World of X

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John Doe

von Sam23

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Wie in Zeitlupe sprangen die grün leuchtenden Ziffern der Uhr um. 3.00 Uhr. Dana Scully starrte auf die Zahlen und zog die Bettdecke enger um ihren zitternden Körper. 3.00 Uhr und sie hatte immer noch keinen Schlaf gefunden. Wieder einmal nicht. Seit Wochen hatte sie nicht eine Nacht durchgeschlafen. Dabei war sie müde, so müde, wie noch niemals zuvor in ihrem Leben. Am Anfang hatte sie gegen die Kälte und die Schlaflosigkeit gekämpft, doch mittlerweile hatte sie es aufgegeben. Warme Milch, zusätzliche Decken, Schlaftabletten – nichts hatte etwas gebracht. Und Dana wusste auch warum. Die Kälte umgab nicht ihren Körper, sie umgab ihre Seele.

Dana drehte sich seufzend um und schloss die Augen. 3.00 Uhr, vor halb fünf würde sie sicher keinen Schlaf finden. Sie konnte schon Assistent Director Skinner vor sich sehen, wie er sie ansehen würde, die dunklen Ringe unter ihren Augen mustern und besorgt die Stirn runzeln würde. Er würde nichts sagen, dass tat er schon seit langem nicht mehr, aber Dana war es unangenehm, dass er sich um sie sorgte. Sie würde das schon in den Griff bekommen.

Doch noch während dieser Gedanke durch ihren Kopf trieb, wusste sie, dass sie sich etwas vormachte. Nichts würde sie in den Griff bekommen, nicht solange sie sich so schrecklich einsam und verlassen fühlte. Sie versuchte, ihre Gedanken in eine andere Richtung zu lenken, doch es war bereits zu spät. Sie sah sein Gesicht vor sich. Wie er sie anlächelte. Ihr sagte, dass er bald wieder zurück sein würde. Das sie sich keine Sorgen zu machen bräuchte. Das er schon aufpassen würde.

Das war nun fast schon drei Monate her, drei Monate, die für Dana die schrecklichsten ihres Lebens gewesen waren. Der Schlafentzug und das ewige Kältegefühl waren schlimm, doch noch schlimmer war es, morgens ins Büro zu kommen. Alles an diesem Büro erinnerte sie an den Verlust, den sie erlitten hatte.

Mulder hatte ihr einst erzählt, dass er kaum geschlafen hatte, als sie entführt worden war. Er war nächtelang auf gewesen, hatte die Sonne unter und wieder aufgehen sehen. Jetzt hatten sie die Rollen getauscht. Danas Magen krampfte sich zusammen und sie versuchte die Tränen zurückzuhalten, die ihr in die Augen schossen. Gott, sie vermisste ihn so. Mit jedem Tag mehr. Den Gedanken, dass sie ihn nie wiedersehen sollte, ertrug sie kaum. Schluchzend zog Dana die Decke über ihr Gesicht. Diese Nächte würden niemals enden . . .

Es war dunkel. Die Welt war kalt und dunkel. Vorsichtig schlug er die Augen auf. Sein Kopf dröhnte und sandte Wellen der Pein durch seinen Körper. Alles um ihn herum drehte sich und stöhnend zwang er seine Lider sich wieder zu senken. Langsam, ganz langsam, spürte er nach quälenden Minuten eine Veränderung. Seine Sinne kehrten langsam zurück. Er spürte feuchten Waldboden unter seinen Händen und die Luft roch nach Harz und Moos. Er wusste nicht, wie lange er so dagelegen hatte, als er ein weiteres Mal seine Augen öffnete.

Über ihm rauschten die Wipfel der Bäume, und er konnte nur ab und an zwischen den Ästen einen Blick auf den Sternenhimmel über sich erhaschen. Es ist Nacht, dachte er und zuckte zusammen, als er zum ersten Mal seine eigene innere Stimme hörte. Es war, als sei das der erste Gedanke, den er jemals gehabt hatte. Es ist Nacht und ich bin im Wald. Langsam setzte er sich auf. Um seinen Hals hing eine goldene Kette mit einem Kreuz, das er kurz berührte. Jetzt gab es nur noch eine Frage, auf die er eine Antwort haben wollte. Wer war er?

„Guten Morgen, Agent Scully!“ Dana runzelte die Stirn und brummelte eine Begrüßung zurück. Agent Fawkes war morgens unausstehlich – immer gut gelaunt und einen Witz auf den Lippen. Unter normalen Umständen hätte Dana den jungen, enthusiastischen Mann mit den blonden Haaren vielleicht gemocht, aber die Umstände waren nicht normal.

