World of X

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Dance without sleeping

von Lydia Bower

Kapitel 2

Vor kurzem hatte ich wieder Nasenbluten. Es war das schlimmste Bluten überhaupt. Und natürlich ist es genau mitten in einer Zeugenbefragung während des letzten Falles passiert. Die Befragung war eher eine Routinesache gewesen als ein Versuch, irgendwelchen mark- und beinerschütternden Wahrheiten aufzudecken. Ich war mir schon ziemlich sicher, dass wir keine Entführung von Außerirdischen vor uns hatten, sondern schlichtweg Kidnapping mit Lösegelderpressung. Die ganze Geschichte mit der Entführung war nur ein Vorwand, um die Aufmerksamkeit von dem Kindermädchen Carrie Russel und ihrem Freund abzulenken. Sogar Mulder war klar, dass der Fall eine Niete war, und dass das FBI keine Zuständigkeit hatte.

Ich saß Carrie Russells bester Freundin gegenüber, als mir plötzlich unheimlich schwindelig wurde. Nur einige Momente später floss das Blut. Und dieses Mal waren es keine Tropfen—es floss aus mir heraus, als ob jemand die Schleusentore geöffnet hätte, über meinen Blazer und meine weiße Seidenbluse. Das Mädchen mir gegenüber hat sich furchtbar erschrocken.

Mulder hatte sich gerade etwas aufgeschrieben und nur mit einem Ohr zugehört, was vor sich ging, bis er den Aufschrei der Zeugin hörte. Er sah mich an und riss vor Schreck die Augen auf. Er sprang von seinem Stuhl auf und war unmittelbar neben mir, als das Mädchen rückwärts von mir wich. Ich nehme ihr nicht übel, dass sie Angst hatte.

Ich war wie versteinert, meine Hand unter meiner Nase in dem Versuch, die Flut aufzufangen. Es war als ob mein Leben gerade aus mir heraus floss. Das Mädchen fing an, um Hilfe zu schreien, und ich bekam mit, dass Mulder sie mit dem Kommentar, jemand würde sich bei ihr melden, aus dem Zimmer schickte. Mulder beugte sich zu mir, nahm vorsichtig meine Hand weg und ersetzte sie durch ein Taschentuch, das er in letzter Zeit immer bei sich getragen hatte. Es ist komisch, aber ich habe nie Taschentücher bei mir. Ich vergesse sie einfach immer. Mulder nicht.

"Mein Gott, Scully", murmelte er. Mit der anderen Hand fasste er an meinen Nacken. "Hier, beug deinen Kopf ein bisschen zurück."

Ich tat es und wurde ein paar Sekunden später von Hustenkrämpfen geschüttelt, als das Blut meine Kehle herunter floss und ich fast erstickte.

Ich beugte mich wieder nach vorne, und das Blut spritze aus meinem Mund auf den Tisch vor mir.

"Scheiße, Scheiße, Scheiße", konnte ich Mulder sagen hören, immer und immer wieder, und ich hob meine Hand, um seinen Wortschwall zu stoppen. Das Husten hörte abrupt auf, genau wie das Blut, das in einer Sekunde in Strömen aus mir heraus floss und in der nächsten war es, als ob jemand den Hahn zugedreht hätte.

Ich fing an, mich mit dem Taschentuch ein wenig abzuwischen. "Es ist schon okay, Mulder. Es hat aufgehört. Ich bin okay."

"Quatsch! Ich bringe dich ins Krankenhaus."

"Nein, das wirst du nicht", widersprach ich leicht außer Atem. "Es geht mir gut. Es gibt keinen Grund warum...."

Die Tür flog auf und ich sah einen der Detectives in der Türe stehen.  "Alles in Ordnung hier drinnen?" fragte er Mulder. "Das Mädchen, das Sie gerade befragt haben, sagte...." Und dann sah er von Mulder zu mir und starrte mich an. Gott, ich hasse das.

"Wo ist die nächste Notaufnahme?" sagte Mulder viel lauter als nötig.

"Ähm...." stotterte der Mann, während er abwechselnd Mulder und mich anstarrte, und ich versuchte Mulder zu versichern, dass er dafür wirklich keinen Anlass gab.

