"Ich warne euch", beteuerte der alte Schamane mit eindringlicher Stimme, "es wird großes Unheil über euch hereinbrechen, wenn ihr hier bleibt. Der Zorn der Urahnen wird euch ereilen, früher ... oder später."
"Alter Mann," unterbrach ihn Ben Henley, der Anführer des weit gereisten Treks, "wir geben nichts auf Ihre alten Geistergeschichten. Ich versichere Ihnen, uns wird schon nichts geschehen." Diese Worte zogen ein zustimmendes Gemurmel seiner Leute nach sich. Ben wandte sich um und grinste ihnen voller Zuversicht zu. Alle waren entschlossen hier zu bleiben. Er wandte sich wieder dem Alten zu. "Seien Sie unbesorgt und kehren Sie zu Ihrem Stamm zurück."
Als das Stadtschild schließlich in den Boden gerammt wurde, wußte der alte Schamane, daß er hier nichts mehr tun konnte. Er hatte verloren. Traurig beobachtete er die nun beginnende Feier, wandte sich dann um und ging in Richtung Wüste. Als sich Ben kurz darauf nach ihm umblickte, war der alte Indianer verschwunden.
***
200 Jahre später, Washington, D. C., 1:12 Uhr.
"Wir werden die Erde besetzen und eurer jämmerlichen Existenz in diesem Universum ein Ende setzen...", rief der Alien-Kommandant mit bedrohlich echoverzerrter Stimme aus und lachte dann blechern. Der kleine Trupp bewaffneter Militärs wich erschrocken zurück, ehe sie dann schnell ihre Waffen in Anschlag nahmen.
"Wir werden nicht zulassen, daß ihr euer Vorhaben durchsetzen könnt! Ihr seid des Todes, hahaha!!!", rief der Kommandant des Trupps den gräßlichen Invasoren entgegen und eröffnete sodann das Feuer.
"Fahrt zur Hölle!", schrie nun auch Mulder und feuerte seine Dienstwaffe ab. Es ertönte nur ein metallisches Klicken, als der Bolzen vorschnellte. Das Magazin war leer. Mulder feuerte wie in Trance weiter. Plötzlich klingelte das Telefon. Entnervt griff Mulder zum Hörer. "Mulder", murmelte er kurz.
"Guten Abend, Mulder", flötete Scully in heiterem Ton. Ehe sie jedoch fortfahren konnte, fuhr Mulder dazwischen. "Scully, wissen Sie eigentlich, was Sie getan haben?! Sie haben die beste Szene des Films unterbrochen, die ganze Atmosphäre ist dahin!" Er seufzte. Am anderen Ende der Leitung konnte Scully sich das Lachen kaum noch verkneifen. Sie wußte, daß Mulder sich heute seiner beliebten Science-Fiction-Night verschrieben hatte.
"Mulder, ich wollte nur sichergehen, daß Sie sich nicht wieder so sehr in die Sache hineinsteigern... Sie wissen doch noch, was letztes Mal passiert ist...?"
"Keine Angst, Scully, ich weiß schon, was ich tue." Mulders Stimmung hatte sich wieder gehoben. "War das der einzige Grund, weshalb Sie angerufen haben?"
"Nein, ich wollte Ihnen zudem noch eine gute Nacht wünschen."
"Gute Nacht, Scully", und mit einem Lächeln fügte er hinzu: "Sie können froh sein, daß ich diesen Film schon seit Jahren auf Video habe!" Mit diesen Worten legte er grinsend auf.
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Dichte Nebelschwaden verschleierten den Blick auf die breite Hauptstraße, die sich schnurgerade durch die nunmehr nicht mehr ganz so kleine Gründungsstadt zog. Seitdem die ersten Siedler das Stadtschild an diesem Ort einst in den unberührten Boden rammten, hatte sich die Stadt prächtig entfaltet. Die Einwohner bildeten auch heute noch eine große Familie und die Geschäfts- und Handelsbeziehungen nach außerhalb blühten. Doch heute lag ein Schatten über der kleinen Stadt. Ein Schatten, der die Stadt und ihre Einwohner zu verschlingen drohte. Besorgt blickte Denzel Houston nun an diesem Morgen die Hauptstraße entlang; der Nebel behinderte seine Sicht, doch er wußte, daß weit und breit niemand auf der Straße zugegen war. Nicht, seitdem diese furchtbaren Ereignisse dieses verschlafene Nest heimsuchten. "Mit dem Nebel kommt der Tod", sagte man sich hier, doch Sheriff Houston wollte diesem Humbug keinen Glauben schenken. Es mußte eine rationale Erklärung dieser Vorfälle geben, jemand war verantwortlich und Denzel wollte diesen jemand fassen, egal, ob es sich um einen Auswärtigen handelte oder um einen Ortsansässigen. Die unerklärlichen Todesfälle mußten aufgeklärt und gestoppt werden. Sheriff Houston seufzte und ging zurück in sein Amtszimmer. Schwer ließ er sich in seinen Stuhl fallen. Es vergingen einige Minuten ehe sich sein Blick klärte und er zum Telefonhörer griff. Entschlossen wählte er die Nummer, die ihm ein Bekannter eines Freundes gegeben hatte...