„Direktor Skinner will uns sehen, ich hoffe er hat einen neuen Fall für uns“, plapperte Fawkes, während er sich einen Kaffee einschenkte und auf dem Stuhl Platz nahm, auf dem normalerweise Dana gesessen hatte. Er wagte es nie, sich auf die andere Seite des Schreibtisches zu setzen und Dana war ihm dankbar dafür. Sie wollte gerade etwas erwidern, als das Telefon klingelte.

„Scully . . . ja ganz richtig, ich bin Agent Dana Scully, wieso?“ Fawkes beobachtete mit gerunzelter Stirn, wie alle Farbe aus Dana Scullys Gesicht wich und ihre Augen sich weiteten. Sekunden später hatte sie den Telefonhörer auf die Gabel geworfen und stürmte aus dem Büro. „Hey, was ist mit unserem Fall?“, rief Fawkes ihr hinterher, doch sie war bereits verschwunden.

Die Flügeltüren der Unfall-Ambulanz wurden wie unter einem Sturm aufgerissen. Ein Arzt sah kurz auf, in Erwartung eines dringenden Notfalls. Doch es waren nicht Sanitäter, die auf ihn zustürmten, sondern eine junge Frau mit roten Haaren, die gehetzt und müde aussah und gleichzeitig ziemlich aufgeregt zu sein schien. Er trat auf sie zu und ihre Blicke trafen sich.

„Kann ich Ihnen helfen?“

„Ich bin Special Agent Dana Scully vom FBI“

„Agent Scully! Schön, dass Sie da sind. Besonders meine Geldbörse freut sich darüber.“ Dana starrte den Arzt verwirrt an und er erklärte entschuldigend: „Oh, ich bin Doktor Grayson und wir hatten hier schon Wetten abgeschlossen, ob es Sie wirklich gibt.“

„Wie bitte?“

„Wie ich am Telefon schon sagte, dieser John Doe, den wir seit gestern hier haben. Er hat jede Menge komisches Zeug gebrabbelt, von Aliens und irgendwelchen Rauchenden Männern. Jedenfalls, er ist ziemlich durcheinander. Scheint auch nicht genau zu wissen, wer er eigentlich ist. Nur Ihr Name ist immer wieder gefallen. Na ja, und da dachte ich, fragen kann man ja mal, ob es beim FBI tatsächlich eine Dana Scully gibt.“

„Ich bin Ihnen sehr dankbar für den Anruf“, erwiderte Dana. Ihre Stimme zitterte ebenso wie ihre Hände. Die ganze Fahrt hierher hatte sich ein Sturm der Gefühle in ihrem Inneren entwickelt, der jetzt mit voller Stärke tobte.

Sie hoffte, oh sie hoffte so sehr, dass sie ihr Gefühl nicht trog, doch gleichzeitig hatte sie Angst davor, was passieren würde, wenn sie sich irrte. Sie wusste nicht, ob sie die Enttäuschung und den Schmerz ertragen würde. Einen Moment lang, hatte sie das Bedürfnis einfach umzukehren und zurückzugehen, so stark schüttelte sie die Angst. Dann atmete sie tief durch und ballte die Hände zu Fäusten. „Bitte, Dr. Greyson, kann ich ihn sehen?“

Das Licht im Zimmer war hell, zu hell für ihn. Es schmerzte in seinen Augen. Obwohl es draußen kalt und regnerisch war, hatte er die Fenster im Raum weit aufgerissen. Er ertrug den Krankenhausgeruch nicht. Er machte ihm Angst. Er stand am Fenster und sah hinaus. Er versuchte seit Stunden Ordnung in das Chaos hinter seiner Stirn zu bekommen, doch es gelang ihm nicht. Gedanken und Erinnerungen rasten durch sein Bewusstsein, viel zu schnell, als dass er sie greifen konnte.

Er hörte Schritte auf dem Gang vor seinem Zimmer. Schritte und Stimmen. Er zuckte leicht zusammen und drehte sich um. Er mochte die Ärzte nicht. Ein Teil von ihm begriff, dass sie ihm nur helfen wollten, doch ein anderer Teil war voll panischer Angst. Lag der Grund dafür in einer Erinnerung, die er nicht fassen konnte? Es musste wohl so sein. Die Schritte hielten an und er sah, wie sich die Türklinke senkte...

