World of X

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23.12.

von Martina

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23.12.

Scully parkte absichtlich auf einen Parkplatz, der zwei Straßen vom Hoover-Building entfernt lag. Sie stieg aus ihrem Auto und vergewisserte sich mit einem Blick auf ihre Armbanduhr, dass wirklich noch Zeit genug war diesen zehn-minütigen Spaziergang zu wagen. Eingepackt in ihrem langen, schwarzen Wintermantel, ging sie über den mit Schnee bedeckten Bürgersteig und atmete genüßlich die winterliche Kälte ein. Es war der dreiundzwanzigste Dezember. Der triste, dunkle November war überstanden und das Weihnachtsfest stand vor der Tür. Scully freute sich darüber endlich wieder mit ihrer ganzen Familie Weihnachten zu feiern. Dieses Jahr würde das Familientreffen bei ihrer Mutter stattfinden. Bei dem Gedanken nur noch heute arbeiten zu müssen, breitete sich ein Lächeln auf ihren Lippen aus. Sie vermisste ihre Familie wirklich sehr. Sogar Charles, ihr jüngerer Bruder, würde mit seiner Frau kommen. Aus lauter Vorfreude hatte Scully bereits gestern abend ihren Koffer gepackt.

Nun bog sie in die nächste Querstraße ein und sah im Park, der nahe dem FBI-Gebäude lag, einen kleinen Weihnachtsmarkt. Ein paar Buden hatten schon zu dieser frühen Stunde geöffnet, um die Passanten auf ihrem Weg zur Arbeit den Tag mit verlockenden Leckereien zu versüßen. Ein Blick auf die Uhr verriet ihr, dass sie mit aller Wahrscheinlichkeit nicht pünktlich im Büro sein würde, wenn sie auch noch diesen Umweg in Kauf nahm. Doch Scully tat diesen Gedanken mit einem leichten Achselzucken ab. Warum sollte sie nicht mal zu spät kommen? An diesem letzten Arbeitstag wartete sowieso nichts anderes als lästiger Papierkram auf sie, falls nichts Unerwartetes passierte – und dies hoffte sie inständig.

Von der Weihnachtsstimmung angesteckt, schlenderte sie über den Markt. Der Geruch von gebrannten Mandeln lag in der Luft und hier und da standen vereinzelt dick vermummte Menschen an den Buden. Scully fühlte sich unbeschwert: Alle Fälle waren abgeschlossen, das Wetter in den letzten Tagen war sonnig mit vereinzelten Schneefällen und sie hatte auf Anhieb an einem Nachmittag alle Weihnachtsgeschenke kaufen können und mußte sich nicht, wie sonst jedes Jahr zuvor, sich tagelang durch überfüllte Einkaufsläden quetschen, die ihre Kunden erbarmungslos mit lauten, ohrenbetäubenden Weihnachtschören quälten.

Langsam begann es wieder zu schneien. Feine, kleine, weiße Flocken fielen vom Himmel, was Scully wieder ein zufriedenes Lächeln auf ihren Mund zauberte. Die letzte, der bereits geöffneten Buden präsentierte alle möglichen Nuß- und Kernarten in gebrannter Form. Scully stoppte davor, neben den gebrannten Kürbiskernen entdeckte sie gebrannte Sonnenblumenkerne. Als sie dem Verkäufer eine Spitztüte abkaufte, fragte sie sich selbst, was mit ihr los war. Schon lange hatte sie sich nicht so zufrieden gefühlt und oh mein Gott sie hatte noch nie freiwillig Sonnenblumenkerne für Mulder gekauft. Ein weiterer Blick auf die Uhr ließ sie diese Gedanken vergessen und etwas zügiger in Richtung des Hoover-Buildings laufen.

Als Scully über den Parkplatz lief, atmete sie noch einmal tief die angenehme Kälte ein, um dann in das klimatisierte Foyer einzutreten und sich dem Arbeitstrott hinzugeben.



„Hey Scully, Sie sind zu spät!“, begrüßte Mulder seine Partnerin, als sie das Büro betrat. Er ließ gerade etwas in seiner obersten Schublade verschwinden und lehnte sich dann in seiner besten Macho-Haltung in seinem Stuhl zurück, seine Füße die ganze Zeit auf dem Schreibtisch in mitten unzähliger Aktenstapel liegend.

„Aber ich wollte ja nicht ohne Sie mit dieser bedeutsamen Arbeit anfangen, also hab ich freundlicherweise auf Sie gewartet!“, grinste er sie an.

„Ich wünsche Ihnen auch einen guten Morgen, Mulder.“, entgegnete sie ihm mit einem schnippischen Unterton und schritt auf den Schreibtisch zu.

„Das ist unsere Tagesaufgabe?“, fragte sie skeptisch auf den Stapel Akten deutend.

„Nein.“, antwortete Mulder und ein Grinsen machte sich wieder auf seinen Lippen breit. Er nahm seine Füße vom Schreibtisch, stand auf und kramte aus einem Regal einen Stapel loser Zettel und legte sie auf den jetzt völlig beladenen Schreibtisch. „Das ist unsere Tagesaufgabe!“, sein Lächeln hätte nicht sadistischer sein können. Als er Scullys krause Stirn sah, fügte er hinzu: „Geteiltes Leid ist halbes Leid!“

„Wie gut, dass ich zumindest Ihnen etwas mitgebracht habe, dass das Leiden etwas lindern könnte.“, versuchte Scully ihn neugierig zu machen, was ihr hundertprozentig gelang. Sie sah es an seinen Augen, die sie fixierten und sie geradezu absuchten, was sie mitgebracht hatte und wo es sich befand. Mulder konnte aber nichts finden und als Scully nichts weiteres erwiderte, fragte er, seine Neugierde unterdrückend: „Und?“

Scully versuchte ihr Grinsen zu unterdrücken, so leicht würde sie es ihm nicht machen. „Was ´Und`?“, fragte sie scheinheilig zurück.

