World of X

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Little Sam

von Lilly

Kapitel 1

Sie lief einen langen Strand entlang. Ihre rotbraunen Haare wehten ihr ins Gesicht und das Meer spiegelte sich in ihren blauen Augen. Etwa einhundert Meter vor ihr lief ein Mann in einem schwarzen Anzug. Er hatte dunkle Haare, die wild im Wind flatterten. Der oberste Knopf an seinem Hemd war geöffnet und die Krawatte hing locker an seinem Hals. Er sah mitgenommen aus, aber sein Blick wirkte entschlossen.
Zielstrebig ging er auf ein metallisch glänzendes Objekt zu, das im Wasser deutlich zu erkennen war. Als er nur noch einen Meter davon entfernt war, blieb er stehen. Er drehte sich um und sah in die verzweifelten Augen der jungen Frau, die ihm immer wieder zurief: „Mulder, gehen Sie da weg! Es ist viel zu gefährlich!“
Er schüttelte schweigend den Kopf und drehte sich wieder zu dem Objekt um. Dann rief er in den Sturm hinein: „Das ist meine letzte Chance. Ich will endlich die Wahrheit wissen!“
„Nein, Mulder, das ist es nicht wert!“, schrie sie, als ein greller Blitz von dem Raumschiff aus direkt auf ihn zuschoss. In Sekundenbruchteilen war er von einem gleißenden Licht eingehüllt. Dann stand sie allein an dem weißen Strand mit dem türkisfarbenen Wasser.
„Nein!!!“, schrie sie und sank auf die Knie. Weinend vergrub sie ihre Hände in dem weichen Sand, während sie leise schluchzte. Sie fühlte eine Hand auf ihrer Schulter, die sie sanft rüttelte und riss die Augen auf.


17.11. 2010, 06:59 Uhr, Wohnung von Special Agent Dana Scully

„Mommy, was ist los? Hattest du wieder einen Alptraum?“ Special Agent Dana Scully blickte in die braunen Augen eines kleinen Mädchens, das sie besorgt musterte.

„Ja, mein Schatz, aber mach dir keine Sorgen!“, lächelte sie ihre Tochter an.

„Du hast wieder diesen Namen gerufen. Wer ist Mulder? Kenne ich ihn?“

Scully fühlte sich ertappt. Gleichzeitig fühlte sie aber auch, wie ihr Herz anfing, wild gegen ihre Brust zu hämmern. Es war jetzt schon zehn Jahre her und doch schmerzte es immer wieder. „Nein, meine kleine Samantha, du kennst ihn nicht. Wie spät ist es?“

„Du lenkst schon wieder ab. Wer ist er? Du sagst dauernd seinen Namen, aber du erzählst mir nichts über ihn!“, maulte das Mädchen beleidigt.

„Wenn du älter bist, erzähle ich dir alles über ihn, einverstanden?“, versuchte Dana zu schlichten. Doch damit wollte sich die Kleine nicht zufrieden geben.

„Wie alt muss ich denn werden? Ich bin fast zehn!“

Scully seufzte nur. Sie wusste, dass sie ihre kleine Sam nicht mehr lange hinhalten konnte. Irgendwann musste sie ihr von Mulder erzählen. Von dem Mann, den sie geliebt hatte. Von dem Mann, der ganz offensichtlich Samanthas Vater war, auch wenn sie bis heute nicht verstand, wie das möglich war. Schweigend stand sie auf, und ohne auf das verärgerte Gesicht ihrer Tochter einzugehen, verließ sie das Schlafzimmer. Sam schaute ihr hinterher, fragte aber nicht weiter. Sie fühlte, dass ihre Mutter nicht gern über diesen Mann sprach, wer auch immer er war. Danas Verhalten machte sie jedoch sehr nachdenklich und obwohl sie erst neun Jahre alt war, konnte sie fühlen, dass etwas nicht stimmte.
Scully stand im Badezimmer vor dem Spiegel und betrachtete ihr Gesicht. Konnte es sein, dass dieses kleine Mädchen da draußen fast keinerlei Ähnlichkeit mit ihr hatte? Es war ihr schon oft aufgefallen. Diese braunen Haare und diese treuen, braunen Kulleraugen, die wie Hundeaugen wirkten. Sie kannte diese Augen. Es waren die Augen von Sams Vater, Mulders Augen. Sie sah aus wie er. Nein, eigentlich sah sie aus wie Mulders kleine Schwester, die mit acht Jahren verschwunden war und nach der Mulder fast sein ganzes Leben lang gesucht hatte.
Auch sie hieß Samantha. Scully wusste eigentlich nicht genau, warum sie ihrer kleinen Tochter diesen Namen gegeben hatte. Sie ahnte damals noch nicht einmal, wer der Vater ihres Kindes war. Jetzt, da sie sich sicher war, dass es Mulder war, fand sie es unpassend, wenn nicht sogar makaber, ihr Kind ausgerechnet Samantha zu nennen. Was hätte Mulder wohl dazu gesagt? Wahrscheinlich hätte es ihm das Herz gebrochen. Aber er war vermutlich tot. Und Sam war das Einzige, was ihr noch von ihm geblieben war.


