World of X

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Minor Thing

von SpookyJul

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Es sieht nett aus, wenn sie lacht. Das tut sie so selten. Sie lacht und redet und isst. Ich sehe sie gerne, wenn sie Dana und nicht Agent Scully ist. Ich sehe ihr gerne dabei zu, wenn sie fröhlich und nicht wütend, müde, traurig oder gestresst ist. Leider sehe ich das nicht allzu oft.

Aber jetzt sitzt sie mir gegenüber und ich kann sie wann ich will und sooft ich will anschauen, ohne, dass sie es merkt. Na ja gut, ich gebe ja zu, sie merkt es nicht...

„Fox, schmeckt es dir nicht? Ist der Truthahn zu trocken?“

Verwirrt blicke ich zur Seite. Ah ja richtig, ich bin ja zum Essen da. Mrs. Scully hat mich schließlich persönlich zum Essen eingeladen und nicht zum „Dana- angucken“. Oder vielleicht doch?

„Nein, nein Mrs. Scully, alles in Ordnung, das Essen ist ausgezeichnet.“ Ich lächle sie an und schlucke zu Bestätigung ein Stückchen Kartoffel mit Soße herunter.

„Oh Fox, wie oft soll ich es dir denn noch sagen. Nenn mich doch Maggie, ich nenne dich schließlich auch nicht beim Nachnamen, nicht wahr?“

Jetzt lächelt Mrs. Scully – pardon - Maggie mich an. Obwohl sie Dana nicht wirklich sehr ähnlich sieht, man schaue sich nur das Haar der beiden an, das Lächeln ist das gleiche. So warm und liebenswürdig.

„Schließlich gehörst du ja schon fast zur Familie.“ Sie stupst mich in die Seite und nickt zu Dana. Schelmisch grinsend widmet sie sich wieder ihrem Essen und beginnt ein Gespräch mit Charly. Und merkt zum Glück nicht, dass ich etwas rot geworden bin.

Schon fast zur Familie.

Irgendwie ein netter Gedanke. Abgesehen davon, dass ich noch nie eine richtige Familie hatte. Na ja, nicht wirklich. Ich hatte schon eine, bis ich zwölf war. Mein Gott, wie lange ist das her. Aber wer will sich Heiligabend mit seiner zerbrochenen Kindheit befassen. Jedenfalls könnte ich es mir gut vorstellen, mit Dana in einem Haus zu wohnen, immer jemanden zum Schmusen haben, nicht mehr allein aufzuwachen... ach.

Alles nur Träume!

Eher würde sich Skinner in ein Kaninchen verwandeln, als dass dieser wahr wird. Ich seufze.

Aber ein schöner Gedanke ist es allemal.

Ich muss ziemlich bescheuert aussehen, so wie ich dasitze, die Gabel noch in der Hand, denkend und einen vollen Teller vor mir, wo die anderen schon fast beim Nachtisch sind.

„Mulder? Was ist mit Ihnen? Schlafen Sie?“ Scully grinst mich an. „Warum starren Sie mich denn so an?“

„Ähm.. tja.“ Mehr fällt mir dazu nicht ein. Was soll man denn auch darauf antworten? „Nein, Scully, ich schlafe natürlich nicht! Ich muss sie nur die ganze Zeit ansehen, weil sie so wahnsinnig schön sind!!“ Haha.

„Ihnen bekommt wohl der Punsch nicht. Oder die Rotwein-Soße.“ Sie grinst. Irgendwie heimtückisch. Aber liebenswert-heimtückisch.

„Scully, passen Sie bloß auf was sie sagen.“, scherze ich zurück.

„Oh, werden Sie mich dann mit Wattebällen bewerfen, wenn ich weitermache?“

„Ja, das werde ich tun. Bis sie bluten.“
Scully lacht auf. Ah, perfekt. Meiner Meinung nach darf sie das ruhig öfter tun.

„Na ja, Mulder, Sie sehen aus wie ein Schaf, wissen Sie das?“ Sie lächelt. „Und ich würde Ihnen empfehlen, jetzt mal aufzuessen, weil sonst verpassen Sie womöglich noch den weltbesten Nachtisch, den Sie je gegessen haben!“

Ich lächle zurück und nicke.

