenn man wirklich was sehen kann.“

Skinner drehte sich um und machte ein paar Schritte zu den geparkten Wagen bevor er die fehlenden Fußtritte hinter ihm bemerkte. Sein Ärger kam wieder hoch und er drehte sich scharf um, eine Zurechtweisung auf den Lippen. Aber das verletzte Kind, das ihn aus Mulders Klamotten anblickte ließen die Worte in seinem Hals steckenbleiben.

„Diesmal bin ich kein Kind, das katatonisch auf dem Boden sitzt.“, sagte Mulder leise und strafte Skinners Vision lügen. „Ich werde nicht einfach sitzen bleiben und es geschehen lassen. Ich muss kämpfen!“

Trotz des Versuchs der Tapferkeit erlebte Skinner einen schmerzlichen Flashback zu einem anderen Tag, als er einen gebrochenen, verzweifelten Mulder konfrontiert hatte, der dabei war seine Habseligkeiten aus dem X-Akten Büro zu packen.

*Wie oft kann ein Mann damit konfrontiert werden das zu verlieren, was ihm am liebsten ist?*

„Niemand bittet Sie das Kämpfen dranzugeben, Mulder“, erwiderte er rau. „Aber wenden Sie etwas mehr Taktik an.“

Ob seine Worte auf guten Boden gefallen waren oder Mulder einfach nur zu erschöpft war um weiterhin zu widerstehen, dieses Mal war Skinner dankbar ein Echo seiner Schritte zu hören. Er ging um das Auto herum zur Fahrerseite und Scully öffnete ihr Fenster, was sein Gesicht in warmer Luft badete.

„Ich sehe Sie beide morgen früh im Büro.“, sagte er und sah aus den Augenwinkeln wie Mulder sich auf den Beifahrersitz fallen ließ. „Kommen Sie direkt in mein Büro, ich werde die forensischen Berichte dorthin schicken lassen.“

„Danke, Sir.“ Scullys schattige Augen teilten ihm klar mit, dass ihre Antwort sich nicht nur auf seine ermittlungstechnische Unterstützung bezog.

Skinner lehnte sich etwas vor, sodass er Mulders Gesicht sehen konnte. „Schlafen Sie etwas, Mulder. Wir haben die besten Resourcen des Bureau aktiviert und wir *werden* ihn finden.“

Mulder gab kein Anzeichen, dass er Skinners Aussage gehört hatte und er argumentierte auch nicht – er lehnte lediglich seinen Kopf zurück und starrte aus dem Fenster.

Das Husten begann in dem Moment, in dem Scully den Wagen auf die Straße lenkte und hielt die ganze Fahrt über bis zu Mulders Wohnung an. Es hatte einen tiefen, hohlen Klang den ihr medizinisches Ohr sofort als mehr als nur eine leichte Erkältung erkannte und wenn er nach Luft schnappte war deutlich ein Pfeifen hörbar. Scully presste ihre Lippen fest aufeinander als Damm gegen den Fluss der bösen Vorahnung, der aus ihr herausbrechen wollte.

Als Mulder den Schlüssel ins Schloss seiner Tür steckte, hatte der Anfall sich etwas gelegt, Scullys Sorge jedoch nicht. Er pausierte kurz in der Küche, nahm die kalten Fettucini und die Flasche Wein bevor er weiter ins Wohnzimmer ging und sich auf die Couch setzte. Scully ignorierte das Essen und setzte einen Kessel Tee auf bevor sie ins Badezimmer ging und dort rumorte bis sie eine Flasche Wick-Medi-Nait hinter einem Behälter Rasierschaum fand.

Sie nahm die Flasche und ihr Daumen knibbelte an dem sich lösenden Etikett während in ihr ein Kampf zwischen Dana Scully, der Ärztin und Dana Scully, der Frau, die Mulder liebt, tobte. Der Erkältungssaft würde Mulders Husten unterdrücken und ihn als Nebeneffekt für ein paar Stunden umhauen – wahrscheinlich der einzige Weg wie er etwas schlafen würde. Die Idee jedoch nur die Symptome und nicht die Ursache zu bekämpfen sprach gegen ihr medizinisches Training. Sie stand dort, unentschlossen, bis Mulder wieder zu husten begann.

Mulder öffnete ein Auge als Scully seine Füße zur Seite legte und sich neben ihn setzte.

„Setz dich auf“, sagte sie, schraubte die Flasche auf und füllte den Plastikmessbecher mit der grünen Flüssigkeit.

Mulder verzog sein Gesicht wie ein Kleinkind, dem mal befahl seinen Blumenkohl zu essen. „Sculleee! Das Zeug schmeckt wie Terpentin!“

„Ich übergehe die Frage woher du wissen willst wie Terpentin schmeckt.“, entgegnete Scully und hielt ihm den kleinen Becher hin. „Halt dir die Nase zu.“

Mulder setzte sich auf und schluckte den Inhalt in Einem runter, schüttelte sich dann fürchterlich und machte übertriebene Würgelaute. Scully ignorierte seine Schauspielerei und verschwand in der Küche, um ein paar Minuten später mit zwei Tassen heißem Tee zurückzukehren. Mulder akzeptierte schweigend das Angebot, zog sie aber nahe zu sich als sie sich neben ihn setzte.

„Danke Scully.“

„Kein Problem, Mulder. Es ist kein Unterschied ob ich ein oder zwei Tassen mache.“, stellte sie fest.