"Ein Krankenhaus!" schrie Mulder und ignorierte mich. "Wo ist das nächste verdammte Krankenhaus?"

Der Detective erwachte aus seiner Starre. "County General. Ungefähr zehn Meilen von hier. Soll ich einen Notarzt rufen?"

"Nein!"

Beide starren mich an. "Ich gehe in kein Krankenhaus", sagte ich zu Mulder, und betonte dabei jedes einzelne Wort. "Es geht mir gut."

Mulder und ich fochten eine stumme Schlacht zwischen uns aus, als der Detective von einem Bein aufs andere tretend daneben stand, uns ansah und auf eine Antwort wartete. Mulder schloss die Augen und ich wusste, dass ich gewonnen hatte. Mit einer Handbewegung schickte er den Detective fort. Der Mann sah uns noch einmal an, bevor er aus dem Raum trat und bedachtsam die Türe hinter sich schloss.

 

***

 

Mulder steht vor mir, Hände an den Hüften, und sagt kein Wort. Ich wage einen Blick zu ihm und sehe, wie er nach oben guckt, offenbar völlig fasziniert von den von Wasserflecken übersäten Deckenkacheln. Mit einer raschen Bewegung zerrt er den Stuhl von der anderen Seite des Tisches herüber und setzt sich falsch herum drauf, seine Hände über der Rückenlehne gefaltet. Er räuspert sich.

"Wann war das letzte Mal?"

"Ich weiß nicht." Ich kann ihn nicht ansehen. "Vor ein paar Wochen, vielleicht."

"Vielleicht?" Er ist wütend und erschrocken. "Wie lange ist es her?"

Warum komme ich mir jetzt wie ein Kind vor, das man bei etwas Verbotenem erwischt hat?

"Ich weiß es nicht, okay? Ich schreibe es nicht jedes Mal auf, Mulder!"

"Das solltest du aber. Alles schriftlich festhalten, Agent Scully."

Ich schaue auf und weiß genau, wie ich jetzt aussehen muss. "Ich brauche keine Predigt, Mulder. Wenn du etwas Nützliches tun willst, kannst du mir aus dem Waschraum ein feuchtes Tuch oder sowas holen. Ich würde mich gerne etwas frisch machen, bevor ich hier raus gehe."

Ich sehe an mir herunter und zupfe an meiner Bluse. Ein dunkelroter Streifen zieht sich über ein ganzes Stück, den ich niemals wieder rausbekommen werde. Noch ein Opfer.

Mulder steht auf und hebt mit einer Hand den Stuhl, so dass er ihn frustriert wieder auf den Boden knallen kann. Das Glas in der Türe klirrt, als er den Raum verlässt und die Türe fester als nötig hinter sich zuknallt.

Wenigstens hat er nicht versucht, auf Biegen und Brechen seinen Willen durchzusetzen. Und das habe ich bei ihm schon gesehen.

Ich warte auf seine Rückkehr und fummele mit dem Taschentuch herum, bevor ich vergeblich versuche, die Akte vor mir von den Blutspritzern zu befreien. Ich weiß ja, dass ich bei dieser Riesenmenge an Blut besorgter sein müsste als ich es bin, aber alles woran ich denken kann, ist der Anflug von Wut in Mulders Augen. Eigentlich bin ich erleichtert. Es bedeutet, dass er wieder zu mir zurückkehrt, dass er wieder zeigt, was er fühlt. Es ist ein unvermeidlicher Schritt in seinem Kummer, und ich bin froh, es zu sehen.

Er kommt mit einem warmen, feuchten Waschlappen zurück, den er mir wortlos reicht. Er sieht überall hin nur nicht zu mir, während ich mein Gesicht und meine Hände abwische. Ich versuche erst gar nicht, den Schaden auf meiner Bluse und meinem Blazer zu beseitigen. Der Blazer ist schwarz, also habe ich keine großen Befürchtungen, dass ich auf dem Weg zurück ins Motel Blicke auf mich ziehen werde und richtig geknöpft sollte er den Fleck auf der Bluse eigentlich verdecken. Ich greife nach meiner Handtasche, doch dann fällt mir ein, dass ich sie im Kofferraum des Wagens liegen gelassen habe. Ich stehe auf und teste erst, ob meine Beine mich aufrecht halten, bevor ich vom Tisch wegtrete. Mir ist nicht mehr schwindelig.

