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Richtung Nirgendwo - Geteilte Wege

von Nicole Perry

Kapitel 2

Scully konzentrierte sich auf Elliots Schritte und versuchte, sich seinem Rhythmus anzupassen. Sie konnte hören, wie der Hund neben ihnen herumtollte und sie hoffte, dass ihr das Tier nicht in den Weg laufen und sie stolpern würde. Sie war müde, sehr müde, und es kam ihr wie eine Ewigkeit vor, seit Mulder sie an diesem Morgen geweckt hatte.

Mulder... schon allein beim Gedanken an ihn zog sich ihr Herz zusammen. Scully atmete lang und bedacht durch und versuchte ihre Angst lange genug zu verdrängen, um sich auf ihre Schritte zu konzentrieren.

"Okay, Lisa", hörte sie Elliot sagen. "Hier sind jetzt drei Stufen und dann sind wir in der Küche."

Scully nickte. "Ich halte die Tür auf", sagte Rebecca. Scully hörte das Knarren einer Tür, die geöffnet wurde und dann wieder Rebeccas Stimme.  "Nein, Tucker, du bleibst draußen. Guter Junge."

Scully hielt weiterhin an seinem Arm fest, als sie Elliot die Treppe hinauf folgte, und sie war erleichtert, als sie in dem warmen Raum stand. Elliot ließ sie los und Scully hörte, wie etwas Schweres auf den Boden fiel. Sie nahm an, dass es sein Rucksack war. "Beck?" fragte er. "Wo soll ich..."

"In unser Zimmer", antwortete Rebecca, und Scully hörte einen Hauch von Ärger in ihren Worten. "Das Studio ist offensichtlich nicht angebracht."

"Glaube ich auch nicht", erwiderte Elliot. "Beck..."

Sie schnitt ihm das Wort ab und Scully erkannte den Ton in ihrer Stimme wieder. Es war der, den ihre Mutter immer gebrauchte, wenn sie wütend auf ihren Vater war. Wenn es etwas gab, worüber sie sprechen wollte, das aber nicht in Gegenwart der Kinder tun wollte. "Warum quartierst du Lisa nicht ein und ich mache uns etwas zu essen."

"Okay", antwortete Elliot und Scully fühlte, wie er wieder ihren Arm nahm. Als sie gehen wollten, fragte Elliot, "Ist Coop heute nicht dran mit Kochen? Wo ist er?"

"Er kommt heute später", sagte Rebecca. "Und ich habe angenommen, dass ihr nicht warten wollt."

"Habe ich dir jemals gesagt, dass du ein Genie bist?" Scully hörte daraufhin Rebeccas Lachen, und hörte dann das unverwechselbare Geräusch eines Kusses.

"Nicht in den letzten zehn Minuten", neckte Rebecca. "Aber Komplimente werden dich nicht vor dem Geschirrspülen bewahren."

Scully wusste nicht, ob sie erleichtert sein sollte, weil sich die Spannung etwas gelöst hatte oder ob es ihr peinlich sein sollte, weil sie die Ursache dafür war. Es schien, dass letzteres die Oberhand gewinnen würde. Als Elliot sie wieder beim Arm nahm, folgte sie ihm dankbar und hörte zu, wie er ihr die Einrichtungen im Haus erklärte.

"Wir kommen normalerweise alle durch die Küchentüre rein—wohl aus Gewohnheit. Es gibt vier Türen in der Küche", sagte Elliot und führte sie an jeder einzelnen vorbei. "Die erste ist die, wodurch wir hier rein gekommen sind. Dann gibt es an der hinteren Wand eine Tür zur Waschküche.  Die Tür an dieser Wand führt in den Flur, die Tür genau gegenüber führt ins Esszimmer. Da essen wir später." Scully hörte ihm genau zu und versuchte, ein Bild des Zimmers in ihrem Kopf zu malen.

"Jetzt sind wir im Flur. Das hier ist das Foyer. Und hier ist die Eingangstür." Scully streckte eine Hand aus und berührte das Holz der Tür und nickte dann ihr Verständnis. "Der Flur ist L-förmig. Wenn man die Tür als den Punkt nimmt, an dem die beiden Linien zusammenkommen, ist zu deiner Linken die kurze Seite, die in dem großen Esszimmer endet."

Elliot nahm wieder ihren Arm und führt sie das hinunter, was Scully für die lange Seite des L-förmigen Flurs hielt. Sie konnte die Tasche gegen sein Bein klopfen hören, als sie gingen. "Okay, obwohl der Flur hier ziemlich lang ist, ist es ganz einfach. Die erste Tür ist die zu Coopers Zimmer, und die zweite ist die Tür zum Badezimmer."

