World of X

Das älteste Archiv für deutsche Akte-X Fanfiction

Schleier

von Leyla Harrison

Kapitel 1

Scully war bereit hinauszugehen, mit keinem Abschied, keiner Entschuldigung, keiner Gefühlsregung.
Zuerst war ich geschockt. Dann war ich den Tränen nahe.
Ich kann es einfach nicht glauben, dass sie sich all die Jahre so fühlte, als ob sie mich zurückgehalten hätte, als ob ihre Gegenwart an meiner Seite mich nichts weiter als behindert hätte.
Ich sagte ihr die Wahrheit. Ich war ehrlicher zu ihr, als ich es jemals zuvor gewesen war.
Ich wusste, wenn ich es nicht wäre, würde sie für immer weggehen.
"So schwierig und frustrierend es auch manchmal gewesen ist, aber Ihr gottverdammter strikter Rationalismus und Ihre Wissenschaft haben gerettet - hundertmal, tausendmal . Sie haben mir die Ehrlichkeit bewahrt. Sie machten mich zu der Person, die ich bin. Ich schulde Ihnen alles, Scully, und Sie schulden mir gar nichts. Ich weiß nicht, ob ich das hier alleine tun will. Ich weiß nicht einmal , ob ich es kann.“
Ich glaube nicht, dass sie das kommen sah. Sie dachte nichteinmal in Millionen von Jahren, dass sie jemals diese herausgepurzelten Worte aus dem Mund von Fox Mulder hören würde. Niemals.
Und nun, als ich in ihre Augen sah, konnte ich behaupten, dass sie wusste, dass ich die Wahrheit sagte.
Dass ich sie brauchte. Dass ich ohne sie nicht weitermachen konnte.
Sie weinte.
Ich weiß, wie schwer das für sie sein musste.
Es gibt tausend Gründe, warum das Weinen vor den Augen Anderer schwer für Scully sein musste. Gott, ich weiß nicht einmal, ob sie es in der Einsamkeit kann. Ich weiß, dass sie nicht als schwach oder hilflos angesehen werden will. Sie möchte nicht, dass andere Leute sie als eine normale Frau sehen, die von ihren Emotionen kontrolliert wird. Sie wollte niemals, dass ich denke, sie sei für mich weniger als meine Partnerin, eine mir Ebenbürtige.
Und nun weint sie vor meinen Augen, ohne Angst, ohne Scham.
Die Welt ist nicht untergangen. Der Himmel ist nicht eingestürzt.
Ich kann mich nicht erinnern, wer die erste Bewegung machte, wer sich zuerst nach dem Trost sehnte. Wessens Arme sich zuerst um wen schlangen. Ich glaube, nichts davon ist von Bedeutung. Als ihr Kopf an meiner Brust ruhte, fühlte ich mich, als ob wir beide die einzigen Menschen auf der Welt seien, die alles verstanden.
Sie küsste mich auf die Stirn. Ich nahm ihr Gesicht in meine Hände. Und ich wusste, dass ich sie küssen würde. Sie wusste es genauso.
In gewisser Weise wusste ich, dass Scully und ich auf diesen Moment gewartet hatten, denn wir wussten das er unvermeidlich war. In diesem kurzen Moment, als ich mich näher zu ihr lehnte, konnte ich in ihren Augen sehen, dass sie dies ohne jeglichen Zweifel erkannte.
Als meine Lippen ihre streiften, für eine Sekunde, wusste ich, wie es ist den Scheißdreck zu überwinden und sich den Herz der Dinge zu widmen.
Diese verdammte Biene.
Es wäre passiert. Ich hätte sie zärtlich geküsst, weil ich nach fünf langen Jahren einfach nur achtsam mit ihr sein wollte, und vorsichtig, falls ich falsch lag und sie es nicht so sehr wollte wie ich, und falls sie darauf bestand, dass ich aufhörte.
Aber ich glaube nicht, dass sie das von mir verlangt hätte.
Tränen liefen ihr Gesicht herunter und sie kämpfte damit mir ein halbes Lächeln zu schenken, um mir zu sagen, dass es okay sei, dass sie es genauso wollte, dass es im gegenseitigen Einverständniss geschah und nicht auf meinen einseitigen Gedanken beruhte.
Das FBI steckte zwei Menschen als Partner zusammen und zwang sie, so viel Zeit miteinander zu verbringen, und das nährte das Vertrauen. Ebenso nährte es Liebe. Wenn Scully und ich uns nicht gegenseitig lieben würden, hätten wir uns bestimmt schon gegenseitig getötet, nachdem wir schon fünf Jahre zusammen sind.
Unsere Lippen hätten sich getroffen, gegeneinanderpressend, und aus einigen Momenten sanfter Erkundungen, wären suchende, neugierige, verlangende geworden. So erging es uns, wenn wir uns nicht küssen, und ich kann mir vorstellen, dass es dasselbe gewesen wäre, wenn wir es getan hätten.
