World of X

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Entstehend und Vergehend

von Schnusi

Kapitel 1

Scully versuchte ihre Schuhe der ekligen Pampe aus Schnee und Matsch zu entledigen und klopfte dann vorsichtig an Mulders offenstehender Tür. Niemand antwortete. Vorsichtig schob sie sich durch den Türspalt. Aus dem Wohnzimmer waren Stimmen zu hören. Sie stutzte. Besuch war so ziemlich das, mit was man bei Mulder am wenigstens rechnen würde.

Sie lugte vorsichtig durch den Türspalt. Der Anblick der sich ihr bot, war zum Schreien. Mulder saß, ihr den Rücken zuwendend, auf dem Boden in mitten einer riesigen Legolandschaft. Über den Teppich waren weitschweifig Autos, Raumschiffe und Legomännchen verteilt. Mulder imitierte gerade lebhaft ein Maschinengewehr: "Commander , gehen sie aus der Schusslinie, ich erledige das für Sie!!"

Der unbestimmte Lachreiz in Scullys Hals verstärkte sich.

Mulders Hand wanderte zu einer weiblichen Legofigur mit roten Haaren. Seine Stimme verwandelte sich in ein piepsiges Gekreische: "Mulder. Nicht doch. Was ist wenn Ihnen etwas passiert?"

Mit normaler Stimme erwiderte er machohaft: "Haben Sie keine Angst Scully. Ich werde Sie beschützen."

Bei der Erwähnung ihres Namens breitete sich ein breites Grinsen über Scully Gesicht aus. Das Szenario amüsierte sie zunehmend.

Mit tiefer Stimme sagte Mulder: "Wenn wir es jetzt nicht schaffen die Aliens niederzwingen, werden wir es nie schaffen."

Scullys Blick wanderte über das Gelände und blieb plötzlich an einem krüppligen Gebilde, das entfernt an ein UFO erinnerte, hängen. Daneben standen drei kleine Männchen, von Kopf bis Fuß grün angemalt. Das gab ihr den Rest. Sie ging prustend in die Knie. Das Mulder in Bezug auf seine Außerirdischen paranoid war, war offensichtlich. Doch dass er das mit seiner kindischen Spielfreude zu solch konfusen Ideen verarbeitete war ihr neu.

Mulder riss überrascht seinen Kopf herum. Das Blut schoss ihm in den Kopf, als er Scully entdeckte. Er erhob sich räuspernd und versuchte beiläufig zu fragen: "Wie lange stehen sie denn schon da?"

Scully blickte lachend auf die zwei Legofiguren in seinen Händen, die sie und Mulder darstellten: "Lange genug. Was machen sie denn da?"

Blitzschnell verschwanden seine Hände hinter dem Rücken. "Das gehört nicht mir", er räusperte sich verlegen, "das ist von einem Freund. Ähm...sein Sohn ... der... hat es mir zum Aufbewahren gegeben."

Seit wann hatte Mulder bitte Freunde? Scully betrachtete ihn amüsiert. Eigentlich war er ein attraktiver Mann, doch sein Talent andere Menschen in die Flucht zu jagen hatte sich als phänomenal herausgestellt. Eigentlich waren ihm nur wenige Dinge peinlich, aber irgendwie gefiel ihr es wenn Mulder ab und zu mal der war, der sich schämte.

Scully holte ein Blatt Papier aus ihrer Tasche hervor und reichte es Mulder. Der ließ die Legofiguren unauffällig hinter sich zu Boden fallen. Scully registrierte es mit einem Schmunzeln.

Mulder fragte: "Was ist das?"

"Ein Fax, das gekommen ist, kurz nachdem sie das Büro verlassen haben. Es ist angeblich extrem wichtig. Also bin ich noch bei Ihnen vorbei gefahren. Entschuldigung. Die Tür war offen."

Er schluckte verlegen und las das Fax, froh etwas zu haben, das von seiner etwas merkwürdigen Beschäftigung ablenkte. Nach zwei Minuten legte er es gelangweilt auf den Küchentisch. Scully hob fragend die Augenbrauen. Er schüttelte genervt den Kopf. "Nur ein Spinner. Ein Außerirdischer, der eine Frau umgebracht hat und dessen unsichtbares UFO Schnee weggeschmolzen hat. Wie dumm kann man eigentlich sein. Nur weil ein bisschen Schnee fehlt, muss gleich ein ganzes UFO gelandet sein."