„Was ist es?“, fragte Mulder und die Neugier triefte aus jeder Silbe. Ein siegessicheres Grinsen traf ihn.

Scully hob eine Augenbraue: „Was Süßes!“, und zog aus ihrer Manteltasche die Papiertüte, die sie Mulder entgegen warf. Durch seine Reaktionsfähigkeit fing er sie mit beiden Händen auf und öffnete sie.

„Gebrannte Sonnenblumenkerne, Scully?“, grinste er und probierte sofort ein Stück der klebrigen Masse. Kauend machte er ein überraschtes, viel sagendes Gesicht, was ihr versicherte, dass es ihm schmeckte.

Scully lächelte nur und wandte sich zum Kleiderständer, um ihren Mantel aufzuhängen.



Je näher der Feierabend rückte, desto stiller wurde Mulder. Scully versuchte ihre Vorfreude zu unterdrücken, da sie ahnte was Mulder, im Gegensatz zu ihr, am morgigen Abend erwartete: Nichts. Er würde sein Weihnachten wieder allein vor dem Fernseher verbringen. Der Gedanke daran tat ihr weh. Wenn sie gemeinsam mit ihrer Familie zum Abendessen beisammen saß, würde er allein auf seiner Couch liegen. Wenn sie am nächsten Tag mit ihrer Familie die Geschenke öffnete, würde er auf seiner Couch aufwachen. Shit! Bei diesem Gedanken fiel ihr ein, dass sie sein Geschenk vergessen hatte. Jetzt müsste sie vor ihrer Abfahrt noch bei Mulder vorbei schauen. Scully hoffte ihm dadurch wenigstens ein kleine Freude zu machen. Doch sie wußte nur all zu gut, dass das bei weitem kein Ersatz für seine Familie war, die er verloren hatte.

„Scully?“, fragte Mulder und riß sie aus ihren Gedanken. Eine Spur von Besorgnis klang in seiner Stimme mit.

„Hhmmh?“, fragte sie noch halb in ihren Gedanken versunken zurück und bemerkte erst jetzt, dass sie Mulder anstarrte.

„Was ist los?“

„Ach nichts“, versuchte sie sich heraus zu reden, „mir ist nur gerade eingefallen, das ich etwas vergessen hab.“ Scully versuchte zu lächeln, doch sie sah Mulder genau an, dass er ihr dies nicht wirklich abnahm. Sein prüfender Blick blieb auf ihr haften.

„Mir geht es gut, Mulder!“, sagte sie genervter, als sie es eigentlich war und wandte ihre Aufmerksamkeit wieder dem Papierstück in ihren Händen zu. Doch ihre Gedanken blieben bei Mulder. Ihre Vorfreude war schlagartig vergangen. Konnte sie ihn einfach so allein zurück lassen? Sollte sie nicht lieber mit ihm Weihnachten feiern? Scully verwarf den Gedanken schnell. Warum sollte sie das tun? Aus Mitleid? Mulder würde das nie wollen. Er war zu stolz um bemitleidet zu werden. Egal wie einsam er war, er würde nie zugeben, dass er darunter litt.



Mulder schielte auf seine Armbanduhr. Es war jetzt offiziell seit drei Minuten Feierabend. Doch er tat weiter geschäftig an der Reisekosten Rückerstattung, denn wenn Scully es nicht sofort bemerkte, würde sie noch etwas länger in seiner Nähe bleiben.

Weihnachten - er fing an das Fest der Liebe zu hassen. Alle die er liebte und die ihm geblieben waren, verließen ihn dann, um mit ihren Familien zu feiern. Liebe? Er war sich nicht sicher, ob er die Lonegunmen liebte, aber auch sie wurden dazu genötigt an diesen besonderen Feiertagen bei ihren engsten Verwandten zu sein. Er fragte sich auch, ob er Scully liebte. Doch dieses Herzklopfen, wenn sie nahe bei ihm stand, das Verlangen sie bei jeder Gelegenheit zu berühren und dieses Gefühl des Vermissens, weil sie für drei Tage zu ihrer Familie fuhr, machten eine Antwort fast überflüssig. Mulder atmete tief ein und hörbar aus. Er wußte, wie sehr sich Scully auf ihre Familie freute und er hatte schon vor längerer Zeit bemerkt, dass er immer glücklicher wurde, wenn Scully glücklich war, also räusperte er sich und sah zu ihr auf.

„Hey, Scully, Feierabend!“, lächelte er schief. Einerseits tat es ihm weh, dass sie wegging. Andererseits war sie dann glücklich. Mulder lehnte sich in seinem Stuhl zurück und betrachtete seine Partnerin.

Scully sah auf, ließ den Zettel demonstrativ auf den Schreibtisch segeln und lehnte sich auch zurück:

„Da haben Sie Recht, Mulder.“, lächelte sie. Scully hatte ihre Vorfreude wieder zurückgewonnen, denn jetzt hatte sie Urlaub. Unglaublicherweise war dieses Jahr nichts dazwischen gekommen.

Mulder und Scully saßen sich gegenüber und sahen sich an. Langsam wurde das Schweigen zwischen ihnen unangenehm.

„Sie fahren zu Ihrer Familie?“, fragte Mulder eher unbeholfen um ein Gespräch anzufangen. Ihm erschien es seltsam, dass sie irgendwie nicht gehen wollte.

„Yeah. Dieses Jahr feiern wir bei meiner Mutter.“, antwortete Scully.



