World of X

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Allein sein

von XFilerN

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Nachdenklich kehrte Doggett in das Kellerbüro zurück und schloss die Tür hinter sich. Er sah nicht einmal hin, als er gedankenversunken seinen Mantel aufhängte und ohne Umschweife zu seinem Schreibtisch hinüber ging. Sich den Nacken reibend ließ er sich in dem Drehstuhl nieder und schaltete den Computer an.
  

Es war an der Zeit den Bericht über den voran gegangenen Fall zu schreiben. Deputy Director Kersh würde nicht gefallen, was darin stehen würde, aber er konnte nicht leugnen, was er gesehen hatte. Auch wenn sein Blick getrübt gewesen war, so hatte er gesehen, wie sich diese Kreatur in einen Menschen verwandelt, nachdem sein Herz stehen geblieben und auch die letzte Luft aus seinen Lungen gewichen war.
  

Auch Stunden später kam es Doggett noch so vor, als hätte er die Hauptrolle in einem dieser Computerspiele gehabt. Eines von denen, indem es ums nackte Überleben geht, während man gegen Mutanten aller Art und schief gelaufene Genexperimente kämpft. Nichts anderes schien dieser Fall gewesen zu sein. Resident Evil hieß das Spiel und er selbst hatte die Rolle des Chris eingenommen und war zu seinem Glück als Sieger hervorgegangen.
  

Dass Kersh ihm ausgerechnet bei einem Fall wie diesem, einen Grünschnabel wie Harrison zur Seite gestellt hatte, war pure Berechnung. Hatte Kersh etwa die Hoffnung gehabt, dass er diesen Fall nicht lebend hinter sich bringen würde? Hatte er geglaubt, dass es einem Exmarine nicht gelingen würde diesen Fall zu überleben? Doggett schüttelte unmerklich den Kopf und legte seine Finger auf die Tastatur. Es dauerte einige Momente bis er schließlich anfing seinen Bericht zu tippen.
  

Noch während er die ersten Zeilen schrieb, schweiften seine Gedanken wieder ab, zurück an den Morgen, an dem Scully ihm den Apollo Anhänger schenkte und ihm von seiner Bedeutung erzählt hatte. Er musste lächeln, als er all das wieder bildlich vor Augen hatte.
  

Sieben Monate hatte ihre Partnerschaft angedauert, nicht annähernd lange genug. Sie fehlte ihm, das tat sie wirklich. Nicht weil sie eine wundervolle Frau war, intelligent und unabhängig. Nicht weil Dana Scully nach langer Zeit, der erste Partner gewesen war, dem er bereit war blind zu vertrauen. Sie war eine einmalige Persönlichkeit und bildschön noch dazu.
  

Als sie ihn umarmt hatte, um ihm dafür zu danken, dass er sie durch diese schwere Zeit auf der Suche nach Mulder unterstützt und ihr beigestanden hatte, da war es ihm aufgegangen. Von diesem Moment an war Doggett sich darüber im Klaren gewesen, dass nun er - er ganz allein über die X-Akten verfügen würde und allein zusehen musste, wie er damit zurechtkommen würde.
  

Er hatte nicht für Mulder darauf bestanden, diese Akten weiterhin bearbeiten zu können, dieser Mann war ihm von der ersten Begegnung an nicht sympathisch gewesen. Auch hatte Doggett es nicht getan, weil Kersh erwartet hatte, dass er aufgeben würde. Oder erwartete dieser genau das, was er jetzt getan hatte? Schließlich hatte Doggett die X-Akten übernommen, die es einem unmöglich machen, jemals ein Büro in der Chefetage zu haben. Er hatte es für Scully getan.
  

Ihr schien immer sehr viel daran gelegen zu haben, was die Zukunft dieser ungewöhnlichen Fälle anging, dass er für sie bereit war seine Karriere aufs Spiel zu setzen. Er hatte sich selbst schachmatt gesetzt, ohne wirklich darüber nachgedacht zu haben. Die Konsequenz, die daraus hervorging, hatte er zu diesem Zeitpunkt nicht absehen können. Er hatte nicht damit gerechnet, dass Agent Scully dieses muffige kleine Kellerbüro womöglich nie wieder betreten würde.
  

Doch ihr Abschied hatte ihm genau dies signalisiert. Es war ein Abschied für immer gewesen und Doggett fühlte sich außerstande irgendetwas zu tun, um sie zurück zu holen. Vielleicht gab es die eine oder andere Möglichkeit, aber was würde es für Scully bedeuten, würde sie zurückkommen? Sie würde ihr Kind nicht aufwachsen sehen, wäre nicht in der Lage all das an der Entwicklung ihres Kindes mitzuerleben, was er selbst in Bezug auf Luke verpasst hatte.
  