Scully setzte sich auf ein Sofa und wollte gerade ihren Senf dazu geben als sie merkte, dass sie auf etwas saß. Sie zog einen Playboy zwischen den Kissen heraus und betrachtete ihn grinsend. Mulder entdeckte ihn in ihren Händen, stürzte panisch zu ihr hin und ließ das Heft im Mülleimer verschwinden.

Scully fragte sich was er damit bezwecken wollte. Dass er seine Freizeit damit verbrachte sein nicht vorhandenes Sexleben durch Pornofilme und Hefte auszubügeln, hatte sie schon ziemlich bald nach dem sie sich kennen gelernt hatten herausgekriegt.

Mulder kam nun mit zwei Drinks aus der Küche. Er fragte: "Haben sie heute noch was vor? Wir könnten ins Kino gehen."

Scully lachte erstaunt auf. "Was denn? Wissen Sie nicht dass zurzeit kein Film mit Außerirdischen läuft?"

Er grinste ertappt. "Na dann gehen wir eben in Hannibal, außer sie sind zu sensibel für einen Horrorfilm.

Das laute Geschrei und das ständige Anfahren von Bussen und Straßenbahnen setzte wie immer eine unkontrollierbare Menge an Stresshormonen in Mulder frei. Menschen mit großen Einkaufstüten rannten vorbei, traten ihm auf die Füße und riefen sich unzusammenhängende Dinge zu. Die Neonschilder sämtlicher Bars und Kinos brannten sich grell in seine Netzhaut ein. Ein Hauch von gebrannten Mandeln und Popcorn schwebte durch die Luft. In der Innenstadt war um diese Zeit die Hölle los. Es war 9 Uhr. Die letzten Läden machten gerade erst zu, während das Nachtleben begann.

Er war hier so gut wie nie. Scully und er waren auf dem Weg zum Kino um sich Hannibal anzusehen. Vorher hatten sie noch etwas getrunken. Scully war wohl nicht mehr so ganz nüchtern. Spitzbübisch grinsend blickte er zu ihr hinüber. Sie taumelte ein bisschen orientierungslos neben ihm her. Alkohol vertrug sie offensichtlich nicht sehr gut. Obwohl er wohl nicht ganz unschuldig daran war, das sie an die fünf Drinks in sich hinein gekippt hatte. Aber die Versuchung eine betrunkene Scully zu sehen war einfach zu groß gewesen.

Er sagte: "Ich hätte nicht gedacht, dass sie auf so etwas wie Hannibal stehen."

Misstrauisch sah sie ihn an. "Wieso denn?"

Schelmisch antwortete er: "Ich dachte Frauen mögen nur ...", er schnaufte verächtlich, ...Schnulzen."

"Denken Sie etwa ich bin ein Weichei?"

Er sog ironiegeladen die Luft ein und hob mit einer unwissenden Geste seine Augenbrauen.

Im nächsten Moment spürte er ihren Ellbogen in seinen Eingeweiden, dass ihm fast die Luft wegblieb. Kichernd verschwand sie im Kino, während er fassungslos, sich den Magen haltend zurückblieb. Sein Blick fiel auf Scullys Geldbeutel der unbeachtet auf dem Boden lag. Sie musste ihn bei ihrer Attacke auf seinen Magen verloren haben. Er hob ihn auf und steckte ihn seine Tasche um ihn ihr nachher zugeben. Dann schob er sich durch das dichte Gedränge und betrat das Kino. Mit einer großen Tüte Popcorn gesellte er sich zu Scully.

