World of X

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Begegnung der Außergewöhnlichen Art

von Steffi Raatz

Kapitel 1

Es war endlich so weit. Seit Jahren hatte ich davon geträumt meine Verwandtschaft in den USA zu besuchen und nun saß ich in einem Zug zwischen New York und Washington DC. Mein Flugzeug war in New York gelandet, da die Wetterbedingungen keinen Weiterflug zuließen und da alle Flüge an diesem Tag wegen Schneetreibens abgesagt worden waren, hatte ich mich kurzerhand dazu entschlossen per Zug nach Washington zu fahren. Es war vielleicht nicht die schnellste Möglichkeit, aber besser so, als dass ich Stunden in einer kalten Wartehalle am New Yorker Flughafen verbringen musste.

Ich entwirrte ein Buch aus meiner Reisetasche und begann zu lesen. Eigentlich war es sogar wesentlich entspannender mit der Bahn zu reisen, sofern man so wie ich bereits seinen Sitzplatz hatte und bequem saß.

Während eine Menge Leute noch ihre Plätze suchten und aufgescheucht in den Gängen umherliefen, lehnte ich mich genüsslich zurück.

"Ist dieser Platz noch frei?" Eine angenehme männliche Stimme ließ mich von meinem Buch aufsehen.

Ich räumte meine Reisetasche beiseite und machte meinem neuen Platznachbarn den Sitz frei.

Er war ein stattlicher Mann, Mitte 30 schätzte ich, sehr groß und mit markanten Gesichtszügen. Seine angenehme Stimme nicht zu vergessen.

Ich betrachtete ihn nur kurz, dann widmete ich mich wieder meinem Buch.

Lange jedoch konnte ich mich nicht auf die Zeilen konzentrieren und begann die Seiten wahllos zu durchblättern.

"Langeweile?" Er lächelte mich an. Ich glaube, es war das umwerfendste Lächeln, das ich je bei einem Mann gesehen hatte. Ich lächelte zurück.

"Wohin fahren Sie?" Ich fand mich überhaupt nicht neugierig - vielleicht reichlich wissensdurstig, aber nicht neugierig.

"Washington DC", antwortete er bereitwillig und starrte an mir vorbei aus dem Fenster.

"Sie reisen allein?" Welche mörderisch gute Frage! Sah ich denn nicht, dass er allein neben mir saß?

Ich grinste ihn schief an und widmete mich verlegen wieder der Aussicht aus dem Fenster.

"Und Sie?"

Ich lachte. Nein, wirklich komisch. Er versuchte mir aus dieser blöden Situation raus zu helfen.

Er lachte mit.

Der Schaffner kam, um die Fahrscheine zu kontrollieren und ich betrachtete meinen Sitznachbarn bei dieser Gelegenheit noch einmal genauer.

Sein schwarzer Anzug war zerknittert, sein schwarzer Mantel ebenfalls. Er hatte ihn nicht ausgezogen, obwohl die Fahrt wohl noch eine ganze Weile dauern würde. Er wirkte einerseits entspannt, andererseits aber auch auf eine eigenartige Weise rastlos. Vielleicht war er Vertreter oder Manager? Nein, eigentlich sah er dazu zu ungepflegt aus. Nicht, dass er wirklich ungepflegt aussah, nein, es war der Anzug. Der Anzug mit den Knitterfalten passte nicht dazu.

"Ihren Fahrschein, Miss!", drängte der Schaffner und ich überreichte meine Karte.

"Ebenfalls Washington DC?" Er sah mich fragend an.

Ich zuckte mit den Schultern: "Verwandtschaft besuchen."

Er nickte.

Meine Güte, was führten wir eine regsame Unterhaltung.

Ich klappte mein Buch wieder auf und starrte auf die Buchstabenreihen, die verschwommen vor meinen Augen zu tanzen begannen. Vielleicht war ich ja doch ein wenig müde nach dem Flug. Der Jetlag war schließlich auch nicht zu unterschätzen.

"Sie kommen aus Europa?"

Ich blickte ihn erstaunt an. Hatte er das an meinem Akzent erkannt? Mein Buch? Nein, dass war englisch...

"Deutschland."