Scully umgibt eine geheimnisvolle Aura, da bin ich mir ganz sicher. Obwohl ich, und das mag schon viel heißen, nicht viel für Esoterik und New-Age übrig habe. An den restlichen Tagen im Jahr ist diese Aura in sich gekehrt und wie eine Wand; Scully lässt niemanden an sich heran. Nur ganz selten bildet sich ein kleines Tor in dem Zaun, der Scully säuberlich von allem anderen abtrennt, und dann ist sie nicht so ernsthaft. Aber heute an Weihnachten, da ist von dieser Mauer oder Wand oder diesem Zaun, wie immer man es auch nenne mag, nicht zu sehen. Oder zu spüren. Es ist, als würde ein anderer Mensch vor mir sitzen. Jemand, dessen Schwester noch lebt und dessen Kinder fröhlich mit ihren Cousins und Cousinen hier herumtollen.

Ich seufze.

„Mulder, so wird das nichts. Sie sollten sich wirklich ernsthaft Gedanken über ihr Essverhalten machen.“ Scully kichert und reißt mich aus den Gedanken. „Ich werde Ihren Teller jetzt abräumen, okay?“ Irritiert schaue ich sie an, und blicke direkt in ihre blauen Augen.

Wow! Nicht einfach zu verkraften.

Sie macht mich verrückt.
Ich hoffe, dass ich jetzt wieder wegschaut oder aufsteht oder einfach geht, damit nicht noch ein Unglück passiert. Oder wäre es überhaupt ein Unglück, sie an mich zu reißen, zu küssen und alles wäre damit gelöst?

Verdammt.

„Okay?“, fragt sie noch mal, leiser und auch etwas zittrig, glaube ich.

Damit steht sie tatsächlich auf und stapelt einen Teller nach dem anderen auf ihrer Hand und trägt sie zusammen mit ihrem Bruder Bill und ihrer Mom in die Küche.

Nachdem ich mich erst einmal von dem Schock erholt habe, lehne ich mich zurück und wische mir die Hände an einer Serviette ab.

„Sie lässt Sie aber ganz schon zappeln.“, sagt eine Stimme nahe meinem Ohr.

„Was?“, frage ich und schaue Scullys Bruder, Charly, an. Er rutscht auf den Platz neben mir und sagt: „Na ja, also ich bitte Sie, Mr. Mulder, das sieht doch wohl ein Blinder mit Krückstock, dass sie beide bis über beide Ohren ineinander verschossen sind.“

„Hmmmm...“ Mein Gott, ist der denn immer so direkt?
“Gerade eben, ich weiß ja nicht, ob sie ihren Blick gesehen haben, aber...“ Er grinst verschwörerisch und ich hätte ihm am liebsten an den Kopf geworfen „Nein, ich bin schon von Geburt an blind, und hab diesen Blick weder gesehen, noch gespürt oder sonst wie wahrgenommen. Für wen halten Sie mich?“ Na ja, aber ganz so will ich ja nicht sein und stammle stattdessen „Hm, ja, vielleicht.“ Auch gut. Toll gemacht!

Der Tisch leert sich langsam. Wo vorher Platten mit den verschiedensten Fleischsorten, Schüsseln mit Kartoffeln, Mais und anderem Gemüse standen, wo Gläser, Teller und Besteck lagen, war jetzt nur noch eine rote Tischdecke mit weißen Schneeflocken und dunkelgrünen Tannenzweigen übrig. Aber das sollte nicht lange so bleiben.

Unter großem Staunen, „Ohhs!“ und „Ahhs!“ wurde der Nachtisch serviert. Es gab Karamell-Eiscreme mit Sternfrüchten, Lychees und in jeder Portion, die großzügig mit Schoki-Soße übergossen war, steckte eine Wunderkerze. Es schmeckte einfach fantastisch, Scully hatte wirklich nicht zu viel versprochen.

Die Kinder waren als erste fertig. Die Kinder, damit waren der Sohn von Bill und Tara, Scullys Neffe Mathew, die Töchter von Charly und seiner Frau Christin, Kathie und Ivy, gemeint. Insgesamt waren es drei Stück im Altern von 5 bis 8 Jahren, die aufgeregt (wahrscheinlich wegen den Geschenken und Santa Clause) und vor allem laut und ausgelassen durch das Wohnzimmer rannten. Ich sehe den buntgeschmückten Baum schon umfallen, aber zum Glück muss ich mich dann nicht darum kümmern.

Dann waren auch wir Erwachsenen fertig. Obwohl ich jetzt nicht wirklich viel gegessen habe, habe ich das Gefühl, gleich platzen zu müssen. Ich war ja auch nur Tiefkühlpizza oder Schnellimbisse gewohnt.