Das Kino war so gut wie leer. Sie setzten sich nahe dem Eingang. Amüsiert beobachtete Mulder, wie Scully hemmungslos in die Popcorntüte griff. Doch um so brutaler der Film wurde, um so spärlicher wurden auch ihre Bewegungen. Er spürte, wie sie langsam zu ihm hinüberrutschte. Der Film schien Scully mehr auszumachen, als sie zugeben wollte. Angespannt saß sie an seiner Schulter und starrte wie gebannt auf die Leinwand auf der Hannibal Lecter gerade ein Gehirn auslöffelte. Das weiße Licht zeichnete ihr Gesicht scharf nach und hinterließ einen gespenstischen Ausdruck darauf. Vorsichtig legte er seinen Arm um ihre Schultern und musterte gespannt, ob sie etwas dagegen hatte. Doch sie schien es nicht mal zu bemerken, denn sie war vollauf damit beschäftigt, gelassen zu wirken.

Im Gegensatz zu ihr, bekam Mulder nicht allzu viel von dem Film mit. Das Nervenbündel neben ihm lenkte ihn enorm ab. Sie hatte sich inzwischen ganz in seine Armhöhle verkrochen und kuschelte sich geborgen an ihn. Er schloss die Augen und vergrub sein Gesicht in ihren Haaren. Der Film wurde nur noch zu einem geräuschvollen Hintergrund. Er ließ sich sorgenfrei in die Welt der Empfindungen fallen. Scullys Haare strichen fein und duftend über sei Gesicht. Er spürte wie sich ihre verkrampften Schultern lösten und in seinen Armen versanken. Die Sinneseindrücke regneten zahllos auf ihn hinab und hoben ihn völlig aus seinem Gleichgewicht. Erschrocken sah er auf, als die quietschende Tür am Eingang ihn jäh aus seiner Versunkenheit riss. Er wunderte sich wer jetzt noch ins Kino kam. Der Film lief schon seit einer halben Stunde. Sein Herz machte einen großen Sprung, als er den Eintretenden erkannte.

"Scully, da ist Skinner grade rein gekommen."

Sie blickte zum Eingang und flüsterte: "Oh nein, hoffentlich setzt der sich nicht zu uns. Sonst weiß morgen das ganze FBI, dass wir hier gewesen sind."

Skinner konnte zwar im Allgemeinen dicht halten, doch Mulder wollte es nicht darauf ankommen lassen, dass er sie hier fand. Wenn irgend etwas davon zum FBI durchdrang, dass er hier Arm in Arm mit einer betrunkenen Scully saß, würde sie ihm das nie verzeihen. Gerüchte verbreiteten sich beim FBI wie Lauffeuer, besonders wenn es um ihre beiden ET- Jäger ging. Scullys angeschlagener Ruf, an dem er zugegebenermaßen nicht ganz unschuldig war, würde darunter völlig zum Erliegen kommen.

Sie rutschten tiefer in ihre Polster hinein, indessen Skinner nichts Besseres zu tun hatte, als sich direkt hinter sie zu setzten. Es war nur eine Frage der Zeit bis er sie entdeckte. Mulder zog Scully am Ärmel hinter sich her auf den Fußboden und zeigte auf den Ausgang. Verwirrt verursachte Scully ein ohrenbetäubendes Getöse und trampelte auf ihm herum, bis Mulder von ihren Absätzen völlig zerlegt war. Endlich krabbelten sie benommen nebeneinander durch die Sitzreihen auf den Ausgang zu. Sie stoppten jäh ,als Mulder plötzlich ein schrumpliges Hindernis vor seinem Kopf wieder fand. Mit einer bösen Ahnung im Hinterkopf ließ er seinen Blick an ihm nach oben wandern. Das Gesicht einer alten Frau starrte ihn entsetzt an, während sich ihr Mund zu einem markerschütternden Schrei öffnete. Jetzt wurde sogar der anscheinend etwas reaktionsschwache Skinner aufmerksam. Prustend gingen sie unter den Sitzen in Deckung.

Mulder japste: "Lassen Sie uns hier verschwinden."

Sie krochen jetzt schnell zum Ausgang. Erleichtert schlug Mulder die Tür hinter ihnen zu. Sie brachen in Lachen aus. Lächelnd beobachtete Mulder Scully. Es war wirklich süß, wenn sie sich gehen ließ. Er musste ihr öfter mal einen Vollrausch verpassen.