"Mh, da müssen Sie ja ganz schön müde sein!"

Mein Blick blieb erstaunt. Wie hatte er das jetzt erraten?

"Können Sie hellsehen?", lächelte ich.

"Na ja, nicht ganz!"

Wow, wir schafften es tatsächlich uns etwas länger zu unterhalten. Man sollte es nicht für möglich halten!

"Warum fliegen Sie nicht?"

"Schneetreiben. In New York ging nichts mehr!"

Ich klappte das Buch wieder zu und überlegte, wie lange diese Unterhaltung noch andauern würde und ob es sich lohnen würde, das Buch zur Seite zu legen oder nicht.

"Ich fahre nach Hause!" Sein Blick weilte auf dem Vordersitz.

"So? Waren Sie geschäftlich unterwegs?"

Er lachte. Ich war verwirrt. Wieso lachte er?

"Urlaub... sozusagen Zwangsurlaub!"

"Oh." Ich blickte ihn fragend an.

"Ich arbeite für die Bundesbehörde."

"Beamter?" Ich konnte mir nicht verkneifen, einen Vergleich mit unseren deutschen Beamten zu machen.

"Bitte?"

Ich erklärte den Begriff Beamter in beschönigenden Worten und hoffte, er würde mir glauben, was ich da erzählte.

"Nein, nein, Außenmitarbeiter sozusagen."

Alle Klarheiten beseitigt! Ich wusste nun gar nicht mehr, was er eigentlich darstellen wollte.

"Und Sie?"

Ich holte tief Luft, war ich dazu gewillt, einem Wildfremden etwas über mich zu erzählen?

Na gut, er hatte mir ja schließlich auch etwas von sich erzählt. Kneifen galt also nicht.

Obwohl... eigentlich wusste ich ja nicht was er tat.

"Ich arbeite mit Computern." Tja, dann hielt ich mal auch schön vage.

"Computer? Interessant!"

Ich wusste sofort, dass es ihn nicht sehr interessierte. Seine Miene, seine verspannte Haltung. Mir war klar, dass er mich langweilig finden musste.

Aber wieso wurmte mich das so? War er denn etwas Besonderes? Er war auch nur ein "amerikanischer Beamter".

Ich klappte demonstrativ mein Buch erneut auf und starrte auf die Seiten, auf denen ich vor lauter Müdigkeit sowieso nichts mehr erkannte.

"Wie heißen Sie?"

Ich blickte wieder auf.

Jetzt wurde er aber reichlich persönlich.

"Valerie Hausmann."

"Nett Sie kennen zu lernen!" Er sah mich wieder mit diesem unverschämt gut aussehenden Lächeln an.

"Und Sie?" Was er konnte, konnte ich doch schon lange.

"Fox William Mulder."

"Fox?" In meinen Augen spiegelte sich wohl ein Anflug von Amüsement wider.

Na ja, wer nannte sein Kind denn auch Fox oder vielmehr Fuchs?

Er fand es gar nicht komisch. Nun ja, ich konnte es ihm ja auch nicht verdenken. Hätte jemand über meinen Namen gespottet, wäre ich auch auf hundertachtzig gewesen.

"Tut mir leid, ich wollte mich nicht lustig machen, aber der Name ist recht außergewöhnlich!" plapperte ich drauf los und wollte mir anschließend gleich wieder auf die Zunge beißen. Was hatte mich nur zu diesem Redeschwall animiert?

"Schon gut!" Eine seiner typisch knappen Antworten.

Langsam begriff ich, dass das zu diesem Mann gehörte.

"Was sagt denn Ihre Frau dazu, dass Sie alleine reisen?", trat ich gleich ins nächste Fettnäpfchen.

Ich spürte das angespannte Zucken seiner Gesichtsmuskeln. Irgendwas schien ihm an dieser Frage zu stören.

"Ich habe keine Frau. Und Sie? Verheiratet?"

Ich hatte das Gefühl in einen hysterischen Lachanfall zu fallen, hatte ich doch vor meiner deutschen Verwandtschaft Reißaus genommen, da meine Hochzeit geplatzt war.

"Nein, ich bin knapp entkommen."

Ich spürte den Kloß in meinem Hals größer werden. Hoffentlich würde er nicht weiterfragen.