...Die Tür schwang auf und Dana hatte das Gefühl, als würde ihr jemand den Boden unter den Füßen wegziehen. Ihr Herz machte einen schmerzhaften Sprung und Tränen schossen ihr in die Augen. Der Sturm in ihrem Inneren tobte schlimmer als je zuvor, Angst, Freude und unendliche Erleichterung vermischten sich zu einem Gefühl, das Dana einer Ohnmacht nahe brachte. Ihr Körper zitterte unter der Last der tobenden Emotionen. Ein einziges Wort kam über ihre Lippen, nicht mehr als ein Flüstern. „Mulder...“

Er starrte sie an. Die einzige Erinnerung, die er aus dem Chaos in seinem Kopf herausgefischt hatte. Ein Name, ein Gesicht. Scully. Er hatte nicht gewusst, wer sie war, nur dass sie das Wichtigste in seinem Leben gewesen war. Das er sie wiedersehen musste, koste es, was es wolle. Er starrte die zitternde Frau in der Tür an. Ihre Blicke trafen sich und er konnte Tränen in ihren Augen glitzern sehen. Dann flüsterte sie einen Namen. Seinen Namen. Fox Mulder spürte, wie sich die Welt um ihn herum drehte, als die Puzzlestücke in seinem Kopf plötzlich an die richtigen Stellen fielen. Er war in Oregon gewesen. Um das Ufo zu suchen. Und dann war da dieses Licht. Er war darauf zugegangen. Da war ein Mann, er hatte auf ihn gewartet. Und dann . . . Mulder wusste es nicht. Er versuchte sich zu erinnern, aber da war nichts, absolut nichts, bis er im Wald wieder zu sich gekommen war. Er war herumgestolpert, bis er eine Straße erreicht hatte. Ein Autofahrer hatte die Polizei gerufen, die ihn hierher gebracht hatte. Die Ärzte hatten ihn nach seinem Namen gefragt und er hatte sich nicht erinnern können. Alles woran er sich erinnerte war . . . Scully. Die Welt hörte genauso plötzlich auf, sich vor seinen Augen zu drehen, wie sie begonnen hatte.

Für einen Moment schien es, als würde Mulder das Bewusstsein verlieren. Er griff sich stöhnend an den Kopf und starrte ins Nichts. Dann klärte sich sein Blick und er hob den Kopf.

„Scully?“

Dana spürte, wie ihr die Tränen über die Wangen rollten. „Mulder!“

Er machte einen vorsichtigen Schritt in ihre Richtung und diese Bewegung brach den Bann, der Dana auf der Schwelle der Tür festgehalten hatte. Mit drei hastigen Schritten war sie bei ihm und schlang wild schluchzend die Arme um seinen Körper. Sie atmete seinen Geruch ein, sog ihn in sich auf, zitternd und weinend. Sie spürte sein Herz schlagen und in ihre Tränen mischte sich ein Lachen. Er lebt. Er lebt.

Mulder hatte seine Arme um sie gelegt und so standen sie fest aneinander geklammert in der Mitte des Krankenzimmers. Dr. Greyson drehte sich um und schloss die Tür hinter sich. Er wollte das Wiedersehen der beiden nicht stören. Zeit für Erklärungen war später immer noch.

Keiner von beiden konnte sagen, wie lange sie so dagestanden hatten, einander einfach festgehalten hatten. Dana hatte die Augen geschlossen und genoss einfach nur seine Nähe, seine Wärme. Sie zitterte immer noch, doch ihre Tränen versiegten langsam.

„Scully!“

„Mulder!“

Es tat so gut, seine Stimme zu hören. Der Alptraum, in dem sie die letzten drei Monate gefangen gewesen war, war endlich zu ende. Sie hatte ihn wieder. Er war wieder bei ihr. Mulder strich ihr zart über den Rücken und flüsterte leise.

„Es tut mir so leid, es tut mir so unendlich leid.“

Dana löste sich ein Stück von ihm und sah zu ihm auf. Auch Mulder hatte geweint. Doch nun stahl sich ein Lächeln über sein blasses Gesicht. Er konnte seine Augen nicht von ihr nehmen. Er hielt Scully in den Armen. Seine Scully. Dann plötzlich veränderte sich sein Blick. Er legte seine Hände auf ihre Schultern.

„Ist alles in Ordnung? Geht es dir gut?“ Es hatte ihn nur Augenblicke gekostet, zu sehen, in welchem Zustand sie war.

Dana schloss die Augen und lehnte ihren Kopf gegen seine Brust. Sie wollte nicht reden. Sie wollte nur in seinen Armen liegen, wollte, dass dieser Augenblick nie endet. Mulder legte seine Arme wieder um sie und strich ihr zart über den Kopf.