7:10 Uhr

„Sam, deckst du schon mal den Frühstückstisch? Ich komme gleich!“, rief Scully aus dem Badezimmer.

„Klar!“, antwortete das Kind. „Wenn du endlich sagst, wer Mulder ist.“

„Lass das! So kriegst du es nie aus mir raus!“, ertönte es ziemlich verärgert, worauf Sam sich in ihr Schicksal fügte und sich an das Frühstück machte.

Als Scully fünf Minuten später perfekt gekleidet die Küche betrat, sah sie ein kleines Mädchen mit geflochtenen Zöpfen am Tisch sitzen und breit grinsen.

Das war zu viel! Dana blieb wie angewurzelt in der Tür stehen und starrte auf die Zöpfe.
„Was ist denn, Mommy? Gefällt dir meine neue Frisur nicht?“, fragte die Kleine enttäuscht.

Was sollte Dana denn jetzt antworten? `Du erinnerst mich an deine Tante´, wäre etwas unpassend gewesen. Aber tatsächlich sah das Kind am Tisch wie Samantha Mulder aus. Scully spürte einen dicken Kloß in ihrer Kehle, den sie nur mühsam herunterschlucken konnte.

„Äh, weißt du, Schatz, ich hab' noch einiges zu erledigen, bevor ich ins Büro muss. Ich hab' gar keine Zeit mehr zum Frühstücken.“
Hastig lief sie zu Sam hinüber und küsste sie liebevoll auf die Stirn.
„Mach’s gut! Und pass in der Schule schön auf!“
Damit verschwand sie aus der Küche und ließ ein verwirrtes kleines Mädchen zurück.
Scully lief eilig die Treppen hinunter. Ihr Kopf war voller Gedanken. So konnte das nicht weitergehen. Sie musste etwas tun. Aber wer sollte ihr da helfen? Das konnte ihr keiner abnehmen. Sie musste selbst mit Sam reden.
Obwohl sie noch etwas Zeit hatte, fuhr sie sofort ins Büro. Als sie die Treppen zum Keller hinab lief, fühlte sie sich etwas wohler. Obwohl sie hier noch mehr an Mulder erinnert wurde, machte ihr das nichts aus. Denn hier war jemand, der überhaupt nichts mit Mulder zu tun hatte, seit die Suche nach ihm für beendet erklärt worden war. Hier war John Doggett, ihr Partner. Ein vertrauenswürdiger Mensch, der kaum Fehler machte und sehr gewissenhaft arbeitete. Und der sie nicht für verrückt erklärte.
Das Büro war noch stockdunkel, als sie es betrat und Scully mochte diese Dunkelheit. Sie fühlte sich hier sicher und sie konnte, bis Doggett kam, noch in Ruhe über ihr Problem nachdenken. Scully lief zielstrebig auf ihren Schreibtisch zu. Obwohl sie ihn nicht sah, wusste sie genau, wo sie entlang laufen musste. Sie wunderte sich gerade, warum ihre Tasche auf den Boden fiel, obwohl sie eigentlich auf dem Stuhl hätte landen müssen, der neben der Tür stand, als sie plötzlich... „AAAAAHHHHH!!!!!“... über den selbigen fiel und lautstark zu Boden krachte. Sie blieb jammernd auf dem Teppich sitzen und rieb sich den schmerzenden Knöchel, als das Licht anging und Doggett in das Büro kam.

