World of X

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Irgendwann

von Chad Tanaka

Kapitel 1

FBI Hauptquartier Washington D.C. 1:15 pm

Es war kalt, stellte Mulder fest. Der Winter hatte Washington D.C. in seinem frostigen Griff. Schnee war noch nicht gefallen, aber ein Sturm wurde bald erwartet. Er schlenderte aus dem J. Edgar Hoover Gebäude, ohne genau zu wissen, warum er hier war oder wohin er ging.

Mulder zog seinen dunkelblauen Mantel fester um seinen mageren Körper, um sich vor der starken Kälte zu schützen und dann machte er sich auf den Weg.  Seine Beine gingen ihren eigenen Weg. Er hatte absolut keine Ahnung, wo er enden würde, aber darum machte sich Mulder im Moment auch nicht besonders Sorgen. Er fröstelte ein wenig, er war sich nicht sicher, ob wegen des Wetters oder eher wegen der frischen Erinnerungen, die seine Sinne überfluteten.

Er war niedergeschlagen. Mulder hatte gerade wieder eine Auseinandersetzung mit Scully gehabt. Es schien ihm, als ob diese sinnlosen Streitereien zur Normalität geworden waren. Seit sie aus der Antarktis zurück waren, war es immer dasselbe - ein falsches Wort hier, ein zweideutiger Blick da. Zur Zeit, gab Mulder traurig zu, reichte das kleinste Bißchen, um zu streiten.  Und die hitzigen Meinungsverschiedenheiten wurden immer feindseliger.

Er nahm an, daß die Spannungen zwischen ihnen daher rührten, daß keiner von beiden es fertiggebracht hatte, über die Nacht auf seinem Flur zu sprechen.  Wann war das, versuchte Mulder sich zu erinnern - vor zwei Monaten? *Es scheint mir wie vor einer Million Jahren,* dachte er wehmütig. Mulder wünschte sich die einfacheren Zeiten zurück, als es leichter war, mit ihr umzugehen.

Andererseits, wenn Mulder ehrlich zu sich selbst war, wann war es jemals leicht gewesen, wenn es um Scully ging?

*Jemanden zu lieben, ist niemals leicht,* sagte Mulder sich. Ja, er gab es zu. "Spooky" Mulder, der sonderbare verdrehte frühere Golden Boy der VCS und jetzige Spitzenreiter auf der Liste der beim FBI am meisten unerwünschten Personen war hoffnungslos und absolut in seine Partnerin verliebt. Und was es noch trauriger machte: so verrückt er auch war, Mulder fürchtete sich zu sehr, dem wichtigsten Menschen in seinem Leben, seiner besten Freundin, der einzigen Frau, die er liebte, zu sagen, was er für sie empfand.

Es würde so einfach sein, dachte er sich. In seinem Flur war er nahe daran, es ihr zu sagen. In dieser Nacht hatte Scully ihn aus dem Gleichgewicht gebracht mit ihren Neuigkeiten über ihre Kündigung. Er hatte sie nie zuvor so geschlagen gesehen - nicht einmal in ihrem Kampf gegen den Krebs hatte Scully jemals aufgegeben. Es erschreckte ihn. Scully schien zu glauben, daß alles für sie beide vorüber wäre.

Mulder wußte, er brauchte sie - und nicht nur in beruflicher Hinsicht.  Nichts, was er in seinem Leben tun würde, würde eine Bedeutung haben ohne Scully an seiner Seite. Wohl wissend, daß sie mit ihm zusammen nur weitermachte, wenn er ihr die Wahrheit sagte und er offen zu ihr war, lief er ihr nach in den Flur und stellte sich der 1,56 m großen, rothaarigen Sturheit, die Dana Scully sein konnte, wenn sie sich zu etwas entschlossen hatte.

Mit der Handfläche über sein müdes Gesicht streichend, erinnerte sich Mulder, daß er wirklich versucht hatte, Scully zu sagen, daß er sie mehr als alles andere in seinem ganzen Leben liebte - sogar mehr als Samantha.  Aber nachdem er einige wage Dinge gesagt hatte, *Durch Dich bin ich reifer geworden?* stoppte er, kurz bevor er seine Seele vor ihr entblößte.