Mulder drückte ihr einen Kuss auf die Schläfe. „Ich meine nicht nur den Tee.“, sagte er zögerlich. „Ich meine alles, deine Geduld, deine Unterstützung – sogar dein Nörgeln. Ich weiß, dass ich es dir nicht leicht mache.“

Scully schluckte laut gegen die Enge in ihrem Hals. Mulder entschuldigte sich nicht im klassischen Sinne, etwas was sie gelernt hatte zu akzeptieren. Sie verstand wie schwer ihm diese Worte gefallen sein mussten, besonders wegen der allgegenwärtigen Sorge über Greys Verschwinden.

„Du verlangst etwas Mühe“, stimmte sie zu, verschränkte ihre Finger mit seinen und brachte seine Hand an ihre Lippen. „Aber ich habe schon immer eine Herausforderung zu schätzen gewusst.“

„Ich war lange Zeit alleine, weißt du“, fuhr er fort und sie bemerkte, dass er ihre verbundenen Hände mit Ehrfurcht anstarrte. „Ich bin es nicht gewohnt, dass sich jemand für mein Wohlergehen interessiert. Ich war wie dieser Song von Simon and Garfunkle – kennst du den? ’I am a rock, I am an island’“, sang er leise.

„And a rock feels no pain“, murmelte Scully. “And an island never cries.”

Genau das. Und dann kamst du, Scully. Und das erste Mal seit Ewigkeiten hatte ich jemanden der für mich da war – und das im wahrsten Sinne des Wortes. Ich erinnere mich an das erste Mal wo mir das klargeworden ist so klar als ob es gestern gewesen wäre. Ich wachte in dem Krankenhaus in North Carolina auf, verwirrt, verängstigt und mein Bein schmerzte höllisch. Und dann bemerkte ich, dass jemand meine Hand hielt und die Angst und der Schmerz verringerten sich etwas. Ich öffnete meine Augen und sah dich da sitzen in dem billigen, blauen Plastikstuhl, der unglaublich unbequem gewesen sein musste und du bist offensichtlich die ganze Nacht da gewesen, denn du sahst total erschöpft aus. Dann hast du bemerkt, dass ich wach war und gelächelt. Und es war als ob die Sonne extra in mein Krankenhauszimmer gekommen wäre nur für mich. Und ich fühlte mich etwas schuldig – nicht dafür, dass du meinetwegen dunkle Ringe unter den Augen hattest, aber weil ich es wieder und wieder tun würde nur um der Empfänger dieses Lächelns zu sein.“

Mulder vergrub sein Gesicht in ihrem Haar und Scully reichte über ihre Schultern um seinen Nacken mit zitternden Fingern zu streicheln. Sie wollte sich rumdrehen in seinen Armen und ihn um seinen Verstand küssen, aber sie spürte, dass da noch mehr war, dass er noch nicht fertig war.

„Ich habe nicht geglaubt, dass es noch besser werden könnte.“, schaffte Mulder es schließlich zu flüstern. „Dann hab ich Grey gefunden. Und wo du mir Dinge gibst von denen ich nie geglaubt habe, dass ich sie haben würde, gibt er mir Dinge von denen ich nicht wusste, dass ich sie brauchte oder wollte. Gott, Scully, seit Samantha verschwand fühlte ich mich wie die Hülle einer Person abzüglich so vieler elementarer Dinge, die die meisten Menschen als selbstverständlich ansehen! Es ist als ob ihr zwei es geschafft habt die Leere zu füllen – das Meiste davon wenigstens. Aber was es dich und jetzt Grey, gekostet hat…“ seine Stimme brach und er zwang sich selber weiterzusprechen. „ Ich komme mir vor wie ein Vampir der euch beiden das Leben aussaugt um die Leere in sich selbst zu füllen.“

Scully setzte sich auf und wand sich ihm zu, wobei ihre Augen wie blaue Flammen waren. „Weißt du, du machst mich stinksauer wenn du so redest!“, knurrte sie. „Du trägst *keine* Schuld an den schlimmen Dingen, die mir passiert sind, und auch nicht an Greys Verschwinden heute Nacht. Du hast dein *Leben* dem Kampf gegen die Verantwortlichen gewidmet und Grey und ich haben das Recht die gleiche Entscheidung zu treffen. Wir sind genau da, wo wir sein wollen. Und verdammt noch mal, Mulder, hast du je mal daran gedacht, dass du uns vielleicht auch was zurück gibst? Dass du die Lücken in unserem Leben füllst?“

Ihr Zorn erzielte Ergebnisse wo Zärtlichkeit versagt hätte. Mit Tränen in den Augen zog er sie wieder in seine Arme und vergrub sein Gesicht wieder in ihrem Nacken, und sein warmer Atem schickte ihr wohlige Schauer den Rücken hinunter.

„Ich will dich nicht stinksauer machen, Scully“, murmelte er, aber sie konnte das Lächeln in seiner Stimme hören. „Im Gegensatzteil dazu was manche Leute glauben bin ich nicht selbstmordgefährdet.“

Sie saßen eine Weile in einer kameradschaftlichen Stille. Scullys Augen wurden müde und sie spürte wie Mulder langsam einschlief, seine Arme lockerten ihren Griff und sein Atem wurde langsamer. Gerade als sie vorschlagen wollte zu Bett zu gehen, sprach er.

„Ich kann das nicht noch mal durchmachen, Scully. Ich kann… es schmerzt zu sehr.“

Der atemraubende Schmerz den Scully bei seinem leisen Geständnis verspürte war genauso groß wie die blinde Wut auf diejenigen, die das Ganze inszeniert hatten.

„Du hast Skinner gehört, Liebling. Wir werden ihn finden. Und wenn wir das tun, dann wird es diesem rauchenden Hurensohn leid tun. Sehr, sehr leid tun!“
Rezensionen