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Nightmare

von Sam23

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Mit einem dumpfen Schlag fiel die Tür ins Schloss. Dana Scully warf ihre Schlüssel achtlos auf den Tisch. Minutenlang stand sie einfach in der Mitte des Raumes und starrte ins Leere. Noch nie in ihrem Leben hatte sie sich so elend gefühlt. Sie stand einfach da und wartete darauf, dass der Schmerz in ihrem Herzen verging.

Doch das tat er nicht. Sie hatte ihn verloren. Der Alptraum, vor dem sie sich Jahre gefürchtet hatte, war Wirklichkeit geworden. Sie hatte ihn verloren. Zum hundertsten Mal fragte sie sich, warum sie ihn hatte gehen lassen, wieso sie nicht einfach mitgekommen war. Vielleicht, weil er so entschlossen geklungen hatte, vielleicht auch, weil sie nicht wollte, dass er sich unnötig Sorgen um sie machte. Und er hatte sich Sorgen gemacht, große Sorgen. Sie hatte geahnt, was kommen würde, hatte gespürt, dass dort draußen im Flur etwas endgültiges geschehen war. Sie hatte es in dem Moment gewusst, als sie ihm ihre Halskette gegeben hatte. Tränen, von denen sie nicht dachte, dass sie sie noch vergießen konnte, rollten über ihre Wangen. Dana Scully begann zu zittern. Sie fror, fror wie in dieser Nacht in Oregon, als sie zu Mulder ins Motelzimmer gegangen war. Die schmerzliche Klarheit mit der sie wusste, dass sie diesmal niemand in die Arme nehmen und sie wärmen würde, ließ sie in leises Wimmern ausbrechen. Sie hatte ihn verloren.

Sie hatte es gewusst, noch ehe Skinner es ihr gesagt hatte. Es war ein Gefühl gewesen, als ob die Hälfte von ihr gestorben wäre. Leere und Einsamkeit spiegelten sich mit brutaler Klarheit in ihrem Gesicht wieder, als sie ins Badezimmer trat und einen Schwall kaltes Wasser über ihr verweintes Gesicht laufen ließ. Über den zweiten Schock, den dieser Tag ihr beschert hatte, wollte sie gar nicht nachdenken. Schon allein deshalb nicht, weil sie wusste, dass die Freude auf das Kind nicht ausreichen würde, ihren Schmerz zu verdrängen. Quälende Fragen tobten durch ihr Bewusstsein. Warum hatte sie ihn nicht zurück gehalten und warum zum Teufel hatte sie ihm bei ihrem Abschied – denn nichts anderes war die Umarmung auf dem Flur gewesen – nicht endlich gesagt, was sie fühlte? Er hatte es bereits einmal getan und sie hatte es den Medikamenten zugeschrieben, die er damals verabreicht bekam. Sie war nicht in der Lage gewesen, die Wahrheit zu akzeptieren. Und jetzt war es zu spät. Er würde nie erfahren, wie wichtig er ihr war.

„Unsinn, ich werde dich finden, ich werde dich finden“, murmelte sie und ballte die Hände zu Fäusten. Mulder hatte sie nicht aufgegeben, als sie entführt worden war und sie würde es auch nicht tun. Doch was, wenn sie ihn niemals finden würde? Dana schüttelte den Kopf, in der Hoffnung, mit dieser Bewegung die Gedanken zu verscheuchen. Es gelang ihr nicht.

Steif und den Blick ins Nichts gerichtet, wanderte sie ins Wohnzimmer und setzte sich auf das Sofa. Sie zog eines der Sofakissen an sich und hielt es fest. Tränen strömten über ihre Wangen, während sie ihr letztes Gespräch im Geiste immer und immer wieder durchspielte.

„Ich werde nicht riskieren, Sie zu verlieren“, hatte er gesagt. Nun hatte sie ihn verloren.

„Wie konnte er nur so dumm sein und da raus gehen!“, schimpfte sie, war jedoch nicht in der Lage, den Ärger, den sie kurzzeitig empfand aufrecht zu erhalten.

„Mulder...“

Es tat weh seinen Namen auszusprechen, so weh. Danas Körper zitterte, ihr Herz schrie vor Einsamkeit und für einen Moment glaubte sie, Gott würde Mitleid mit ihr haben und sie in eine friedliche Ohnmacht führen, als die Welt vor ihren Augen verschwamm.