In dieser Nacht hatte Scully Mulder in Verlegenheit gebracht und ihn unwissentlich dazu gezwungen, die Karten auf den Tisch zu legen. Er wußte, daß sie seine Worte verstanden hatte. Aber wie um alles in der Welt sollte sie glauben, was er sagte? Würde sie denken, daß sie einen Moment der Ehrlichkeit bei Mulder erlebt hatte oder würde sie denken, daß er sich ihr nur an den Hals geworfen hatte, um zu verhindern, daß sie ihn allein mit seiner Arbeit ließ? Mulder befürchtete, daß Scully denken könnte, seine Handlungen in dieser Nacht wären geboren aus selbstsüchtiger Verzweiflung, nicht aus wahrer Liebe.

Mulder fürchtete, daß er als Folge dieser verwirrenden und grauenvollen Nacht niemals in der Lage sein würde, Scully zu überzeugen, daß seine Gefühle für sie echt waren. Mulder zog frustriert die Augenbrauen zusammen.

Scully würde wahrscheinlich denken, daß jeder romantische Annäherungsversuch von ihm nur eine andauernde List sein würde, sie von einer Kündigung abzuhalten, sie daran zu hindern, das FBI zu verlassen...  und ihn.

Laut seufzend dachte Mulder, während er ziellos umherwanderte, welche Ironie es doch war, daß all diese Zweifel vermutlich nie aufgekommen wären, wenn er Scully tatsächlich geküßt hätte, so wie er es beabsichtigt hatte.  Er fühlte ganz sicher, daß sie Mulders wahre Gefühle erkannt hätte, wenn sie seine Leidenschaft für sie gespürt hätte beim Aufeinandertreffen ihrer Lippen.

Aber, so mußte Mulder anerkennen, eine gute Verschwörung wußte genau, wann sie ihr Vorhandensein deutlich machen muß. Es war Schicksal oder Karma oder was auch immer, das dafür verantwortlich war, daß die virusverseuchte Afrikanische Honigbiene Scully genau in diesem völlig unangebrachten Moment stechen mußte.

Er kam zu der deprimierenden Erkenntnis, daß das ganze Universum wirklich dagegen war, daß sie zusammenfanden.

So wußte Scully immer noch nicht Bescheid. Mulder war sich nicht sicher, ob sie jemals Bescheid wissen würde.

*Was zur Hölle kann ich tun?* fragte er sich.

Der frustrierte Agent schüttelte seinen Kopf ein wenig, um von diesen brütenden Gedanken loszukommen. Er atmete heftig ein. Die kalte Luft biß in seine Nase und seine Gedanken kehrten in die Wirklichkeit und seine unmittelbare Umgebung zurück.

Mulder stand vor dem Hof des J. Edgar Hoover Gebäudes. Zu seiner Linken konnte er die niedrige Mauer mit den großen Buchstaben aus Messing sehen, die das Gebäude als das Hauptquartier des FBI auswiesen.

*Ich frage mich, was das Bureau für verwirrte Individuen derart anziehend macht,* dachte Mulder süffisant. Er fühlte in diesem Moment eine Art verrückter Verwandtschaft mit dem Namensgeber des Gebäudes. *Vielleicht ist ein Transvestit der nächste Schritt für mich,* grübelte Mulder.

Seine Augen wanderten zu einer der einsamen Bänke, die über den Hof verteilt standen. Verlassen saß dort eine dunkel gekleidete Frau. Sie drehte ihm den Rücken zu und er konnte ihren Atem rhythmisch ausströmen sehen. Sie war es. Durch ihr flammend rotes Haar und ihre zarte Gestalt konnte man Dana Scully jederzeit erkennen, dachte Mulder. Ihm konnte die Art ihrer Körperhaltung nicht entgehen. Sie war eine starke Frau und es zeigte sich stets in der Art und Weise, wie sie sich behauptete.

Gott, er liebte sie.

*Und warum muß ich sie dann immer so verletzen?*

Mulder ging langsam in Richtung Scully. Er war nicht näher als zehn Schritte an sie herangekommen, als sie sprach.