Er sah seine Partnerin auf dem Fußboden sitzen und fing unwillkürlich an zu lachen.
„Was wird das denn? Frühsport?“, fragte er grinsend, stand Scully aber sofort hilfreich zur Seite und stellte sie wieder auf ihre Füße.
Erst jetzt sah sich Scully in dem Zimmer um.

„Oh, mein Gott. Doggett, waren Sie das?“

„Gefällt es Ihnen?“, fragte ihr Partner neugierig und gespannt wie ein kleines Kind an Weihnachten.

Das Büro war komplett umgeräumt worden. Nichts stand mehr dort, wo es hingehörte. Selbst der Stuhl, der eigentlich neben der Tür hätte stehen müssen, war weg und stand jetzt mitten im Büro, an einer Stelle wo Scully darüber fallen MUSSTE.

Scully war sprachlos. Entsetzt und zutiefst geschockt saß sie auf diesem verdammten Stuhl und rieb sich den Knöchel, der immer noch schmerzte.

„Ich weiß nicht, was ich sagen soll“, brachte sie schließlich hervor. „Es ist so ungewohnt. Ich arbeite schon so lange hier und bisher hatte sich nichts verändert“, gab sie leise zu.

„Es gefällt Ihnen nicht, hab' ich Recht?“, murmelte Doggett enttäuscht. „Wir können es ja wieder umstellen, wenn Sie wollen.“

„Nein, das ist nicht nötig. Ich werde mich schon daran gewöhnen. Es müssen nur noch ein paar Kleinigkeiten geändert werden. Dieser Stuhl kommt wieder neben die Tür und das I-want-to-believe-Poster kommt hinter meinen Schreibtisch, ist das klar?“

„Klar, Boss!“, grinste er breit und begann, das Poster abzunehmen.

Kurze Zeit später saßen beide an ihren Schreibtischen und gingen ihrer Arbeit nach. Scully schrieb den Bericht über den abgeschlossenen Fall, der bis Mittag auf Skinners Tisch liegen sollte und Doggett war, wie immer, wenn er nichts zu tun hatte, dabei, die X-Akten durchzulesen. Er war bei der letzten Akte, die er in Mulders Schrank gefunden hatte und er hoffte auch, dass es wirklich die letzte war. Er mochte diese Fälle einfach nicht und er konnte auch nicht verstehen, dass eine so kompetente Agentin wie Scully daran glaubte. Aber irgendwie schienen die Berichte ihn zu überzeugen. Er wusste, dass die meisten aus Scullys Feder waren, da er ihren Stil inzwischen kannte. Und er wusste auch, dass Scully selbst nicht daran geglaubt hatte, als sie diese Fälle bearbeitet hatte. Aber jetzt glaubte sie daran und er fragte sich immer wieder, wie dieser Sinneswandel zu erklären sei. Scully war seine X-Akte Nummer eins. Er wollte dieses Rätsel lösen.

„Hey, Scully, wollen Sie heute Abend mit mir essen gehen?“, rief er plötzlich mitten in die Stille.

Scully blickte erschreckt auf. „Gibt es etwas zu feiern?“

„Ich glaube schon. Für mich ist es jedenfalls ein Grund zum Feiern“, entgegnete er lächelnd. Dann blickte er kurz nach unten und schrieb etwas auf einen Zettel. Mit einem geheimnisvollen Zwinkern hob er ihn hoch und Scully konnte eine große 10 darauf erkennen.

„Was soll das be ... ach so. Ist es das, was ich glaube?“, fragte sie überrascht.

„Jawohl, wir haben unser zehn-jähriges Jubiläum. Kaum zu glauben, oder?“

„Als ich Sie kennen lernte, dachte ich, wir würden es keine zwei Wochen miteinander aushalten!“, gab sie grinsend zu.

„Und ich hab' Sie einfach nur für eine Verrückte gehalten“, gestand er unsicher.

