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Present Grief

von Michelle Kiefer

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Über Jahre hinweg habe ich darüber nachgedacht, wie ich mich fühlen würde, wenn ich dich eines Tages beerdige.

Vor langer, langer Zeit hätte ich den Abzug selbst gedrückt und dann auf deinem Grab getanzt.

Später kamen die Tage, an denen ich zu gefühllos war, um mich noch wirklich darum zu scheren, ob wir beide lebendig oder tot sind. Stell dir das Erstaunen vor, mit dem ich nun herausgefunden habe, dass „Reue“ das Wort ist, welches meine Gefühle am besten zusammenfasst.



Ich habe gedacht die Wunden seien verheilt. Ich habe mir keine Illusionen über eine vollständige Heilung gemacht, aber ich habe gehofft, ich hätte endlich genug Abwehrkraft entwickelt, um durch den Tag zu kommen. Aber es scheint so, als seien nur Sträucher und Dornen in dem verlassenen Haus gewachsen, das ich mein Herz nenne... auf das leichteste zu durchbohren von jedem, der ein Schwert besitzt, das scharf genug ist.



Wenn ich zurückblicke sehe ich den charmanten jungen Mann, der vor meiner Tür stand, die Arme voller Orchideen. Nicht ein einziges Mal hast du in Erwägung gezogen, dass ich dir widerstehen würde. Nun ja, das ist auch mir niemals eingefallen.



Ich nehme an, dass ich dich damals liebte. Um ehrlich zu sein weiß ich nicht mehr, warum. Vielleicht warst du damals noch warmherzig, sanft und humorvoll. Vielleicht war es auch einfach nur eine gute Zeit sich zu verlieben. Früher zogen wir nie den Gedanken in Betracht nicht zu heiraten und keine Kinder zu haben. Nein, damals haben wir alle Dinge in der richtigen Reihenfolge getan.



Ich vermute wir waren glücklich in jenen frühen Tagen. Ich erinnere mich daran, wie wir gelacht und uns im hellen Tageslicht eines Samstagnachmittags „anstößig“ auf dem Sofa geliebt haben, während ich im Hinterkopf den Gedanken hatte, was meine Mutter wohl davon halten würde.



Dann gab es die Tage, in denen die Luft von dem süßen Duft eines Babys durchwürzt wurde, in denen ich die Wärme eines Babys in meinen Armen spürte. Ich denke dies waren die glücklichsten Momente; die Momente, in denen ich meinen kleinen Jungen in den Schlaf wog; ihn dabei beobachtete, wie er zur Tür watschelte, wenn du von der Arbeit nach Hause kamst.



Es kümmerte mich nicht, wenn du nicht regelmäßig zu Hause warst. Es gab eine Menge anderer Sachen, die meine Zeit beanspruchten. Die Kinder stellten nur wenige Ansprüche und ich konnte sie ihnen erfüllen. Warme Mahlzeiten, saubere Kleidung, ein Bad vor der Schlafenszeit... nichts, dass ich nicht hätte erledigen können.



Nach einer Weile war ich eigentlich glücklicher, wenn du nicht da warst. Es wurde zu einer mühevollen Angelegenheit die Kinder ruhig und von dir fernzuhalten, während du Zigaretten paffend mit deiner Arbeit beschäftigt warst. Die Männer, die du mit nach Hause brachtest, machten mir Angst, egal wie charmant oder höflich sie auch gewesen sein mochten.



Besonders ein Mann war gefährlich; seine Stimme war hypnotisierend, wenn wir zwei allein bis spät in die Nacht hinein redeten, nachdem du auf dem Sofa eingeschlafen warst von zuviel Scotch. Wie leicht es für diesen Kerl gewesen sein muss – ein kleines Gespräch, einige Kompliment, eine starke Hand auf bloßer Haut, die schon viel zu lange unberührt geblieben war.



Damals habe ich dich nicht gehasst. Ich empfand vielleicht „höfliche“ Gleichgültigkeit, nicht aber Hass.

Nein, der kam später, als du mir jene bittere, teuflische Frage gestellt hast. Welches von ihnen?

Welches Kind? Von welchem Teil meines Herzens hätte ich mich trennen können? Zum Teufel mit dir, Bill.



Stattdessen trafst du also die Entscheidung und mein Kind verschwand. Nichts blieb mir übrig, außer einigen Kleinigkeiten aus dem Leben eines kleinen Mädchens: Eine Pfadfinderuniform, eine Barbiepuppe, eine Haarbürste. Danach waren die Tage voller Kummer.



Letzte Nacht habe ich ein Foto gefunden, als ich dabei war deine Sachen auszusortieren, eine Art Basketball-Mannschaftsfoto. Fox muss wohl 14 oder 15 darauf gewesen sein, verschrammte Ellbogen und Knie, unbändiges Haar. Er kniete, mit weißgrünem Trikot, den Basketball an die Hüfte gedrückt.



Als ich so auf meinen Sohn hinunterstarrte fiel mir auf, dass ich mich nicht daran erinnern konnte, dass Fox jemals Basketball gespielt hat. Ich erinnere mich nur vage daran dieses Trikot aus der Waschmaschine herausgeholt zu haben, das nasse Polyester schwer und glitschig in meinen Händen.



Ich könnte Fox gar nicht sagen, wie sehr es mir leid tut, dass ich mich nicht daran erinnern kann, wie er zu den Spielen gekommen ist, was er gegessen hat, wenn er vom Training nach Hause kam.

Ist er tot? Das FBI vermutet, dass er höchstwahrscheinlich in New Mexico gestorben ist. Aber heute habe ich eine ungewöhnliche junge Frau getroffen, die glaubt, dass er noch am Leben ist.



Ist sie eine gute Freundin meines Sohnes? Sie wirkte so ernst und aufrichtig mit ihrem blassen Gesicht und ihrem hellen Haar. Sie wirkte so dermaßen überzeugt davon, dass man ihn lebend auffinden würde; so sicher als sie neben mir herging. Man sollte meinen, dass seine Mutter spüren sollte, ob er lebt oder tot ist, aber mein Herz ist verkümmert und ich fühle gar nichts. Nichts außer Reue.







Ende
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