"Geh weg, Mulder." sagte sie müde. Sie hatte sich noch nicht umgedreht und ihn angesehen.

"Woher wußtest Du, daß ich es bin?" entgegnete er schüchtern.

Mit einem müden Seufzer drehte sich Scully zu ihm um. "Wer sonst ist so verrückt, bei diesem gottverdammten Wetter hier draußen herumzulaufen?" fragte sie ihn mit einer hochgezogenen Augenbraue. Sie vernachlässigte absichtlich die Tatsache, daß sie genauso draußen war wie Mulder.

Als die einzige Reaktion, die Scully erhielt, der ausdruckslose starre Blick Mulders war, fuhr sie fort. "Tatsächlich hast Du einen sehr charakteristischen Gang, Mulder. Ich konnte am Rhythmus Deiner Schritte erkennen, daß Du Dich an mich heranschleichst."

*Jesus, Scully, mußt Du immer so eine Wissenschaftlerin sein?* fragte sich Mulder. *Einen Moment mal...* kam ihm ein anderer Gedanke.

"Ich habe mich nicht angeschlichen," erwiderte er sich verteidigend.

"Fein, wie auch immer." antwortete Scully barsch. Sie zog ihr schlanke behandschuhte Hand aus der Manteltasche, hob sie an ihr Gesicht und rieb ihren Nasenrücken mit Daumen und Zeigefinger. "Ich will überhaupt nicht mit Dir streiten, Mulder," sagte sie mit gedämpfter Stimme. Ihre Augen waren geschlossen und ihr Kopf war gesenkt.

Unerwartet überwand Mulder rasch die Entfernung zwischen ihnen und setzte sich zwanglos neben Scully auf die Bank.

"Jesus, Mulder!" rief sie mit erschreckter Stimme. Sie öffnete ihre Augen und richtete einen brennenden Blick auf ihn.

"Verzeihung," entgegnete Mulder entschuldigend. Sich näher zu ihr beugend, fragte er teilnahmsvoll "Kopfschmerzen?"

Scully brummte nur zustimmend. Sich zurücklehnend, öffnete sie ihre Augen und blickte in den kalten, grauen, wolkenverhangenen Himmel.

Mulder warf einen verstohlenen Blick auf seine Partnerin. Er bemerkte, wohl zum millionsten Mal, wie unglaublich schön Scully war. Ihre klassischen, ebenmäßigen Gesichtszüge waren exquisit, dachte Mulder bei sich. Er folgte ihrem Blick in den Himmel, wohl wissend, daß ihr melancholischer Blick nicht nach oben, sondern nach innen ging. Mulder durchzuckte schmerzlich ein unmittelbares Gefühl der Schuld, als er wahrnahm, daß sie litt, während er es ziemlich genoß, sie vorsichtig anzusehen.

"Ich bin müde," sagte Scully leise. Mulder hatte es beinahe überhört, aber er lehnte sich nach vorn, um jedes ihrer Worte zu verstehen.

Vorsichtig erwiderte er "Es war eine schwere Woche, Scully. Vielleicht solltest Du nach Hause gehen und Dich etwas ausruhen. Gott weiß, Du hast es verdient." Er wartete geduldig auf ihre Reaktion.

Nach einem Moment des Zögerns drehte sich Scully noch einmal zu Mulder um.  Er war überrascht über die tiefe Verärgerung in ihren Augen und ihrer Stimme. "Nein, Mulder," sagte sie, als spräche sie zu einem Kind, das besonders schwer von Begriff war. "Ich meine... ich bin müde wegen uns. All diese Auseinandersetzungen und Unannehmlichkeiten zwischen uns." Sie knabberte nervös an ihrer Unterlippe. "Ich meine," erklärte sie mit verwirrter Stimme "was passiert mit uns?"

Mulder war ein wenig verblüfft. Er hatte nie zuvor erlebt, daß Scully so vollkommen ihre Gefühle offenbarte. Er fragte sich vergeblich, ob ihre letzten Torturen ihr eine neue Sicht auf die Dinge gegeben hatten. Es war gelinde gesagt erfrischend, entschied er.