Ruckartig hielt Scully inne und sagte: "So. Ich bring Sie jetzt heim, Mulder." Sie schwankte ein paar Schritte vorwärts, stolperte über ihre eigenen Füße und fand sich verdutzt auf dem Boden wieder.

Mulder grinste wie ein Honigkuchenpferd. Da hatte er ja wirklich Mist gebaut. Er konnte nur hoffen dass Scullys Erinnerung morgen erheblich eingeschränkt sein würde.

Er half ihr auf und schleppte sie zu ihrem Auto, das etwas entfernt auf dem Parkplatz stand. Nachdem er sie auf den Beifahrersitz verfrachtet hatte, fuhr er sie nach Hause. Je weiter sie sich aus der Innenstadt entfernten, um so ruhiger wurden die Straßen. Scully hatte sich inzwischen wieder etwas gesammelt und stieg verhältnismäßig geordnet aus, als sie ihre Wohnung erreichten. Mulder gab Scully ihre Schlüssel und verabschiedete sich von ihr, um zum nächsten Subway zu gehen.

Tief in der schützenden Dunkelheit, hinter einem parkenden Auto verborgen beobachtete ein Mann das Szenario. Sein Gesicht verzog sich zu einer zynischen Fratze. Die Rothaarige musste schon ziemlich viel intus haben. Sie versuchte gerade erfolglos ihren Schlüssel ins Türschloss zu manövrieren. Das würde sein Vorhaben um einiges erleichtern. Er spürte wie die Erregung zitternd durch seinen Körper lief. Wartend, beobachtete er wie ihr schlaksiger Begleiter um die Ecke bog. Dann überquerte er siegessicher die Straße, um sich seinem Ziel zu nähern.

Mulder atmete die kalte Nachtluft tief ein. Ungeübt kickte er einen Eisklumpen vor sich her. Er hatte es nicht eilig. Es war noch nicht mal zwölf. Gemütlich schlenderte er den Weg entlang. Dieser nächtliche Spaziergang gefiel ihm. Die Straße gehörte für eine Weile nur ihm allein. Er begann zu pfeifen und steckte seine Hände in die Manteltaschen. Seine Hände berührten das Leder eines ungewohnten Gegenstandes. Er hielt inne und zog Scullys Geldbeutel aus der Tasche. Zögernd blickte er zurück in die Richtung aus der er gekommen war. Er war noch nicht weit gegangen und Scully brauchte ihn morgen sicher. Nach einem Blick auf die Uhr kehrte er um. Zügig schritt er nun zurück zu Scullys Wohnung.

Auf einmal hielt er inne. Er hörte Schreie und zwar genau aus der Gegend in der Scullys Wohnung liegen musste. Er meinte ihre Stimme zu erkennen und begann panisch zu rennen. Kalter Wind pfiff ihm um die Ohren. Der Asphalt schien sich unter seinen Stiefeln rückwärts zu bewegen. Er rannte schneller. Endlich erreichte er die letzte Ecke.

Er erstarrte als er Scully sah. Sie wehrte sich verzweifelt. Sie trat, kratzte und biss, um sich einen ungepflegten Mann vom Leib zu halten. Seine Augen schielten gierig auf sein Opfer. Doch er war kräftig. Mühelos hielt er Scullys Handgelenke mit einer Hand fest, während er versuchte sie hinter sich her zu schleifen.

Mulder brüllte los und stürzte sich auf die zwei. Der Mann ergriff die Flucht und ließ Scully auf den Boden fallen. Das Dunkel verschluckte ihn wieder.

Merkwürdig berührt starrte Mulder in die Richtung in die er verschwunden war. Ein Geräusch ließ ihn wieder zur Besinnung kommen. Seine Gedanken schlugen Purzelbäume. Scully lag, bis in den letzten Muskel gespannt, auf dem Boden in den dreckigen Schneeresten der letzten Woche. Sie war übel zugerichtet. Ihre zerfetzten Sachen ließen den Blick auf zwei riesige, tiefe Schrammen frei. Eine Platzwunde an ihrer Schläfe blutete über das ganze Gesicht. Er beugte sich vorsichtig zu ihr hinunter und berührte sie leicht. Sie zuckte heftig zusammen, rollte sich zur Seite und versuchte in die entgegengesetzte Richtung davon zu stürzen.

