World of X

Das älteste Archiv für deutsche Akte-X Fanfiction

The Chase

von Spooky

Kapitel 1

Wie zwei verrückte junge Hunde hatten sie den ganzen Tag lang in der warmen Junisonne gespielt, als sie gemeinsam den Heimweg antraten. Was auch immer sie gemeinsam anstellten, es kam einer Todsünde gleich das Abendessen zu verpassen. Martha verabschiedete sich am Gartenzaun und lief zwei Häuser weiter. Ihr ganzes Leben lang waren sie die besten Freundinnen gewesen und weder Zeit noch Ort hatte ihre Freundschaft trennen können....



Das Schließen des Deckels zerschnitt die Stille des Raumes und holte Special Agent Dana Scully aus ihren Gedanken in die Gegenwart zurück. Das Beißen des Desinfektionsmittels brannte in ihren Atemwegen und in allen Poren ihres Körpers. Mit müden Fingern strich sie über ihre Stirn und befestigte einige Haarsträhnen hinter ihren Ohren. Wenn sie so aussah, wie sie sich fühlte, war sie froh, dass niemand in ihrer Nähe war. Das Ticken der Wanduhr dröhnte in ihren Ohren.



„Gott, Dana, Luke Simpson. Das ist der Hammer!! Du solltest annehmen!“

„Annehmen? Hast Du den Verstand verloren? Und wie soll ich das meinen Eltern beibringen? Die lassen mich mit Sicherheit nicht fahren.“

„Du musst. Er ist der beliebteste Junge an unserer Schule!“



Noch immer zitterten ihre Finger wie Espenlaub und bei jedem Gedanken an Vergangenheit und Zukunft rebellierte ihr Magen.

Martha war immer die spontanere und risikofreudigere Person von ihnen gewesen. Ihr Lachen hatte jeden Menschen sofort in seinen Bann gezogen und wo immer sie auftauchte, hatte sie die Blicke und Blitzlichter stets auf sich gezogen. Über all die Jahre waren sie die besten Freundinnen gewesen.

Das Schicksal hatte es immer gut mit ihnen gemeint und fast immer hatten sie auf den selben Stützpunkten gelebt, weil ihre Väter in der selben Einheit dienten. Guam, San Diego, San Francisco,..... Sie konnte sich schon gar nicht mehr an all die Orte erinnern, an die sie für einen Abschnitt ihres Lebens der Job ihres Vaters geführt hatte.

Martha war schließlich Journalistin geworden und arbeitete für den Washington Guardian. Nicht gerade ihr Traumjob, wie sie Dana vor einigen Wochen noch verraten hatte, aber nach ihrer überstürzten Abreise aus New York hatte sie erst mal etwas Neues gebraucht um ganz neu beginnen zu können.

Neu beginnen.

Scully seufzte und wischte einige Tränen weg, die sich in ihren Augen gesammelt hatten. Neu beginnen. Wie bitter klangen ihre Worte nun im Angesichts des glänzenden Stahls und der alles verschlingenden Stille. Martha hatte ein neues Leben beginnen wollen, hatte zuversichtlich in die Zukunft geschaut, arbeitete an einer ganz heißen Story, wie das immer bei ihr war, und wo hatte sie das hingeführt?

Ihr Lachen war verschwunden und die einzige Aufmerksamkeit, die sie an diesem Morgen auf sich gezogen hatte, war die ihrer besten Freundin, die ihren geschundenen Körper auf der Suche nach der Todesursache in winzige Elemente zerlegte und die von Russel Anderson, der für die Aufnahme der Autopsiefotos zuständig war.

Scully blickte in Richtung der Kühlfächer und schluckte. Sie wollte heim, nur noch nach Hause, weg von dem Grauen und den Gefühlen, die dieser frühe Tag bereits mit sich gebracht hatte, weg von diesem Job, weg vom FBI, weg von allem, dass sie daran erinnerte, dass ihre beste Freundin grausam ermordet worden war und mit ihr alle ihre Träume und Wünsche gestorben waren.



„Sobald ich diesen Artikel geschrieben habe, brauche ich erst mal wieder Urlaub. Ich glaube, ich könnte mal wieder richtig lange ausschlafen. Ein Buch lesen und einfach an gar nichts denken.“



Scullys Tränen strömten nun über ihr Gesicht, als sie sich an einige der letzten Worte ihrer Freundin erinnerte. Martha hatte diesen Kerl endlich überwunden und Pläne für den Sommer gemacht. Sie hatten sogar in Betracht gezogen vielleicht gemeinsam in den Urlaub zu fahren.

Gehetzt von den Bildern aus Vergangenheit und Zukunft verließ sie den Saal im Keller der Labore von Quantico und machte sich auf den Weg in ihr Büro, um den Autopsiebericht schreiben zu können, der einer solchen Untersuchung unweigerlich zu folgen hatte.

Mit einem leisen Schmatzen schlossen sich die Türen zu Autopsieraum Nr. 4 und ließen diejenigen zurück, die gewaltsam aus dem Leben gerissen worden waren.



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Das Wasser der Dusche prasselte heiß auf ihren Körper und stach wie kleine Stecknadeln in ihre perlfarbene Haut. Dana Scully lehnte sich erschöpft an die Wand und massierte mit den Händen ihren Nacken. Es war als könnte das Wasser all die grausamen Bilder dieses Tages abwaschen, aber so einfach war es nicht. Scully griff nach dem Duschbad und gab eine Portion ihres Lieblingsduftes in ihre Hand. Vorsichtig und langsam massierte sie das nach Limonen duftende Gel in ihre Haut und atmete tief ein. Unbeschwerte Gedanken der Vergangenheit verbanden sich mit den Bildern der Autopsie. Sie hasste Skinner, der ihr unwissend diese Untersuchung aufgetragen hatte. Warum sie? Warum hatte nicht ein anderer Mediziner den Fall untersuchen können? Warum hatte sie Martha nicht in Erinnerung behalten können, wie sie sie zum letzen Mal gesehen hatte? Als eine junge, dynamische, fröhliche und lebensfrohe junge Frau, deren Zukunft noch vor ihr lag.