Nachdem er seinen anfänglichen Schock überwunden hatte, überdachte Mulder ihre Frage. Er hatte sich niemals vorgestellt, daß dies Scully so sehr quälte. Sie hatten bereits vorher ähnlich rauhe Zeiten erlebt. Beschämt vermutete er, daß Scully sein Verhalten nur als eine weitere emotionell oder sexuell frustrierte Phase einordnete und er sie mit einem Achselzucken abtat. Er hatte dummerweise als selbstverständlich vorausgesetzt, daß sie es verstehen würde - daß es vorübergehen würde, ohne daß sie darüber sprachen.

Das war einfach die Art, wie es Scully und er immer getan hatten.

Nun mußte er erfahren, daß er sich geirrt hatte. Grauenvoll geirrt. Mulders Blick wurde weich und er legte seine große behandschuhte Hand sanft auf ihre winzige Hand.

"Es tut mir so leid, Scully," bat er inständig. "Ich wollte nie... nun, ich dachte, es wäre irgendwie vorübergehend, was wir beide durchmachen, verstehst Du?" Er sah in ihre großen blauen Augen und Mulder konnte erkennen, daß Scully kurz davor war, zu weinen.

Seine Schuldgefühle wuchsen.

Eine einzelne untypische Träne der Frustration hinterließ eine silberne Spur auf Scullys Wange. Instinktiv hob Mulder eine Hand, um sie fortzuwischen. Sie hob ihre eigene Hand, um seine zu stoppen. Sie nahm ein Taschentuch aus der Tasche und trocknete sich die Augen. Verlegen darüber, daß sie ihre Gefühle so offen gezeigt hatte, senkte sie ihren Kopf und knetete nervös ihre Hände in ihrem Schoß.

Nach einer langen Pause fragte sie "Was machen wir durch, Mulder?" Ihr Haar fiel nach vorn und verdeckte ihre Gesichtszüge. Mulder streckte vorsichtig die Hand aus und strich die feurigen Strähnen zurück hinter ihr zartes Ohr.  Mit einem tiefen Seufzer antwortete Mulder "Ich weiß es nicht, Scully."

Als wenn sie ihn nicht gehört hätte, fuhr sie fort "Ich meine, wir waren nie besonders glücklich miteinander, nicht wahr?" Mulders Augen weiteten sich in Angst und Besorgnis. "Nein, nein," versuchte sie, zu erklären. "Es ist nicht so, daß wir als Partner nicht glücklich waren, aber die X-Akten selbst verweigerten uns jede Chance, wirklich glücklich zu sein, verstehst Du, was ich meine?" Sie sah ihm flehend in die Augen und wünschte, daß er verstand.

Und er tat es. "Ja, tatsächlich tue ich das," entgegnete er. "Wir haben das beste aus einer fünf Jahre währenden Pechsträhne gemacht." Dies brachte ihm ein zartes Lächeln von Scully ein, das ihn lächerlich glücklich machte.  "Aber," fügte er hinzu "was Du tatsächlich meinst ist, daß die Dinge zwischen uns besonders schlecht stehen, nicht wahr?"

Ein Hoffnungsschimmer glomm in Scullys Augen. "Exakt, Mulder... aber warum?" Sie war wahrhaftig verblüfft - es war nicht so, daß sie diejenige war, die den Streit vom Zaun brach, nicht wahr?

*Okay, vielleicht ein- oder zweimal,* gab sie zu.

Doch das mußte jetzt ein Ende haben. Die Spannung und der Ärger hatten tatsächlich gedroht, sie zu zerreißen. Scully hob ihren Kopf, um einen strengen Blick auf Mulder zu werfen.

"Mulder," sagte sie mit fester Stimme. "Laß es raus. Was quält Dich?" fragte sie.

Mulder richtete seine grün-braunen Augen auf Scully. Sie sah eine müde Traurigkeit in ihnen, die sie nur allzu gut kannte. Er sprach zu ihr in einem ruhigen, bedächtigen Ton. "Ich denke, Du weißt genauso gut wie ich, was passiert ist, Scully." Mulder lehnte sich auf der Bank zurück und sah sie erwartungsvoll an.

Er lobte diesen geschickten Zug, ihre Aufmerksamkeit zurückzugewinnen. Scully versuchte, ihr Verlangen Mulder zu erwürgen, zu verbergen.

