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Todeslicht

von Martina Bernsdorf

Kapitel 4

Haus der Familie Westmoor
14.4.1996
10.41


Mulder bremste den Leihwagen vor dem kleinen Einfamilienhaus ab, der Rasen davor war akkurat gemäht, bis auf ein paar Ecken, an denen wilde Frühlingsblumen wuchsen, die man anscheinend nicht dem Einheitsschnitt des Rasenmähers geopfert hatte.
Eine junge Frau saß neben einem dieser Plätze auf dem Gras und schien in ein angeregtes Gespräch mit den Blumen vertieft zu sein.
Mulder bemerkte, wie die Vorhänge sich bewegten, und stieg langsam aus, er ging auf das Haus zu, und ehe er die Gartentüre öffnen konnte, eilte bereits eine kleine, verbraucht aussehende Frau aus dem Haus.
„Was wollten Sie?“ Ihr Tonfall ließ darauf schließen, dass sie Besucher nicht sonderlich gerne sah.
Mulder zog seinen Ausweis aus der Manteltasche und hielt ihn so hoch, dass die Frau ihn gut sehen konnte.
„Ich bin Agent Mulder, ich würde gerne Ihre Tochter Julia wegen der Vorfälle im Wald befragen.“ Mulder gab seiner Stimme einen sanften, ruhigen Klang, doch auf die Frau machte das keine Wirkung, Angst glomm in ihren Augen auf.
„Julia hat nichts Unrechtes getan! Die Burschen haben bekommen, was sie verdienen!“ Die Stimme der Frau verriet Angst und Unsicherheit.
„Ich will Julia nur ein paar Fragen stellen, Mrs. Westmoor.“
Die Frau gab ihm den Weg frei. „Es wird keinen Sinn haben, Agent Mulder, aber ich kann wohl kaum dem FBI die Türe weisen?“
Mulder seufzte innerlich und fragte sich, wovor die Frau Angst hatte. War es nur Sorge um ihre Tochter, oder hatte sie Angst, was ihre Tochter vielleicht getan hatte?
„Ich bin nicht mit einem richterlichen Beschluss hier, Mrs. Westmoor, ihre Tochter wird nicht beschuldigt, wir versuchen nur den mysteriösen Tod von drei Männern aufzuklären.“
Mrs. Westmoors Gesicht verfinsterte sich, aber sie gab den Weg weiter frei. „Tun Sie, was Sie meinen, tun zu müssen, Agent!“
Mulder ging über das kurzgeschnittene Gras und blieb neben der jungen Frau stehen, ihr braunes Haar leuchte in der Frühlingssonne.
Sie war sehr hübsch, aber in ihren hellblauen Augen war ein geistesabwesender Ausdruck, sie sprach mit den Blumen, aber in einer Sprache, die wohl nur ihrer eigenen Fantasie entsprang.
„Julia, mein Name ist Fox Mulder, ich möchte dir gerne ein paar Fragen stellen.“ Mulder ging in die Hocke, um sich auf die gleiche Höhe wie die junge Frau zu bringen.
„Fox? Sie mögen den Namen nicht.“ Julia blickte Mulder kurz an und richtete ihre Aufmerksamkeit wieder auf die Blumen.
In Mulders Augen glitzerte etwas, das seine Partnerin sicher sofort als Neugierde interpretiert hätte, oder in der Hinsicht, dass er die Spur aufgenommen hatte.
„Woher weißt du das, Julia?“
„Das Licht kennt alle Antworten.“ Mulder bemerkte, wie Mrs. Westmoor nervös von einem Bein auf das andere trat, als Julia das Licht erwähnte.
„Das Licht? Was für ein Licht?“
Mulder ging in Sekundenschnelle Dutzende von Möglichkeiten durch, was das Licht bedeuten könnte.
„Kommt das Licht vom Himmel?“ Mulder überlegte, ob er vielleicht doch in den Wald fahren sollte, um dort nach Brandspuren zu suchen.