"Coopers Zimmer hat eine gemeinsame Wand mit dem Esszimmer, hab ich recht?" fragte Scully und hoffte, dass sie ihre Karte richtig gezeichnet hatte.

"Ganz genau." Elliot schien sich zu freuen und Scully lächelte. "Wenn du den Gang von dieser Seite hinunter gehst, gibt es nur eine Tür auf der linken Seite. Da ist unser Zimmer, Becks und meines. Das wird dein Zimmer sein, solange du hier bist."

Scullys Lächeln verschwand. "Ich möchte euch nicht aus eurem eigenen Zimmer vertreiben", widersprach sie.

"Mach dir darüber mal keine Sorgen", sagt Elliot und Scully hörte, wie sich die Tür öffnete. "In Becks Studio steht ein Bett, wir können dort schlafen." Scully wollte protestieren, aber er sprang ihr ins Wort. "So ist es einfacher, glaub mir. Und ein Badezimmer gibt es hier auch, also brauchst du nicht immer in den Flur."

Scully ließ sich widerwillig von Elliot in das Zimmer führen und er beschrieb ihr die Details. Das Bett stand an der Wand gegenüber, und die Tür zum kleinen Badezimmer war in der hinteren Ecke. Das Badezimmer nahm genauso viel Platz ein wie der große Wandschrank auf der Gegenseite, was aus dem viereckigen Raum eher ein Rechteck machte. Für Scully hörte es sich an, als sei der Boden genau wie im Rest des Hauses ein Holzfußboden, aber hier schienen einige Flickenteppiche zu liegen. Die verschiedenen Texturen des Bodens brachten Scully aus dem Gleichgewicht und sie erkannte, dass sie sich schnell an ihre neue Umgebung gewöhnen musste.

"Ich stelle deine Tasche aufs Bett", schloss Elliot. "Handtücher und so weiter sind im Badezimmer, aber wenn du etwas brauchst, sag Bescheid."

Scully nickte und ging zurück zum Bett, wo sie sich seufzend fallen ließ und ihren Mantel auszog.

"Alles in Ordnung?" fragte Elliot besorgt.

"Ja, es geht mir gut", antwortete Scully und zwang sich zu einem Lächeln.

"Du bist eine große Hilfe, Elliot, ehrlich. Ich bin nur ein bisschen müde."

"Ja, ich auch", erwiderte Elliot. "Ich lass dich dann mal eine Weile allein. Beck und ich lassen dich wissen, wenn das Essen fertig ist."

"Danke", sagte Scully und hörte wie die Tür ins Schloss fiel und Elliot Schritte sich entfernten. Endlich allein blieb Scully für eine lange Zeit sitzen. Sie spürte die Diskette in ihrer Hosentasche und sie berührte sie mit zitternden Fingern. Sie musste daran denken, was diese Diskette bedeutete. Erschöpft drehte sie sich um, legte sich mit dem Gesicht nach unten auf das Bett und vergrub es in einem der Kissen. Sie atmete tief durch und inhalierte den frischen Duft der sauberen Bezüge.

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Sie drückte das Kissen ganz fest an sich und ließ endlich ihren Tränen freien Lauf.

 

 

Der Bahnhof in Tucson war brechend voll. Voll von hunderten eiliger Menschen. Mulder ging neben Christophe und seinen Assistenten her. Kurz vor der Landung hatte man ihm normale Zivilklamotten verpasst, die er jetzt trug. Ein dritter Mann, der auf dem Flug hinzugekommen war, war mit dem unscheinbaren Auto zurückgeblieben, in dem sie zum Bahnhof gefahren waren. Mulder war froh über diese Tatsache, denn immerhin schien es ihm einfacher, zwei Männern zu entkommen, anstatt dreien.

Nicht, dass er großartige Chancen dazu hätte. Christophe war während der ganzen Zeit nicht von seiner Seite gewichen und hatte ihm ständig die Pistole in den Rücken gehalten und Mulder war sich im Klaren, dass sein Assistent nicht weniger aufpasste. Und obwohl sein langärmliges Hemd das Sicherheitsarmband verdeckte, das er trug, konnte Mulder es nicht vergessen.

Das Timing war ein wenig daneben, denn der Sunset Limited war bereits im Bahnhof. Ohne Zeit zu verlieren erreichten sie den Bahnsteig, wo die Passagiere bereits ausstiegen.