Alles woran sie nun denken konnte, war die Leiche ihrer Freundin, die irgendjemand, wie einen toten Hund, in einem Sumpfgebiet verscharrt hatte, nachdem er sie ermordet, vergewaltigt und verstümmelt hatte. Scully fröstelte trotz des heißen Wassers und stellte die Dusche aus, um in ihren flauschigen Bademantel zu schlüpfen. Sie sehnte sich nach Wärme, Ruhe und Gebogenheit. Ihre Professionalität hatte sich schon vor Stunden verabschiedet. Geblieben waren so viele Gefühle. Wut, Angst, Trauer, Hass.... Es war so schwer mit Worten zu beschreiben, was sie in ihrem Herzen fühlte.



Der Tee wärmte ihren Körper von innen und vertrieb die Kälte, die sie seit dem Morgen umschlossen hatte. Scully schaltete den Fernseher ein und zappte willkürlich durch die Kanäle. Ein Blick auf ihren AB zeigte, dass jemand versucht hatte sie zu erreichen. Nachdem sie nach der Autopsie Handy und Telefon ausgeschaltet und Anderson angewiesen hatte niemanden durchzustellen, hatten wohl mehrere Personen versucht anzurufen.

Schwerfällig drückte sie auf den kleinen blinkenden Knopf und lehnte sich zurück, um die Nachrichten abzuhören.



2.00 pm

„Hallo, Schatz. Hier ist deine Mom. Ich wollte anrufen und fragen, ob es bei unserem Mittagessen morgen bleibt. Ich freue mich schon. Ruf mich doch kurz an, wenn du wieder daheim bist.“



Das Mittagessen mit ihrer Mom. Sie war zwar nicht in der Stimmung mit jemandem am nächsten Tag essen zu gehen, aber ihre Mom hatte Martha ebenso gekannt und vielleicht würde es gut tun darüber reden zu können.



4.00 pm

„Hi Dana. Lukas Shaw. Ich habe herausgefunden, was mit deinem Fotoapparat nicht stimmt. Er funktioniert jetzt wieder tadellos. Wenn du Lust hast, kannst du ihn in meinem Büro abholen. Ich bin die ganze Woche über da. Übrigens, hast du schon etwas am Wochenende vor? Ich habe Karten für das Endspiel.“



5.00 pm

„Scully. Ich bin´s. Wo stecken sie denn? Ich versuche schon den ganzen Tag sie zu erreichen. Der Skinnman sagt, dass sie sich freigenommen haben. Geht es ihnen gut?“



6.00 pm

„Scully? Ich bin´s noch mal. Es wäre wirklich toll, wenn sie sich melden würden. Ich habe hier einen Fall, bei dem ich ihre fachmännische Meinung gut brauchen könnte.“



7.30 pm

„Also, gut. Es ist jetzt 19.30 Uhr. Wo immer sie auch stecken Scully, rufen sie mich bitte zurück, ja?“



Sie haben keine weiteren Ansagen....





Anscheinend hatte Mulder versucht sie den Tag über zu erreichen. Scully griff zum Telefon, wählte und legte den Hörer wieder auf. Was immer er von ihr wollte, war wohl seiner Beschreibung nach ein medizinischer Rat. Dieses mal würde es bis zum nächsten Tag warten müssen. Wäre es dringend, hätte ihr Partner höchstwahrscheinlich bereits vor ihrem Appartement gestanden, folgerte sie, kuschelte sich tiefer in die bunte Quiltdecke auf ihrem Sofa und schloss die Augen.

Erschöpft glitt sie in einen unruhigen und leichten Schlaf. Bilder der Vergangenheit und des vergangenen Tages schlichen sich in ihren Traum und vermischten sich zu surrealen Bildern.





~~~~~







Die vergangene Nacht hatte nur wenige Stunden Schlaf zugelassen und müde und erschlagen, trat Scully auf die Treppe zu, die sie hinab in das Reich ihres Partners führen würde. Die X- Akten. Oftmals verloren und doch immer wiederbekommen, arbeitete Special Agent Fox Mulder noch immer mit Nachdruck an all diesen ungelösten Fällen, die der Rest dieser Behörde am liebsten für immer in den Tiefen der abgelegensten Schubladen verschwunden und vergessen gelassen hätte. Nicht so ihr Partner. Mulder ermittelte mit dem selben Elan der vergangenen Jahre, auch wenn viele Fragen beantwortet waren. Manchmal fragte sie sich, was Mulder antrieb, woher er diesen Ehrgeiz nahm und warum er auf ein normales Leben verzichtete, nur um diesen Mythen und Geheimnissen hinterherzulaufen? Scully blieb stehen und blickte auf die Tür vor ihrem Büro. Ihrem Büro? Noch immer stand dort nur der Name ihres Partners und wenn sie schon dabei war ihren Gedanken freien Lauf zu lassen, dann musste sie eingestehen, dass ihr Partner nicht der einzige Mensch war, der auf ein Leben außerhalb dieser Mauern verzichtete. Vielleicht sollte sie Lucas Shaw´s Angebot für das Wochenende annehmen. Er war gut aussehend, intelligent, charmant und hatte seit Jahren eine Schwäche für sie. Shaw hatte auf den ersten Blick alles, was ihn für das weibliche Geschlecht interessant machte, aber er hatte nicht dieses gewisse Etwas, was ihr Partner besaß. Zugegeben, Lucas Shaw war ein toller Typ, aber er brachte nicht in dieser Weise ihr Herz zum Schlagen, wie Mulder es tat.



Scully seufzte, strich sich noch einmal den Rock glatt und hoffte, dass das Make- Up die Spuren des Schlafmangels überdeckte. Sie öffnete und machte sich bereit für einen weiteren Tag und die oftmals wilden Theorien ihres Partners.