„Nein, das Licht ist einfach da.“ Julia legte den Kopf leicht schief, so als lausche sie auf unhörbare Stimmen. „Manchmal, nicht immer.“
Sie begann vor sich hin zu summen, und Mrs. Westmoor legte ihre Hand auf Mulders Schulter. „Es hat keinen Sinn, jetzt noch zu fragen, Mr. Mulder, ich weiß es!“
Mulder stand auf. „Darf ich Ihnen einige Fragen stellen?“
Mrs. Westmoor nickte nach einem kurzen Zögern. „Gehen wir ins Haus, Agent.“
Das Haus war liebevoll eingerichtet, aber man erkannte auch die Spuren von Verzweiflung, an den Belobigungen von den Schulen, die wie Relikte einer vergangenen Zeit an den Wänden hingen, so als sollten sie beweisen, welcher Geist einmal in Julia gewohnt hatte.
„Julia war sehr talentiert, sie hätte sicher ein Stipendium bekommen und wäre Ärztin oder Rechtsanwältin geworden.“ Die Augen von Mrs. Westmoor glänzten vor ungeweinter Tränen. Vielleicht, so dachte Mulder, hatte sie schon alle Tränen vergossen, die sie in sich gehabt hatte. Sie bot ihm Platz an und setzte sich gegenüber.
„Was ist geschehen, Mrs. Westmoor?“
„Sie sagen, es wären Drogen gewesen!“ Die Stimme der Frau machte deutlich, was sie von dieser Anschuldigung hielt. „Aber Julia war ein anständiges Mädchen, es war alles die Schuld dieses Michael Avers. Er gab die Party und, wer weiß, was sie dort meiner Julia eingeflößt haben!“
„Julia wurde ins Krankenhaus eingeliefert?“
Mrs. Westmoor nickte. „Ja, man sagte mir, sie hätte einen Herzstillstand erlitten und vielleicht wäre ihr Gehirn bei der Wiederbelebung nicht ausreichend mit Sauerstoff versorgt gewesen und deshalb ...“ Sie deutete zum Fenster, von dem aus man Julia, in ihr Gespräch mit den Blumen vertieft, sehen konnte.
„War etwas merkwürdig, an den Umständen ihrer Wiederbelebung?“
Mrs. Westmoor sah Mulder mit einem überraschten, erschreckten Blick an. „Offiziell erfuhr ich nichts vom Krankenhaus, aber Henrie Lesall, einer der beiden Rettungsfahrer erzählte von einem Licht und davon, dass alle, die Julia wiederbelebt hätten, tot umgefallen seien! Aber das ist Unsinn! Er war vermutlich betrunken!“ Mrs. Westmoors Stimme war abfällig, Mulder konnte sich vorstellen, wie so ein Gerücht in einer Kleinstadt gewirkt haben musste.
Scully hatte recht, ihr nächster Weg musste das Saint Ann Hospital sein, dort gab es etwas, dass die Verwaltung nicht nach außen hatte dringen lassen wollen.
„Henrie Lesall arbeitet noch als Rettungsfahrer?“
Mrs. Westmoor verzog bitter die Lippen zu einer grotesken Parodie eines Lächelns. „Nein, er ist tot.“
Mulder hob eine Augenbraue. „Was ist passiert?“
„Er hat seinen Job verloren, wegen Alkoholproblemen. Und vor zwei Jahren hat er sich aufgehängt, angeblich soll er einen Brief hinterlassen haben, in dem er von Stimmen erzählte, die ihn nicht in Ruhe lassen würden.“ In der Stimme der Frau war eine gewisse Genugtuung zu erkennen.
Mulder stand auf, bedankte sich für das Gespräch und verließ das Haus mit einem letzten Blick auf Julia und ihre Blumen.
Im Leihwagen wählte er die Nummer von Scullys Handy.
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