"Sieh dich in der Menge nach jemandem um, der ihrer Beschreibung entspricht", befahl Christophe seinem Assistenten, der sich augenblicklich in der anonymen Menschenmenge rar machte.

Als sie den Schaffner fanden, hielt Christophe ihm einen Ausweis hin, der offensichtlich seinen Zweck erfüllte. Widerwillig ließ der Schaffner sie den Zug durchsuchen. Sie sahen in jedem Abteil nach, doch fanden keine Spur von Scully.

"Sie ist nicht hier", sagte Mulder, der zugleich erleichtert aber auch enttäuscht war.

Doch das stellte Christophe keineswegs zufrieden. "Wir müssen mit allen Zugbegleitern dieses Zuges sprechen, bevor Sie weiterfahren", verlangte er von dem Schaffner.

"Das ist aber keine normale Vorgehensweise", protestierte dieser. Er konnte seine Gereiztheit über die Verspätung kaum verbergen.

"Bedauerlicherweise", erwiderte Christophe ruhig, "ist das hier auch keine normale Situation."

Mit der Geschwindigkeit eines Profis marschierte Christophe durch alle Befragungen. Erst die vierte Zugbegleiterin war aufschlussreicher als die anderen.

"Ich glaube, ich weiß, von wem sie reden", sagte die Frau und fummelte nervös an ihren blonden Locken. "Da war eine Frau in einer der oberen Kabinen—sie hat auf ihren Mann gewartet. Sie hat gedacht, dass er vielleicht den Zug verpasst haben könnte."

Mulder blieb bei ihren Worten das Herz stehen, doch bevor er irgendetwas sagen konnte, ergriff Christophe das Wort.

"Es tut mir Leid", sagte er. "Ich habe wohl Ihren Namen vergessen."

"Sheila", antwortete die Frau.

"Sheila", fuhr Christophe fort, "konnten Sie den Ehemann der Frau ausfindig machen?"

"Nein", sagte Sheila. "Es gab keine Spur von ihm, weder im letzten Bahnhof noch in dem nächsten."

"Können Sie sich erinnern zwischen welchen Bahnhöfen das war?"  fragte Christophe.

"Hmm... " Sheila legte den Kopf zur Seite und schloss für einen Moment die Augen, als sie nachdachte. "Es war irgendwann um El Paso, glaube ich." Sie öffnete wieder die Augen und lächelte. "Es tut mir Leid. Es ist nur so, dass ich für sehr viele Reisende verantwortlich bin, dass ich ein wenig durcheinander bin. Der einzige Grund, warum ich mich an sie erinnere ist, dass ich es nicht für sehr sicher hielt, dass sie alleine unterwegs war."

Panik schnürte Mulder fast den Hals zu. Er wollte sie nicht noch mehr über Scullys Zustand verraten lassen. "Was ist ihr passiert?"

Sheila zuckte die Schultern und blickte entschuldigend drein. "Sie hat mir gesagt, dass sie ihre Mutter in Tucson treffen würde. Ich habe sie danach nicht mehr gesehen. Ich nehme an, dass sie hier ausgestiegen ist."

Christophe sah zu Mulder. Ein langer, durchdringender Blick, bevor er sich wieder Sheila zuwandte. "Danke sehr, Sheila. Sie waren eine große Hilfe."

"Keine Ursache", antwortete sie. "Ich muss jetzt aber wirklich wieder zurück, ist das okay?"

"Ja, natürlich", antwortete Christophe schmeichelnd.

Als die Frau wieder in den Zug stieg, kehrte der Assistent zurück. "Keine Spur von ihr, Sir", berichtete er.

Christophe wandte sich an Mulder. "Was meinen Sie", sagte er. "Ist sie wirklich hier in Tucson ausgestiegen oder eher vorher?"

Mulder zögerte. Er wusste nicht, was er antworten sollte. "Ich glaube, wir sollten hier anfangen zu suchen ", sagte er letztendlich. "Sheila ist sich immerhin ziemlich sicher, dass sie von diesem Bahnhof hier geredet hatte."

Christophe blickte ihn für einen langen Moment an und sah dann zu seinem Assistenten. "Beschaff' mir eine Liste mit allen Haltestellen zwischen El Paso und hier und komm dann zum Flugzeug, wenn alles erledigt ist." Zu Mulder sagte er dann, "Wir fangen hier an. Um unser beider Willen sollten wir sie schnell finden."

