World of X

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Todeslicht

von Martina Bernsdorf

Kapitel 10

Mulders Schulterblätter schmerzten, seine Arme fühlten sich an, als würden sie aus den Gelenken gerissen, und dennoch gab er nicht auf.
Zwei Beatmungen, acht Herzmassagen, sein Universum schien nur auf diese zwei Begriffe zusammengeschmolzen zu sein. Er hörte in der Entfernung das Heulen der Polizeisirenen.
Mulder rutschte auf den Knien wieder zu Scullys Kopf, atmete tief ein und beugte seinen Kopf zu ihr hinab. Doch ehe er ihren Mund mit dem seinen verschließen konnte, bemerkte er, wie sich die starren, weiten Pupillen, so ohne Leben, reflexartig zusammenzogen, ehe sich die Augen schlossen.
Ein krampfhafter Atemzug erschütterte Scullys Körper, Mulders Hand unter ihrem Kinn tastete nach der Halsschlagader, wo er einen flachen, aber durchaus regelmäßigen Puls wahrnahm, der mit jedem Schlag zu neuer Stärke zu gelangen schien.
„Dana!“ Mulder wusste, dass ein wildes, irrsinniges Lächeln auf seinem Gesicht lag, aber das war egal.
Scully öffnete die Augen wieder, ihr Blick war desorientiert, gewann dann aber an Klarheit. Ein Husten schüttelte sie, und sie verzog schmerzhaft das Gesicht.
Mulder schlang seine Arme um sie und richtete ihren Oberkörper etwas auf, um ihr das Atmen zu erleichtern, aber auch weil er das überwältigende Bedürfnis danach hatte, sie zu umarmen, sie zu spüren.
„Mulder.“ Scullys Stimme war rau und flüsternd. „Das Fischzwiebelbrötchen, das sie zu Mittag gegessen haben, verzeihe ich Ihnen nie!“
Mulder lachte, er wusste, dass er etwas zu laut lachte, und es verblüffte ihn nicht, dass sein Lachen in ein Schluchzen überging. Er schämte sich dessen nicht, barg seinen Kopf aber dennoch an der Schulter seiner Partnerin.
Scully fühlte sich wie durch den Fleischwolf gedreht, jeder Atemzug war eine Qual, ihr Brustkorb fühlte sich an, als wäre ein zentnerschwerer Stein auf sie gefallen, aber sie lebte.
Sie konnte nur ahnen, was Mulder in den letzten Minuten durchgestanden hatte, und das sie vielleicht nur seiner Sturheit ihr Leben verdankte.
Seiner Sturheit und ihrem Glauben an ihren Vater, ihr Vertrauen darauf, dass seine Worte mehr wert waren als jede Antwort.
Sie hob die Hand, etwas, das ihr noch sehr schwer fiel, und legte sie auf Mulders Haar und streichelte sanft und beruhigend darüber, während die Lichter von Polizeiwagen über dem Hügel aufleuchteten.