~~~~~





Mit wachen Augen musterte Special Agent Fox Mulder seine Partnerin, die an diesem Morgen ihr gemeinsames Büro wesentlich später und unausgeruhter als gewöhnlich betrat. Seine Zeit als Profiler bei der Abteilung Gewaltverbrechen lag zwar bereits schon einige Jahre zurück, aber sein exzellenter Ruf eilte ihm auf diesem Gebiet noch weit voraus und alte Gewohnheiten legte man nur schwerlich ab.

Mulder machte sich in den ersten Sekunden, nachdem Scully den Raum betreten hatte, ein Bild von ihr. Für gewöhnlich lag er mit seinen Einschätzungen ihrerseits immer richtig. Auch wenn Special Agent Dana Scully andauernd bemüht war ihre Professionalität nach außen hin zu tragen und nur selten ihre Gefühle zeigte, war es für Mulder einfach in ihrem Gesicht zu lesen. Mit Scully darüber zu reden war etwas anderes, denn für gewöhnlich ließ sie niemanden so nah an sich heran, weil sie Angst hatte, dass ihre Gefühle als Schwäche ausgelegt werden könnten.

Normalerweise kannte er seine Partnerin immer als Frühaufsteherin, aber an diesem Morgen verriet ihr Gesicht, dass Scully weniger als wenig Schlaf bekommen hatte.

Mulder hoffte inständig, dass nicht irgend so ein Kerl der Grund für den Schlafmangel war. Der Psychologe in ihm verriet zum abermillionsten Male, was der Grund für diese Gefühle war. Wenn er ehrlich war, war er verrückt nach seiner Partnerin. Das einzige Problem bestand darin einen Weg zu Scully zu finden, ihr seine Gefühle zu gestehen. Was, wenn sie nicht so fühlte wie er? Waren seine Hormone es wert ihre Freundschaft zu riskieren? Er konnte sich alles vorstellen, aber nicht, sie zu verlieren und zu viele Partnerschaften anderer Agenten hatte er im Laufe der Jahre vor die Hunde gehen sehen, nachdem Professionalität Intimität gewichen war.

Mulder nahm seine Brille von der Nase und legte sie beiseite.



„He, Sonnenschein. Ich dachte schon, Sie wären für immer in diesem Verkehrschaos verschwunden.“ Scully lächelte müde und legte Jacke und Tasche im hinteren Bereich des Raumes auf ihrem Tisch ab.

„Guten Morgen, Mulder. Es tut mir leid, dass ich zu spät bin, aber ja, ich dachte auch, dieser Verkehr würde mich verschlucken.“ Seit einige Straßen der Hauptstadt überholt wurden, brach meistens in den Morgenstunden blanker Stress im gesamten Stadtgebiet aus. Mulder schmunzelte und betrachtete seine Partnerin einen weiteren Moment, während sie einige Akten von einem Stuhl legte und sich verzweifelt nach einem Platz umschaute, auf dem sie die Dokumente wieder ablegen konnte, um Platz zu nehmen.

„Legen Sie sie ruhig auf den Tisch. Ich bin mir sicher, wir brauchen sie heute noch“, erklärte Mulder lächelnd und wartete auf den üblichen Vortrag über seine Unordnung und das Chaos, dass er in diesem Büro ständig anzetteln würde. An diesem Morgen blieb es aus. Scully blickte sich abwartend im Raum um. Da Mulder die Leinwand heruntergezogen hatte, würde vermutlich in wenigen Minuten eine Diashow folgen und Scully war insgeheim dankbar, dass die Arbeit sie etwas von ihren Gedanken über Martha ablenken würde.



„Wir warten noch auf Agent Holebrook. Er wird uns höchstwahrscheinlich bei unserem neuen Fall unterstützen. Ich habe schon gestern versucht Sie den halben Tag lang zu erreichen, aber na ja, jetzt kann es ja gleich losgehen, sobald dieser Holebrook hier ist.“

„Und in diesem Fall geht es um...“ Scully versuchte ihrem Partner einige Informationen zu entlocken und fragte sich wer dieser Agent Holebrook wohl sein würde. Für gewöhnlich arbeitete Mulder nur ungern mit anderen Agenten zusammen.

„Lassen Sie uns noch einen Moment warten, Scully, bis dieser Agent Holebrook da ist, ok? Dann muss ich nicht alles doppelt erzählen, einverstanden?“ Scully nickte und verschwand in der Küche des angrenzenden Raumes, um sich einen Kaffee zu holen. Während die warme Flüssigkeit im Becher langsam ihre Hände wärmte und der Duft in ihre Nase stieg, hörte sie, dass besagter Agent das Büro betrat. Ihre Stimmen vermischten sich zu einem Lautgewirr, von dem sie nur undeutliche Wortfetzen mitbekam. Wenn Mulder ihre fachmännische Meinung hören wollte, so hatte der neue Fall mit hoher Wahrscheinlichkeit etwas mit medizinischem oder wenigstens naturwissenschaftlichem Hintergrund zu tun, vielleicht war es aber auch keines von beidem, sondern nur eine weitere verworrene X- Akte.