Dieser Gesprächsfetzen war mehr als erzwungen und Scully wußte nicht wie sie es deuten sollte. Dann nickte sie noch einmal und stand auf. Sie würde ihn ja vor ihrer Abfahrt besuchen. Mit ihrem Mantel in der Hand stand sie vor der Tür und wandte sich zu Mulder, der auch aufgestanden war, als ob er sie zur Tür hinaus bringen wollte.

Scully lächelte: „Überarbeiten Sie sich nicht, Mulder.“, öffnete die Tür und verschwand.



Mulder stand verwirrt in der Tür. Kein Geschenk? Kein „Frohe Weihnachten, Mulder“? Kein Abschiedsküsschen auf die Wange? Nicht mal ein „Tschüß“? Er ging zu seinem Schreibtisch und öffnete die unterste Schublade, in der er ein verpacktes Päckchen verborgen war. Er nahm es heraus, setzte sich auf seinen Stuhl und begutachtete es.



Scully stand vor Mulders Wohungstür und klopfte. Doch auf der anderen Seite rührte sich nichts.

Sie war nach dem Feierabend nach Hause gefahren. Als sie ihr Wohnzimmer betreten hatte, hatte Mulders Geschenk auf dem Wohnzimmertisch gestanden und ihr bereits entgegengestrahlt. Für ein paar Stunden hatte sie es ignorieren können, hatte ihre Ordnung aufgeräumt, unnötige Sachen in ihre Reisetasche gepackt und hatte sich schließlich vor dem Fernseher mit ihrem Abendbrot wieder gefunden. Es war zwar erst kurz nach Sieben gewesen, doch Scully hatte es in ihrer Wohnung nicht mehr ausgehalten.

Jetzt war es kurz nach halb acht und sie klopft erneut an Mulders Tür.

„Shit“, fluchte sie leise, sie hätte doch nicht so früh kommen sollen.

Scully schaute kurz über den Flur, überlegte und kramte dann ihren Schlüsselbund aus ihrer Manteltasche, um die Tür aufzuschließen. Wenn das Weihnachtsgeschenk nicht zu Mulder kommt, muß Mulder zum Weihnachtsgeschenk kommen! Als sie eintrat mußte sie lächeln. Mulder hatte es tatsächlich irgendwie geschafft einen halbwegs ordentlichen ersten Eindruck zu erwecken. Beim näheren Hinsehen erkannte man jedoch, dass das Gerümpel vom Wohnzimmertisch einfach zum Sessel umgeleitet worden und von der Schreibtischplatte wie immer nichts zu sehen war, doch es lagen keine Sachen auf dem Boden herum. Ihr Blick fiel wieder auf den „aufgeräumten“ Tisch, der mit einem Geschenk dekoriert war. Ihre Neugier trieb sie dazu das kleine Päckchen näher zu inspizieren, doch sie konnte weder den Empfänger, noch Absender, noch den Inhalt erahnen. Kopfschüttelnd über dieses kindisches Verhalten, dass sie seltsamerweise jedes Jahr zu Weihnachten ereilte, legte sie ihr Geschenk daneben. Skeptisch betrachtete sie ihr Werk, machte sich dann unzufrieden auf die Suche nach einem Notizblock und Stift. Scully stand vor Mulders Schreibtisch, dir Arme auf ihre Hüften gestemmt. Kopfschüttelnd gab sie ihr Vorhaben Mulder eine Notiz zu schreiben auf: 1. Sie würde hier niemals einen unbeschriebenen Zettel finden, geschweige denn einen Stift. 2 . Wollte sie ihm das Geschenk persönlich geben und ihm persönlich Frohe Weihnachten wünschen. Wie aufs Stichwort drangen laute Geräusche aus dem Flur in die Wohnung, Flaschen klirrten und dann hörte sie das Klimpern von Schlüsseln.



Schwer bepackt mit einem Kasten Bier und einer heißen Pizza gelang es Mulder doch irgendwie seine Wohnungstür aufzuschließen und einzutreten.

Er war noch verwirrt im Büro sitzen geblieben und fast ein halbe Stunde später als Scully gegangen, nur um zu Hause festzustellen, dass sein Kühlschrank mehr als leer war. Also war er einkaufen gegangen und hatte sich bis zum Anbruch des nächsten Tages mit einer Menge Bier und einer verdammt großen Pizza eingedeckt.

Jetzt, als er die Wohnung betrat, hielt er mitten auf dem Weg die Kiste abzustellen in gebeugter Haltung inne und starrte für einen kurzen Moment den unerwarteten Besuch entgegen. Doch schon nach einigen Sekunden meldete sich sein Rücken, so dass er den Kasten eilig auf den Boden abstellte.

„Scully“, brachte er überrascht heraus, „Ich dachte, Sie wären auf dem Weg zu Ihrer Mutter.“

Scully begutachtete grinsend seinen Einkauf und erklärte: „Ich fahre erst morgen früh, Mulder.“

„Aha.“, nickte Mulder und legte die Pizza auf den Wohnzimmertisch. Eigentlich wollte er ihr Pizza anbieten, doch dann sah er das zweite Geschenk auf seinem Tisch und schaute wieder überrascht und verwirrt zu Scully, die bei dem Anblick seines Gesichtes in ein kurzes Lachen verfiel.

„Mulder, nun gucken Sie doch nicht die ganze Zeit so irritiert – ich wollte Ihnen lediglich ein kleines Weihnachtsgeschenk vorbei bringen, was ich heute morgen vergessen habe.“

Langsam verstand Mulder und seine Depressionen über ihren schnellen Abgang von heute morgen war verflogen. Sie hatte ja gewußt, dass sie noch einmal zu ihm kommen würde und hatte sich deswegen nicht verabschiedet.

Mulder lächelte: „Was ist Scully, wie wärs mit einem Riesenstück Pizza?“

„Ein Kleines würde mir reichen.“, antwortete Scully.