Maggie legt eine Weihnachtsschallplatte auf den Spieler. Ich liebe Schallplatten. Ich mag das Knistern und Kratzen von den Alten und fühle mich immer ein bisschen in der Zeit zurück versetzt.

Überhaupt finde ich das Haus der Scullys sehr altmodisch, aber im positiven Sinne. Die Tapeten an der Wand, die Möbel, einfach alles erinnert mich an die Sachen, Möbel und Dinge, die es zu kaufen gab, als ich 12 oder 13 war.

Im Kamin brennt ein Feuer, die anderen Gäste lachen und unterhalten sich, sitzen auf dem Sofa, trinken Punsch und die Schallplatte spielt „Silent Night, Holy Night“. So sieht wahrscheinlich ein perfekter Weihnachtabend aus. Hollywood hätte es nicht besser machen können.

„Hollywood hätte es nicht besser machen können, nicht wahr?“, fragt mich Scully. Ich habe sie gar nicht gesehen oder kommen gehört. Gedankenverloren nippt sie an ihrem Glas.

„Genau das selbe habe ich gerade gedacht, wissen Sie das?“

„Ach wirklich?“, fragt sie erstaunt. „Mir macht unsere telepatische Verbindung manchmal schon etwas Angst...“

So stehen wir, etwas abseits und sehen den anderen zu, wie sie reden und lachen.

Es ist irgendwie seltsam, plötzlich so viele Scullys zu sehen. Heute habe ich zu ersten mal richtig Charly Scully und seine Frau kennen gelernt. Sonst habe ich ihn ja immer nur kurz gesehen, wenn Scully im Krankenhaus lag oder so, und er sie dann besuchen kam.

Außerdem sind Scully Großeltern noch da, zwei sehr nette und gemütliche Ehepaare und eine Cousine von Scully, mit der ich aber noch kein Wort gewechselt habe.

Ich hatte lang nicht mehr ein so abwechslungsreiches Weihnachtsfest.

„Ich glaube, es war eine gute Idee, dass meine Mutter Sie eingeladen hat.“

Keine Frage, natürlich war es eine gute Idee mit der Einladung! Eine ausgezeichnete Idee!!

„Warum?“

„Na ja, sonst müsste ich mich die ganze Zeit mit Tara oder Christin unterhalten. Und die können ja von nichts anderem mehr, als von der Einschulung ihrer Kinder reden.“ Sie grinst schief. Aber auch etwas gequält.

„Vielen Dank.“, sage ich vielleicht eine Spur zu sarkastisch, aber Scully kennt mich ja. Hoffentlich.

Sie lacht. Puh.

„Und natürlich finde ich ihre Anwesenheit auch ganz reizend.“

„Ich muss mich bedanken, My Lady, aber ihr Antlitz ist auch nicht zu verschmähen.“

Wir lachen beide. So ein sinnloses Dahergelabere kann einem ganz schön fehlen, wenn man beim FBI arbeitet.

„Ist schon okay Mulder.“ Sie sieht zu mir hoch und lächelt.

Plötzlich höre ich von irgendwo her jemanden an ein Glas schlagen. Die Gespräche verstummen.

„Ich möchte euch sehr danken“, beginnt Maggie „dass ihr alle gekommen seid, um mit mir hier in unserem Haus Weihnachten zu feiern. Ich danke auch ganz herzlich, speziell Fox Mulder, der gekommen ist.“ Sie sieht mich an und lächelt. Auch die anderen Gäste schauen mich an und lächeln.

Okay, okay, das reicht jetzt. Nein, nicht mehr schauen.

„Ich hoffe, dass es euch allen Spaß gemacht hat und würde mich freuen, wenn wir uns nächstes Jahr, selbe Zeit, selber Ort, wiedersehen.“ Ich schaue auf die Uhr. Es ist schon 2 Uhr nachts. Leider.

Scully und ihre Brüder mitsamt der Familie werden hier schlafen, aber ich werde jetzt gehen müssen. Schnief. Ich würde gern bleiben, aber irgendetwas sagt mir, dass ich doch gehen sollte. Verdammt.

Ich nehme meine Jacke vom Haken und suche nach den Autoschlüsseln. Die ersten Gäste verlassen das Haus. Draußen hat es schon wieder geschneit. Ich werde ganz melancholisch, wenn ich an mein dunkles, kaltes Apartment in Washington denke.

