World of X

Das älteste Archiv für deutsche Akte-X Fanfiction

Rückblick

von Emily

1/1

Tja, da stehe ich nun.
Vor mir liegt ein toter Mann. Er ist viel zu groß für den OP-Tisch, seine Füße ragen hinten herunter. Das sind mal wieder die besten Arbeitverhältnisse!
Nervös spreche ich mit monotoner Stimme in das kleine Diktiergerät, das mir seit nunmehr 11 Jahre treue Dienste erweist.

Ich kann mich noch sehr gut an den Tag erinnern, als ich es geschenkt bekam: Mulder und ich waren mit unserem ersten Fall beschäftigt und ich sollte eigenständig eine Autopsie durchführen. Ich muss wohl kreidebleich in dem OP-Saal erschienen sein, denn Dr. Smith, der dort tätige Pathologe, sah mich amüsiert an.

Es war wohl so eine Art Ritual unter Pathologen, „Neulinge“ so ‚freundlich’ zu behandeln. Im Klartext heißt das: Ich wurde ins eiskalte Wasser geschubst. Ich durfte einen Toten alleine, ohne weitere Hilfe, auseinandernehmen. Das war alles andere als lustig. Mir ist noch zu gut vor Augen, wie ich mein gesamtes Frühstück ganze 3x wieder sah!

Ich hätte Rotz und Wasser heulen können.

Doch das nicht genug: Ich musste mich ja schließlich auch noch vor meinem Partner beweisen, dem ich kurz vorher neu zugewiesen worden war. Und der mir zu guter Letzt kein bisschen vertraute. Alles in allem war dies ein eher schlechter Start in ein ganz neues Gebiet, von dem ich vorher nie zu träumen wagte.

Jedenfalls schenkte mir Dr. Smith ein Diktiergerät. Er sagte so etwas wie: Dass es allen Neulingen so gehen würde, dass es noch Wochen, wenn nicht sogar Monate dauern würde, bis das flaue Gefühl im Magen verschwand, wenn man das Geräusch von Knochen des Brustkorbs, die unter der Zange brachen, im Ohr habe, und zu guter Letzt, dass es irgendwann wie von selbst gehen würde.



Heute, mehr als 11 Jahre später, hat sich gewiss schon eine Routine eingestellt, die ich allerdings nicht deuten kann. Es ist so eine Art Mittelding zwischen Vertrautheit aber doch wieder neu.



Ich bin nur ein paar Etagen tiefer als gewöhnlich. In dem selben Raum, wie es sonst auch meiner ist. Das einzige, was ihn von meinem Arbeitsplatz unterscheidet sind die vielen bunten Bilder, die meine Wand schmücken. Und es ist dort viel heller, da ich wunderbare große Fenster habe, durch die das Sonnenlicht scheinen kann.



Langsam setzte ich das Skalpell an und ziehe einen langen, tiefen Schnitt. Die Haut widersteht, doch muss sie sich der Schärfe der Klinge ergeben und platzt schließlich auf.

Ich muss an alte Zeiten denken, in denen ich mir hiermit mein Geld verdiente und Mulder mein Partner war. Die Zeit beim FBI war sehr aufregend und oftmals unglaublich. Ich habe dort vieles gelernt und neu entdeckt. Nicht zu vergessen sind allerdings auch traumatische und beängstigende Ereignisse, die ich lieber nicht noch mal Revue passieren lassen möchte.



Dieses Leben ist nun vorbei! Seit einem Jahr ist mein Platz hier im Memorial Hospital in der Pädiatrie. Ein Wort, das ich bis heute nicht leiden kann. Welcher Spinner ist wohl jemals auf die dumme Idee gekommen, Kindermedizin Pädiatrie zu nennen?? So etwas Wunderbares und Vollkommenes war mir bis dahin noch nicht untergekommen. Während ich in der Pathologie fast 8 Jahre nur nach der Wahrheit in Leichen suchte, habe ich nun die Aufgabe Kindern mit Grippe, Beinbrüchen und offenen Knien zu helfen.

Es ist unglaublich.

Das Gefühl ein Neugeborenes, das gerade erst wenige Stunden alt ist, im Arm zu halten, oder sich von einem Sechsjährigen erklären zu lassen, wie es zu dem Fahrradsturz kam, ist so faszinierend wie das Leben selbst.



Meinen Entschluss wieder Ärztin zu werden habe ich bisher keine Sekunde bereut.



Mit einem Knacken spaltet sich der Brustkorb unter der Säge. Ich sehe das tote Fleisch, das mit Blut getränkt ist. Ein eigenartiger, vertrauter Geruch steigt mir in die Nase. Mit gekonnten Bewegungen entnehme ich dem Patienten seine Organe.