Mulder konnte sie gerade noch an der Schulter festhalten. Es dauerte eine Weile bis Scully begriff, dass er es war. Verdutzt sah sie sich nach ihrem entkommenen Angreifer um. "Wo ist er hin?"

"Er hat die Flucht ergriffen, als ich gekommen bin. Geht's Ihnen gut?"

Sie nickte erleichtert und ließ sich von ihm aufhelfen. "Danke! Das war echt knapp!"

"Geht's Ihnen wirklich gut? Das sieht böse aus!" Mulder zog ein Tempo aus der Tasche und tupfte vorsichtig das Blut an ihrer Schläfe ab.

Scully räusperte sich und sah verlegen an ihrer zerrissenen Kleidung herunter. Sie zitterte am ganzen Körper vor Erschöpfung und Kälte.

Mulder zog seinen Mantel aus und legte ihn ihr um die Schultern. Verwundert beobachtete er sie. Was war bloß mit dieser Frau los. Sie war gerade knapp einer Vergewaltigung entkommen und benahm sich als käme sie vom einkaufen. Eine Hitzewelle lief ihm seinen Rücken hinunter. Er schüttelte das eigenartige Gefühl ab und wandte sich wieder Scully zu, doch stutzte. Scully starrte wie gebannte auf einen Punkt hinter seinem Rücken. Beunruhigt fragt er: "Scully. Ist was nicht in Ordnung?" Er warf einen Blick über seine Schulter. Doch dort war nichts zu sehen, außer ein paar Zigarettenstummeln, die auf dem weichen Teer lagen.

Die Reifen drehten durch und spritzten den matschigen Schnee in alle Seiten weg. Menschen stoben zur Seite und sahen empört in das Innere des Autos. Es parkte auf dem Parkplatz der FBI-Zentrale. Die Autotür wurde mit Temperament aufgestoßen und Scully kämpfte sich fluchend, mit einer immensen Sonnenbrille, die ihr demoliertes Gesicht verschleierte, aus ihrem Sitz hervor. Ihre schlechte Laune hatte sie nicht davon abgehalten, sich um die gewohnte Zeit ins Büro zu schleppen. Sie hatte keine Lust sich tagelang von dem gestrigen Überfall zu erholen und sich daheim zu langweilen. Sie war niemand der jahrelang bei seinem Therapeuten hockte, um seine seelischen Schäden auszukurieren, um sich danach dann doch um die Ecke zu bringen.

Müde bahnte sie sich ihren Weg zu Mulders Büro. Der war noch nicht da. Sie nahm sich die Schreibarbeit der letzten sinnlosen Autopsie, einer widerlichen Säureleiche, zu der Mulder sie gezwungen hatte. Obwohl sie nicht die geringste Lust gehabt hatte in dem verkokelten Fleisch dieses organischen Wracks mit einem Seziermesser herumzustochern, überredete Mulder sie immer wieder, um dann doch nur festzustellen, dass seine Außerirdischentheorien bei sämtlichen Leichen keinen Fuß fassten.

Seufzend machte sie sich an die Arbeit. Es dauerte nicht lang bis sie die Türangeln quietschen hörte. Sie sah auf. "Mulder?" Die Tür öffnete sich langsam, sie wurde unruhig. "Mulder, was soll das?"

Ihr stockte der Atem, als sie den Eintretenden erkannte.

Mulder ging auf sein Büro zu. Verwundert bemerkte er, dass Licht durch den Türschlitz schien. War Scully etwa doch zur Arbeit gekommen? Er hatte gestern Nacht eine volle halbe Stunde darauf verwendet, sie zu überzeugen, dass sie sich Krankschreiben lassen sollte. Sie waren, nachdem die Polizei unverrichteter Dinge abgezogen war, auf sein Bestehen noch beim Arzt gewesen und waren somit fast die gesamte Nacht unterwegs gewesen. Der Arzt hatte zwar nichts Ernstes festgestellt, aber wegen der stressigen Erfahrung zur Ruhe gemahnt. Mulder hätte sich denken können, dass das letzte worauf Scully hören würde, so ein Rat war.