Nach einem weiteren Schluck des warmen Getränkes, fühlte Scully sich allmählich bereit für den Tag und kehrte in das Büro zurück.



Als Holebrook sie sah, blitzten seine dunkelblauen Augen auf und musterten die junge Frau von oben bis unten.

„Agent Holebrook. Meine Partnerin Dana Scully.“ Mulder stellte sie einander vor und schaltete den Diaprojektor ein.



„Ok, dann wollen wir mal. Ich habe gestern von Direktor Skinner einen Fall zugeteilt bekommen, bei dem er mich bittet, die Abteilung Gewaltverbrechen als Profiler zu unterstützen. Ich habe Sie, Agent Holebrook, gebeten zu kommen, weil ich denke, dass wir in der nächsten Zeit gemeinsam an diesem Fall arbeiten werden und Sie Scully, wollte ich bitten, mir einige Details aus dem Autopsiebericht zu übersetzen.“ Mulder blickte aufmerksam in die Runde und vergewisserte sich, ob er beginnen konnte.

Die beiden anderen Agenten nickten und der Projektor glitt mit einem leisen Summen zum nächsten Dia weiter.

Die Bildfolgen zeigten zunächst Tatortfotos und Aufnahmen, die in freier Natur aufgenommen worden waren. Agent Holebrook schaute sich die Fotos routiniert an, während Scully auf ihrem Stuhl leicht hin- und herrutschte und Martha wieder in ihren Gedanken auftauchte. Genau so einen Fall hatte sie an diesem Tag gebraucht. Ihre Finger schlossen sich fester um die Kaffeetasse, bis die Knöchel weißlich hervortraten.

„Der Autopsiebericht ergab, dass die junge Frau wahrscheinlich vor ungefähr einer Woche ermordet wurde. Marthas Reed arbeitete als Journalistin hier in Washington und war zur Tatzeit 34 Jahre alt.“ Ein weiteres Foto. Bilder, die Scully bisher erspart geblieben waren. Es war schon schlimm genug sie auf diesem Seziertisch zu sehen, aber an diesem Fundort...

Scullys Atem beschleunigte sich, um im nächsten Moment so knapp zu werden, dass sie kurz davor stand zu hyperventilieren. Das heruntergezwungene Brötchen an diesem Morgen, strebte zielstrebig wieder nach oben, und als ihr Magen anfing zu rebellieren, gab es keine Möglichkeit mehr das Ganze aufzuhalten. Ruckartiger als geplant schob sie den Stuhl zurück, der Kaffeebecher stürzte laut klirrend zu Boden und für einige Sekunden, die sie noch mitbekam, ruhten beide Augen der Agenten auf ihr, bevor sie, so schnell sie konnte, den Raum verließ und ihn Richtung WC lief.



Special Agent Holebrook fand als erster seine Worte wieder, als Mulder noch immer fragend seiner Partnerin hinterher blickte.

„Tja, sieht wohl so aus, als hätte Ihre Partnerin ein Problem mit ihrem Magen, was?“, fragte er grinsend und fing sich einen eiskalten Blick ein.

„Tja, ist halt nicht jedermanns Sache. Ich habe schon immer gesagt, dass das kein Job für Frauen ist.“ Soviel zu den Einstellungen gegenüber den weiblichen Agents in diesem Büro, dachte Mulder grimmig und funkelte sein Gegenüber warnend an, als dieser erneut seinen Mund öffnete.

„Also, ich finde ja....“

„Halten Sie die Klappe, Holebrook, ok? Agent Scully geht es durch einen Virusinfekt in den letzten Tagen nicht besonders gut. Ich denke, niemand würde solche Bilder mit einem nervösen Magen wegstecken.“ Mulders kleinerer Ausbruch hielt weitere Kommentare seitens des anderen Agenten unter Verschluss.

„Lassen Sie uns weitermachen. Ich werde Agent Scully nachher über die Einzelheiten informieren“, schnappte Mulder und der Projektor sprang wieder an, wechselte zum nächsten Dia, um weitere grausame Einzelheiten zu enthüllen.





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„Gut und bitte halten Sie mich auf dem Laufenden, einverstanden?“ Holebrook reichte Mulder seine Hand und lächelte.

„Und übrigens, grüßen Sie mir ihre Partnerin. Vielleicht bekomme ich sie ja bei unseren nächsten Zusammentreffen etwas länger zu Gesicht.“

Die Tür des Büros schloss sich und Mulder wartete einen Augenblick, bis er hörte, dass sich die Türen des Aufzugs schlossen. Seit Scully Hals über Kopf das Büro verlassen hatte, war es ihm schwergefallen sich auf die Einzelheiten des Falles zu konzentrieren. Seine Ausrede bezüglich Scullys Verhalten war mehr als fade gewesen, aber er hatte es nicht hinnehmen können, dass dieser Kerl miese Witze über seine Partnerin und über die weiblichen Agentinnen im Büro riss. Seit er mit Dana Scully zusammenarbeitete, hatte sie niemals dermaßen extrem auf Tatortfotos reagiert. Als Gerichtsmedizinerin war sie für gewöhnlich an die Grausamkeit menschlicher Abgründe gewöhnt und auch wenn es von Zeit zu Zeit mal den einen oder anderen furchtbaren Anblick gegeben hatte, die Flucht zum WC hatte sie noch nie ergriffen.