„Und ein Bier die Dame?“, fragte Mulder weiter, während er ihr gestikulierend einen Platz auf dem Sofa anbot.

„Haben Sie auch etwas Unalkoholisches?“

„Nun ja“, begann Mulder mit einer entschuldigenden Geste, „Außer Leitungswasser eigentlich nicht.“

„Mulder, wollen Sie sich einen weihnachtlichen Bierbauch antrinken?“, neckte Scully ihn mit einem schiefen Lächeln über die Tatsache hinweg, dass er sich hatte betrinken wollen.

„Also, mal rein wissenschaftlich gesehen“, begann er auf den Weg in die Küche, um Teller und Besteck zu holen, bis er wieder ins Wohnzimmer kam und wieder ansetzte:

„Rein wissenschaftlich, Scully, geht das gar nicht.“, Mulder setzte sich zu ihr auf die Couch und reichte ihr ein Bier.

„Alle bekannten Diäten vernachlässigen völlig einen wichtigen Punkt: die Temperatur der Speisen und Getränke. Wenn eine Kalorie notwendig ist, um 1 g Wasser um 1 Grad von 21,5 auf 22,5 Grad zu erwärmen, muß man kein Wunderkind sein, um zu errechnen, dass der Mensch, wenn er ein Glas kaltes Wasser trinkt, sagen wir mit 0 Grad ca. 200 Kalorien braucht, um es um 1 Grad zu erwärmen. Um es auf Körpertemperatur zu bringen, sind also ca. 7400 Kalorien notwendig; 200g Wasser mal 37 Grad Temperaturunterschied.“, begann Mulder zu erklären und öffnete zwei Biere, um mit Scully anzustoßen.

Sie konnte es an der Art, wie er sprach und anhand er Argumentation erkennen, dass er eine wilde, völlig unglaubliche Theorie erstellte.

„Diese muss unser Körper aufbringen, da die Körpertemperatur konstant bleiben muss. Dazu nutzt er die einzige Energiequelle, die ihm kurzfristig zur Verfügung steht, unser Körperfett. Er muss also Körperfett verbrennen, um die Erwärmung zu leisten, die Thermodynamik lässt sich nicht belügen.“ Mulder machte eine kurze Pause und Scully betrachtet ihn amüsiert von der Seite, wie er angestrengt nachdachte oder sich erinnerte.

„Trinkt man also ein großes Glas Bier, was ungefähr 400 g wiegt und 0 Grad kalt ist, verliert man ca. 14800 Kalorien. Jetzt muss man natürlich noch die Kalorien des Bieres abziehen ca. 800 Kalorien für 400 g Bier. Unter dem Strich betrachtet verliert man also ungefähr 14000 Kalorien bei einem kalten Glas Bier.“, zufrieden grinste er sie an und gönnte sich einen großen, genüsslichen Schluck seines Bieres.

„Natürlich ist der Verlust um so größer, je kälter das Bier ist. Diese Art Kalorien abzubauen ist also viel effektiver als z.B. Fahrrad fahren oder Joggen, bei denen nur ca. 1000 Kalorien pro Stunde verbrannt werden.“, wieder machte er eine kurze Pause. Sein Lächeln kam ihr noch schelmischer vor.

„Auch Sex ist mit nur 100 Kalorien pro Orgasmus gegen kaltes Bier sehr ineffektiv.“ Als er dies sagte, schaute er ihr in die Augen und nahm noch einen Zug aus seiner Flasche. Dann betrachtete er das Bier in seiner Hand.

„Wenn wir aber eine heiße Pizza essen, die uns durch ihre Wärmeenergie eine Unmenge an Kalorien

zuführt, könnten wir in Gefahr kommen tatsächlich zu zunehmen. Aber es gibt da eine Lösung und die wäre, Agent Scully?“

Scully war kurz überrascht, hatte aber seine Argumentationskette schon durchschaut und antwortete lässig:

„Man muss die heiße Pizza einfach nur mit genug kaltem Bier ausgleichen!“

Sie stieß wieder mit ihm an und trank, innerlich kopfschüttelnd und zutiefst grinsend, einen herzhaften Schluck Bier. Wie kam er nur immer wieder auf solche Ideen?

Mulder sah es an ihren Augen, als sie grinsend ihr Bier trank: Sie war glücklich. Er lächelte auch und öffnete den Pizzakarton, was ihre Augen noch größer werden ließ. Die Pizza roch vorzüglich.

„Eine extra große Pizza mit allem drum und dran!“, präsentierte er Scully.



Scully lehnte sich auf der Couch zurück. Sie konnte sich nicht mehr daran zurück erinnern, wann sie das letzte Mal so viel und so etwas Leckeres gegessen hatte. Da war wieder das Gefühl der Zufriedenheit. Ihre Gedanken waren fern ab von der Verschwörung, von den Erinnerungen an ihren Krebs, von Mulders Suche nach Außerirdischen – sie waren einfach hier, bei einem gemütlichen Abend, den sie mit Mulder verbrachte. Ach ja, und morgen würde sie ja auch Weihnachten mit ihrer Familie feiern. Sie hatte seit langer Zeit wieder das Gefühl ein richtig glückliches und in diesem Moment, erfülltes Leben zu haben.

Auch Mulder lehnte sich glücklich seufzend ins Sofa zurück. Er hielt sich den Bauch und trank den letzen Schluck aus seinem zweiten Bier aus. Scully hatte erst eins getrunken.

„Ich denke, ich sollte noch etwas Bier kalt stellen und uns noch eine Runde holen, sonst wird Ihre Wage morgen durchdrehen.“, scherzte Scully und stand auf. Sie nahm zwei Flaschen Bier aus dem Kasten und ging in die Küche.