„Das tun Sie doch immer noch. Ich hab' doch gesehen, wie Sie auf die X-Akten reagiert haben, als Sie sie gelesen haben. Sie glauben kein Wort“, sagte sie beiläufig, denn sie war schon wieder mit ihrem Bericht beschäftigt.

„Ja, ich gestehe. Ich glaube es nicht. Aber ich halte Sie nicht mehr für verrückt, Special Agent Dana Scully. Dafür sind Sie eine viel zu gute Ermittlerin. Vielleicht kann ich Ihren Glauben ja nach weiteren zehn Jahren teilen“, meinte er überzeugt.

Scully schüttelte nur den Kopf. „Wenn Sie nach zehn Jahren noch nicht glauben wollen, dann tun Sie es nach zwanzig auch nicht.“
Nach einer weiteren betretenen Schweigeminute blickte sie dann wieder auf und gestand, dass sie nicht mit ihm essen gehen könnte, da sie nicht wusste, was sie mit Sam machen sollte.

„Könnten Sie sie nicht zu Ihrer Mutter bringen oder zu Freunden, oder so?“, schlug er vor.

„Nein, das kann ich nicht ... obwohl, doch mir fällt da jemand ein, der sich um sie kümmern könnte“, rief sie begeistert. „Ich bin sicher, Sam wird es dort gefallen. Auch wenn es mir nicht gefällt. Holen Sie mich gegen sieben ab!“
Damit widmete sie sich wieder ihrer Arbeit und auch Doggett begann wieder, die Akte zu studieren.
Kurz nach zwölf begab sich Scully in Skinners Büro, um ihm den Bericht abzuliefern.
Dieser las ihn flüchtig und packte ihn dann in seinen Schreibtisch. Scully blieb die ganze Zeit vor ihm stehen und er bemerkte, dass sie irgendwie nervös wirkte.

„Was ist los, Agent Scully? Haben Sie etwas auf dem Herzen?“, fragte er sie besorgt.

„Sir, ich weiß nicht, wie ich es sagen soll. Es ist wegen Samantha. Sie wird so schnell groß und sie fängt an, Fragen zu stellen, die ich nicht beantworten kann, weil ich Angst davor habe. Fragen über Mulder, falls Sie verstehen, was ich meine“, brachte sie stotternd hervor.

„Setzen Sie sich erst einmal! Was sind das genau für Fragen?“

„Wer er ist! Sie fragt es immer wieder. Sie erinnert mich so schrecklich an ihn. Heute hat sie ihre Haare geflochten. Sie sah aus wie Mulders Schwester. Ich bin davongerannt, weil ich es nicht ertragen konnte, sie so zu sehen. Was soll ich nur tun? Sie ist meine Tochter und ich habe Angst, sie auch nur anzusehen“, sprach sie mit weinerlicher Stimme.

Skinner wischte sich den Schweiß von der Stirn. Er war ratlos. Er wusste nicht, was er sagen sollte. Eine Mutter, die Angst vor dem eigenen Kind hatte, weil es ihre schlimmsten Erinnerungen wachrief.
Er seufzte. „Scully, Sie müssen mit ihr reden! Sie wird immer weiter fragen. Und ich bin mir sicher, dass Sie sich auch besser fühlen werden, wenn Sie darüber reden.“

„Denken Sie, das weiß ich nicht? Es ist aber so schwer. Ich kann nicht darüber reden!“, rief sie verzweifelt. `Ich würde nur weinen und ich will nicht, dass Sam mich so sieht´, dachte Scully insgeheim.

„Dann schreiben Sie ihr einen Brief! Sie kann doch lesen. Schreiben Sie alles auf, was Sie denken, was für Sam wichtig sei! Sie können sie nicht ständig zurückweisen. Das wird Ihre Beziehung zerstören. Und hören Sie auf, Mulder in ihr zu sehen. Er ist tot!“
`Oh Gott! Das hätte ich nicht sagen sollen!´, dachte er schon im nächsten Moment, als er Scullys Gesicht sah. Es war wie versteinert und nur eine einzelne Träne ließ vermuten, was sie jetzt fühlte.

Sie stand auf und verließ, ohne ein Wort zu sagen, das Büro.

