World of X

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Reine Einbildung

von Christian Jankowski

Kapitel 1

Miller´s Dinner

Es war ein ungewöhnlich kalter Tag in Washington, D. C. Nach einem halbstündigen “Spaziergang” durch die eisige Stadt war Fox Mulder froh, endlich in einem beheizten Raum zu sein. Seine Partnerin stieß einen Seufzer aus.
“Damit eines klar ist", meinte sie grinsend. “Sie bezahlen.”
Mulder lächelte.
“Ich hoffe, Sie haben einen guten Grund mich bei diesen Temperaturen durch die halbe Stadt zu schleppen", sagte sie, während sie sich ihren Mantel auszog. Sie schaute sich um. Miller´s Dinner war eine gewöhnliche Bar, in der man sich nach Feierabend traf. Hoffentlich hatten sie wenigstens guten Kaffee. “Also, verraten Sie mir endlich, was Sie vorhaben", forderte Scully.
“Wir treffen uns hier mit jemandem", antwortete er knapp.
“Mit wem?”
Mulder deutete auf einen Tisch in der hinteren Reihe.
“Da sitzt er. Kommen Sie.”
Er trat den Weg zwischen den zahlreichen Tischen an. Scully folgte ihm und betrachtete den Mann. Er sah aus wie ein durchschnittlicher Unternehmer. Er war Mitte dreißig, hatte kurzgeschnittenes, dunkelbraunes Haar, grüne Augen und trug einen makellosen Anzug. Abwesend schaute er aus dem Fenster. Offensichtlich war er in seinen Gedanken versunken.
“Mr .Overton?", fragte Mulder, als sie an dem Tisch angelangt waren. Der Mann fuhr entsetzt hoch, doch beruhigte sich gleich wieder. Verlegen schaute er auf.
“Tut mir leid, ich bin in letzter Zeit etwas schreckhaft", erklärte er. “Setzen Sie sich bitte.”
Die beiden Agenten folgten seiner Einladung. Der Kellner trat zu ihnen und nahm die Bestellung entgegen.
“Einen Brandy wie immer, Mr. Overton?” fragte er.
“Nein, ich glaube, ich nehme diesmal lieber einen Cherry.”
Als der Kellner fertig war, wendete sich Overton wieder den Agenten zu: “Der Grund, weshalb ich mich mit Ihnen in Verbindung gesetzt habe, ist sehr ungewöhnlich. Ich habe erfahren, dass Sie sich mit solchen Dingen befassen. Ich wüsste nicht, wer mir sonst helfen könnte.”
Mulder warf Scully einen bedeutungsvollen Seitenblick zu.
“Diesen Satz haben wir schon sehr oft gehört. Erzählen Sie", forderte er ihn auf.
Overton sah kurz aus dem Fenster und begann dann mit seiner Geschichte: “Zu meiner Person gibt es nicht viel zu sagen. Ich arbeite bei Hanseder Investements und wohne zusammen mit meiner Verlobten Clariss. Es war nichts Ungewöhnliches an mir bis... - Ich fange am Besten von vorne an.
Das erste Anzeichen zeigte sich vor etwa einer Woche. Als ich morgens zur Arbeit ging, traf ich einen Bekannten. Er fragte mich, ob mir der Film gefallen hätte. Ich war seit Monaten nicht im Kino, doch er behauptete, mich dort am Tag davor gesehen zu haben. Ich dachte nicht weiter darüber nach und hielt es für eine Verwechslung. Aber einige Tage später, als ich am Tisch dort drüben saß, traf ich Kevin Silver. Er fragte, ob sich Clarris über die Blumen gefreut hätte...
“Ich habe ihr seit Monaten keine Blumen mehr gekauft”, sagte ich etwas verwirrt.
“Wir haben sogar miteinander gesprochen, weißt du das nicht mehr? Es war vorgestern.”
“Vorgestern sagst du? Wie spät?”
“Es war etwa 14 Uhr.”
“Du musst mich wohl verwechselt haben. Ich war den ganzen Tag in Seattle.”
“Du mußt hier gewesen sein. Oder du hast wirklich den ähnlichsten aller Doppelgänger", stellte er etwas ratlos fest.