Statt dessen sammelte sie ihre Gedanken. Langsam, wie Wasser aus einem immer größer werdenden Leck aus einem gebrochenen Staudamm floß, erkannte sie, was in den letzten Wochen tatsächlich los war.

Der Flur.

Der Beinahe-Kuß.

Der Stich der Biene, der - nach Scullys Meinung - ihre Partnerschaft gerettet hat.

Scully hatte diesen Moment absichtlich aus ihrem Bewußtsein verdrängt. Wenn sie tatsächlich irgendeinen Gedanken an den Sinn oder die Bedeutung dieses kurzen Streifzugs in die gegenseitige Verwundbarkeit verschwendet hätte, wäre sie bestimmt verrückt geworden.

Konnte Mulder nicht sehen, fragte sie sich, daß dieser Beinahe-Kuß viel zu gefährlich war, um darüber nachzudenken?

"Ich weiß, wir haben nicht darüber geredet, Mulder," begann sie vorsichtig.  "Aber Du weißt, daß wir das nicht können." Sie blickte mit ihren schimmernden strahlend blauen Augen auf Mulder. Er konnte die verzweifelte Sorge hinter ihren Worten hören. Die Panik umfing sie wie ein Totenschleier.

Er würde sich nicht davon abbringen lassen. Sie mußten jetzt darüber reden.  Er mußte damit beginnen.

"Warum nicht?" fragte er scharf. "Wir können nicht leugnen, was passiert ist, Scully."

Sie seufzte erneut müde. Es schien Mulder, das diese Unterhaltung sie das letzte bißchen Kraft kostete, das Scully hatte, um weiterzumachen.

"Es kann nicht funktionieren. Das weißt Du so gut wie ich," sagte sie zu ihm. Ihre Stimme klang wenig überzeugend, eher ablehnend.

Nun war Mulder ärgerlich. Er würde nicht akzeptieren, daß seine Scully, die starke, leidenschaftliche Scully, die er liebte, so leicht aufgab. War es so hoffnungslos? Nein, das konnte nicht sein.

"Verdammt, Scully," fauchte er sie an. "Von Rechts wegen müßten Du und ich jetzt tot sein. Wir sind so oft gegen die Ungleichheit angegangen, warum denkst Du, daß wir das nicht tun können?" Er gestikulierte mit seinen Händen, bewegte sie zwischen ihren Körpern hin und her und versuchte verzweifelt, ihr die Absurdität ihrer Argumentation vorzuführen.

Schließlich gab Scully nach. Sie drehte sich ganz zu ihm und nahm sein Gesicht sanft streichelt zwischen ihre behandschuhten Hände. Sie fühlten sich so warm in Mulders Gesicht an. Er konnte sich fast ihr Mitgefühl und ihre Zärtlichkeit vorstellen, die langsam von ihren Handflächen ausstrahlten.

"Mulder, bitte versteh doch," säuselte sie besänftigend. "Ich will nichts lieber als Dich... alles von Dir und mit allen Konsequenzen." Scully atmete tief ein und aus.

Mulder schloß seine Augen, er sonnte sich in ihrer Offenbarung. *Sie will mich!* freute er sich. Aber seine Freude war nur von kurzer Dauer. Er wollte, daß sie aufhörte. Mulder wollte nichts mehr hören, weil er wußte, daß er nicht mögen würde, was sie als nächstes sagen würde. Aber er respektierte sie viel zu sehr und so hörte er weiter zu.

"Aber?" erwiderte er.

"Aber..." begann sie, doch sie verstummte unsicher. Er öffnete seine Augen.  Sie brachte nervös ihre Hände von seinem Gesicht in sein wundervolles kastanienbraunes Haar, genau über seine Ohren. Er vermutete, daß es einfach Scullys Art war, zu vermeiden, daß ihre Hände nervös wurden, während sie sprach. Aber das sinnliche Gefühl trieb Mulder zum äußersten. Er mußte sich auf ihre Stimme konzentrieren, ihre Worte.

Dennoch, als Scully ihn so berührte, fiel es ihm sehr, sehr schwer. Mulder änderte seine Sitzhaltung in dem Versuch, die unangenehme Beule in seinem Schritt zu verbergen.