"Mulder, ich habe keinen Spiegel. Ist alles weg?"

Er dreht sich zu mir, seine Arme vor der Brust verschränkt. Ich beobachte seine Augen, als sie über mein Gesicht gleiten. "Hier ist noch etwas über...." Er schüttelt den Kopf und streckt eine Hand aus, als er näher zu mir kommt. Ich lasse den Waschlappen los und beobachte ihn, als er ihn an eine Stelle genau über meiner Lippe bringt. Seine Augen sind grundlose, graue Tiefen. Ein kleiner Muskel zuckt in seinem verbissenen Gesicht.  Vorsichtig tupft er mit zwei Fingern mein Gesicht ab, und ich fühle mich plötzlich, wie ich hier so stehe und ihm dabei zusehe, an meinen Vater erinnert, an die Art wie er mich immer sauber machte, nachdem ich wieder mal nicht vernünftig Eis essen konnte.

Mulder lässt seine Hand fallen und tritt einen Schritt zurück. "So gut wie neu", sagt er, als er den Lappen auf den Tisch wirft.

Ich muss lächeln. Er lächelt zurück, wenn auch gequält.

"Wenn es doch nur so einfach wäre", seufze ich.

"Ja." Er fängt an, unsere Sachen aufzusammeln und hält für einen Moment inne, als er die Akte vom Tisch nimmt und sie zuklappt. Er stopft alles in meine Aktentasche und greift nach meinem Mantel. "Komm, Scully, lass uns hier verschwinden."

Er hilft mir in den Mantel und schnappt sich dann seinen eigenen. Dann öffnet er die Tür und hält sie für mich auf, seine Hand an meinem Rücken.

Als wir wieder im Motel ankommen, möchte er, dass ich mich hinlege. Ich protestiere, dass ich überhaupt nicht müde bin, doch das kümmert ihn wenig.

Ich ziehe mich um und wasche mein Gesicht, bevor ich ins Bett krieche. Ich drehe ihm den Rücken zu und starre auf die Vorhänge, die er vor dem Fenster zugezogen hat. Ich kann den Fernseher leise in seinem Zimmer hören. Trotz meiner Widerrede dauert es nicht lange, bevor mir die Augen zufallen und ich in diesen betäubenden Zustand falle, in dem man nicht ganz wach ist und noch nicht schläft. Ich kann Mulder zwischen unseren Zimmern hin und her laufen hören, und als ich Stücke von einseitigem Gespräch wahrnehme, merke ich, dass er Reisevorbereitungen trifft. Er will mich bestimmt so schnell wie möglich aus Iowa zurück nach DC schaffen. Glücklicherweise werden wir in den Ermittlungen nicht länger gebraucht. Ich frage mich, was er wohl machen wird, wenn wir an einer X-Akte arbeiten und so etwas passiert. Wird er darauf bestehen, dass ich nach Hause fahre? Werde ich alleine zurück fahren müssen, oder wird er mitkommen? Wird er bleiben, um der Sache weiter nachzugehen—wie er es getan hatte, bevor ich ihm zugeteilt worden bin? Ich grübele.

Und dann grübele ich nicht mehr, denn der Schlaf hat sein Recht gefordert.

 

***

 

Als ich langsam aufwache, ist das erste, was ich bemerke, der fettige Geruch von Brathähnchen. Draußen ist es dunkel und das Zimmer ist in den Schein einer einzigen Lampe gehüllt. Ich rolle mich aus meiner zusammengekauerten Position und recke und strecke mich. Als ich meinen Kopf drehe, sehe ich Mulder an dem kleinen Tisch auf der anderen Seite des Zimmers sitzen. Der Tisch ist bedeckt mit Kentucky Fried Chicken-Tüten, Cola-Bechern und einer Tüte Sonnenblumenkerne, die natürlich nicht fehlen darf. Mulder hockt über meinem Laptop und hämmert mit seinem perfektionierten Einfingersuchsystem auf die Tasten ein. Er hat seine Brille aufgesetzt und seine Haare fallen ihm ins Gesicht. Er hat sich auch umgezogen, und jetzt statt des Anzuges Jeans und ein T-Shirt an. Seine großen Füße stecken in riesigen weißen Socken. Auf einmal hört er auf zu tippen und sieht zu mir herüber, bevor ich mich an ihm sattsehen konnte.