"Mulder", hätte sie geflüstert, sobald sich unsere Lippen für einen kurzen Atemzug getrennt hätten. Sie hätte meinen Namen gesagt. Sie hätte sich von mir den Flur entlang führen lassen, zurück in mein Apartment. --
Ein deutliches Klopfen an meiner Tür schreckte mich aus meiner Träumerei..
"Ja?"
"Mulder, ich bin’s."
Ich stehe auf, um sie herein zulassen. 
Als ich die Tür öffne, blitzen ihre Augen ein ‘Hallo’ hervor. Ich nicke als Antwort und sie tritt herein. Kein Lächeln heute.
"Was gibt es, Scully?"
"Es tut mir leid, dass ich zu so später Stunde komme", fängt sie an, und ich zucke. 
"Sie stören mich nicht. Wollen Sie sich setzen?", frage ich sie, aber sie schüttelt nur ihren Kopf.
"Nein, danke. Ich habe mich gefragt, ob wir reden könnten."
Sie steht inmitten des Wohnzimmers, und obwohl ihr Körper ruht, bewegen sich ihre Hände. Ihre Arme hängen schlaff an ihren Seiten, aber gelegentlich reibt sie die Ballen von ihren Daumen gegen ihre Fingerspitzen. Ich halte es für ein Zeichen von Nervosität.
"Stimmt etwas nicht, Scully?"
Sie schüttelt wieder ihren Kopf. "Mulder, ich wollte darüber reden, was geschehen ist."
Ich gehe hinüber zur Couch und setze mich hin. "Ich dachte, wir haben bereits darüber geredet. Ich habe etwas gesehen, und Sie haben es nicht gesehen, jedenfalls nicht, als wir außerhalb waren, aber Sie --"
"Das meine ich nicht. Ich rede über diese Unterhaltung, die wir führten, bevor mich die Biene gestochen hat."
Oh.
Ich habe keinen Schimmer, wie ich darauf antworten soll.
Nach einem kurzen Augenblick des Schweigens schaue ich zu ihr auf. "Sind Sie sicher, dass Sie sich nicht setzen wollen?"
Sie nimmt einen tiefen Atemzug und lässt ihn wieder langsam heraus. "Ich denke, das werde ich sogar machen."
Scully setzt sich auf das gegenüberliegende Ende der Couch, die Entfernung von mir aufrecht erhaltend. Oh, nein. Ich möchte nicht, dass das passiert.
"Wissen Sie Scully, bevor Sie irgendetwas sagen, möchte ich Ihnen nur mitteilen, dass Sie sich keine Sorgen machen müssen, dass ich Sie erschrecke oder soetwas ähnliches. Als wir aus der Antarktis zurückkamen, dachte ich, dass wir, ich weiß nicht, vereint waren. Ein richtiges Team. Sie dort drüben zu sehen, lässt mich fühlen, dass dies doch nicht der Fall sein könnte."
Ein Blick von Schuld überquert ihre Gesichtszüge, aber wird augenblicklich von leichter Belustigung ersetzt. Beinahe seufze ich hörbar. Sie ist nicht umsonst rätselhaft.
"Ich sitze nicht so weit weg, weil ich Angst vor Ihnen habe, Mulder.", erklärt sie. "Ich tue das, weil ich ein wenig Angst vor mir selbst habe."
Oh. 
Oh mein.
"Und wovor haben Sie Angst?" frage ich, mit einen leicht aufziehendem Ton.
"Sehen Sie, Mulder, was hier geschah – was wir beinahe gemacht haben – es war nicht so gedacht. Wir beide waren sehr aufgebracht, sehr emotional."
"Warten Sie mal eine Sekunde. Sie wollen mir weiß machen, dass Sie nicht von mir wollten, Sie zu küssen?"
Scully schweigt.
"Wenn es das ist, was Sie erzählen, Scully, dann hasse ich es Ihnen sagen zu müssen, dass Sie lügen."
Sie neigt ihren Kopf.
Ich gehe hier ein großes Risiko ein, aber ich muss es tun. Ich muss es. "Scully, ich weiß, Sie wollten, dass ich Sie küsse. Da bin ich mir sicher. Wir haben zusammen soviel durchgemacht – und in diesen wenigen Tagen, waren wir näher, stärker – ich habe nie gedacht, dass wir als ein Team so solide sein können, und als Partner." Meine Worte verheddern sich in meinem Hals und Emotionen quellen hervor, aber ich bin nicht in der Lage, sie aufzuhalten. 
"Mulder." Ihre Stimme ist leise, besänftigend, wie schmelzende Butter auf einer Flamme.
"Scully, ich weiß verdammt nochmal nicht was es ist, das ich für Sie empfinde. Ich weiß nicht, wie ich es einordnen kann. Alles was ich weiß ist, dass ich nicht ohne Sie sein kann. Ich kann nicht. Ich kann das alles nicht alleine machen. Und Sie versprachen mir, dass ich es nicht tun muss. Sie sagten, dass wir uns nicht trennen werden."