"Aber dann wäre alles vorbei, Mulder!" rief sie ein wenig eindringlicher aus, als sie beabsichtigte. Als sie den erschütterten und verwirrten Ausdruck auf seinem Gesicht sah, versuchte Scully, zu erklären.

"Dies - alles, was wir jetzt haben," sagte sie in einem ernsten Flüstern, "die wundervolle Partnerschaft, die wir haben, alles wäre vorbei. Nichts wäre mehr dasselbe." Sie sah vorsichtig zu ihm hin, ängstlich, wie er reagieren würde. Sie konnte es in den goldenen Punkten sehen, die im Innern seiner warmen haselnußbraunen Augen schwammen, die Mulders ausdrucksvollen Blick ausmachten. Sie konnte es an den harten Mundwinkeln seiner sinnlichen vollen Lippen sehen. Mulder wollte das nicht akzeptieren. Nichts davon.

"Worüber, zur Hölle sprichst Du, Scully?" wurde er laut. "Natürlich würde es nicht dasselbe sein. Es wäre viel besser." sagte er nachdrücklich.

Scully schüttelte langsam ihren Kopf. "Nein, Mulder," antwortete sie fest.  "Wir wären zu nahe aneinander dran, um unseren Job ordentlich zu machen. Es gäbe keine... Perspektive, wenn wir unsere Arbeit und unser Privatleben trennen müßten." Als sie sah, daß Mulder sich von ihr entfernte, als wäre ein Schleier auf sein Gesicht gefallen, wußte Scully, daß sie ihm einen Moment Zeit lassen mußte, um zu erkennen, daß sie recht hatte. Wenn er einmal überzeugt war, erkannte sie, würde es keine Diskussion mehr geben.

Sie schloß zärtlich ihre Hände um Mulders. "Komm schon, Mulder," fuhr sie fort. "Wie können wir annehmen, daß wir uns im ganzen Land herumtreiben können, um Alienverschwörungen aufzudecken oder mutierte Ziegenmelker zu jagen, wenn alles, was wir erörtern ist, warum Du den Toilettendeckel offen gelassen hast, so daß ich um vier Uhr früh da reinfalle?" Scully fühlte ein ironisches Lächeln auf ihrem Gesicht, als sie daran dachte, daß das tatsächlich das war, wozu Mulder fähig war.

Mulder konnte nichts dagegen tun, daß sich ein Grinsen auf seinen ärgerlich zusammengepreßten Lippen ausbreitete.

"Oh, Scully," jammerte er und gab seine wütende und empörte Haltung auf. "Logisch, Du hast recht. Du warst immer die Pragmatische in dieser Partnerschaft. Aber ich kann mir nicht helfen, ich habe das Gefühl, wir geben etwas Wunderbares auf... bestimmt. Etwas, das wir nicht jeden Tag erleben, verstehst Du." Er löste seine Hände aus Scullys und lehnte sich zurück auf die Bank. Er fuhr sich frustriert durch seine dunklen Haare.

Dann, mit brennenden Augen und einem entschlossenen Ausdruck auf seinem Gesicht, lenkte Mulder seinen starren Blick auf Scully. Er würde es ihr sagen, entschied er. Er mußte es tun. Er würde alles auf eine Karte setzen und dann gab es kein Zurück mehr. Das war sein letzter Trumpf, den er ausspielen konnte, um ihre Meinung zu ändern.

"Ich liebe Dich, Dana Scully," beteuerte er leise. "Das ist alles, was zählt. Keiner der triftigen Gründe, die Du heute angebracht hast, um die Sinnlosigkeit einer Beziehung zwischen uns zu beweisen, kann daran etwas ändern. Nichts kann das, nicht einmal eine Regierungsverschwörung, die wie wir wissen droht, die Erde zu zerstören, wird mich davon abbringen können, daß Du der wichtigste Mensch in meinem Leben bist."