"Hey, Scully." Er nimmt die Brille von seiner Nase und grinst mich breit an, so dass mein Herz schneller zu schlagen beginnt. Das Blatt hat sich gewendet und es sieht so aus, als würde ich den Abend mit einem gut gelaunten Mulder verbringen. Das ist zwar schön, aber auf der anderen Seite frage ich mich, was der Grund dafür ist.

"Wie fühlst du dich?"

Ich setze mich auf und lehne mich zurück ans Kopfende des Bettes. "Gut", antworte ich. "Ich fühle mich richtig gut." Und es stimmt. "Wie lange habe ich geschlafen?"

Er wirft einen Blick auf die Uhr. "Fast zwei Stunden. Du hast geschlafen wie ein Stein, Scully. Ich glaube, du hast dich nicht ein einziges mal bewegt—es sei denn, ich war gerade weg."

Ich stehe auf und gehe zu ihm. "Was machst du gerade?"

Er blickt zu mir auf und ich kann seine Augen funkeln sehen. Er sieht wie zwölf aus. "Ich schreibe nur gerade etwas wegen diesem Nicht-Entführungsfall zu Ende. Unser Flug geht morgen um 7.15 Uhr. Ich habe dir ein Grillhähnchen-Sandwich und Krautsalat geholt. Wenn du Glück hast, ist das Sandwich noch warm. Ich habe es doppelt einpacken lassen—ich wusste ja nicht, wie lange du schläfst. Setz dich und hau rein." Er greift über den Computer und schiebt den Krempel zur Seite, um mir Platz zu schaffen.

Spontan hebe ich meine Hand und tätschele sein Haar. Er grinst mich an als ich mich neben ihn setze und das Sandwich auswickele, das er aus seiner Tasche hervorkramt. Dann taucht der Krautsalat auf, den er von seiner Verpackung befreit und neben die Styropor-Kiste stellt. Nicht gerade eine Gourmetmahlzeit, aber ich habe solchen Hunger, dass mir das völlig egal ist.

Er nimmt eine Cola Light aus dem Eiscontainer, macht sie auf und stellt sie vor mich hin. Dann legt er eine Serviette dazu. Ich senke meinen Kopf und lächele, wohl wissend, dass meine Haare es verbergen.

"Was ist?" fragt er, augenblicklich aufmerksam.

"Danke, Mulder." Ich sehe ihn an.

"Wofür?"

Ich deute auf den Tisch und meine formlose Mahlzeit. "Hierfür. Dass du dich so sehr um mich kümmerst. Es heißt ja, Ärzte seien die schlimmsten Patienten. Ich kann hier für niemand anderen sprechen, aber auf mich trifft das zu. Du musst das alles nicht machen, nichts davon, und ich..."

Ich verstumme, als er seine Hand auf meine legt. "Doch, das muss ich", sagt er ernsthaft. "Ich muss es. Nicht, weil es meine Pflicht ist, sondern weil ich es tun möchte. Also muss ich es tun."

Gut, dass ich die MulderSprache fließend beherrsche.

Wir lächeln uns an. Mulder beendet seinen Arbeitsbericht und speichert ihn ab, wonach er den Laptop zuklappt und ihn beiseite legt. Er platziert seinen Ellbogen auf dem Tisch, stützt sein Kinn in seine Hand und sieht mir beim Essen zu, wobei er mir eine lächerliche Story von einer Familie in Kansas erzählt, die behauptet, von kleinen grauen Männchen besucht worden zu sein, die ihnen beim abendlichen Familiengelage Gesellschaft geleistet haben. Er erzählt von Fingerabdrücken, die keine richtigen Fingerabdrücke waren— zumindest keine menschlichen—und seltsam verbrannten Muster in dem nahegelegenen Grasfeld, wo sie wohl gelandet sind, und wie es Sichtungen über Lichter am Himmel in dieser Nacht gegeben haben soll. Ich fühle mich viel zu wohl, um ihm zu widersprechen, und bin viel zu mitgerissen von seinem Enthusiasmus, und so mache ich bei seinen Kommentaren und Spekulationen nur entsprechende Gesichter.