...Mir kam die Sache immer unheimlicher vor.”
“So etwas wie Doppelgänger gibt es natürlich", führte Scully aus “Es ist ein weitgehend unerforschtes biologisches Phänomen. Aber meistens kann man sie trotz Allem voneinander unterscheiden.”
“Mit der Existenz eines Doppelgängers hätte ich leben können,” fuhr Overtton fort. “Aber vorgestern gab mir der Kellner Zigaretten zurück, die ich hatte auf dem Tisch liegenlassen. Ich war an dem Tag aber nicht hier gewesen. Ich glaubte, jemand treibe einen Spaß mit mir.”
Scully nickte. Der Gedanke war ihr auch schon gekommen.
“Ich gab dem Kellner zehn Dollar, in der Hoffnung, er würde das bestätigen....

Doch statt dessen sagte er nur: “Danke für das großzügige Trinkgeld Mr. Overton, aber Sie waren bestimmt hier. Fragen sie Mr. Silver.”
“Lieber nicht, wahrscheinlich steckt er hinter diesem Scherz", hielt ich entgegen.
“Ich bin mir aber sicher, dass Sie es waren. Sie machten sogar Witze über diesen Vorfall neulich, als Ihnen die Kellnerin Kaffee auf den neuen Anzug kippte. Wer sonst hätte davon wissen können?", beharrte er auf seiner Aussage.

... - Das stimmte natürlich. Ich überlegte, wie ich diesem Spuk ein Ende setzen konnte. Mir kam der Einfall nach Hause zu fahren und später heimlich zurückkehren, um den Betrüger zu stellen. Ich rief also von einer Telefonzelle aus bei Clariss an, um ihr mitzuteilen, dass ich heute etwas früher zurückkommen würde. Sie klang seltsam...

“Hallo, hier Richard", meldete ich mich.
“Sie wollen Richard sprechen?", fragte sie.
“Nein, ich bin...”

- und da wurde es mir schlagartig bewusst. Er war in meiner Wohnung. Ohne ein Wort zu sagen legte ich auf.”

Er wurde in seiner Erzählung unterbrochen. Der Kellner brachte zwei Kaffee und den Cherry.
“Ohne zu wissen was mich erwartete stieg ich in meinen Wagen und fuhr los. Ich öffnete die Tür zu meiner Wohnung und trat ein. Clariss kam aus dem Wohnzimmer und sah mich verblüfft an.

“Du wolltest doch noch Akten aus dem Büro holen?", sagte sie in einem fragenden Tonfall.
“Ja, aber... es ist eigentlich nicht so wichtig", log ich.
Ich schob mich an ihr vorbei ins Schlafzimmer und richtete meinen Blick auf das Bett. Dort lag genau die gleiche Krawatte, die ich gerade trug. Ich verglich sie miteinander. Sie waren identisch...

Ich hatte nie zwei dieser Sorte gekauft. Es war, als ob ich vor kurzem hierher gekommen wäre, um meine Krawatte zu wechseln. Doch war ich nicht hier gewesen.”
“Haben Sie die Krawatten noch?", fragte Mulder nach.
“Ja, sie sind beide zu Hause. Aber sie nützen vermutlich ohnehin nichts.” Er warf einen bitteren Blick aus dem Fenster und führte dann fort: “Während ich überlegte, woher mein Doppelgänger diese Krawatte hatte, kam Clariss herein. Sie lehnte am Türrahmen.

“Als du mir vorhin die Tür geöffnet hast, sah ich da irgendwie... anders aus?", fragte ich sie.
“Aber Schatz,” meinte sie stichelnd. “Weißt du denn nicht mehr? Du hast dir doch selbst aufgemacht.” Sie lachte. “Du arbeitest einfach zu viel. Nimm dir morgen den Vormittag frei.”