*Beschütze ihr liebes Herz*, dachte Mulder bei sich. Tatsächlich berührte es Scully, als sie seine Empfindungen und Gefühle sah. Er konnte sehen, wie sie mit sich selbst Krieg führte, die Leidenschaft, die tief in ihr drinnen brannte, ihre Seele, die gegen ihren kalten wissenschaftlichen Verstand kämpfte, den sie so sehr schätzte. Es war fast schmerzhaft zu beobachten, wie die stürmischen Strudel der Qual ihre klare saphirfarbene Iris dunkel färbte und die tiefen Linien, die sich in ihrem Gesicht abzeichneten, verursacht durch die Anspannung um ihren Mund. Es war für einen zufälligen Beobachter nicht wahrnehmbar, aber Mulder kannte sie besser als irgendein anderer.

Sie wollte ihn auch. Aber sie würde es nicht zulassen, das wußte er nun.

Dann, obwohl sie dagegen ankämpfte, kamen die Tränen. Ein tiefer Seufzer kam von Scullys Lippen und die salzigen Tränen liefen frei und heiß über ihre erhitzten Wangen. Mulder nahm sie einfach in die Arme und umarmte sie sanft. Er verstand. Auch wenn er es nicht guthieß, er würde sich ihrer Entscheidung beugen. Sie verdiente seinen Respekt und er gab ihn ihr gern.

"Gott, Mulder," gelang ihr schließlich ein tiefer Seufzer. Ihr Kopf war in seiner Halsbeuge verborgen. Die warme Feuchtigkeit begann, in sein neues Armani-Jackett einzudringen. Es störte ihn nicht.

"Ich... ich liebe Dich auch," murmelte sie schwach. "Aber ich kann unsere Freundschaft und unsere Arbeitsbeziehung, die wir jetzt haben, nicht aufgeben. Ich habe Angst vor dem, was passieren wird, wenn wir es ändern.  Ich... ich habe Angst, Dich zu verlieren." Sie schloß ihre Augen fest und betete, daß er sie verstehen und ihr verzeihen würde.

Mulder legte sein Kinn auf ihren Kopf und seufzte. Er liebte sie genug, um zu tun, was er konnte. Wenigstens wußten sie nun beide, daß sie sich liebten. Das war genug für ihn. Es mußte genügen.

Er streichelte ihr zärtlich übers Haar. "Nicht weinen, Scully," murmelte er mit tröstender Stimme. "Ich verstehe und ich werde immer zu Dir stehen. Ich vertraue Deinem Urteil, was das beste für uns ist." Er lachte leise und sagte "Der Himmel weiß, mein Urteilsvermögen läßt einiges zu wünschen übrig."

In Mulders tröstender Umarmung gewann Scully ihr Lachen zurück. "Yeah, irgend jemand wird uns retten müssen, wenn Du uns wieder von einer verrückten Situation in die nächste bringst." *Und eine intime Beziehung zu haben mit meinem besten Freund und Partner wäre definitiv verrückt,* dachte Scully.

Nach einer sehr langen Pause antwortete Mulder. "Da wäre eine Menge darüber zu sagen, wie verrückt man zuweilen sein kann." sagte er zu ihr. Seine Hand wanderte unwillkürlich zu ihrem Rücken, wo Mulder sich vor seinem geistigen Auge, das runde Tattoo, das dort für immer gezeichnet war, vorstelllen konnte.

Scully erschauderte bei der Erkenntnis, was er damit meinte. *Nein, ich werde nichts dagegen sagen,* dachte sie, während sie sich an das orangerote Glühen des drückendheißen Ofens und an den abartigen Geruch von verkohltem Fleisch erinnerte. Ihr heftiges Zittern als Folge des Wetters ansehend, zog Mulder sie enger an sich heran. Scully begrüßte die zusätzliche Wärme und verkroch sich tiefer in seine Arme.

Als er erkannte, daß sie noch erfrieren würden, wenn sie noch länger hier draußen verweilen würden, löste er sich von Scully und versuchte, ihr in die Augen zu sehen. Da sie ihren starren Blick auf ihre Hände in ihrem Schoß gerichtet hielt, nahm er sanft ihr Kinn in seine Hand und hob ihr Gesicht zu sich. Er konnte die getrockneten Tränen auf ihrem Gesicht sehen und den schuldigen Blick in ihren Augen, als wenn sie ihn irgendwie verraten hätte.