Als seine Partnerin nach weiteren fünf Minuten nicht zurückkam, machte er sich auf den Weg sie zu suchen.





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Die warme Sonne kribbelte auf ihrem Gesicht und Scully sog so viel Luft ein, wie in ihre Lungen passte. Tief ein- und wieder ausatmen. Das wird die Übelkeit vertreiben und den Kreislauf wieder stabil machen, flüsterte sie in Gedanken und folgte den eigenen Anweisungen. Nachdem sie ihren gesamten Mageninhalt in die Kanalisation gespuckt und Galle tief in ihrem Hals einen bitterlichen Geschmack hinterlassen hatte, hatte sie nur noch an die Luft gewollt. Allein sein, wenn es auch nur für einen Moment war.

Scully rieb sich über die Stirn und lauschte den Geräuschen, die vom Verkehr gedämpft hinter dem Gebäude hervortraten. Das weiche Gras unter ihrem Körper erinnerte sie an lang vergangene Zeiten.



Nachdem Mulder einen schüchternen Blick in die Damentoilette geworfen hatte, um nach Scully zu sehen, sah er sich unschlüssig im Gang um. Nur gut, dass das Damen WC um diese Uhrzeit fast immer leer war. Es hätte noch gefehlt, wenn sein Ruf um einen weiteren Teilaspekt erweitert worden wäre.

Im Laufe seiner vielen Dienstjahre hatte er sich an den Geruch von Erbrochenem beinahe gewöhnt. Mit Sicherheit aber konnte er sagen, dass Scully sich anscheinend übergeben hatte. Wo war sie hin? Unschlüssig glitt sein Blick erst in die eine und dann in die andere Richtung des Ganges. Entweder Scully war nach oben gegangen oder sie war...

Mulder machte einige Schritte auf die Tür des Notausganges zu. Ein kleiner Spalt ließ warmes Sonnenlicht in das Dunkel des Kellers scheinen. Offenbar hatte seine Partnerin dringend auf dem kürzesten Weg an die Luft gewollt und diesen Weg benutzt. Er zog die schwere Stahltür auf und ließ sie geräuschvoll hinter sich wieder in das Schloss fallen, um ganz sicher zu sein, dass sie verschlossen war.

Das helle Sonnenlicht machte es zunächst schwer sich zu orientieren. Mulder legte eine Hand an die Stirn, um besser sehen zu können. Auf dem kleinen Hügel, in der Nähe des neu angelegten Gewässers sah er seine Partnerin im Gras sitzen.





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Durch die Richtung des Windes und das hohe Gras hatte Scully ihren Partner nicht kommen hören. Als sie ihn bemerkte, setzte er sich gerade in das Gras neben sie und schaute sie von der Seite aus an. Für eine Weile schwiegen sie beide.



„Geht es Ihnen besser Scully?“, fragte Mulder schließlich sanft und betrachtete ihre blassen Züge genauer.

„Ja. Besser.“, antwortete sie so leise, dass er es kaum vernehmen konnte und fasste ihre Knie enger, die sie mit beiden Armen umschlungen hielt.

Wieder schweigen. Manchmal konnte man sich besser mit einer Mauer unterhalten, als wenn man versuchte Dana Scully irgendwelche Gefühle zu entlocken, dachte Mulder bitter und lehnte sich auf die Handflächen seiner Hände zurück, um sie nicht weiter zu bedrängen. Wenn sie nur nicht immer darauf pochen würde ihre Gefühle hinter einer dicken Mauer zu verstecken. Er hatte sie niemals für schwach gehalten, nicht einen Moment lang seit sie ein Team geworden waren und er würde es auch niemals tun, fügte Mulder in Gedanken hinzu.

Scully pflückte einen Grashalm und ließ ihn durch ihre Finger gleiten.

„Es tut mir leid, dass ich das eben versaut habe“, erklärte sie nach einer Weile und blickte in die Ferne. Mulder schüttelte seinen Kopf.

„Sie haben das nicht versaut. Mir wurde selber schlecht, als ich die Bilder zum ersten Mal sah und schließlich hatten sie gestern ja auch erst die Autopsie vorgenommen und irgendwie haben wir alle mal einen empfindlichen Tag. Es ist nicht schlimm. Holebrook hat alle Infos bekommen, die er brauchte und ich bin mir sicher, dass auch er seinen Kopf schon mehr als einmal bei solchen Fotos in die Kloschüssel gehalten hat.“ Mulder versuchte ihr ein kleines Lächeln zu entlocken, doch ihr Blick war in eine unbestimmte Richtung gelenkt.

„Hatten Sie schon mal in Ihrem Leben das Gefühl, dass Sie eine Entscheidung am liebsten wieder rückgängig gemacht hätten?“, fragte Scully ernsthaft und sah ihren Partner nun direkt in die Augen. Mulders Mundwinkel hoben sich nach oben.

„Ähm, Sie wissen schon, dass ich das hier bin, mit dem Sie reden, oder Scully?? - Gott, ja, ich hätte Hunderte von Entscheidungen in meinem Leben am liebsten rückgängig gemacht, wenn es ginge.“

„Haben Sie jemals daran gedacht, dass es falsch war diesen Beruf zu wählen? Dass es besser gewesen wäre, wenn man einen anderen Weg eingeschlagen hätte?“

Mulder schüttelte seinen Kopf. „Nein. Diese Wahl hat mich zu dem Menschen gemacht, der ich heute bin. Ich habe so viele Dinge gesehen, konnte so viele Antworten finden. Wäre ich einen anderen Weg gegangen wären wir jetzt nicht hier. Nein, Scully. Ich wünschte, es wäre oft einfacher gewesen, wir hätten nicht so viele persönliche Verluste ertragen müssen, aber ich bereue es nicht hier zu sein.“ Er musterte seine Partnerin von der Seite und versuchte ihren Blick zu deuten.

