World of X

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Cogitatio lacrimandi (Weinende Gedanken)

von Claudia Krell

Kapitel 1

Alles hier scheint aus einem sterilen Weiß zu bestehen. Nur manchmal wird es von blankem, kalten Stahl unterbrochen. Das kümmerliche Grün der Pflanzen, die überall aufgestellt wurden, führt einen hoffnungslosen Kampf gegen die Eintönigkeit. Es sieht selbst schon steril aus.

Die monotonen Geräusche verstärken die abweisende Atmosphäre nur noch. Piepsende EKG`s, schlurfende Schritte. Ab und zu eine zufallende Tür.

Manchmal hustet der Mann auf der anderen Seite.

Er hat ein gelbliches, eingefallenes Gesicht. Er ist sichtbar krank. Nicht so wie ich es war. Man hätte meinen könne, mir würde nur Schlaf fehlen.

Inzwischen geht es mir wieder gut. Jedenfalls hoffe ich das. Nur manchmal muß ich noch zu einer Untersuchung hierher kommen. Ich versuche es immer möglichst weit hinaus zu zögern, aber irgendwann wird es unausweichlich. So wie heute.

Ich fühle mich erdrückt. Das Atmen fällt mir schwer, denn mit jedem Atemzug rieche ich mehr und mehr Krankheit - Tod. Wenn ich schlucke, schmecke ich es sogar.

Ich bin Ärztin. Tod und Krankheit sind für mich vertraute Dinge. Doch wenn ich damit zu tun habe, sind es die Krankheit und der Tod anderer. Es betrifft mich nicht. Und ich fürchte mich nicht davor.

Wenn es jedoch um mich geht, dann habe ich Angst.

Ich weiß nur zu gut, wie hilflos man oftmals zusehen muß, wenn jemand an etwas bestimmtem erkrankt. Ich habe schon viele Menschen auf eine grausame Art und Weise sterben sehen. Manchmal macht es mich wahnsinnig, wenn ich nichts tun kann.

Deswegen fürchte ich mich auch vor meiner eigenen Krankheit. Ich konnte nichts dagegen tun.

Alle wissen, auch ich, dass es immer noch rätselhaft ist, wie ich geheilt wurde. Und keiner weiß, ob der Krebs wieder ausbrechen wird. Dabei ist es nicht einmal der Tag, an dem dies geschehen wird, vor dem ich mich fürchte. Es ist auch nicht der Tag, an dem ich mich von allem verabschieden muss. Viel mehr ist es das Warten - das ewige, nicht enden wollende Warten. Das Warten auf Gesundheit. Das Unsichere.

Es gibt Tage, an denen ich meine Krankheit vergesse.Es sind Tage an denen ich mich wohl fühle. Es sind Tage an denen ich mich unbekümmert, ja sogar sorglos fühle. Und es sind Tage, nach denen ich mich, wenn mich der innere Schmerz zu zerreißen droht, mit einem unstillbaren Verlangen sehne. Denn es sind die Wunden in mir, die nicht heilen wollen und immer wieder aufbrechen. Sie sind das, was mich meine Krankheit nicht vergessen lässt.

Wenn ich mich wieder in Trostlosigkeit verliere, mich die Hoffnung auf eine endgültige Heilung wieder einmal verlässt, dann fangen auch die trüben Gedanken wieder an zu erwachen.

Ich überlege, wie es wohl ist zu sterben.

Ich frage mich, wie der Tod aussieht.

Was dann geschieht.

Ich suche nach einer Antwort auf die Frage, ob mein Glaube richtig ist.

Ob es Gott und ein Leben nach dem Tod gibt.

Und immer finde ich andere Antworten.

Un dich verdamme mich dafür, dass ich mich selbst quäle.

Aber das ist nicht alles, über das ich nachdenke.

In mir gibt es eine Ungewissheit. Die Menschen, die mein Leben ausfüllen. Wie wird ihr Leben ohne mich aussehen. Werden sie so weiterleben wie immer? Werden sie mein Fehlen überhaupt bemerken?

Es würde mir nicht einmal etwas ausmachen, wenn es so wäre.

Denn am meisten Angst macht es mir, dass sie vielleicht nicht mit meinem Tod umgehen könnten.

Wenn ich an diesem Punkt angelange, beginnen die Tränen über mein Gesicht zu laufen. Wie schön wäre es, wenn sie meinen Schmerz mit sich nehmen könnten. Manchmal wünsche ich mir sogar, in ihnen zu ertrinken.

Ich fühle, wie jemand meine Hand drückt.

Nachdem ich mich mit meinem Inneren auseinandergesetzt habe, fällt es mir einen Moment lang schwer mich in der Realität zurecht zu finden.

Ich blicke auf, direkt in tiefbraune Augen, die mich besorgt ansehen. Ein leichtes, fragendes Lächeln umspielt seinen Mund.

Ich erwiedere den Druck seiner Hand.

Zwei Dinge werden mir in diesem Moment bewußt: Auch jetzt bahnen sich Tränen den Weg aus meinen Augen herab. Und ich bin noch lange nicht bereit zu gehen, alles hinter mir zu lassen.

Ich werde kämpfen - wegen ihm.

Auf einmal tut mir der Mann gegenüber unsagbar leid, weil er alleine ist.

Und auf einmal scheint auch das Grün grüner zu sein.



ENDE
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