Das tat ich dann auch. Ich ging mit Clariss essen und wechselte anschließend das Schloss aus. Ich ließ nur zwei Schlüssel anfertigen. Nachmittags ging ich dann zur Arbeit. Es war seltsam, denn niemand fragte nach, warum ich erst so spät erschienen war. Meine Sekretärin, Mrs. Tegarden, schaute nicht einmal auf, als ich an ihr vorbeiging. Ich begab mich in mein Büro, setzte mich an meinen Schreibtisch und sah ein paar Aktenordner durch, denn ich musste noch viel nacharbeiten. Sie betrat das Zimmer mit einem Stapel Papier bei sich.

“Ich habe die Briefe fertig, die Sie mir heute morgen diktiert haben, Mr. Overton.”
Ehe ich etwas erwidern konnte, legte sie mir den Papierstapel auf den Tisch und verschwand. Entsetzt betrachtete ich ihn. Ich nahm einen der Briefe und las ihn durch. Er war vom Stil und von der Kenntnis her genau so, wie ich ihn diktiert hätte.

Obwohl ich den Vormittag mit Clariss verbracht hatte, obwohl ich Mrs. Tegarden das nicht diktiert haben konnte, waren es meine Briefe. Ich unterschrieb sie.”
Scully und Mulder lauschten wie Pfadfinder, denen man Nachts am Lagerfeuer eine Gruselgeschichte erzählte. Nach einer kurzen Pause führte er fort: “Ich konnte unmöglich weiter arbeiten, nachdem dies passiert war. Also fuhr ich nach Hause. Clariss empfing mich nicht besonders freundlich.

“Was soll dieses Theater? Du kommst und gehst ohne ein Wort zu sagen", sagte sie gereizt.
“Was meinst du?”
Ich ahnte bereits wie ihre Antwort lauten würde.
“Vor zwei Minuten warst du noch hier. Ich habe nicht gehört, wie du rausgegangen bist. Du hättest doch sagen können, dass du weggehst", sagte sie vorwurfsvoll.
Meine Kehle war wie zugeschnürt.
“Ich war also eben noch hier? Als du mir aufgemacht hast...”
“Du hast dir selbst geöffnet", meinte sie wütend.
Wie war er reingekommen? Es gab nur zwei Schlüssel, und ich hatte Clariss ihren neuen Schlüssel noch nicht gegeben...

Ich griff in meine Tasche. Beide waren noch dort.” Er machte eine Pause und trank einen Schluck von dem Cherry.
“Das dieser Doppelgänger eine reale Person ist, ist offensichtlich. Glauben Sie, er will Sie absichtlich verwirren?", fragte Mulder.
“Ich sehe keinen Grund für das was er tut. Aber ich glaube, er will sich in mein Leben einschleichen, bis er eines Tages dort ist, wo ich war. Und ich - ich bin dann verschwunden. Reine Einbildung.” Er schien mehr mit sich selbst zu sprechen, als mit den Agenten. “Aber ich werde es nicht so weit kommen lassen. Er kopiert meine Gewohnheiten, deswegen werde ich sie ändern. Zum Beispiel trage ich seit Jahren nur schwarze Krawatten. Ich werde mir noch heute eine Bunte zu legen.”
“Gute Idee", bestätigte Mulder.
“Wir werden von Skinner erwartet", warf Scully etwas nervös ein.
Mulder nickte. “Ich muss zugeben, dass ich noch nie etwas Vergleichbares gehört habe. Und glauben Sie mir, ich bin wirklich nicht leicht zu beeindrucken", stellte er fest. “Wir müssen jetzt leider gehen, Mr. Overton. Aber wir bleiben in Kontakt.”
Overton nickte abwesend. “Selbstverständlich. Auf Wiedersehen. Sie haben mir wirklich geholfen", sagte er.
“Nichts zu danken.”
“Ich bleibe noch ein bisschen hier, wenn Sie nichts dagegen haben.”
“Natürlich nicht.”
Als sie das Café verließen, fragte Scully: “Was denken Sie? Ist es reine Einbildung?",


DeNeyle Männerbekleidung

“Diese wäre genau die richtige, Sir.”
Der Verkäufer deutete auf eine blaue Krawatte mit gelben Streifen. Overton betrachtete sie kritisch.
“Ja, ich glaube, das ist es schon eher. Ich nehme sie", sagte er.
Nachdem er bezahlt hatte, betrat er eine Telefonzelle. Er wollte Clariss Bescheid sagen, dass er nach Hause kam. Er warf eine Vierteldollarmünze hinein und wählte die Nummer. Nach zweimaligem Klingeln meldete sich eine ihm sehr vertraute Stimme.
“Hallo, hier Richard Overton", hörte er am anderen Ende der Leitung. - Der Doppelgänger war in seiner Wohnung.