Ich liebe diesen Mann.

Nach dem Essen entscheide ich mich für ein langes heißes Bad. Ich dusche zuerst und lasse dann die Wanne voll laufen. Darin versinke ich dann soweit, bis es mir das Wasser bis zum Kinn steht. Dann fange an, meinen Körper zu inspizieren. Meine Füße sind klein und wohlgeformt. <"Ich wusste nicht, ob Sie mit Ihren kleinen Füßen an die Pedale kommen">. Meine Waden sind einen Tick zu schwer, aber sie sitzen auf schlanken Knöcheln. Meine Schenkel sind schlank und muskulös, obwohl es dafür eigentlich keinen bestimmten Grund gibt. Heutzutage halte ich mich nur fit, indem ich Mulder hinterher jage. Meine Hüften sind leicht gerundet, mein Bauch flach, meine Taille schmal genug, um stolz darauf zu sein. Meine Brüste sind klein, aber schön anzusehen und sie sitzen immer noch hoch genug, um Männeraugen auf sich zu ziehen. Meine Arme sind schlank und leicht bemuskelt, meine Hände klein aber stark. Alles in Allem kann ich mich nicht beklagen.

Doch dann strömen unerwartet Tränen über mein Gesicht, als mir die Wirklichkeit bewusst wird: unter dieser Haut und diesen Muskeln ist ein Eindringling, dessen Dasein ich Tag für Tag fühlen kann. Mein Körper verrät den Tumor noch nicht, doch ich weiß, dass dieser Tag einmal kommen wird. Ich muss an schlaffe Muskeln und eingefallene Wangen und Augen denken; stumpfes und sprödes Haar, das büschelweise ausfällt; Schmerz und Leid; stetiges Verlieren des Halts an der Realität und langsames Verblassen des scharfen, wachen Verstands, auf den ich so stolz bin.

Ich möchte nicht sterben—obwohl es nicht das ist, was mir Angst macht.

Ich habe keine Angst vor dem Tod. Was mir Angst macht, ist die Ungewissheit, die vor mir liegt, die unmittelbare Zukunft. Ich möchte nicht krank und auf andere angewiesen sein. Ich will meine stählerne Kontrolle über mein Leben nicht verlieren.

Ich öffne den Stöpsel in der Wanne und bleibe noch liegen, bis das ganze Wasser um mich herum versickert ist. Ich genieße die kühle Luft, die mehr und mehr meine Haut erfasst, je weiter das Wasser sinkt. Meine Brustwarzen verhärten sich und ich bekomme eine Gänsehaut. Ich genieße jeden Moment.

Mulder liegt auf meinem Bett, als ich aus dem Badezimmer komme, trocken, gekämmt und fertig fürs Bett. Er hat seine Arme hinter seinem Kopf verschränkt und sieht fern. Ich sehe auch hin und erkenne John Carpenters Version von "Das Ding."

"Das Original ist besser", informiere ich Mulder.

"Ja, aber der Ekelfaktor in diesem hier ist viel höher", witzelt er. Ich kann mich an eine Zeit erinnern, in der Mulder beim Anblick einiger der Leichen, die wir untersuchen müssen, kreideweiß geworden ist—genau wie ich es von Zeit zu Zeit wurde. Jetzt passiert es nicht mehr so oft. Er ist immun geworden gegen die hässliche Realität der Vergänglichkeit von Fleisch und Knochen, Muskeln und Blut. Mulder hat auf viele Weisen seine Unschuld verloren. Und das macht mich traurig.