Ich schwelge in Erinnerungen, die ich lange nicht mehr hatte. Die FBI-Zeiten waren schon schön. Ja, ich glaube sogar die Pathologie ein bisschen zu vermissen. Deswegen finde ich es sogar richtig schön, dass mich Dr. Jack Ryan gebeten hat, mir diesen Patienten einmal anzusehen. Auch wenn das alles wieder sehr gewöhnungsbedürftig ist.



„Dana?“



„Dana?“



Erschrocken drehe ich mich um.



„Jack! Ich habe gar nicht gehört, wie du hereingekommen bist.“



„Ja, das habe ich gemerkt. Wie läuft die Autopsie?“



„Oh, ich bin gerade fertig geworden. Der Patient ist an einer Lungenembolie gestorben. Die blauen Flecken auf seinem Körper, wegen denen du mich um Rat gefragt hast, sind nur gewöhnliche Hämatome, die durch die Verkrampfung des Körpers zustande kamen, als der Patient starb. Kein Grund zur Sorge.“



„Also keine Epidemie?“



„Nein.“



‚Ich muss mich besser konzentrieren!’, mahne ich mich.



„Da bin ich beruhigt. Ach ja, weswegen ich gekommen bin. Dein Mann ist oben. Er wartet in deinem Büro auf dich.“



„Danke.“



Das zu hören erleichtert mich. Ich ziehe meine Handschuhe aus, werfe sie gekonnt in den Mülleimer und ziehe den Kittel aus.

Meine Unterschrift platziere ich auf einem Blatt neben dem Beatmungsgerät, damit die Putzfrau weiß, dass dieser Raum benutzt wurde.

Dann gehe ich zügig in Richtung Ausgang. Ich merke wie Jacks Blicke an mir haften. Es ist schön zu wissen, dass man noch immer begehrenswert ist.

Auch nach einer Geburt.

Und auch wenn man schon in festen Händen ist...



„Ach, Dana?“



Ich drehe mich zu ihm um



„Danke. Deine Meinung bedeutet mir viel. Gerade jetzt in diesem Zweifelsfall.“



„Nein, Jack, ich habe zu danken. Diese Autopsie hat mich an alte Zeiten erinnert, die ich schon fast vergessen hatte.“



„Das FBI, nicht?“



„Ja, irgendwie vermisse ich es schon. Die ganzen Formalitäten, Ausweise, Agenten, Formulare und zu guter letzt die abweisende Haltung einiger Personen fehlen mir doch.“



„Trotzdem, Dana, du hast doch alles was du willst.“



„Ja, das habe ich.“



Glücklich schmunzle ich in mich hinein. Er hat recht!



„Bis dann!“



„Ja. Und danke noch mal!“



Mit schnellen Schritten verlasse ich die dunklen Gänge des Kellers, in dem die Pathologie unseres Hauses eingerichtet ist. Nein, ich bereue den Entschluss das Agentenleben aufzugeben nicht. Ganz im Gegenteil.

Mein jetziges Leben ist eine einzige Herausforderung.



Ich betätige einen Schalter, um den Fahrstuhl zu holen. Ein Signalton bestätigt meine Anforderung.



Hier im Krankenhaus arbeite ich halbtags. Das Schöne daran ist, dass ich so auch ein Leben nach der Arbeit habe.

Wenn ich um 13 Uhr meinen Heimweg antrete nehme ich meine Tochter direkt mit. Obwohl sie erst 3 Jahre alt ist, konnten wir sie in dem Kindergarten unterbringen, der sich wenige Meter vom Krankenhaus entfernt befindet. Meist hat Marie dann einen Mordshunger, wenn wir zuhause ankommen. Also muss ich dann erst mal kochen. Vor ein paar Jahren noch hätte ich nie gedacht, dass sich mein Leben mal so normalisieren könnte, dass ich mittags kochen würde. Aber man darf das alles nicht so eng sehen.



Ein weiterer Signalton ertönt, und die Türen des Fahrstuhls öffnen sich. Ich gehe zwei Schritte hinein und drücke die Taste, die für den 8. Stock bestimmt ist. Nach einigen Sekunden schließen die Türen und der Aufzug setzt sich in Bewegung.



In den vergangenen 4 Jahren ist so wahnsinnig viel passiert, dass ich Romane darüber schreiben könnte!