Mulder schaute ihr lächelnd hinterher. Nein, er hatte sie nicht von dem ersten Moment an, als er sie das erste Mal gesehen hatte, geliebt, es war keine Liebe auf den ersten Blick gewesen. Es hatte sich mit der Zeit entwickelt. Erst hatte er „nur“ eine tiefe Freundschaft für sie empfunden. Scully war immer für in das gewesen, wenn er sie gebraucht hatte, sie hatte ihn in den Arm genommen, wenn er es gebraucht hatte. Sie war eine Schwester für ihn geworden, für die er seinen ganzen Beschützerinstinkt aufgeopfert hatte. Doch irgendwann hatte sich da etwas verändert. Er konnte den Zeitpunkt nicht genau bestimmen. Da wurde ihre platonische Freundschaft von immer mehr Berührungen geprägt. Als er auf der „Santa Ann“ war und dachte alles, Scully mit inbegriffen, zu verlieren, hatte er es deutlich gespürt: Er liebte sie. Dann hatte er sie auch geküßt, er hatte es wenigstens einmal tun müssen bevor er in die ungewisse Zukunft gesprungen war. Und als Scully die erste Person war, die er im Krankenhaus erblickt hatte, waren da immer noch diese Schmetterlinge in seinem Bauch gewesen. Skinner und die Longunmen hatte er gar nicht wirklich wahrgenommen. Und eben dieses Gefühl kam von Zeit zu Zeit wieder in ihm auf. Mein Gott, dacht er, diese Frau hatte ihm wieder Lieben und Vertrauen gelehrt!

„Mulder?“, hörte er ihre Stimme, die ihn wieder in die Realität zurück holten, „Mulder, ich bekomme Ihren Kühlschrank nicht auf.“

Mulder schmunzelte, als er sich das Bild einer Scully, die verzweifelt an seinem Kühlschrank zerrte, vorstellte.

„Der klemmt!“, erklärte Mulder und stand auf ihr zu helfen. In der Küche traf er auf die hilflose Scully.

„Lassen Sie das mal einen Mann machen!“, witzelte Mulder und schob sie vorsichtig zur Seite.

„Sie müssen einfach etwas kräftiger ziehen.“, erklärte er und zog. Doch die Tür rührte sich nicht.

Er schaute kurz in ihr grinsendes Gesicht und erklärte weiter:

„Nun, Sie müssen einfach nur zweimal etwas kräftiger ziehen!“

Dann zog wieder an der Tür, die mit einem Schmatzen unvorhersehbar schnell hervor schnellte, da sich das Schloß beim ersten Ziehen ein wenig gelockert hatte, was Mulder nicht aufgefallen war. So wurde er von der Tür überrascht und bekam sie direkt etwas seitlich an seine Stirn.

„Shit!“, brachte er mit schmerzverzerrtem Gesicht hervor und trat einen Schritt von seinem mordlustigem Küchenbestandteil weg. Sofort spürte er Scullys Arm, der fest den seinen umschließ.

„Alles okay?“, fragte sie besorgt.

Der Schmerz ließ nach. „Klar.“, antwortete er, er wollte nicht wie ein Weichei dastehen, „Jetzt wissen Sie ja, warum ich nie etwas in meinem Kühlschrank habe. Immer wenn ich ihn öffne, muß ich es mit Beulen bezahlen.“

Scullys besorgtes Gesicht entspannte sich und ein Lächeln breitete sich aus. Sie sah in den Kühlschrank, in dem lediglich Butter und die zwei Bierflaschen standen, die Mulder kalt gestellt hatte.

„Sie können es ja mit Bier kühlen!“, scherzte sie weiter, griff sich eine Flasche und hielt sie an Mulders Stirn. Dabei mußte sie noch einen Schritt auf Mulder zu gehen und sah ihm nun direkt in die Augen.

Nein, Dana, guck weg!, schalt sie sich selbst. Diese braunen Augen hatten es ihr angetan. Von Anfang an war sie davon fasziniert gewesen. Inzwischen war sie davon abhängig. Wenn sie nicht jeden Tag in diese Augen sehen konnte, dann hatte sie das Gefühl, ihr fehlte etwas.

Scully schluckte. Ihr Bauch fing an zu kribbeln, während sie sich in seinen Augen verlor. Er war ihr so nahe, sie konnte sein Rasierwasser riechen. Und es roch verdammt gut. Sie hatte das Bedürfnis ihm noch näher zu sein, ihn zu küssen....

Nein, Dana, verdammt: Du liebst ihn nicht!, rief sie sich ins Gedächtnis. Nein, sie konnte ihn nicht lieben. Sie reagierte nur so auf seine plötzliche Nähe, weil sie sich danach sehnte, weil sie sich nach männlicher Nähe generell sehnte. Außerdem war er der einzig potente Mann, der bei ihren Ansprüchen als Liebhaber in Frage kommen würde. Aber sie liebte ihn nicht. Es war unmöglich einen so selbstsüchtigen, ehrgeizigen, verrückten Workaholic zu lieben. Niemand konnte das, auch nicht aus Verzweiflung. Ja, er hatte auch seine charmanten Seiten, wie heute Abend zum Beispiel, er hatte seine Reize, wie in diesem Augenblick... Küss mich!, schoß es durch ihren Kopf. Doch sie erinnerte sich selbst wieder an den anderen Mulder, den selbstsüchtigen Workaholic.

Plötzlich wurde die Stille unterbrochen und das Telefon klingelte. Scullys Blick löste sich aus den Tiefen seiner Augen und betrachtete sein Gesicht. Der Ausdruck darauf veränderte sich, von diesem weichen zu einem irgendwie enttäuschten. Er lächelte, doch sie sah, dass es erzwungen war und verfluchte ihre Idee mit der Bierkühlung.