 

 

Skinner marschierte ungeduldig hinter seinem Schreibtisch hin und her und beobachtete, wie der Computerfachmann vor ihm die Befehle in die Tastatur haute und wie sich ein Bild auf dem Bildschirm entwickelte. Langsam nahm das Gesicht eines Mannes Formen an. Es war ein Mann mit dunklen Haaren und olivfarbener Haut. Ein Mann, der fast fremd in seiner Erscheinung wirkte. Wer war dieser Typ, fragte er sich, wer hat sich als Skinner ausgegeben und Mulder aus einem Gefängnis in Texas geschleust? Wer war er und wessen Befehle befolgte er?

Skinner war sich nicht sicher, ob er die Antwort überhaupt hören wollte.

Es war zugleich auch frustrierend, denn er war seit Ewigkeiten nicht mehr in Mulders oder Scullys Nähe gewesen. Die anfängliche Freude, die er empfunden hatte, als der Anruf ihn erreichte, war augenblicklich gedämmt worden, als er erfahren hatte, dass es von Scully nichts Neues gab. Aber er hatte gehofft, Mulder könnte den Lückentext füllen. Er hatte gehofft, Mulder könnte Klarheit in die Situation bringen.

Und jetzt war Mulder unerklärlicherweise wieder verschwunden. Und Skinner wurde das Gefühl nicht los, dass er wieder von vorne anfangen musste.

"Und? Ist er es?" polterte Skinner ungeduldig.

Die Frage war an Rusty Hackett gerichtet, den Polizeichef von El Paso, der genau neben Skinner im Büro der örtlichen FBI-Zweigstelle stand. "Sieht ganz nach ihm aus", sagte dieser, aber er klang nicht sonderlich überzeugend. "Ich habe ihn nur einen Moment gesehen, wissen Sie. Und ich hatte keinen Grund, ihn zu verdächtigen. Er hatte einen Ausweis dabei."

"Ich verstehe." Skinner bemühte sich, nicht zu laut zu werden und nicht die Geduld mit Hackett zu verlieren. "Aber das hier ist sehr wichtig. Also wäre es gut, wenn Sie sich ein wenig sicherer wären, ob das hier eine zutreffendes Phantombild ist oder nicht."

"Ja, es trifft ganz gut zu", sagte Hackett. "Ich würde ihn nur ein wenig...  ich weiß nicht... ein wenig intensiver machen."

"Was soll das heißen?"

"Naja, er hatte etwas an sich, etwas in seinen Augen, glaube ich. Etwas, dass ein Nein nicht als Antwort duldet." Hackett sah zu Skinner auf, bevor er weiter sprach. "Verdammt, ich war nicht weit davon entfernt, seine Story zu glauben. Sie haben auch so einen Blick."

 

 

Elliot ging in die Küche und fuhr sich mit der Hand durch sein immer noch feuchtes Haar. Er hatte in Coopers Badezimmer geduscht und versucht, das Unvermeidliche so lange wie möglich aufzuschieben. Er wusste genau, dass er es ihr nicht länger vorenthalten konnte.

Die Küche war erfüllt von einem wohlriechenden Aroma und Elliot zog genüsslich den Duft ein. "Mmmm", machte er erfreut. "Was gibt es zum Abendessen?"

"Paella", antwortete Rebecca vom Herd aus. "Ich weiß, die hast du am liebsten."

Etwas von der Spannung, die Elliot befallen hatte, löste sich bei ihren Worten von ihm. Er blickte sie an, wie sie am Herd stand und mit dem Kochlöffel das Gemüse in der Pfanne umrührte. Sie hatte eine langärmlige, cremefarbene Bluse, die am Kragen mit kleinen Blümchen bestickt war unter ihrem Lieblings-Overall an. Ihr langes, dunkel gelocktes Haar, das er so bewunderte, war zu einem Pferdeschwanz zusammengesteckt, der ihr am Rücken herunter hing und einige widerspenstige Strähnen, die der Spange entkommen waren, umrahmten ihr gebräuntes Gesicht. Sie sah ihn an mit dunklen, fast schwarzen Augen und mit einer Intensität, die Elliot nur zu gut kannte.

"Danke", sagte er als Einleitung für das bevorstehende Gespräch. "Soll ich schon mal den Tisch decken?"

"Gleich", sagte sie und nahm den Holzlöffel aus der Pfanne, bevor sie sie mit einem Deckel bedeckte. Sie drehte die Herdplatte niedriger und durchquerte dann den Raum zu der Stelle, wo er an der Wand gelehnt stand.  "Also", begann sie. "Erzähl mir doch erst einmal, was hier eigentlich los ist."