Die größte Überraschung, die mir widerfuhr, war, dass man mir mitteilte, dass ich schwanger sei. Von diesem Zeitpunkt an ging eigentlich alles sehr schnell. Der Vater des Kindes, der gleichzeitig auch mein Partner beim FBI war, war verschwunden. Somit konnte ich ihm nicht die wunderbare Neuigkeit mitteilen, dass wir in Kürze eine Familie seien würden.

Mit diesem Gedanken überkam mich auch eine Riesenangst. Was, wenn der Mann, den ich liebte nie wieder auftauchen würde? Was, wenn ich unser Baby alleine aufziehen müsste?



Meine Beziehung zu Mulder war zu diesem Zeitpunkt so komplex, dass es schwer ist, sie zu beschreiben. Im großen und ganzen ging es darum, dass wir einander mehr als alles andere auf dieser Welt liebten, uns diese Liebe aber nicht eingestehen konnten, weil wir Angst hatten, dass dadurch unser gegenseitiges Vertrauen zerstört, oder unsere Freundschaft vorbei sein könnte. Dass wir beim FBI arbeiteten und uns ständig in Lebensgefahr befanden machte die Situation nicht leichter.



Doch ich war ja jetzt nun einmal schwanger. Und diese Tatsache hat mich wachgerüttelt. Ich war bereit, diesen Abschnitt meines Lebens zu beenden und mich auf etwas „Neues“, eine Familie, einzulassen. Gezwungenermaßen...



Im 8. Stock gehen die Türen auf und ich gehe den langen Gang in Richtung meines Büros mit zügigen Schritten. Ich kann es kaum noch erwarten meine beiden Schätze in den Arm zu nehmen.



Schließlich entschloss ich mich beim FBI zu kündigen, weil ich glaubte, dass das das Beste für mich sei. Immerhin war ich schwanger, was für mich das achte Weltwunder war!

Etwa im 7. Monat der Schwangerschaft war ‚meine’ Familie dann endlich wieder vereint. Ein neuntes Weltwunder war geschehen!



Wenn man mich jetzt fragen würde, ob ich glücklich sei, ich würde ‚JA!’ sagen. Bedingungslos 'Ja!'! Ich habe alles, was ich zum Glücklichsein brauche. Einen Mann, der mich über alles liebt, und den ich ebenfalls abgrundtief vergöttere. Ein Kind, das von uns beiden bestimmt total verwöhnt wird. Und nicht zu vergessen ein Leben, in dem man seine Zuneigung füreinander nicht verheimlichen muss. Ein Leben ohne Angst vor Verschwörungen, Entführungen und dem mysteriösem Verschwinden von Agenten. Ja, mein Leben ist perfekt.



Leise öffne ich die Tür zu meinem Büro. An meinen Schreibtisch gelehnt entdecke ich sie. Marie sitzt auf dem Boden und spielt mit meinem Stethoskop. Ein Lächeln kann und will ich nicht mehr unterdrücken. Ich gehe auf beide zu und begrüße erst Marie und dann mein Ein und Alles. Wie immer ist er korrekt gekleidet. Denn auch im Innendienst muss man sich beim FBI an die Kleiderordnung halten... .



Ich lehne mich ganz nah an ihn und küsse ihn kurz auf den Mund.



„Na, mein Rodeoreiter!“, flüstert er mir in mein Ohr. Diesen Kosenamen habe ich seit letzter Nacht. Ein weiteres Grinsen kann ich mir erst recht nicht verkneifen und küsse ihn wieder auf den Mund. Doch der kurze Kuss wird immer länger und intensiver. Seine Hände wandern über meinen Rücken und ziehen mich noch näher zu ihm.



„Mulder, nicht hier..“, kann ich zwischenzeitlich nur flüstern.



„Ich weiß“, bekomme ich als Antwort.



Er hebt Marie auf seinen Arm. Ich bekomme die andere Hand. Unsere Finger verschränken sich ineinander.



„Na, Marie. Hast du Hunger?“



„Ja, hab ich Daddy!“



„Na dann müssen wir uns aber beeilen.“



Ich bekomme einen weiteren Kuss, und wir drei verlassen mein Büro.


Es war ein harter Tag heute. Ich habe über viele Dinge nachgedacht, die mir eigentlich gar nicht bewusst waren. Vielleicht fehlt mir das FBI ja doch. Zumindest war es eine tolle Zeit. Sie war zwar mit vielen unangenehmen Dingen, Verlusten, Trauer und Schmerz verbunden, aber letztlich hat sie mich zu meinem Glück geführt. Denn nur durch das FBI habe ich das Beste gefunden, dass das Leben mir bieten kann:

Meine zweite Hälfte: Mulder!




Ende
Rezensionen