Er wollte gerade die Tür öffnen, als sie von innen unvermutet aufgestoßen wurde und eine aufgelöste Scully herausgestürmt kam. Sie sah schrecklich aus. Ihre Augen waren mit Veilchen verziert, die durch die tiefen Augenringe eine weitere Dimension erreichten. Über das ganze Gesicht waren Schürfwunden und Kratzer verteilt.

Außer Atem zeigte sie hinter sich in den Raum, als sie ihn entdeckte. "Mulder. Da ist der Mann. Der Mann von Gestern abend. Er ist in Ihrem Büro."

Er stürmte an Scully vorbei in sein Büro. Doch er kam in ein leeres Zimmer. Scullys aufgeräumter Schreibtisch. Die Wände von Postern und Bildern verdeckt. Ein kleiner Brandfleck gesäumt von Kaffeeflecken und Krümeln auf dem Boden. Sein Schreibtisch von Müll überladen. Außer dem gewöhnlichen Anblick eines Chaos, das das Wirken eines Hurrikans vermuten ließ, war nichts zu sehen.

Die Luft im Zimmer war stickig und heiß. Er öffnete ein Fenster, während Scully zögernd den Raum betrat. Überrascht blieb sie auf der Schwelle stehen. "Wo ist er hin? Das Fenster..."

"-habe ich gerade aufgemacht!", unterbrach Mulder sie.

"Dann muss er hier noch irgendwo sein. Er war da. Ich bin mir ganz sicher!" Scully begann hektisch die Schränke aufzumachen und die Schubladen zu durchwühlen. Mulder war völlig perplex. Das war so ungefähr das, was er am wenigsten von Scully erwartet hatte.

Er hielt ihre Handgelenke fest und redete eindringlich auf sie ein: "Scully, was machen sie denn da? Denken Sie, er ist den Schubladen?"

Sie wurde sich der Absurdität ihrer Handlung bewusst, hörte auf sich zu wehren und starrte auf den Boden. Ihre Lippen zitterten gefährlich.

Mulder senkte seine Stimme. "Hören Sie zu. Sie sollten wirklich nach Hause gehen. Sie haben gestern viel mitgemacht und stehen sicher unter Schock. Ich verstehe nicht, warum Sie überhaupt hergekommen sind."

Langsam hob Scully den Kopf. Er konnte förmlich fühlen, wie sie sich ihm entzog. "Sie glauben mir nicht. Denken Sie, ich bin verrückt?"

Sie riss sich von ihm los und verschwand mit schnellen Schritten aus der Tür. Wütend auf sich selbst stampfte Mulder auf den Boden und zischte: "Scheiße!" Das hatte er wieder prima verbaut. Als Seelenklempner taugte er wohl nichts. Das ganze Psychologiestudium für den Arsch.

Scully stieß die Tür wütend auf und feuerte ihre Schlüssel in die Ecke. Auf dem Weg zur Küche verteilte sie ihre dreckige Winterkleidung auf dem Boden. Das Erste was sie tat war, sich die Whiskey- Flasche zu holen und sich auf das Sofa zu kauern, um fern zusehen. Es war normalerweise nicht ihre Art sich zu betrinken. Aber irgendwie war sie einfach fertig mit der Welt um sie herum. Wenn sie nicht sofort auf andere Gedanken kam, würde sie durchdrehen.

Sie wusste nicht, was sie da gestern Abend hinter Mulders Rücken gesehen hatte. Vermutlich hatte das was damit zu tun, dass Mulder sie vorher mit Tequilla abgefüllt hatte, was sie ihm nicht ganz verzeihen konnte.

Aber der Mann heute Morgen war real gewesen. Sie konnte seinen heißen Atem und die ekelhaften Wurstfinger noch immer auf ihrer Haut spüren. Sie hatte ihm in einem geeigneten Augenblick einen Tritt in seine Weichteile verpasst um sich dann aus dem Staub zu machen. Sollte das alles Einbildung sein? Sie konnte sich nicht vorstellen, dass sie auf einmal unter Wahnvorstellungen leiden sollte. Halluzinationen waren nicht so echt.