„Sie sollten ans Telefon gehen, Mulder.“, erinnerte sie ihn an das ununterbrochene Klingeln. Er nickte und Scully verfluchte sich noch einmal, diesmal hatte sie wirklich Enttäuschung in seinem Gesicht gelesen.

„Mulder.“, hörte sie ihn am Telefon.

„Oh, guten Abend Mrs. Scully.“, sagte er extra etwas lauter, so dass Scully es in der Küche nicht überhören konnte. Sie eilte ins Wohnzimmer. Mulder grinste sie an.

„Ja, ihre Tochter ist hier.“, antwortete er umständlich, um Scully den Gesprächsinhalt verständlich zu machen.

„Ich feiere in meinem Apartment.“

Nein, Mom, nicht!, dachte Scully. Sie wußte, dass ihre Mutter gerade fragte, wo er denn Weihnachten feiern würde.

„Danke für das Angebot, Mrs. Scully, aber das kann ich nicht annehmen.“ – „Nein, wirklich nicht. Ich würde mich nicht wohl fühlen und Bill bestimmt auch nicht.“

Scully stutzte. Ihre Mutter hatte Mulder scheinbar gerade eingeladen mit ihr und ihrer Familie Weihnachten zu feiern.

„Ja, ich gebe Ihnen dann in dem Falle noch Bescheid.“

„Auf Wiederhören Mrs. Scully.“

Dann reichte er Scully den Hörer und sagte überdeutlich:

„Es ist Ihre Mutter, Scully!“

Er erntete den Scullyblick, grinste und ging in die Küche um die kalten Flaschen zu holen.

„Hi Mom!“ – „Nein, du störst nicht.“, hörte er noch im Vorbeigehen.

„Oh, dass ist schön, dass Bill mit seiner Familie jetzt doch auch bei dir schläft.“ – „Bettbezüge? Ja, bringe ich mit.“ – „Bis morgen früh!“

Als sie nach dem kurzen Gespräch auflegte, kam Mulder mit dem Bier aus der Küche und reichte ihr eins Sie setzten sich wieder auf die Couch und öffneten ihre Flaschen.



Scully gähnte und schaute von den Nachrichten im Fernseher auf ihre Uhr. Es war erst zehn Uhr, trotzdem war sie müde. Nach dem ihre Mutter angerufen hatte, hatten Mulder und sie angefangen fern zu sehen.

Sie nahm ihr jetzt schon drittes Bier und trank den letzten Schluck aus. Scully wollte gehen und die Tatsache morgen früh bei ihrer Mutter zu sein, um ihr bei den letzten Vorbereitungen zu helfen, bestärkte sie bei ihrem Vorhaben. Auch wenn sie andererseits nur ungern wieder in ihre dunkle Wohnung ging, um sich allein in ihr Bett zu legen. Sie schaute zu Mulder, der an seinem fünften Bier nippte.

„Mulder, ich werde jetzt gehen.“

Mulder schaute auf seine Uhr und dann zu ihr. „Es ist erst zehn.“

„Ich weiß, aber ich muß morgen ja auch früh raus.“, erklärte sie und stand auf.

Mulder nahm noch einen Schluck Bier und stand dann auch auf. Er griff sich das zweite Geschenk vom Tisch auf das Scully im Laufe des Abends immer wieder gestiert hatte, und versteckte es hinter seinem Rücken.

Scully hatte ihren Mantel bereits an.

„Ich wünsche Ihnen Frohe Weihnachten, Scully.“ Er konnte eine leichte Unsicherheit in seiner Stimme nicht verbergen.

Scullys Augen begannen ein wenig mehr zu strahlen.

„Mulder...“, begann sie, doch er unterbrach sie:

„Aber nicht vor dem 25. öffnen!“

Mulder spürte deutlich die Schmetterlinge in seinem Bauch, wie vor anderthalb Stunden, als diese Spannung in der Küche zwischen ihnen aufgekommen war. Er wußte nicht woher das Verlangen kam sie unbedingt küssen zu müssen, er verdächtigte den Alkohol.

„Danke, Mulder!“, antworte Scully ein wenig leiser als normal. Auch sie hatte das Gefühl, dass noch etwas fehlte, ein Geste. Darum ging sie auf ihn zu und umarmte ihn. „Frohe Weihnachten wünsche ich Ihnen auch.“

Mulder drückte sie leicht an sich. Er glaubte, sein Herz würde zerspringen. Er liebte sie wirklich. Doch er fühlte sich wie gelähmt, er konnte nichts sagen, konnte es ihr nicht gestehen. Statt dessen ergriff er ihre Hand, als sie sich aus der Umarmung löste. Alles was er tat, war ihre Hand an seine Brust zu drücken. Ihre Gesicht spiegelte erst Überraschung und dann Unsicherheit wieder. Denn wie er es vorgehabt hatte, spürte sie sein Herz unnatürlich schnell schlagen.

Scully zwang sich zu einem Lächeln. Was hatte dieser Mann bloß vor? Sie entzog Mulder langsam ihre Hand und strich damit durch sein Haar. „Ich sollte wirklich gehen, Mulder.“, entschied sie sich.

Mulder lächelte und nickte. Er öffnete die Tür.

„Grüßen Sie ihre Mutter von mir!“, sagte er ihr zum Abschied. Er wußte genau, dass er gerade einen Korb bekommen hatte, doch er akzeptierte ihre Entscheidung.

„Werde ich.“, antwortete Scully und entschwand in den kalten Flur. Sie hörte, wie die Tür geschlossen wurde und ihr Herz brach. Nein, so hatte sie den Abend nicht ausgehen lassen wollen.



Sie sah auf die Uhr: 23:46h, dann schweifte ihr Blick zu dem großen Weihnachtsbaum in der Ecke unter dem bereits alle Geschenke lagen.