„Tun Sie es?“

Tat sie es? Bereute sie es diesen Weg gegangen zu sein? Wer konnte schon sagen, wohin ein anderer sie geführt hätte. Wer konnte schon sagen, was das Schicksal bereitgehalten hätte? Eines jedoch nagte seit der Autopsie an Martha tief in ihrem Inneren.

„Manchmal weiß ich nicht, ob ich das wirklich noch kann. Ich meine, ich schneide jeden Tag die Körper toter Menschen auf, Mulder, ohne einen Gedanken an den Menschen dahinter zu verschenken. Du darfst die Leiche nicht als Mensch sehen. Sieh es als Baukastensystem, dann ist es leichter, hat mein Professor damals immer gesagt und es funktioniert in der Regel. Aber so leicht ist das nicht immer! Jedermann hält mich für die tolle Gerichtsmedizinerin, aber das bin ich gar nicht. Es hat nichts mit Können zu tun. Es ist pure Wissenschaft. Nichts als das Zusammensetzten blanker Tatsachen. Und wann habe ich das letzte Mal über den Rand meiner Wissenschaftsbrille geschaut? Mulder, ich schneide da jeden Tag Menschen auf. Sie haben ein Leben gehabt, geliebt, eine Familie gehabt. Alles was ich ihnen gebe, ist eine Nummer für das Archiv und einen Zettel, den man an den großen Zeh hängt, bevor sie in einem dieser Kühlschränke verschwinden.“

Scully beendete ihre Ausführungen und blickte ihren Partner an. Mulder hob seine Hand und strich einige Haarsträhnen, die sich gelöst hatten, vorsichtig hinter ihr Ohr. Es sah so aus, als hätte dieser Fall seine Partnerin ein wenig mehr mitgenommen als gewöhnlich.

„Scully. Sie geben diesen Menschen, die sie untersuchen, ihre Würde zurück, indem sie mithelfen ihre Mörder zu erkennen. Sie geben ihnen oft einen Namen und der ganzen betroffenen Familie ihren Frieden wieder. Die Arbeit eines Gerichtsmediziners ist mit die wichtigste Arbeit bei der Aufklärung eines Verbrechens und glauben sie mir, ich weiß, dass sie nicht so kalt sind, wie sie sich gerade beschrieben haben. Ich weiß, dass sie Anteil am Schicksal dieser Menschen nehmen und ich weiß auch, dass das eine Tatsache ist, die vielen Pathologen oft zu schaffen macht.“ Vorsichtig strich seine Hand über ihre Wange und etwas Nasses berührte seine Finger.

„Martha war meine Freundin“, flüsterte Scully kaum verstehbar und blickte Mulder an.

Tränen liefen über ihr Gesicht und mühsam unterdrückte sie das Schluchzen, dass ihren Oberkörper ergriff.

Dieses Mal war es kein Baukastensystem. Im Normalfall war es schon schwer genug mit diesem Beruf umzugehen, wollte man nicht zu einem abgestumpften Wesen mutieren, aber dieses mal war es kein Fremder gewesen, hatte sie ihrem Partner so eben gestanden und Mulder reagierte auf die einzige Weise, auf die er sie immer tröstete. Vorsichtig zog er sie in seine Arme und Scully schlang ihre Arme fest um seinen Nacken, um ihr Gesicht in seiner Halsbeuge zu verbergen.

Gierig sog sie Mulders After Shave ein. Ein Duft, der Sicherheit und Geborgenheit versprach, während ihre Tränen den Stoff seines Hemdes durchtränkten.

Seine Hände streichelten sanft über ihren Rücken und ihr Haar, und auch wenn sie sich ewig von Mulder so hätte halten lassen können, löste sie sich wieder von ihm und wischte die letzten Tränen weg.

„Ich versaue noch ihr ganzes Hemd“, flüstere sie leise, um Kontrolle bemüht, doch ihr Partner schien die Wimperntusche auf seinem Hemd eher weniger zu stören.

„Gott Scully! Warum um Himmels Willen haben Sie diesen Job angenommen, wenn Sie von Martha wussten?“, fragte Mulder entgeistert und blickte sie wartend an. Scully schluckte.

„Ich wusste es nicht. Skinner rief mich früh am Morgen an. Er erzählte mir von einem Fall, für den man einen Pathologen brauchte und zitierte mich nach Quantico. Ich wusste es nicht, weil er keinen Namen genannt hatte. Ich war zu spät dran und alles wartete schon auf mich, als ich ankam. Erst als ich das Tuch zurückzog, konnte ich sehen, wer auf meinem Tisch lag.“ Scully machte eine Atempause. „Es ist zwar ein ungeschriebenes Gesetzt unter Pathologen, dass man keine Bekannten, Freunde oder Verwandte obduziert, wegen der emotionalen Belastung, aber es ist eben nicht generell verboten. Was sollte ich denn tun? Verschwinden? Hätte ich sie warten lassen sollen, bis ein anderer Gerichtsmediziner aus dem Bett geklingelt worden wäre?“ Eine erneute Pause. Mulder konnte sich gut vorstellen, was in diesem Moment in seiner Partnerin vorgegangen war. Ein Rückzieher hätte sich nicht gerade positiv auf ihren Ruf ausgewirkt und wer wollte so etwas für seine Karriere in Kauf nehmen?