Maggie umarmt mich zum Abschied. „Schön, dass du da warst Fox. Du bist hier immer willkommen. Willst du nicht doch noch hier bleiben? Ich würde mich sehr freuen und Dana bestimmt auch...“

„Nein, ich fahre besser nach Hause. Ich hab noch etwas zu erledigen... und...“

„Aber Fox, es sind doch Feiertage!“ Sie sieht mich an, als hätte ich gerade das Heiligste verletzt.

„Hm, nein, leider, es geht wirklich nicht.“

Sie seufzt.
Du Idiot! Wie blöd kann man eigentlich sein?
“Also, dann, komm gut nach Hause und Frohe Weihnachten.“ Sagt sie und umarmt mich.

„Frohe Weihnachten, Maggie“, wünsche ich auch ihr.

„Mulder, werden Sie nach Hause fahren können?“ Scully sieht mich besorgt an. “Schließlich hat es geschneit und sie haben auch zwei oder drei Punsch intus!“

„Ja, ja, wird schon gehen.“ Ich lache. Jetzt lacht Scully auch. Sie sieht schon etwas müde aus, aber ihre Augen strahlen immer noch.
“Frohe Weihnachten, Mulder.“

„Fro-„, aber weiter komme ich nicht. Plötzlich ist es um uns ganz still geworden. Irritiert schau ich zu Scully, dann zu den anderen, die uns anstarren und um uns im Kreis stehen. Auch Scully scheint verwirrt zu sein. „Was ist los?“, fragt sie mich leise ohne ihr unsicheres Lächeln fallen zu lassen. Auch ich habe keine Ahnung...

...bis es mir siedend heiß einfällt. Oh man!

Ich versuche mich halbwegs zu fassen und tippe Scully auf die Schulter. „Sehen Sie mal nach oben.“, sage ich tonlos und starre die Runde immer noch an.

Ich höre Scully schlucken und wie sie nervös sagt: „Ach kommt schon Leute, er ist mein Berufspartner, da kann man doch eine Ausnahme machen.“ Sie lacht leicht hysterisch auf.

„Nein, nein, nein, nein, nein“, sagt Tara schnell und grinst. „Wer unter dem Mistelzweig steht...“

Sie nimmt meine Schulter und Scullys und drückt uns etwas enger zusammen. Ich komme mir vor wie ein Fünfjähriger, der sich bei seiner Schwester entschuldigen soll.

Geschlagen lasse ich die Schultern sinken.

Ich kann gar nicht betonen, wie peinlich mir das ist, vor all den Scullys und vor allem mit Bill, der Wiedergeburt des Hasses gegen mich (schätze ich mal), hinter meinem Rücken.

Zögerlich drehe ich mich zu Scully um und schau sie. Sie nagt nervös an ihrer Unterlippe und sieht mich dann auch an. „Also gut, Mulder.“ Dann lacht sie.

Plötzlich ist es gar nicht mehr so peinlich. Trotz Publikum.

Langsam beuge ich mich zu hier herunter und schließe meine Augen. Ich höre wie die anderen leise miteinander tuscheln.

Warum müssen eigentlich Männer immer den ersten Schritt machen?

Doch dann spüre ich plötzliche ihre Lippen auf meiner und ihre Hand zart auf meinem Arm.

Es ist, als explodiere etwas in mir. Irgendetwas. Einfach so: BUMM! So, dass ich unfähig bin, mich irgendwie zu bewegen.

Vielleicht geht es Scully genauso, ich weiß es nicht, auf jeden Fall stehen wir so eine halbe Ewigkeit. Mindestens.

Irgendwann kann ich nicht mehr, will ich nicht mehr so verharren und nehmen meinen ganzen Mut zusammen und lege meine Arme um ihre Schulter und hebe sie ein Stückchen hoch. Gleichzeitig öffne ich meine Lippen ein wenig.

„Uiiiiii!“ oder so etwas macht die Menge und Scully lacht in meinen Mund hinein.

Wie lange wir uns küssten weiß ich nicht, ich weiß nur, dass es die schönsten Sekunden, Minuten oder Stunden in meinem Leben waren. Irgendwann lasse ich sie dann wieder runter und sie legt ganz einfach den Arm um meine Hüften, ganz normal eben. Auch mir kommt es vor, als hätten wir nie etwas anderes getan.

„Na bitte, geht doch“ scheinen so ungefähr 10 Augen in diesen Raum zu sagen. Bin ganz ihrer Meinung. Das war wirklich das beste Weihnachtsfest in meinem Leben! Ein schöneres Geschenk hätte mir niemand machen können.


Ende
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