Die ersten Zähne, das erste Krabbeln, die ersten Worte waren Dinge, die man nicht verpassen sollte. Besonders, so dachte Doggett inzwischen darüber, sollte man niemals freiwillig darauf verzichten. Schließlich kann man nie vorher sagen, was geschieht - so war es bei Luke und ihm gewesen. Jetzt bedauerte er, dass er all diese Augenblicke niemals mit Luke erlebt hatte. Er hatte viele Stunden mit der Arbeit verbracht, anstatt diese Zeit mit seinem Sohn zu verbringen.
  

Sieben Jahre hatte Luke nur gelebt und Doggett hatte alle wichtigen, für seinen Sohn entscheidenden Augenblicke in dessen jungem Leben verpasst. Sie waren unwiederbringlich fort - Vergangenheit, für immer. Scully sollte nicht auch irgendwann zurückschauen und bedauern müssen, dass sie all dies nicht miterlebt hatte. Was das anging, so freute er sich für sie über die bevorstehende Zeit.
  

Scully hatte es, weiß Gott, verdient, mehr als irgendjemand sonst, den er kannte und das konnte er nach nur sieben Monaten sagen. Er gönnte es ihr und doch ließ ihm diese leise Stimme in seinem Kopf keine Ruhe, die immer lauter zu werden schien, und ihm sagte, dass er wieder allein war.
  

Agent Harrison war so ganz anders als Scully. Zwar kannte sie die X-Akten in- und auswendig, wie sie so schön gesagt hatte, aber ihr fehlte eindeutig die nötige Objektivität, die Erfahrung und die Ruhe, um derartige Fälle zu bearbeiten. Ihre Euphorie mit der sie an den Fall heran gegangen war, war Doggett keine große Hilfe gewesen, auch wenn sie ohne Zweifel eine liebenswerte Frau zu sein schien.
  

Er brauchte einen Partner wie Scully, jemand der Ahnung von derartigen Fällen hat und das nicht nur in der Theorie, jemand der nicht vergisst, die Waffe zu entsichern und mit zitternden Händen nervös das Metall umklammert. Und dabei war Vertrauen und Sympathie ebenso wichtig, wie alles andere. Die einzige Person, die Doggett einfiel, außer Scully - die Person, mit der er seiner Ansicht nach ebenso gut auskommen würde, war sein direkter Vorgesetzter, Assistant Director Skinner, doch dies war nicht dessen Job.
  

Doggett schob seine Gedanken beiseite und konzentrierte sich wieder auf den Bericht, den er in knapp einer Stunde an Kersh abliefern musste. Er wusste, dass er auf diese Weise nicht vorankommen würde und es ihm auch kein Stück weiterhelfen würde, wenn er weiter über seine Entscheidung, seine Partner oder die Bedeutung des Alleinseins nachdenken würde.
  

X X X X X X X X
  

Schon als er aus seinem Jeep stieg, konnte er das Klingeln seines Telefons hören. Er beeilte sich den Wagen abzuschließen, öffnete die Haustür und ging geradewegs auf das Telefon zu, bevor der Anrufer wieder auflegen würde.
  

„John Doggett“, meldete er sich leicht außer Atem.
  

„Ich bin es.“
  

Den Hörer zwischen Ohr und Schulter geklemmt schloss er die Haustür, während er antwortete. „Agent Scully, ist alles in Ordnung?“ Die Tatsache, dass sie ihn anrief, ließ ihn unruhig werden. Er hoffte, dass alles okay bei ihr war, schließlich hatte das Krankenhaus einfach verlassen, nachdem Mulder und sie zu Harrison ins Zimmer gegangen waren, ohne sich zu verabschieden.
  

„Sicher, mir geht es gut“, entgegnete sie. „Ich wollte Sie das selbe fragen. Es hat mich etwas verwundert, dass Sie einfach gegangen sind.“ Ihre Stimme klang leicht besorgt und als er nicht gleich antwortete, fuhr sie fort. „Agent Harrison hat uns erzählt, was alles passiert ist, bevor Mulder zu Ihnen beiden gekommen war. Geht es Ihnen gut?“
  

Doggett ging zu seiner Couch hinüber und setzte sich. „Mir geht es gut, jetzt da ich mein Sehvermögen vollständig wieder habe und endlich zuhause bin.“
  

„Harrison erzählte mir, was für ein ausgezeichneter Schütze Sie sind und dass Sie sehr geduldig mit ihr waren.“
  

Doggett musste lächeln. „Ja - geduldig... Ihr fehlt noch sehr viel Erfahrung, aber ich denke, wir kamen ganz gut zurecht.“ Er räusperte sich und fuhr fort, noch ehe Scully etwas darauf erwidern konnte. „Sie ist völlig begeistert von Ihnen, Mulder und den X-Akten. Ein wahrer Fan des Mysteriösen, eine Gläubige. Sie wäre perfekt, um...“ Schnell hielt er inne, als ihm bewusst wurde, was er eben im Begriff war auszusprechen, nämlich um Scully zu ersetzen.
  