„Mulder“ stöhnte sie, rief immer wieder seinen Namen, als könne sie ihn damit zurückbringen. Sie schloss die Augen und presste das Kissen fest an sich. Sie wollte nur noch sterben. Ihre Welt bestand nur noch aus Schmerz und Verlust und . . .

Dana holte tief Luft. Sie stellte sich vor, er wäre bei ihr, würde sie in den Arm nehmen und trösten. Fast war ihr, als könnte sie seine Hand auf ihrer Schulter spüren und seine Stimme hören.

„Hey, Scully, alles in Ordnung?“

Sie wusste, dass er nicht wirklich da war, aber allein die Vorstellung reichte, einen Teil des Schmerzes zu ersticken. Dana lauschte dieser Stimme, die sie so liebte und hörte sie ihren Namen sagen.

„Hey, Scully.“

Ihr Körper, der von ihren Emotionen geschüttelt wurde, hörte auf so heftig zu zittern. Scully konzentrierte ihre Gedanken auf seine Gestalt, seine Stimme, seinen Geruch. Er schien ihr plötzlich so nahe zu sein, dass sie ihn fast spüren konnte. Sie wusste nicht, wie lange sie diesen Traum noch aufrecht erhalten konnte, aber sie hielt krampfhaft die Augen geschlossen, um ihn nicht zu verlieren.

Wieder war es ihr, als spürte sie eine Hand auf ihrer Schulter und sie konnte ein leises Rascheln hören, wie von einer Bettdecke, die zur Seite geschoben wurde. Durch den Schmerz meldete sich plötzlich ihr Verstand zurück. Eine Decke? Dana riss die Augen auf.

Es war dunkel, stockdunkel und ihr Sofa war verschwunden. Sie spürte, dass ihr Körper in eine Decke gehüllt war, den Pyjama, den sie trug und ...

... die Hand auf ihrer Schulter, die sie sacht rüttelte. Ein Gedanke nahm in ihrem Bewusstsein langsam Gestalt an und er war so wunderbar, dass sie ihn kaum ertrug. Als sie sprach, war ihre Stimme nur ein Flüstern.

„Mulder?“

„Ja, ich bin’s. Ich wollte Sie nicht wecken, aber Sie hatten wohl...“

Erschrocken brach Fox Mulder den Satz ab, als ihm seine Partnerin stürmisch um den Hals fiel.

„Hey“, brachte er verblüfft hervor, während er der schluchzenden und lachenden Frau in seinen Armen zart über den Kopf strich. Was war nur los mit ihr? Er hatte sie noch nie so aufgelöst gesehen.

„Alles okay, ist ja gut“, flüsterte er und schlang die Arme beschützend um ihren zitternden Körper.

Es war nur ein Traum, nur ein Traum, wiederholte Dana den Gedanken wie ein Mantra tausend Mal, oh Gott sei dank, es war nur ein Traum.

Er war hier bei ihr, sie konnte ihn atmen hören, ihn riechen, ihn spüren.

„Hey, was war denn los? Sie haben nach mir geschrieen, mir ist vor Schreck fast das Herz stehen geblieben“, sprudelte es aus ihm heraus. Scully drückte sich fest an ihn und legte ihren Kopf auf seine Brust. Sie konnte sein Herz schlagen hören.

„Ich, es war nur ein Alptraum.“

Kaum hatte sie die Worte ausgesprochen, meldete sich ihr beherrschtes Selbst zurück und sie ließ Mulder hastig los. Er musste sie jetzt sicher für eine hysterische Kuh halten. Verdammt, sie war doch sonst nicht so leicht aus der Fassung zu bringen, dachte sie, während sie von ihm wegrutschte.

Mulder griff nach ihrer Hand. „Muss ein schlimmer Alptraum gewesen sein, den Schreien nach zu urteilen.“

Dana antwortete nicht, ein Teil von ihr schämte sich für ihre Schwäche. Mulder schien ihre Schreie nicht als Schwäche zu interpretieren.