Die Wohnung von Richard Overton

Unsicher, was ihn erwartete, betrat Overton die Wohnung. Er hatte auf diesen Moment gewartet. Auf den Moment, in dem er diesen Mistkerl endlich zu Gesicht bekam. Doch jetzt, war er sich nicht mehr sicher, ob er das überhaupt wollte. Als er den Flur betrat, kam Clariss gerade aus der Küche. Sie sah ihn erschrocken an.
“Bist du...”
Mit einer Handbewegung bedeutete er ihr, still zu sein.
Er wollte gerade in das Wohnzimmer gehen, als der Doppelgänger im Türrahmen erschien. Overton hielt den Atem an. Dieser Mann sah genauso aus wie er. Sie sahen sich nicht nur ähnlich, sie waren identisch.
“Mein Gott, so etwas habe ich noch nie gesehen. Wer von euch...?", entfuhr es Clariss.
“Er ist der Betrüger! Er wollte sich in mein Leben einschleichen!”
Sie brachte kein Wort mehr heraus.
Der falsche Overton fuhr in anklagendem Tonfall fort: “Fast wäre ihm das auch gelungen. Aber er hat einen schweren Fehler gemacht. Sieh dir die Krawatte an!”
Mein Gott, Er hatte Clariss noch nichts von der neuen Krawatte erzählt!
“Natürlich!” Ihr Gesicht erheiterte sich. “Du hast nie so eine Krawatte besessen. Du trägst nur schwarze und würdest dir nie so eine kaufen!", sagte sie erleichtert
“Er ist der Betrüger merkst du das denn nicht? Ich habe die Krawatte gekauft, damit er mich nicht kopieren kann!”
“Das Spiel ist aus!” Er wandt sich an Clariss: “Geh jetzt bitte.”
Sie drehte sich ab.
“Clariss, du irrst dich! Bleib hier!” Overtons Stimme glich einem Kreischen.
Sie schaute sich noch einmal um, bevor sie das Zimmer verließ. Sie ahnte nicht einmal, was für einen großen Fehler sie begangen hatte.


Das Wohnung von Richard Overton

Sie sah sich im Wohnzimmer gerade einen Film an, als Richard im Nebenzimmer zum Hörer griff. Er hatte sich verändert. Er war erfolgreicher geworden. Mittlerweile war er Teilhaber der Firma. Doch früher hatte sie ihn mehr geliebt. Wenn sie ihn jetzt überhaupt noch liebte. Er war kalt geworden. Manchmal erschrak sie seine Gefühllosigkeit. Sie schaltete den Ton leiser, um mitzuhören, mit wem er sprach.
“Agent Mulder?", hörte sie ihn sagen. “Ja, es ist lange her.”
Sie hatte sich gefragt, warum er sich so verändert hatte. Vielleicht war es diese Sache mit dem Doppelgänger vor einem Jahr. Der arme Kerl. Sie hatten ihn in eine Psychiatrische Klinik gesteckt...
“Ja, die Sache hat sich aufgeklärt. Ich wollte mich nur noch einmal bei Ihnen für die Hilfe bedanken", sagte Richard im Nebenzimmer.
Manchmal wünschte sie sich, sie hätte sich für den Doppelgänger entschieden. Vielleicht war er ja der echte Richard Overton. Vielleicht hatte sie damals den Falschen gewählt. Bei diesem Gedanken musste sie unwillkürlich lächeln. Was für ein Unsinn ihr auch manchmal durch den Kopf ging. Doch manchmal überlegte sie wirklich, ob... Ach, es war ohnehin nur reine Einbildung.


- ENDE -
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