Elliot nahm ihr Hände in seine. Er wollte wirklich, dass sie verstand, was er getan hatte und er hoffte, dass sie ihm glauben würde, dass er keine andere Wahl gehabt hatte. Er sprach langsam und dachte über jeden Satz nach, den er sagte, als er ihr von der Zugreise erzählte. Wie er Rick und Lisa im Speisewagen getroffen hatte. Wie Lisa in sein Zimmer gekommen war und die Geschichte, die sie ihm erzählt hatte. Er ließ nichts aus, er wollte, dass Rebecca es genauso erfuhr, wie er es erlebt hatte und er hoffte, dass sie denselben Entschluss fassen würde.

Als er endete, schwieg sie. Während er erzählt hatte, hatte sie seine Hände losgelassen und war zu ihrem gewohnten Platz neben dem großen Tisch gegangen, der in der Mitte des Raumes stand. Sie saß immer noch da und fingerte nachdenklich an ihren Locken, die sie an dem langen Zopf an ihrem Rücken erreichte. Als sie endlich sprach, waren ihre Worte leise. "Was, glaubst du, ist ihm passiert?"

"Ich weiß es nicht", sagte Elliot mit einer hilflosen Geste und einem Schulterzucken. "Irgendwie denke ich immer noch, dass er sie verlassen hat. Einerseits schien es mir zwar, dass sie sehr verliebt sind—die große Liebe, weißt du?" Als Rebecca nickte, fuhr er fort. "Aber andererseits glaube ich nicht für eine Sekunde, dass sie wirklich verheiratet sind. Sie hatten keine Ringe. Okay, das beweist am Ende gar nichts, aber irgendwie hat mich die Art gestört, wie sie es sagten. Als ob es etwas sei, woran sie sich erst gewöhnen mussten, aber nicht wirklich."

"Aber warum sollten sie dich belogen haben?" Rebecca verstand es nicht.

"Hmm. Wenn sie wirklich in so großen Schwierigkeiten sind, wie Lisa behauptet, dann können sie wohl keinem vertrauen."

Rebecca sprang vom Tisch und ging wieder zum Herd. Sie hob den Deckel und sah nach dem Gemüse. "Sie vertraut dir."

Dieser einfache Satz lag wie ein Gewicht auf Elliots Schultern, als er hinüber zu dem Weinregal in der Ecke ging. Er zog eine Flasche heraus, stellte sie auf den Tisch und öffnete die Schublade auf der Suche nach einem Korkenzieher. Ohne auch nur eine Sekunde zu zögern fischte Rebecca den Korkenzieher aus einer anderen Schublade und reichte sie ihm.

Elliot lächelte dankbar, aber er ließ Rebeccas Bemerkung unbeantwortet und er konnte sehen, dass sie seine Schweigsamkeit störte. "Elliot!" Sie legte eine Dringlichkeit in ihre Stimme, dass er aufsah.

"Was sollte ich machen, Beck?" Elliot griff nach zwei Weingläsern aus dem Regal und stellte sie mit einer solchen Wucht auf den Tisch, dass sie fast zersprungen wären. "Ich konnte sie nicht in dem Zug allein lassen. Ich konnte es einfach nicht!"

"Und warum nicht?" Rebecca starrte ihn an. "Es ist nicht deine Aufgabe, die Welt zu retten, Elliot. Das war sie nie gewesen. Das hier ist etwas verdammt anderes als einen streuenden Hund nach Hause zu bringen und ihn behalten zu wollen."

"Beck!"

"Ich meine es ernst, Elliot! Das hier ist vollkommen lächerlich", wirbelte Rebecca mit funkelnden Augen. "Du triffst eine blinde Frau in einem Zug, die dir irgendeine hirnverbrannte Story über ihren vermissten Mann erzählt und du bringst sie nach Hause. Du weißt *überhaupt* nichts von ihr! Das könnte alles eine abgekartetes Spiel aus Gott weiß welchem Grund sein!"

Elliot hatte den Wein bereits in ein Glas geschüttet und hielt die Flasche jetzt über das andere, doch ihre Worte stoppten ihn. "Denkst du nicht, dass ich das weiß?" Er hielt inne, die Wut stieg nun auch in ihm auf und seine Worte waren eiskalt. "Ich *weiß* das. Ich habe über alles nachgedacht. Und ich habe getan, was ich tun musste."