"Wieso knapp entkommen?"

Jetzt wurde er aber neugierig. Nein, ich hatte mich wissensdurstig genannte, also war er es auch. Was sollte er auch schon auf meine blöde Antwort entgegnen?

"Ich stand schon vor dem Traualtar, aber die Hochzeit ist geplatzt." Ich lächelte gequält, vielleicht dachte er ja, dass ich gekniffen hatte.

"Tat es sehr weh?"

Gott, langsam begann ich diesen Mann zu hassen. Wie konnte er das nur immer wieder erraten?

"Er hat mich vorm Traualtar sitzen lassen. Ja, es tat verdammt weh!"

Mit einem wütenden Grummeln im Bauch begann ich wieder auf mein Buch zu starren. Vielleicht hätte ich ihm ja nicht gestatten sollen, sich neben mich zu setzen? Nein, eigentlich gefiel mir die Unterhaltung, so komisch das auch war.

Als ich vorsichtig von meinem Buch in seine Richtung schielte, registrierte ich, dass auch er sich irgendeiner Zeitschrift gewidmet hatte.

"Einsamer Schütze" - war der Mann Jäger? Ich versuchte einen Blick in die Zeitung zu werfen und starrte mit einem Mal in das Gesicht meines Sitznachbarn.

Ich warf ihm ein verlegenes Grinsen zu und rutschte in meinem Sitz tiefer, mein Buch ein Stück höher haltend, damit er mich nicht mehr direkt ansehen konnte.

Gut, okay, ich war wahnsinnig neugierig. Das hatte nichts mehr mit Wissensdurst zu tun.

Ich spürte, wie er mein Buch mit einer Hand nach unten drückte, damit er mich ansehen konnte.

Ich grinste ihn weiterhin verlegen an und hoffte, dass dieses Grinsen irgendwann hoffentlich noch mal aus meinem Gesicht verschwinden würde.

"Sie sind gar nicht neugierig, oder?"

Er wirkte amüsiert - tatsächlich amüsiert. Vielleicht war es ja doch nicht so peinlich gewesen?

Mit einem gekonnten Griff, entzog er mir das Buch und steckte stattdessen seine Zeitschrift an diesen Platz.

Das Grinsen mochte mein Gesicht immer noch nicht verlassen. Oh doch, es war peinlich!

Er legte mein Buch zur Seite und betrachtete mich abwartend.

Nun gut, ich hatte die Zeitschrift jetzt in der Hand. Warum sollte ich sie nicht lesen? Weil es peinlich war, dass ich es provoziert hatte? Oder weil er sich königlich darüber amüsierte, wie neugierig ich doch war?

Ich entschloss mich für beide Varianten und trotzdem begann ich zu lesen.

Ich hatte bestimmt erst 5 Minuten gelesen - hauptsächlich die Überschriften, da blickte ich von seiner Zeitung auf und sah ihn verwirrt an.

"Verschwörungstheorien, Alienforschung, Körpersynthese?"

Mit rasender Geschwindigkeit drückte ich ihm die Zeitschrift wieder in die Hände. Ich sah vermutlich aus, als hätte ich mir die Hände daran verbrannt.

"Nicht interessant?"

Oh, wie konnte er das fragen? Natürlich war es interessant! Mehr als das sogar, aber hätte ich es jemals offen zugegeben?

"Nettes Hobby!", blieb mein einziger Kommentar.

"Beruf."

Skeptisch sah ich ihn an.

Ein Geister jagender Beamter?

Psychopath?

Was war der Mann neben mir wirklich?

"Äh...ja!"

Ich schnappte mir mein Buch, stopfte es in meine Reisetasche und stand auf.

Besser ich verließ diesen Platz und diesen Irren.

In Windeseile war ich an ihm vorbei und auf dem Gang.

Ganze drei Sitzreihen weiter kam ich. Dann stockte ich.

Wieso hielt ich ihn für einen Irren? Mh, einen sehr gut aussehenden Irren, wie ich zugeben musste.

Wenige Sekunden später stand ich wieder im Gang neben ihm und blickte ihn fragend an:

"Erklären Sie mir das mit Ihrem Beruf genauer."