"Ich werde Sie nicht aufgeben, Mulder." Die selbe leise Stimme.
Ich kann sie kaum hören. Ein Gefühl, das ich kaum benennen kann, übermannt mich, dessen Wellen mit höllendem Lärm in meinen Ohren donnern und rauschen wie die Brandung.
Scully rutscht auf der Couch hinüber bevor ich es bemerke und ihre Hände liegen kühl auf meinem Gesicht. Sie schaut in meine Augen, benutzt ihre Fingerspitzen auf meinen Wangen, um Tränen wegzuwischen, die ich noch nicht einmal bemerkt hatte.
Sie zieht mein Gesicht in ihre Richtung und es kommt ein Moment der Erkenntnis auf, dass wir an diesem Punkt hier schon einmal waren. Genau hier. Und nicht vor all zu langer Zeit.
Ihre Lippen sind an meiner Stirn, aber diesesmal verweilen sie da, gegen meine Haut gepresst. Als sie sich letztendlich zurückzieht und mich anschaut, bleiben unsere Blicke aneinander haften.
Diesesmal sind wir in anderen Rollen. Ich weine, und sie ist den Tränen nahe, ihre Finger an meinem Mund, mich langsam heranziehend. 
Ich möchte diesen Moment um keinen Preis verändern, und nun schließe ich die Distanz, bevor sie bemerkt, was passiert, meine Lippen gehen zu ihren herrunter und bleiben da für einige Sekunden. Dann küsse ich sie, küsse sie wirklich, nicht wie dieser dumme unterbrochene Moment auf dem Flur, und sie rückt näher zu mir, verbindet ihre Hände in meinem Haar, ihr Körper presst sich gegen meinen, und ich stöhne.
So kühl ihre Hände auch waren, ihre Lippen sind wie Feuer, die mich versengen. Ich bin kaum in der Lage meinen Mund von ihren zu reißen, um ihr Gesicht zu küssen, die Neigung ihrer Kinnlinie, die Ecken von jedem Auge, der süße Fleck Haut hinter ihrem Ohr und die Kurve ihres Halses.
Meine Hände sehnen sich danach sie zu berühren. Sie zu küssen, bewegt etwas in mir, wie von einem tiefen emotionalen Schlaf aufzuwachen und von Gefühlen erregt werden, stark und unaufhörlich.
"Mulder", murmelt sie, und ich hebe mein Gesicht von ihrem Hals und schaue runter in ihre Augen.
Ihre Augen sind klar und hell, ihre Lippen vom Kuss geschwollen und ihr Haar ist leicht zerzaust. Sie scheint die Ruhe zu verlieren und ist doch...irgendwie ruhig.
"Ich muss gehen.", sagt sie aufeinmal, steht von der Couch auf und durchquert den Raum in wenigen schnellen Schritten.
Mein Verstand dreht sich. Sie verlässt mich.
"Scully.", rufe ich schnell, sie abzufangen versuchend , bevor sie die Tür erreicht.
Meine Hände landen auf ihrer Schulter, als ihre Hand den Türknauf umfasst.
"Mulder, bitte.", sagt sie zu mir, ihre Stimme befangen, ihr Rücken mir zugewand, "bitte, lass mich gehen."
"Tu’ das nicht, Scully. Bitte nicht."
Ich bettele sie an. Ich würde auf meine Hände und Knie gehen, wenn es notwendig wäre. Ich kann sie nicht aus der Tür hinausgehen lassen, ohne dass sie mich ansieht, ohne dass sie mich berührt, ohne irgendwas. Gottverdammt.
"Ich muss gehen, Mulder." 
Sie weint, und wir beide wissen es. Ich weiß nur nicht warum. Letztes Mal weinte sie bevor ich sie küsste. Diesesmal weint sie nachdem ich sie geküsst habe. Offensichtlich würden sich Dinge deswegen verändern – nicht unbedingt zum schlimmen, aber auch nicht unbedingt zum guten. Aber es ist etwas, worüber wir reden müssen, anstatt davor wegzulaufen.
Bitte, Scully, ich bete darum, bitte drehe dich um und sprich zu mir. Bitte.
Meine Hand liegt weiterhin auf ihrer Schulter. Ihre Hand ist immernoch am Türknauf.
"Lass mich gehen, Mulder."
Ich hebe meine Hand, und sie dreht den Türknauf, öffnet die Tür, und tritt hinaus. Ohne zurück zu schauen. Die Tür schließt sich mit einem leisen Klicken und ich bin in der Eingangshalle allein gelassen worden, auf das Holz starrend und sich fragend, was um alles in der Welt gerade passiert ist.
Ich wurde allein gelassen und wünsche mir nichts sehnlicher als das sie zurückkommt.

Rezensionen