Er runzelte besorgt die Stirn. „Alles in Ordnung?“

„Ja, ich bin nur erschrocken. Tut mir Leid, Mulder, wenn ich Sie geweckt habe“, sagte sie in ihrem üblichen Alles-okay,-wirklich-Tonfall, den Mulder zu gut kannte, um zu wissen, dass sie log. Trotzdem ging er darauf ein und antwortete mit einem Grinsen.

„Kein Problem, das Fernsehprogramm hier ist sowieso lausig.“ Scully lächelte unsicher und Mulder wurde wieder ernst. „Was haben Sie denn geträumt?“

Jetzt würde er sie für hysterisch oder dumm halten, wenn sie es ihm sagte. Er würde sicher lachen. Trotzdem sprudelten die Worte nur so aus ihr heraus.

„Ich träumte, Sie seien entführt worden.“

Mulder lachte nicht. Sekundenlang geschah gar nichts und sie sahen sich nur an. Dann rutschte er ein Stück zu ihr herüber und schloss sie einfach wieder in die Arme. Dana wehrte sich nicht dagegen. Sie wusste nicht, wie lange sie einander in der Dunkelheit festgehalten hatten, ehe sie leise seine Stimme an ihrem Ohr hörte.

„Ich bin hier. Wir sind hier. Nichts kann uns passieren.“

Sie spürte wie seine Lippen ihre Wange streiften und Tränen schossen ihr in die Augen. Sie löste sich von ihm und lehnte sanft ihre Stirn gegen die seine, so wie sie es schon viele Male getan hatten, eine Geste des Vertrauens und der Freundschaft. Oder mehr? Jetzt, da die Furcht aus ihrem Herzen verschwunden war, machte sich eine neues Gefühl darin breit, ein Gefühl, vor dem sie sich lange Zeit gefürchtet hatte. Gott, ich liebe ihn, schoss es ihr durch den Kopf, ehe sie den Gedanken aufhalten konnte. Plötzlich spürte sie seine Lippen auf den ihren, ganz sanft, eine stumme Frage, die Dana endlich beantworten konnte. Sie legte eine Hand in seinen Nacken und zog ihn näher zu sich heran, während sie seinen Kuss fast schon stürmisch erwiderte, all die Liebe, die in den letzten Jahren unausgesprochen geblieben war, in diese Berührung legte.

Als sie sich nach einer scheinbaren Ewigkeit voneinander lösten, sah Mulder sie mit einem Ausdruck stummer Verblüffung an, die sich schnell in das strahlendste Lächeln verwandelte, dass sie bei ihm jemals gesehen hatte. Sie konnte seine Augen in der Dunkelheit strahlen sehen. Er fuhr ihr zart mit der Hand über die Wange und seufzte.

„Wow, das war ja leicht“, platzte es aus ihm heraus. Dana lächelte und griff nach seiner Hand.

„Wir waren ganz schön blöd, hm?“

Mulder schüttelte den Kopf. „Kannst du dich noch an unsere Unterhaltung von neulich erinnern? Über die Wahl des richtigen Weges? Ich denke, wir sind eben erst jetzt an dieser speziellen Wegkreuzung angekommen, vielleicht war dass das Ziel, auf das wir all die Jahre zugelaufen sind, ohne es zu wissen.“

„Orientierungslos herumgeirrt wäre wohl treffender“, bemerkte Dana und Mulder grinste breit.

„Na ja, dann könnte man wohl jetzt sagen, wir haben den Weg gefunden. Wenn du ihn mit mir gehen willst.“

Sie sahen sich für eine Sekunde an und brachen dann wir auf Kommando in schallendes Gelächter aus.

„Woran liegt es, dass man in solchen Situationen immer wie eine Figur aus einem Kitsch-Roman klingt?“, fragte Mulder, als er wieder zu Atem kam.

Dana kicherte. „Vielleicht, Mulder, weil wir alle tief im Grunde unseres Herzens unseren eigenen Kitsch-Roman erleben wollen.“

Er grinste breit und zog sie an sich. „Wird wohl so sein“, murmelte er, ehe sich ihre Lippen trafen und sie gemeinsam auf die Matratze sanken. Wenn das nun ein Traum ist, dachte Dana Scully, bevor sie sich vollkommen ihren Gefühlen ergab, wenn das ein Traum ist, dann möchte ich nie wieder aufwachen.

Ende

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