Scully stand auf und wischte sich erneut über die Augen, um den letzten Rest von Schwäche zu beseitigen. Sie atmete tief durch und blickte Mulder aus christallblauen Augen an, die an diesem Tag etwas weniger strahlten als gewöhnlich.

„Geht es wieder?“ Scully nickte.

„Ja, alles in Ordnung. Es waren nur die Bilder. Ich meine, ich habe die Autopsie gemacht, wusste ungefähr, was Martha geschehen war, aber ich hatte die Tatortfotos noch nicht gesehen.“ Mulder nickte und wünschte Scully wäre diese Autopsie erspart geblieben. Nach einem Moment des Schweigens war er der erste, der wieder das Wort ergriff.



„Wollen Wir vielleicht einen Kaffee trinken gehen?“

„Kaffee, Mulder? Ich glaube nicht, dass dieses Gebräu im Büro meinem Magen besonders gut tun würde.“ Mulder grinste, ergriff ihre Hand und zog sie vorsichtig einige Meter mit.

„Mulder?“

„Ich hatte nicht an unser Büro gedacht“, entgegnete er knapp und blieb stehen.

„Nicht?“ Für eine ausgebildete Wissenschaftlerin war sie an diesem Morgen ziemlich einsilbig gestrickt. Mulder lächelte.

„Hier um die Ecke hat ein neues Bistro eröffnet. Es sieht ganz nett aus und gegen eine kleine Pause ist doch schließlich nichts einzuwenden, oder?“ Nicht, dass sie schon besonders viel gearbeitet hätten, genauer gesagt, hatte Scully noch keinen Finger gerührt, aber eine Pause und Kaffee hörten sich verlockend an. Mulders Hand hielt noch immer die ihre umschlungen und seine Wärme versprach das Gefühl von Sicherheit, dass sie immer in seiner Nähe empfand. Scully schmunzelte und blickte auf ihre verbundenen Finger und dann zu ihrem Partner.

„Ähm, vielleicht sollten wir jetzt besser...“, stammelte Mulder und ließ Scullys Hand sanft los. „Wir sollten die Gerüchteküche nicht noch mehr anheizen. Das Bistro ist gleich um die Ecke.“ Sie setzten sich wieder in Bewegung und gingen eine Weile schweigend nebeneinander her, bis Scully wieder das Wort ergriff.

„Gerüchteküche?“ Ihr Partner nickte.

„Hmmm.“

„Es gibt Gerüchte über uns?“ Ein weiteres Nicken.

„Was für welche?“

„Scully, ähm, können Sie sich das nicht denken?“

„Na toll. Das hat mir noch gefehlt. Wer setzt so etwas in die Welt und wo um Himmels Willen haben Sie das gehört?“ Der genervte Unterton in ihrer Stimme ließ Mulder schmunzeln.

„In Quantico. Ich war auf dem Trainingsgelände und na ja, in der Umkleidekabine um genau zu sein.“

„Ganz prima. Entwickelt sich das männliche Wesen nach der High School eigentlich auch weiter, oder bleibt es ab einem Alter von 15 Jahren auf der selben Stufe stehen?“, fragte Scully schnaubend und entlockte ihrem Partner ein weiteres Lächeln.

„Lassen Sie die doch glauben, was sie wollen.“

„Na, toll. Ich weiß, Sie geben nicht viel auf ihren Ruf, aber ich habe es nicht so gerne, dass irgendjemand herumläuft und behauptet, wir würden wer weiß was zusammen anstellen“, konterte sie ärgerlich. Mulder nickte. Er konnte sich vorstellen, wie schwer es als Frau war in diesem Job immer wieder gegen diese vorhandenen Gerüchte und Vorurteile anzukämpfen. Scully war eine gute und erfahrene Agentin, die es jederzeit mit jedem männlichen Kollegen aufnehmen konnte. Dennoch gab es immer wieder Agenten, die sie eher als Trophäe und Jagdobjekt, als als gleichberechtigte Kollegin betrachteten. Der Zustand, dass sie selten oder anscheinend so gut wie nie den Avancen seiner männlichen Kollegen erlag, heizte die Gerüchteküche immer wieder an und machte sie unweigerlich zu einem Objekt männlicher Phantasie.

Mulder wies mit dem Finger Richtung Kanal und auf ein kleines Bistro im Schatten der großen Platanen.