***
Als Scully am Morgen Mulders kleines Büro im Keller des FBI-Hauptquartiers betrat, fühlte sie die Präsenz des leibhaftigen Bösen. Ein Schauer lief ihr über den Rücken und sie verharrte kurz in der Bewegung noch einen weiteren Schritt zu gehen und damit die Schwelle zu Mulders Büro endgültig zu übertreten. Doch dann bemerkte sie Mulders bösen Blick, der starr auf ihr haftete. Sofort überspielte sie ihr Zögern mit gekonnter Lässigkeit und begrüßte ihren Partner fröhlich: "Guten Morgen, Mulder. Haben Sie auch gut geschlafen?"
"Sehr witzig.", entgegnete er und die gewohnte Sanftheit kehrte in seine Augen zurück. "Sie können wirklich von Glück sagen, daß ich den Film bereits auf Video habe, ansonsten würden ich jetzt nicht so milde gestimmt sein..."
"Mulder, soll das etwa eine Drohung sein?", fragte Scully forsch und sah ihrem Partner erwartungsvoll ins Gesicht.
"Es ist lediglich eine kleine Warnung meinerseits", entgegnete ihr Mulder, "für das nächste Mal..."
"Na, wenn das so ist..." Scully sah sich im Raum um. "Also, wie lautet unser nächster Fall?"
"Was wissen Sie über Schamanen, Scully?", fragte Mulder.
Scully blickte sichtlich verwirrt. "Schamanen? Was bitte haben Schamanen mit unserem Fall zu tun?!"
"Warten Sie ab, Scully. Was wissen Sie über sie?", beharrte Mulder.
"Nun,", Scully ahnte bereits Schreckliches. Was war das nun wieder für ein abstruser Fall, den Mulder wieder ausgegraben hatte... "als Schamanen werden die Medizinmänner der Indianer bezeichnet. Sie sind zumeist sehr alt und haben einen reichen Erfahrungsschatz, was die Krankenheilung betrifft. Unter anderem werden ihnen übernatürliche Kräfte und Eigenschaften nachgesagt."
"Bravo, Sie haben Ihre Hausaufgaben gemacht! Dann steht uns nun nichts mehr im Wege um unseren Fall in Angriff zu nehmen." Mit diesen Worten war er auch schon aufgesprungen und durch die Tür verschwunden.
"Warten Sie, Mulder!", rief ihm Scully hinterher, "Was für ein Fall?" Kopfschüttelnd folgte sie ihm hinaus auf den Flur zu den Fahrstuehlen.
"Kommen Sie, Scully.", rief ihr Mulder zu, während er die Fahrstuhltueren aufhielt. "Unser Flug geht in einer Stunde."
"Flug?", Scully war es nun endgültig genug. "Mulder, was für ein Flug? Wohin? Und woran arbeiten wir ueberhaupt gerade? Woran arbeiten Sie?" Scully schnaubte.
***
In der Ferne vernahm sie leises Trommeln. Sie hatte Angst. Dieser Nebel, er schien immer dichter zu werden, sie wußte nicht mehr, in welcher Richtung ihr Haus lag. Sie war wie von einem undurchdringlichen weißen Schleier umhüllt, der ihr keinen Ausweg gewährte. Langsam tastete sich Sally Edwards vorwärts. Schritt für Schritt. Sie spürte die sandige Straße unter ihren Sohlen, doch sehen konnte sie sie nicht. Ihre Haare, ihre Haut und ihre Kleidung, alles war von einem glänzenden Nässefilm umgeben; sie fror.
"Hallo?", fragte sie vorsichtig in den Nebel hinein. "Ist da jemand?"
Keine Antwort. Nur das leise Trommeln in der Ferne. Plötzlich huschte ein Flüstern wie ein Windzug an ihr vorüber. Sally stockte der Atem.
"H-hallo?", fragte sie erneut, doch wieder bekam sie keine Antwort. Da, wieder das Flüstern und Wispern. Es kam näher, wurde lauter und huschte an ihr vorüber, zurück in das weiße Nichts aus dem es gekommen war. "Wer ist da?", rief Sally nun etwas lauter und eine Spur Panik lag in ihrer Stimme. Plötzlich verstummten die Trommeln. Es war totenstill. Kein Wind regte sich, der Gesang der Grillen und Vögel war verstummt, kein Laut war zu hören. Reglos verharrte Sally auf der Stelle und sah angestrengt in den Nebel hinein. Mit einem Mal kehrte das Flüstern zurück und Sally sah in die Richtung aus der es kam. Etwas hatte sich verändert, ein dunkler Unterton lag in dem Flüstern und Sally bekam es nun endgültig mit der Angst zu tun. Sie wollte weglaufen, doch sie konnte nicht. Bewegungslos starrte sie weiter in den Nebel hinein und das Flüstern kam näher, wurde lauter, schwoll an zu einem einzigen schrillen Schrei, in welchem Sallys Schreie ungehört untergingen. Sally sah es auf sich zukommen, wollte fliehen, doch es war bereits zu spät. Das einzige, was ihr noch blieb, waren ihre Schreie. Sie schloss die Augen. Das Flüstern war überall...