Sie hatte die vorherige Nacht schlecht geschlafen und war heute morgen froh gewesen aufzustehen. Mit den gepackten Sachen, inklusive der Bettbezüge für Bill und seine Familie, hatte sie sich auf den Weg zu ihrer Mutter gemacht, mit der sie bis zur Ankunft der restlichen Familie am späten Nachmittag, noch ein wenig sauber gemacht, die Betten bezogen und Leckereien gebacken hatte sowie einkaufen gegangen war. Nach der herzlichen Begrüßung, dem Abendbrot und dem Beziehen der Zimmer wurde dann gemeinsam der Tannenbaum geschmückt. Der familiäre Abend war erst vor einer viertel Stunde ausgeklungen, nur Scully saß immer noch auf dem Sofa in dem großen Wohnzimmer ihrer Mutter. Den Tag über hatte sich ihre Stimmung immer mehr gebessert. Die Freude über das Familientreffen war nach dem gestrigen seltsamen Abend mit Mulder wieder in ihr aufgestiegen. Sie hatte heute Abend viel gelacht! Doch jetzt kam ihre Erinnerung an Mulder wieder, der jetzt vermutlich alleine vor dem Fernseher lag. Einerseits würde sie jetzt gern bei ihm sein, andererseits war da dieses zweifelnde, ängstliche Gefühl und die Tatsache, dass ihre ganze Familie in ihrer unmittelbaren Nähe war. Unwillkürlich tauchten Mulders Augen in ihrem Inneren auf, sie erinnerte sich an den Ausdruck in seinen Augen, als diese Spannung in der Küche aufgetreten war. Ihr Herz klopfte schneller – konnte dieser Ausdruck in seinen Augen überhaupt Zweifel hinterlassen? Scully presste ihr Hand leicht auf ihren Bauch: Sie verspürte dieses Kribbeln. Oh mein Gott, sie sehnte sich nach ihm, nach Mulder. Und sie hatte keine Ausrede, worauf sie es hätte schieben können. Sie war weder alkoholisiert, noch war sie alleine, noch war sie depressiv. Auch das Argument der Einsamkeit kam ihr langsam verdächtig nach Ausrede, denn als wahrer Grund vor. Mulder; sein Bild formte sich vor ihrem inneren Auge. Scully seufzte. Es war einfach so kompliziert, so kompliziert von ihnen gemacht worden.

„Dana, Schatz, was ist los?“, holte ihre Mutter sie aus ihren Gedanken. Im Morgenmantel war sie ins Wohnzimmer getreten und hatte ihre Tochter grübeln gesehen. Sie setzte sich zu Dana.

„Ach nichts, Mom.“, antworte Scully. Doch sie wußte, wie hartnäckig ihre Mutter war und wie gut sie sie kannte. Der prüfende, durchschauende Blick ließ Scully abermals seufzen.

„Es ist ... Mulder.“, resignierte Scully.

„Was ist passiert?“, fragte Mrs. Scully. Ihr Mutterinstinkt war unübertrefflich.

„Es hat sich etwas ... verändert.“, versuchte Scully zu erklären. „Wir sind uns irgendwie ... näher gekommen.“ Immer wieder treten diese Spannungen auf...“, nach einer kurzen Pause brachte sie ihre Antwort auf den Punkt:

„Wir hätten uns gestern fast geküßt.“ Scully sah zu Boden.

„Ist das schlimm?“, fragte Mrs. Scully.

„Ich weiß es nicht, Mom, ich weiß es nicht.“, antwortete Scully fast schon verzweifelt. Dann schaute sie ihre Mutter an, die ihr direkt in die Augen sah.

„Ist dir eigentlich bewußt, dass du ihn liebst?“

Wieso konnte ihre Mutter sie immer nur so direkt und hart mit der Wahrheit konfrontieren? Genau das versuchte sich Scully schon seit längerer Zeit auszureden. Wozu sollte es auch führen? Durch ihren Kopf stürzte die Sequenz eines Kusses, der zu weit mehr führte. Das Kribbeln in ihrem Bauch frischte wieder auf.

„Dana.“, begann Mrs. Scully wieder. „Fahr zu ihm.“

Auf den zweifelnden Blick ihrer Tochter antworte sie beinahe grinsend: „Er empfindet auch sehr stark für dich.“

„Ich weiß nicht, ...“, fing Scully an die Idee ihrer Mutter zu kritisieren. Doch ihre Mutter stand auf und sagte lächelnd: „Nein, Dana, ich denke du weißt viel mehr, als du wissen möchtest. – Du kannst ihn gerne mitbringen.“ Dann ging sie aus dem Zimmer und die Treppen zu den Schlafzimmern hoch.



Scully hatte es wirklich getan. Sie war in die Kälte gegangen und fuhr mit dem Auto zu Mulder. Die dunklen Wolken hingen schwer und tief über ihr, als ob sie jeden Moment platzen würden. Trotz des Schnees, der die ganze Landschaft eingehüllt hatte, waren die Straßen frei von dem weißen Belag und gestreut, so dass sie zügig durch die Nacht fahren konnte. Je näher sie Mulders Apartment kam, desto schnell flogen die Schmetterlinge in ihrem Bauch. Sie fühlte die Unsicherheit, aber sie fühlte ebenso die Sehnsucht nach Mulder, die sie hatte so lange unterdrücken können. Unglaublicherweise konnte sie es immer weniger erwarten, an Mulders Tür zu klopfen. Als sie die Exerter Street erreicht hatte, rannte sie fast zu seiner Wohnung. Doch vor der Tür strömte noch mal alle Unsicherheit und Angst auf sie ein. Sie atmete tief durch und hoffte, dass ihre Mutter auch in diesem Fall Recht behielt. Sie ignorierte diese Stimme in ihrem Kopf, die sie auf eine große Blamage hinwies.