Er dreht sich auf die Seite, stützt sich auf seinen Ellbogen und schenkt mir seine Aufmerksamkeit, während er anfängt, an der Ecke seines Daumennagels herumzukauen. Seine Augen sind warm und sein Blick weich und er sieht mich auf die Art an, die ich nur als den "komm und nimm mich" Blick bezeichnen kann. Ich merke, wie sich ein langsames Lächeln auf meinem Gesicht ausbreitet, als er damit zufrieden zu sein scheint, in nur einigen Sekunden meine völlige Aufmerksamkeit gewonnen zu haben. Er grinst und fragt, "Immer noch voll vom Abendessen, Scully?"

"Warum? Hast du irgendwo noch Eis versteckt?"

"Nein", sagt er und springt vom Bett. "Etwas viel besseres." Er verschwindet in seinem Zimmer und kommt ein paar Sekunden später mit seinem rechten Arm hinter seinem Rücken zurück.

"Mulder..." Der Ton meiner Stimme ist irgendwo zwischen Amüsiertheit und  Beklommenheit.

"Ich, äh..." fängt er an, sagt aber nichts weiter, sondern zuckt nur mit den Schultern. Er holt seinen Arm hinter seinem Rücken hervor und präsentiert meinen Nachtisch.

Irgendwie, im Spätwinter in einem kleinen Kaff in Iowa, hat Mulder es geschafft, Zuckerwatte aufzutreiben. Sie ist sogar blau, meine Lieblingssorte.

"Mulder, wo in Gottes Namen...?"

"Es ist erstaunlich, was man heutzutage in der freundlichen Wal-Mart Nachbarschaft finden kann." Als ich ihm die Zuckerwatte an ihrem langen Stab aus der Hand nehme und anfange, die Plasitkverpackung aufzumachen, fährt er fort. "Tut mir leid, dass ich nicht mit einem Karussell dienen kann, Scully, aber es ist ziemlich schwer, Mitte März eine Kirmes zu finden."

Ich kann mir nicht helfen, meine Augen füllen sich mit Tränen. Mulder sieht es und streckt seine Hand nach mir aus.

"Hey? Alles in Ordnung? Mein Gott, Scully, es tut mir leid. Ich wollte dich nicht zum Weinen bringen. Ich dachte, du würdest dich freuen. Ich...."

Ich bremse seine unnötigen Entschuldigungen, indem ich zwei Finger auf seine Lippen lege. "Pssst. Es ist wundervoll, Mulder. Vielen Dank."

Er lächelt unter meinen Fingerspitzen und ich lasse sie etwas länger dort liegen als ich sollte. Es scheint ihm nichts auszumachen.

Ich wickele die Zuckerwatte fertig aus und sehe ihn wieder an. "Möchtest du welche?"

"Nein, schon in Ordnung. Ich habe sie für dich geholt."

"Hier, nimm welche." Ich rupft ein dickes Stück aus und halte es ihm hin.  Statt danach zu greifen, lehnt er sich vor, umfasst mein Handgelenk und nimmt meine Finger in seinen Mund. Ich halte still, als er die Zuckerwatte von meinen Fingern saugt, seine Zunge warm und weich an meiner Haut. Er hebt seinen Blick zu mir und ich kann das schelmische Funkeln in seinen Augen sehen—gemischt mit einer kräftigen Dosis Erregung. Es zischt und funkt zwischen uns für endlose Momente, bevor er seinen Blick senkt und zurück zieht. Meine Zungenspitze huscht heraus, um meine Lippen zu befeuchten. Er sieht es. Der Moment endet, als er seine Hand über sein Gesicht legt.

"Ich, ähm, ich gehe...", er nickt in Richtung seines Zimmers, "ich gehe jetzt und versuche zu schlafen. Guten Appetit noch."

Meine einzige Antwort ist ein Nicken. Ich sehe zu, wie er durch die Tür geht, die unsere Räume miteinander verbindet und anfängt sie zuzuziehen. "Nacht, Scully."

"Gute Nacht, Mulder."

Er lächelt mir noch einmal zu und schließt die Türe. Ich setze mich wieder an den Tisch und esse die Zuckerwatte restlos auf und denke daran, wie viel Glück ich doch habe.

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