Rebecca hatte die Arme vor ihrer Brust verschränkt, aber ihre gekreuzten Arme konnten nicht verbergen, dass sie anfing zu zittern. "Hast du je darüber nachgedacht, was es bedeutet, wenn sie wirklich die Wahrheit sagt?"

Elliot sagte nichts. Er blieb stehen wo er war, eine Hand immer noch im festen Griff um die Weinflasche.

"Wenn jemand hinter ihr her ist.... gefährliche Leute, wie du sagst...." Rebecca konnte den Satz nicht zu Ende sprechen und erst jetzt erkannt Elliot, dass sie Angst hatte. "Ist dir nie in den Sinn gekommen, dass sie ihr hierhin folgen könnten?"

Elliot war mit vier Schritten bei ihr und nahm sie in die Arme. Er ließ ein erleichtertes Seufzen frei, als sie ihn ebenfalls umarmte, ihn an sich heranzog und ihren Kopf auf seine Schulter legte. "Ich habe darüber nachgedacht, Beck", murmelte er ihr ins Ohr. "Seit dem Moment, in dem sie es mir gesagt hat und während des ganzen Weges hierher. Ich habe nie aufgehört, daran zu denken. Und es macht mir auch Angst."

Elliot löste sich etwas von ihr und streichelte zärtlich ihre Wange. "Aber weißt du, was mir geholfen hat, diese Entscheidung zu treffen?" Rebecca schüttelte den Kopf und ihr Gesicht rieb sanft gegen seine Handfläche. "Du, Beck. Ich habe immerzu daran gedacht, dass ich wollen würde, dass Rick es für dich täte, wenn du in dieser Situation wärest. Und da habe ich gewusst, dass ich keine andere Wahl hatte."

Rebecca hielt seinen Blick und Elliot war sich sicher, dass er Tränen in ihren Augen sah, aber sie sah weg, bevor er sich sicher sein konnte. Sie vergrub ihr Gesicht in seinem Hals und küsste ihn sanft. "Ich weiß", murmelte sie, ihre Stimme gedämpft an seinem Körper. "Und ich liebe dich dafür."

Elliot hob mit einer Hand ihr Kinn und küsste sie innig. Er war wie immer dankbar für ihre Klugheit und für ihr Verständnis. Rebecca lächelte ihn an und drückte seine Hand, bevor sie sich wieder dem Herd zuwandte. "Das beantwortet allerdings immer noch nicht die Frage, was wir tun sollen. Wie können wir ihr helfen, wenn wir nicht wirklich wissen, was los ist?" Er füllte das zweite Glas mit Wein, machte die Flasche wieder zu und nahm die beiden Gläser mit zu ihr herüber. "Das können wir morgen früh herausfinden", sagte er und gab ihr eines der Gläser. "Wir reden mit ihr. Vielleicht können wir sie überreden, zur Polizei zu gehen."

"Ich gehe nicht zur Polizei."

Elliot ließ bei diesem einfachen, energischen Statement fast sein Glas fallen. Er fuhr herum und sah Lisa in der Küchentür stehen, eine Hand am Türrahmen, ihre Haare feucht von der Dusche. Sie hatte nun Khakis an und immer noch den großen grünen Sweater, den Sweater, von dem ihm plötzlich einfiel, dass Rick ihn getragen hatte.

"Lisa!" Er suchte nach Worten, er suchte nach einer Erklärung und wünschte sich, er wüsste, wie lange sie da schon gestanden und das Gespräch mitbekommen hatte.

"Es tut mir Leid, Elliot", sagte Lisa, ihre Worte knapp, aber so ruhig, als ob es ihr sehr wehtun würde, sie zu äußern. "Ich wollte Rebecca und dich nicht in meine Probleme verwickeln. Es ist nicht fair euch gegenüber."

Elliot löste seinen Blick lange genug von Lisa, um Rebecca anzusehen, die stocksteif vor dem Herd stand und so erschrocken aussah, wie er sich fühlte.

"Lisa...." Elliot wusste, dass er herumstotterte, aber er wollte das Beste daraus machen. "Es ist in Ordnung, wirklich. Wir waren nur—"

Lisa schüttelte langsam den Kopf und sie konnten die Resignation in ihrer Bewegung sehen. "Ich weiß. Glaubt mir. Aber ich kann euch nicht länger in das hier hineinziehen. Ich möchte, dass ihr mich morgen in die Stadt bringt.  Von da aus sehe ich dann weiter." Damit drehte sie sich um und ging zurück in den Flur, ihre Schritte auf dem Holzfußboden kaum hörbar.

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