XXX

Friedhof Newpoint
18.4.1996
11.23 Uhr


Mulder starrte in den wolkenlosen Himmel, er war strahlend blau, ein schöner Tag. Sein Blick wanderte über den Hügel, hinab zu den frischen Gräbern, auf denen Blumen lagen.
Man hatte Julia und Loretta Westmoor nebeneinander begraben, und unweit von dem gemeinsamen Grab war noch eines geschmückt, Malcom O´Bannon, der Bruder des Sheriffs ruhte hier.
Mulder fragte sich, wo man wohl Elias Tobin alias Snake, begraben hatte, aber er war sicher, dass auf seinem Grab keine Blumen lagen.
Er blinzelte in die Sonne und bemerkte, wie sich jemand neben ihn auf die Parkbank setzte.
„Sollten Sie nicht noch im Krankenhaus liegen, Scully?“ Mulder musterte seine Partnerin besorgt und dachte mit einem Schaudern daran, wie nahe sie dem Tod gewesen war.
„Ich habe mich heute Morgen selbst entlassen.“ Scully schenkte ihm ein schiefes Lächeln. „Hätten Sie nicht meine Rippen samt und sonders geprellt, wäre ich schon gestern abgehauen!“
Mulder lächelte schwach. „Lieber ein paar gebrochene Rippen als tot, das haben Sie mal zu mir gesagt, Scully. Und ich habe keine Ihrer Rippen gebrochen.“
Scully ließ ihren Blick zu den Gräbern wandern. „Unser Bericht wird keine einfache Sache werden, Mulder! Vor allem weiß ich nicht, wie man das Schicksal von Elias Tobin erklären soll, Sheriff O´Bannon hat die Autopsienarbe auch gesehen, er weiß, dass ich gelogen habe. Tobin war mausetot, wie er es immer so nett ausdrückt.“
„Er ist zufrieden damit, dass der Mörder seines Bruders nicht mehr herumläuft, und unser Bericht wird in den Schrank mit den ungeklärten X-Akten wandern, so wie viele zuvor.“
Scully blinzelte in die Sonne und genoss die wärmenden Sonnenstrahlen auf ihrem Gesicht, wie nahe war sie daran gewesen, dies aufzugeben. Und welche Vergeudung dies gewesen wäre!
„Ist der Fall wirklich ungeklärt?“ Mulders Stimme war leise und sanft, Scully wusste, dass er nur eine Antwort von ihr hören wollte, nichts, das in den Akten erscheinen würde.
„Man hat die Substanz identifiziert, die Michael Avers Julia verabreicht hat. Hauptsächlich Mescalin und einige nicht identifizierbare Kräuter und Pilzsporen. Julia war tot, sie war vielleicht zu weit ins Licht gegangen, als es dem Arzt gelang, sie zurückzuholen, war das Todeslicht ein Bestandteil von ihr geworden. Deshalb war sie nicht mehr in dieser Welt, sie war zu weit gegangen. Was Snake betrifft, hat er sich im Sterben vielleicht mit aller Macht an das Leben geklammert, an die Materie, und das hat ihn eine Zeitlang noch in seinem toten Körper gehalten!“
Mulder sah Scully erstaunt von der Seite her an. „Ich dachte nicht, dass ich so etwas Mal aus Ihrem Mund hören würde.“
Scully ließ ein kleines Lächeln aufblitzen. „Ich werde alles abstreiten, wenn Sie mich zitieren.“
„Was haben Sie im Licht gesehen, Scully?“ Mulders Tonfall machte deutlich, wie sehr er sich nach einer Antwort sehnte, aber auch, dass er Verständnis hatte, wenn sie schwieg.
„Melissa und mein Vater waren dort, Mulder, und sie haben mir gemeinsam mit Ihnen mein Leben gerettet.“
„Wären dort alle Antworten zu finden gewesen, Dana?“ Das seltene Benutzen ihres Vornamens machte ihr deutlich, wie sehr er sich nach Antworten sehnte.
Scully griff nach seiner Hand und sah ihm in die Augen. „Ja, Fox.“ Sie wusste, dass er seinen Vornamen nicht mochte, aber er sollte wissen, wie eindringlich sie meinte, was sie ihm sagte.
„Dort waren alle Antworten, dort hätte ich herausfinden können, wer hinter allem steckt und wer die Mörder meiner Schwester waren. Aber der Preis dafür wäre mein Leben gewesen, und brauchen wir diese Antworten?“
Mulder schüttelte den Kopf. „Nicht für diesen Preis!“
Scully drückte seine Hand und nickte. „Zudem kennen wir die Antworten, Mulder. Sie liegen alle auf unserem Weg oder in uns selbst, wir müssen sie nur finden. Das ist vielleicht die Aufgabe, die das Leben an einen stellt, die Suche nach Antworten auf all die Fragen, die uns bewegen.“
Mulder erwiderte den freundschaftlichen Druck ihrer Hand, und sie sahen sich einen langen Moment in die Augen, ehe Scully seine Hand losließ und ihn gegen die Rippen stupste.
„Außerdem, bei ihrem Fischzwiebelmundgeruch konnten Sie nur Tote wecken, Mulder!“
Mulders Lachen mochte unpassend an diesem Ort wirken, aber die Toten hatten keinen Bedarf an Trauer, dies war ein Ort für Lebende, ein Ort zum Trauern, ja, aber auch, um sich daran zu erinnern, dass man selbst lebte.


ENDE
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