Ein Quietschen der Tür riss sie aus ihren Gedanken. Sie sprang wie vom Blitz getroffen auf. Die Bilder des Vormittags zogen an ihr vorbei und hinterließen eine seltsame Kraftlosigkeit. Die Tür öffnete sich langsam. Verzweifelt klammerte sie sich an der Whiskeyflasche in ihrer Hand fest. Die Zeit zog sich endlos dahin. War das schon wieder so eine Einbildung? Kalter Angstschweiß bildete sich auf ihrer Stirn. Ein lautes Getöse gab ihr das Gefühl ihr Kopf würde zerspringen. Dann trat der Besucher hinter der Tür hervor.

Mulder sah bestürzt von der zerschmetterten Whiskeyflasche auf dem Boden zu Scully, die sprungbereit mitten im Zimmer stand. Sie atmete heftig und schien völlig außer Rand und Band zu sein.

"Scully, bin ich wirklich so schlimm?", versuchte er sie mit einem Scherz aufzumuntern. Doch es war offensichtlich, dass sie so was jetzt nicht gebrauchen konnte.

"Entschuldigung. Ich wollte sie wirklich nicht erschrecken."

Scully richtete sich auf und versuchte sich zu beruhigen. Sie strich sich die Haare aus dem Gesicht und keuchte erschöpft: "Schon gut. Sie können nichts dafür. Warum kann ich auch nicht die verdammte Tür richtig zu machen."

Mulder begann die Scherben zu ihren Füßen weg zukehren. Scully versuchte ihm zu helfen, doch sie zitterte dabei dermaßen, dass Mulder sie schließlich ins Sofa drückte und ihr befahl dort zu bleiben. Immer wieder wanderten seine Blicke beunruhigt zu ihr hinüber.

Schließlich fragte er: "Soll ich vielleicht heute hier bleiben. Nur für den Fall?"

Scully zögerte. Es war unübersehbar das Mulder sie für eine überdrehte, ängstliche Psychopathin hielt. Wenn sie ihn jetzt hier bleiben ließ, würde sich dieser Eindruck nur noch verstärken. Schließlich siegte ihre Angst.

Sie nickte und machte Mulder die Couch zurecht.

Eine schwummerige Dunkelheit umgab ihn. Mulder fragte sich, wo er war. Es roch anders als sonst und doch irgendwie vertraut. Langsam tastete sich Mulder zurecht und kapierte nach weiteren 5 Minuten, dass er sich gerade den Kopf an Scullys Wohnzimmertisch zertrümmert hatte. Er war von dem schmalen Sofa gefallen und musste schon eine ganze Weile auf dem Teppich gelegen haben. Seine Glieder waren kalt und steif und sein Mund trocken. Er wunderte sich, warum er aufgewacht war. Dann stand er auf, um sich ein Glas Wasser aus der Küche zu hohlen. Ihn fröstelte. Seine Boxershorts gaben nicht gerade viel Wärme her. Barfuß tapste er in die Küche und sah sich nach etwas Trinkbarem um. Er starrte aus dem Fenster. Draußen fiel dichter Schnee. Eine unheimliche Stille ging von ihm aus und kroch durch das Fenster herein. Das machte ihn wahnsinnig. Am liebsten hätte er laut los geschrien, um diese Benommenheit von sich abzuschütteln.

Er warf einen vorsichtigen Blick zu Scullys Zimmer und stellte verdutzt fest, dass das Licht an war, obwohl es um die 3 Uhr sein musste.

Leise drückte er die Klinke herunter, um sie nicht zu wecken. Doch das war wohl nicht nötig gewesen. Scully saß mit geweiteten Augen aufrecht im Bett. Sie zitterte wie verrückt, obwohl im Zimmer eine eher unnatürliche Wärme herrschte. "Geht's Ihnen nicht gut Scully? Haben Sie was Schlechtes geträumt?" Er setzte sich neben sie aufs Bett.

Scully schaute ihn bloß an. Es schien sich ein innerer Kampf in ihr abzuspielen. Dann antwortete sie plötzlich entschlossen: "Es war kein Traum. Er war wieder da. Gerade eben. Nachdem sie hereingekommen ist er verschwunden. Vielleicht durch die Badezimmertür."