„Dort drüben ist es.“ Scully lächelte. Die roten Tischdecken und Sonnenschirme sahen verlockend genug aus, um für einige Zeit den Alltag zu vergessen.





~~~~~







Als gegen 20.00 Uhr am Abend die Rollwagen des Reinigungspersonals durch die Gänge des Hoover Buildings ratterten und ein Licht nach dem anderen in den Großraumbüros erlosch, streckte Special Agent Dana Scully ihre Arme weit über den Kopf nach oben und gab ein leises Stöhnen von sich. Viel zu spät, es war schon viel zu spät, dachte sie erschlagen und schloss für einen Moment müde die Augen.

Nachdem sie das kleine Bistro am alten Kanal verlassen hatten, war kein Weg darum herum gegangen, wieder in die grausame Realität einzutauchen. Scully hätte sich gewünscht noch etwas länger dort verweilen zu können, aber sie wusste, dass es mehr als notwendig war, so schnell wie möglich mit den Nachforschungen zu beginnen, wenn man diesen Menschen, der Martha ermordet hatte, finden wollte.

Den Rest des Tages hatten sie damit zugebracht sich einen Eindruck von den vielen kleinen Einzelheiten des Mordes zu verschaffen und während Mulder langsam als Profiler versuchte in die Gedankenwelt des Mörders einzutauchen, hatte Scully die Zeit damit zugebracht alte Autopsieberichte, die ihr Partner ihr herausgesucht hatte, mit dem modus operandi des Täters im aktuellen Fall zu vergleichen.

Und es gab sie. In allen Fällen war die Todesursache identisch. Die Opfer hatten nach ihrer Entführung noch ca. zwei Tage gelebt. Später vergewaltigte und erdrosselte er die Frauen und verstümmelte ihre Körper. In allen Fällen fehlte immer ein spezifischer Körperteil der Opfer. Ein Finger, ein Zeh, die Ohren, ein Fuß. Scully schluckte und dachte an Martha. Sie wollte sich die letzten Sekunden ihres Lebens nicht vorstellen, aber die schrecklichen Bilder der Autopsie drängten sich immer wieder in ihr Gedächtnis. In Marthas Fall fehlte ihre linke Hand. Niemand hatte es verdient einen solchen Tod zu sterben.

Fox Mulder betrat das Büro mit einem Stapel Fotografien in der Hand.

Er hatte es vorgezogen in einem anderen Raum sich alleine erste Eindrücke zu machen. Ebenso müde wie seine Partnerin ließ er sich auf seinen Stuhl hinter dem Schreibtisch fallen und blickte Scully gespannt an.

„Warum hat Skinner Sie mit diesem Fall beauftragt, Mulder? Ich meine, ich weiß, dass sie hier und da noch als Profiler für die VCTF arbeiten, aber in diesem Fall...?“

„Die Ermittler am letzten Tatort haben routinemäßig Marthas Fall mit denen in ihrer Datenbank verglichen und stießen auf Übereinstimmungen. Vor einigen Jahren starben vier junge Frauen nach auffallend gleichem Muster. Damals lag dieser Fall in den Händen der VCTF. Ich arbeitete als Profiler und Ermittler mit an diesem Fall. Wir haben dieses Schwein niemals bekommen. Irgendwann hörten die Morde einfach auf. Das Policedepartement informierte also die VCTF und die stellten bei Skinner die Anfrage, ob ich mir möglicherweise diesen Fall ansehen könnte.“ Scully nickte.

„Haben Sie sich die alten Fotos und Autopsieberichte angesehen?“

„Ja.“

„Und? Können Sie als Arzt die Vermutung der örtlichen Polizei bestätigen, was die Todesursache angeht?“

„Die Todesursache ist absolut identisch. Bei allen Opfern gleich, soweit ich das sagen kann. Der Mörder hat anscheinend sogar mit dem selben Schneidwerkzeug die linke Hand von.... des letzten Opfers abgetrennt.“ Vorsichtig strich Scully sich einige Haarsträhnen hinter das Ohr und blickte ihren Partner an. Es war schwer ihre Gefühle aus diesem Fall herauszuhalten.

„Scully. Wenn Sie recht haben und ich bin der selben Meinung wie Sie, dann ist dieser Kerl wieder da.“

„Oder jemand der genauso vorgeht.“

„Nein, das halte ich für ausgeschlossen.“

„Warum?“

„Damals gingen keine Informationen an die Presse. Alles blieb in den Räumen der VCTF. Es kann kein Trittbrettfahrer sein.“

„Zwischen den Morden liegen mehr als zehn Jahre, Mulder. Welchen Grund sollte dieser Kerl haben ausgerechnet jetzt wieder anzufangen?“

„Kann ich noch nicht sagen. Aber ich weiß, dass er, wenn es wirklich der selbe ist, wieder töten wird und zwar bald.“

„Gab es damals Hinweise auf den Täter?“

„Wir hatten nur mein Profil und die Aussage einer Vermieterin, die damals einen Mann in der Wohnung des letzten Opfers gesehen hatte, ihn aber nur unzureichend beschreiben konnte.“ Für einen Moment schwiegen beide Agenten und hingen ihren eigenen Gedanken nach.

„Scully, ich weiß, dass dieser Fall Sie persönlich berührt und dass es nicht einfach ist, aber Martha Reed hatte keine weiteren Angehörigen. Sie war ihre Freundin und sie könnten vielleicht eine Hilfe sein. Sie kannten sie, Sie kennen ihre Lebensgewohnheiten.“

„Und?“

„Ich würde Ihnen morgen gerne einige Fragen stellen, wenn das geht. Vielleicht finden wir einen Hinweis.“ Scully schluckte.

„Morgen?“

„Morgen. Lassen Sie uns hier für heute Schluss machen.“ Mulder griff nach seiner Jacke und hielt Scullys so hin, dass sie hineinschlüpfen konnte.

Der Vorteil dort unten im Keller zu arbeiten bestand darin, dass man es niemals weit zu seinem Auto hatte. Mulder wartete, bis Scully in ihren Wagen gestiegen war, winkte ihr noch einmal zu und sah dann den Rücklichtern hinterher, die langsam seinem Blickfeld entschwanden. Mit einem unguten Gefühl schwang er sich hinter sein Lenkrad und fuhr sich durchs Haar. Wem immer sie auf der Spur waren, er war sich sicher, dass sie nicht lange auf einen weiteren Mord warten müssten. Dieser Kerl hatte schon vor mehr als zehn Jahren Blut geleckt und wenn er weiter so vorsichtig vorgehen würde, hätten sie in der nächsten Zeit alle Hände voll zu tun.

Irgendwo in dieser Stadt oder zumindest in der näheren Umgebung schmiedete wahrscheinlich dieses kranke Individuum bereits an neuen Plänen seiner verkorksten Psyche.
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