War sie das denn? Vielleicht, wenn sie die nötige Routine und Erfahrung hätte - aber jetzt noch nicht. Allein an Kersh würde sie zerbrechen, der es sicherlich niemandem leicht macht, die X-Akten zu bearbeiten. Sein einziges Ziel besteht darin, die Akten für immer zu schließen und wegzusperren. Doggett atmete tief ein und aus.
  

„...um mich zu ersetzen?“, beendete Scully den Satz nach einer Zeit des Schweigens.
  

„In der Theorie ja, nicht praktisch. Das kann meiner Ansicht nach aber niemand. Sie sind eine ausgezeichnete Agentin - unersetzlich.“ Die Worte waren einfach so über seine Lippen gekommen, ohne dass er es hätte beeinflussen können. „Was ich damit sagen will ist, dass...“
  

„Sie müssen es mir nicht erklären, Agent Doggett. Ich habe selten ein so schönes Kompliment bekommen. Danke.“ Er konnte hören, dass ihre Stimme zitterte - so als hätte sie vor Rührung Tränen in den Augen und müsste diese Worte mit Mühe hervor bringen. Erneut musste Doggett lächeln.
  

„Sie werden nicht zurückkommen, nicht wahr?“, fragte er nach einem Moment und konnte deutlich hören, wie sie auf der anderen Seite der Leitung schluckte.
  

„Ich weiß es ehrlich gesagt nicht, Agent Doggett. - Mir fehlt meine Arbeit jetzt schon, aber ich kann nicht beides haben.“ Sie schwieg einen kleinen Augenblick, bevor sie weiter sprach. „Dieses Baby ist seit einigen Jahren mein sehnlichster Wunsch gewesen und jetzt...“
  

„Es war dumm von mir, überhaupt zu fragen. Ich wollte nicht... Es steht Ihnen natürlich vollkommen frei, was Sie aus Ihrer Zukunft machen und ich könnte es sehr gut verstehen, wenn Sie künftig einen großen Bogen um das FBI machen. Sie haben diese Auszeit verdient.“
  

„Danke. - Doggett, das muss ja nicht heißen, dass Sie mir nicht gelegentlich Bericht erstatten können. Es wäre schön, wenn ich hin und wieder erfahren könnte, woran Sie arbeiten und ich stehe Ihnen gerne jederzeit zur Verfügung, wenn Sie Fragen haben... ganz gleich in welcher Hinsicht.“ Ihre Stimme klang ehrlich und geradezu einladend, nur wie genau hatte sie den letzten Satz gemeint?
  

„Wir bleiben also in Kontakt?“, fragte Doggett, sich vergewissernd, dass er sie eben richtig verstanden hatte.
  

„Selbstverständlich, so einfach werden Sie mich nicht los.“ Er konnte eindeutig ein leises Lachen von der anderen Seite der Leitung hören, das diese Aussage begleitete und lachte ebenfalls ein wenig.
  

„Sie werden diesen Satz irgendwann bereuen, wenn ich Sie zum x-ten Mal anrufe, und Sie um Rat bitte, Agent Scully“, entgegnete er scherzhaft.
  

„Das werden wir ja sehen“, sagte sie. „Allerdings stehe ich Ihnen nur unter einer Bedingung jederzeit als Ratgeber zur Seite.“
  

„Die da wäre?“, wollte Doggett wissen und runzelte dabei die Stirn.
  

„Da wir jetzt auf einer privaten Ebene miteinander kommunizieren, halte ich diese förmliche Anrede für überflüssig. Es wäre schön, wenn Sie mich Dana nennen.“
  

„Einverstanden, Dana.“ Abermals zauberte sich ein Lächeln auf sein Gesicht.
  

„Also, dann freue ich mich schon auf die Berichte, John.“
  

Es hörte sich gut an, von ihr beim Vornamen genannt zu werden. Und auch wenn es nicht viel war, so fühlte er sich durch diesen kleinen Schritt wieder etwas mehr mit ihr verbunden und hatte nicht mehr das Gefühl allein zu sein. Sie verabschiedeten sich von einander, nur dass Doggett diesmal mit Bestimmtheit wusste, dass er immer wieder auf ihre Erfahrung, auf sie - seine Partnerin zurück würde greifen können. Es war ein gutes Gefühl, ein Gefühl, das ihn an diesem Abend ungemein beruhigte. Er war nicht mehr allein, nicht wirklich.
  

Ende

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