Mulder seufzte was er im selben Augenblick auch schon bereute. Scully sah ihn so was von deprimiert an. Er durchforstete das Badezimmer und danach die ganze Wohnung. Scully lief ihm dabei wie ein kleines Hündchen hinterher.

Er verstand das nicht. Scully hatte noch nie gelogen, wenn es um solche Dinge ging. Sie analysierte ihre eigenen Eindrücke noch gründlicher als die anderer. Wieso sah sie diesmal nicht ein, dass sie sich etwas vorspann. Was war nur mit ihr los?

"Scully, wir haben die ganze Wohnung durchsucht. Doch nirgendwo ist auch nur die Spur von einem Einbruch oder einem ungebetenen Besucher aufgetaucht. Verstehen Sie mich nicht falsch. Aber es ist sicher eine ganz natürliche Reaktion auf den Schock von vorgestern, dass sie jetzt Furcht vor einer Wiederholung haben. Doch das ist kein Grund mir nicht die Wahrheit zu sagen. Von mir aus können sie mich jede Nacht zehnmal aus dem Bett jagen um ihre Wohnung zu durchsuchen. Sie brauchen mir dafür nichts vorzumogeln."

Scully schluckte hart. Diese Worte drückten sie wie ein Stein zu Boden. Das war genau das, wofür sie Mulder so hasste. Er konnte innerhalb einer Sekunde so lieb und so verletzend zugleich sein. Das machte sie einfach fertig, wie er sie ansah und versuchte ihr weiß zumachen, dass sie halluzinierte. Wenn sogar Mulder ihr nicht glaubte, dann wusste sie eigentlich was sie davon zu halten hatte. Doch es war ihr unmöglich diese Dinge als Einbildung zu akzeptieren. Sie waren so echt gewesen. Es war beängstigend. Es war mehr als das. Es nahm ihre rationalistische Welt Stück für Stück auseinander. Sie musste sich dazu zwingen, nicht hysterisch in der Wohnung herumzurennen und nach dem Typen zu suchen. Sein unvermutetes Auftauchen und Verschwinden brachte sie um den Verstand. Und was wenn das alles doch nur Halluzinationen waren? Würde das irgendwas ändern? Was war besser; zu wissen, dass ein wahnsinniger Vergewaltiger sie verfolgte oder dass sie verrückt war? Woher sollte sie nun wissen was sie träumte und was nicht.

Mulder drehte sich um und wollte zurück zur Couch gehen, doch Scully blieb stehen. Allein die Vorstellung, dass sie jetzt wieder alleine in ihr Zimmer zurückkehren sollte, löste in ihr eine dumpfe, unbestimmte Angst aus. Mulder drehte sich erstaunt um, als sie nicht nachkam. "Scully?..." Er dauerte eine ganze Weile bis er blickte, was mit ihr los war. Dann umfasste er ihre Schultern und schob sie vor sich her ins Schlafzimmer. Er machte es sich auf dem kleinen Sessel im Zimmer bequem, soweit man das so nennen konnte. Kleinlaut kroch Scully in ihr Bett. Es widerstrebte ihr Mulder ihren Sessel zuzumuten, doch sie konnte sich einfach nicht überwinden, ihn wieder auf die Schlafcouch im Wohnzimmer zu lassen.

Scully starrte deprimiert in ihr verschlafenes Spiegelbild, in die Kaffeetasse hinein. Am liebsten wäre sie heute gar nicht aufgestanden. Sie sah mit jedem Tag schlechter und erschöpfter aus. Mit einem Blick auf die Uhr registrierte sie dass sie sowieso zu spät ins Büro kommen würde. Mulder war schon längst ausgeflogen. Also konnte sie genauso gut auch noch duschen. Als sie barfuß über ihren Teppich tapste, fiel ihr ein Brandfleck auf. Wann sie das wohl wieder geschafft hatte? Sie kümmerte sich nicht weiter darum und ging weiter. Es war beinahe zehn als sie endlich das Haus verließ.
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