Mulder schlief nicht gut. Er hatte den Kasten Bier am heutigen Abend nicht weiter angerührt. Er war einkaufen gegangen und hatte sich merkwürdigerweise Saft und Obst gekauft, dazu aber beruhigend gewöhnlich Spagetti.

Den Film „Scrootch“ zu gucken entwickelte sich langsam zur alljährlichen weihnachtlichen Zeremonie in seinem Apartment. So hatte er auch diesen Abend nicht darauf verzichtet, war aber davor eingeschlafen.

Jetzt riß ihn ein Klopfen an seiner Tür aus dem Schlaf. Der Fernsehbildschirm zeigte ein Geflimmer aus schwarzen und weißen Punkten. Schlaftrunken taumelte er zur Tür, das Klopfen wiederholte sich nicht. Er schaute durch den Spion und sah ein mit Händen verdecktes Gesicht über das rote Haare fielen und sich von der Tür wegdrehten.

„Scully?“ flüsterte er und beeilte sich die Tür aufzuschließen. Schnell trat er in den Flur hinaus, sie war dabei zu gehen.

„Scully?“, sagte er etwas lauter als beabsichtigt. Sie drehte sich zu ihm um, errötete leicht und versuchte zu lächeln.

Was machte sie hier? Warum war sie nicht bei ihrer Familie? Mulder spürte sein Herz schneller schlagen.

Für einen langen Moment standen sie sich einfach nur gegenüber. Doch dann ging Mulder auf sie zu, gefesselt von ihren Augen, die er den ganzen Tag noch nicht gesehen hatte. Es war Weihnachtsabend, beziehungsweise Weihnachtsmorgen und sie war zu ihm gekommen, freiwillig, von sich aus. Mulder lächelte sie an, als er vor ihr Stand. Scullys blaue Augen waren weich. Sie stand da wie gelähmt. Doch Mulder konnte nicht anders, es fühlte sich richtig an, also beugte er sich zu ihr runter und küßte sie vorsichtig auf die Lippen. Ihre Lippen waren so weich, wie der Ausdruck in ihren Augen und er spürte, wie auch sie ihre Lippen leicht auf seine presste.



Letztendlich hatte Scully aufgeregt vor Mulders Tür gestanden, doch als auf ihr Klopfen niemand reagierte, faßte sie sich im wahrsten Sinne das Wortes an den Kopf. Sie wurde unsicher, ihr Verstand drängte ihr Herz zurück, ihre Sehnsucht. Was sollte es bringen? Also wollte sie gehen. Doch Mulder hatte das Klopfen scheinbar doch gehört. Verwirrt stand er vor seiner Wohnungstür. Seine Haare zerzaust, seine Klamotten zerknittert – er mußte geschlafen haben. Als er anfing zu lächeln und auf sie zu ging, flammte ihre Sehnsucht von neuem auf, ihr Puls ging schneller. Die Worte ihrer Mutter bekamen wieder einen Sinn, seine Nähe und ihr Verlangen nach noch mehr Nähe fühlten sich mehr und mehr richtig an, Schritt um Schritt. Doch Scully konnte nicht auf ihn zu gehen. Ihre letzte Gewissheit fehlte. Erst als er vor ihr stand und sie sah, wie seine Augen, dunkler als normal, eine außergewöhnliche Intensität ausstrahlten, wurde sie sicherer. Und dann war es geschehen: Mulder hatte sich nach unten gebeugt und sie geküßt - nur ganz sanft, aber die Berührung gab ihr die nötige Sicherheit. Als er wieder von ihr ließ, hielt sie sein Gesicht mit ihren Händen fest und zog ihn wieder zu sich herunter, um ihn leidenschaftlicher zu küssen. Mulder umschlang sie mit seinen Armen unter ihren schneebedeckten Mantel, drückte sie an sich und Scully legte ihre Arme um seinen Hals. Es fühlte sich so verdammt gut an, so verdammt richtig. Der Kuß wurde wilder und leidenschaftlicher, so dass sie ihn nach einer Ewigkeit aus atem-technischen Gründen abbrechen mußten. So standen Mulder und Scully sich umarmend auf dem kalten Flur am Weihnachtsmorgen. Sie sahen sich nur in die Augen, keiner wußte genau, wie er seine Gefühle formulieren sollte. Sie lächelten sich nur an, was schon Austausch ihrer Gefühle genug war.

Doch Scully mußte etwas sagen und alles was ihr einfiel war: „Merry Christmas, Baby!“





~***~



„Mom, wo ist Dana?“, fragte Bill jr. seine Mutter. „Ich hatte sie wie jedes Jahr auf dem Sofa im Wohnzimmer erwartet, doch da ist sie nicht. Genauso wie sie nicht in ihrem Zimmer ist.“

„Sie holt noch einen Gast.“, erwiderte Mrs. Scully ruhig, doch Bill witterte die „Gefahr“.

„Doch wohl nicht etwa ...“, seine Stimme wurde mit jeder Silbe lauter.

„Und du wirst ihn wie einen Gast behandeln!“, forderte Scullys Mutter immer noch ruhig, „Deiner Schwester zu Liebe.“

Bill machte ein wütendes Gesicht. Charles betrat in diesem Augenblick die Küche und merkte sofort, er war in einem Krieg gelandet.

„Vermutlich wirst du dich wohl oder übel“, Mrs Scully sah ihn streng an, „ – wobei ich ersteres verlange – mit Fox Mulders Anwesenheit anfreunden müssen.“

Bills Gesichtsausdruck wandelte sich in pures Entsetzen, als ihm dämmerte, was seine Mutter damit andeutete. Charles stand immer noch in der Tür und fragte irritiert: „Fox Mulder?“







the end
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