Er nickte und ließ mich wieder zurück auf meinen Sitzplatz.

"Wissen Sie, ich bin beim FBI..."

Oh je, was hatte ich mir da eingebrockt? Ich fühlte mich auf einmal sehr unwohl auf meinem Platz.

"Beim FBI? So, so..."

"Keine Sorge, ich habe Urlaub, wissen Sie doch!" versuchte er mich zu beruhigen.

Ich lächelte ihn unangenehm ertappt an.

Ja, ich wusste das, trotzdem konnte ich mich irgendwie nicht entspannen.

"Ich bearbeite außergewöhnliche Fälle. Fälle, deren Ursprung oder dessen Grundlage die Wissenschaft nicht erklären kann", erzählte er weiter.

Ich fing an, Interesse zu entwickeln.

Als ob ich nicht schon vorher interessiert gewesen wäre. Nun ja, vielleicht nicht so offen interessiert. Okay, ich gebe zu, ich traute mich vorher nicht, mein Interesse zu zeigen.

Sein Redeschwall, von kurzen Fragen meinerseits unterbrochen, erstreckte sich auf die nächste Stunde, in der ich ihm fasziniert über seine Arbeit und seine abenteuerlichen Fälle zuhörte.

Ihm schien viel an seinem Beruf zu liegen.

Und zum ersten Mal hörte ich ihn nicht diese kurzen knappen Antworten geben.

Zwischendurch legte er seinen Mantel ab und verstaute ihn im Gepäcknetz über uns. Er schien sich sichtlich zu entspannen.

Nachdem sein Redeschwall geendet hatte sah er mich neugierig an.

Vermutlich wollte er jetzt auch mehr von mir hören.

"Wollen Sie wirklich wissen, was ich langweiliges mache?"

"Sicher, Sie haben sich ja auch meine langweilige Geschichte angehört!" Er grinste.

"Langweilig nenne ich allerdings was anderes!", erwiderte ich, sah mich allerdings genötigt, jetzt doch etwas über mich zu erzählen.

"Sie haben es nicht anders gewollt!", schimpfte ich amüsiert und begann von meinem Beruf als Programmiererin zu erzählen.

Nach etwa zehn Minuten war ich auch schon fertig.

"Sehen Sie, wahnsinnig interessant!", brummte ich sarkastisch.

"Sie sind also eher der wissenschaftliche Typ!"

Es war eine Feststellung. Er ging einfach davon aus, dass es für mich keinen Platz für übernatürliches in meinen Überlegungen gab.

"Nicht immer!" Ich setzte ein gewinnendes Lächeln auf.

Wir verstrickten uns in eine nette Unterhaltung, welche ich diesem Mann eigentlich gar nicht zugetraut hätte. Er machte doch mehr den Eindruck eines verschlossenen Typen.

Irgendwann spürte ich die grenzenlose Müdigkeit, die mich überkam.

Immer öfter fielen mir die Augen zu.

Unsere Unterhaltung wurde schleppender und nach kurzer Zeit schlief ich dann wohl ein.

Ein Rucken ging durch den Zug und ich öffnete erschrocken meine Augen.

Wie lange hatte ich wohl geschlafen?

"Wir haben auf offener Strecke gestoppt!" Ich vernahm die verschlafene Stimme meines Sitznachbarn und spürte plötzlich, dass ich bei ihm im Arm lag.

Er hatte seinen Arm um meine Schultern gelegt, während mein Kopf auf seiner Brust geruht hatte. Über meinem Körper ausgestreckt lag sein Jackett.

Verwirrt streifte ich das Jackett ab und reichte es ihm.

"Tut mir leid!", stotterte ich verlegen und versuchte mich aus seiner Umarmung zu lösen.

Er registrierte meine Bemühungen nicht und starrte den Gang hinunter.

"Ich äh...", versuchte ich ein weiteres Mal mein Glück.

"Pss...Val, bleiben Sie ruhig liegen, irgendetwas stimmt hier nicht!"

Hier stimmte was nicht? Ja, ich lag in seinem Arm, das stimmte hier nicht!

Gut, es war nicht unangenehm. Durchaus nicht, aber ich fand es ein wenig unangebracht.
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