„Ich . . . bin in Ordnung“, schniefte Dana und hob den Kopf, um ihm in die Augen zu blicken. „Jetzt bin ich wieder in Ordnung.“

Schmerz leuchtete in Mulders Augen, so deutlich, dass es Dana das Herz zusammenzog. Sie strich ihm mit der Hand sanft über die Wange und wischte eine Träne fort.

„Was ist mit Dir? Der Arzt sagte, du würdest unter Amnesie leiden.“

Mulder schüttelte den Kopf. „Ich erinnere mich wieder. An das Meiste zumindest.“ Er schloss kurz die Augen und fragte leise. „Wie lange war ich weg?“

„Drei Monate.“

Er öffnete die Augen wieder und legte seine Hände sanft auf ihre Wangen. Er sah ihr in die Augen, lange und tief und er wusste, wie sehr sie gelitten hatte, wusste es aus eigener Erfahrung.

„Es ist, als würde die Hälfte von dir fehlen..“ flüsterte er mit einem Zittern in der Stimme. Dana schluchzte laut und eine Träne rollte über ihre Wange.

„Genauso fühlt es sich an.“

Mulder beugte sich vor und küsste sie sanft auf die Stirn. Der Sturm in ihrem Inneren verstummte plötzlich bei dieser Berührung. Die aufwühlenden Gefühle waren noch da, aber sie waren weit weg. Ein neues Gefühl breitete sich in Dana aus. Vertrautheit, Friede und Liebe. Sie liebte ihn. Hatte ihn schon immer geliebt. Doch es zuzugeben – und sei es nur sich selbst gegenüber, hätte bedeutet einen Teil der Kontrolle abzugeben. Und das hatte Dana niemals zulassen können. Bis es zu spät gewesen war.

„Ich . . . ich“, stotterte sie und legte ihre Hände auf Mulders Arme. Mulder senkte den Kopf und beugte sich leicht nach vorne. Ihre Stirn berührte die seine.

„Ich hab dich so vermisst. So sehr vermisst“, flüsterte sie. Ein Ausdruck der Trauer huschte über Mulders Gesicht.

„Es tut mir so leid. So leid“, flüsterte er zurück.

Dana schüttelte sachte den Kopf. „Jetzt bist du ja wieder da.“

„Ich werde nie mehr weggehen. Versprochen.“

Sie sahen sich an. Mulder legte eine Hand in ihren Nacken und lächelte. Seine Augen leuchteten plötzlich, der Schmerz darin war fast verschwunden. Dana legte ihre Hand auf seinen Arm und drückte ihn leicht. Ihre Blicke verschmolzen und sie spürte, wie ihr Herz schneller schlug. Mulder beugte sich vor und zog sie dabei sanft an sich. Dana schloss die Augen, als sich ihre Lippen berührten. Der Kuss war unendlich sanft. Sie schlang ihre Arme um seinen Hals und spürte, wie eine Hitzewelle durch ihren Körper schoss. Sie atmete seinen Duft ein, genoss das Gefühl ihn so nahe bei sich zu haben. Ihre Lippen teilten sich und der Kuss wurde leidenschaftlicher. Vollkommen ineinander versunken, umarmten und küssten sie sich, immer und immer wieder. Sie lachten und weinten gleichzeitig und keiner von beiden konnte den anderen loslassen. Schließlich drückte Mulder ihr einen sanften Kuss auf die Stirn und sah sie ernst an.

„Ich kann mich an nichts konkretes erinnern, nur daran, dass ich mehr als einmal geglaubt habe, dich niemals wieder zu sehen. Das war das Schlimmste.“

„Ich konnte nicht schlafen“, murmelte Dana und ihr Blick ging kurz ins Leere. „Mir war ständig kalt, so kalt, wie damals in Oregon und du warst nicht da, um mich zu wärmen. Ich hatte solche Angst, Angst dich nie wieder zu sehen. Dich verloren zu haben, ohne dir jemals gesagt zu haben ...“ sie brach den Satz ab und Mulder beendete ihn leise für sie. „dass ich dich liebe.“

Dana spürte, wie eine Welle der Wärme ihren Körper überflutete. Jetzt würde ihr nie wieder kalt werden. Jetzt konnte sie nichts und niemand mehr trennen. Und alles andere würde sich finden, dachte sie, während ihre Hand unbewusst über ihren Bauch wanderte.


Ende

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