*Nichts kann weiter entfernt sein, als die Wahrheit,* dachte er bei sich selbst.

"Freunde?" fragte er fröhlich. Er zwang sich zu einem Lächeln. *Ich vergebe Dir, Scully, obwohl es wirklich nichts zu vergeben gibt.*

Erleichterung durchströmte sie und ihr wunderschönes Gesicht leuchtete wieder auf. Mulder war froh. Sie strich mit ihrer Hand an seinem Kinn entlang und antwortete "Gute Freunde, Mulder. Die besten." Und dann erhielt Mulder eines ihrer raren 1000-Watt-Lachen, das ihre perfekten Zähne zeigte und das unwiderstehliche breite Kräuseln ihrer Lippen.

Er liebte sie und wenn er zuweilen eines dieser Lachen von ihr bekam, würde alles gut.

"Komm," sagte er zu ihr, als er von der Bank aufstand. Seine Knie knackten schmerzhaft, als sie sein ganzes Gewicht spürten. *Du wirst alt, Mulder,* tadelte er sich selbst. Er hielt ihr seine Hand hin und sie ergriff sie.  Sie stand mit der für sie charakteristischen Grazie auf und sie schien keinerlei Anzeichen von Beschwerden zu zeigen, trotz der langen Bewegungslosigkeit.

*Sie ist so schön,* sagte er sich selbst, wohl zum billionsten Mal, seit sie sich kannten. *Wie zum Teufel werde ich das nur schaffen?* fragte er sich traurig.

Aber er blickte ihr wieder in ihr offenes liebenswertes Gesicht. Wie immer war er sprachlos beim Anblick ihrer glatten cremefarbenen Haut, ihrer klassischen zarten Nase, ihren großen ausdrucksstarken unschuldigen blauen Augen und dem stets wechselnden glänzend schwingenden Schleier ihrer üppigen kastanienbraunen Haare. Sie war so wunderbar.

Mulders Blick wanderte über ihr Gesicht und blieb an ihrem Mund hängen. Er verbrachte zahlreiche Gelegenheiten damit, sowohl im Büro als auch unterwegs, ihre sinnlichen Lippen anzusehen. Wenn sie sich die Lippen leckte oder auf ihrer Unterlippe kaute, aus Konzentration oder aus Nervosität, war das beinahe genug für ihn, in Ohnmacht zu fallen.

Das lustige an der Sache war, bemerkte er, daß ihr Aussehen bedeutungslos wäre, wenn Dana Katherine Scullys innere Werte nicht wären. Ihre ungeheure Intelligenz brachte ihn aus der Fassung - es befand sich auf einer Ebene, die er niemals in der Lage war, zu erreichen. Aber was Mulder wirklich fesselte, waren ihre Leidenschaft und ihre wahrhaftigen aufrichtigen Gefühle. Ihre innere Wärme glich ihre kühle professionelle Haltung, die sie zeitweilig annahm, aus und sie war ein großer Teil dessen, weshalb er so hingerissen von ihr war.

Oh, Mulder wußte, daß es ihn schwer erwischt hatte. Sich in Scully zu verlieben war zugleich das wunderbarste und das schrecklichste, was ihm passieren konnte, in seinem unberechenbaren, armseligen Leben.

Dort auf dem Hof stehend bemerkte Scully Mulders prüfenden Blick. Sie neigte ihren Kopf zur Seite und überlegte, ob sie ihn mit seinem Tagtraum necken sollte oder nicht. Schließlich entschied sie sich, es nicht zu tun.  Statt dessen schenkte sie ihm ein weiteres engelhaftes Lächeln.

"Beweg Deinen Hintern, Mulder. Ich will hier draußen nicht erfrieren," sagte sie lächelnd.

"Willst Du mich anmachen, Agent Scully?" neckte er sie mit einem närrischen Grinsen. Er nahm ihre Hand in seine und ging mit ihr zurück zum FBI-Gebäude.

Und zu seiner Überraschung lachte Scully tatsächlich. *Es kann noch alles gut werden,* grübelte Mulder. "Laß uns zurück an die Arbeit gehen, G-woman," sagte er zu ihr.

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