„Verdammt!!!“, schrie Skinner und schleuderte einen Stapel Akten von seinem Schreibtisch. Er wollte Scully helfen, aber er konnte es nicht. Und mit einem Satz hatte er alles zerstört. Er musste sofort zu ihr und sich entschuldigen.

Als Dana den Aufzug betrat und sich die Tür hinter ihr schloss, traten ihr die Tränen in die Augen. Was sollte sie nur tun? Noch nicht einmal Skinner konnte ihr helfen. Wen hatte sie denn schon? Ihre Mutter würde es nicht verstehen. Da war sie sich sicher, auch wenn sie nicht genau wusste, warum. Eigentlich würde es niemand verstehen. Alle würden nur sagen, dass sie mit Sam reden sollte. Aber das wusste sie auch selbst. Und der Brief? War das vielleicht eine Möglichkeit? Sie versprach sich, darüber nachzudenken.
Als sie wieder in ihrem Büro angekommen war, hatte sie sich halbwegs beruhigt. Sie trat ein und ging zu ihrem Schreibtisch, als Doggett plötzlich aufschrie, von seinem Stuhl sprang und dabei an einen Aktenschrank stieß, der sofort bedrohlich zu wanken begann. Scully war wie gelähmt, als sie den Schrank auf sich zu fallen sah. In letzter Sekunde konnte sie noch reagieren und zur Seite springen, als der Schrank auch schon krachend auf ihren Tisch sauste. Der Tisch splitterte und kleine Holzstückchen rieselten auf die zierliche Agentin hinab. Völlig verschreckt saß sie auf dem Fußboden, schon zum zweiten Mal an diesem Tag. Und wieder kam Doggett zu ihr hinübergerannt und half ihr vom Teppich auf. Scully zitterte am ganzen Leib und ihr Partner nahm sie besorgt in die Arme.

„Was ist heute nur los? Ich sollte nach Hause gehen und mich verkriechen. Ich habe heute einfach kein Glück, egal, was ich mache. Jetzt fehlt nur noch, dass Skinner reinkommt und sich über den Bericht beschwert!“, schluchzte sie verschreckt.

Und als ob er es gehört hätte, betrat tatsächlich Skinner in diesem Moment das Büro.

„Agent Scully, ich muss ...“

„Raus!“, schrie Doggett ihn an. „Gehen Sie! Das können Sie auch nachher oder am besten morgen früh klären.“

„Was ...?“, setzte Skinner erneut an.

„Raus!“, schrie Doggett erneut und tatsächlich trat Skinner den Rückzug an.

„Doggett, das hätten Sie nicht tun sollen. Sie werden eine ganze Menge Ärger bekommen. Das ist es nicht wert“, meinte Scully betroffen.

„Machen Sie sich mal um mich keine Sorgen! Ich denke, der Skinman ist Ihr Freund? Er wird das verstehen“, beruhigte er sie.

Plötzlich musste Scully grinsen. „So sollten Sie ihn lieber nicht nennen. Und jetzt helfen Sie mir bitte, dieses Monster von meinem Tisch zu entfernen!“

„Na klar. Es tut mir fürchterlich leid“, entschuldigte er sich und steuerte auf den Aktenschrank auf Scullys Tisch zu.

„Warum haben Sie überhaupt so geschrieen?“, wollte sie wissen, als sie anfing, die Reste von ihrem Tisch zu entfernen.

„Ich hatte mir den Finger an der Schublade eingeklemmt“, gab er kleinlaut zu. „Tut mir leid.“

Als sie nach mühsamer Gemeinschaftsarbeit den Schrank endlich wieder an seinem alten Platz hatten, stand Dana vor ihrem Schreibtisch und betrachtete das, was noch davon übrig war. Dann meinte sie lachend: „Sehen Sie, Doggett, die X-Akten sind eine sehr gewichtige Angelegenheit.“

„Offensichtlich! Ich gehe jetzt zu Skinner, entschuldige mich und beantrage gleich einen neuen Schreibtisch für Sie.“


17:19 Uhr Georgetown

„Wo wollen wir denn hin, Mommy?“, fragte Sam neugierig.

„Ich werde dich zu Frohike und den anderen bringen. Ich habe heute Abend eine Verabredung mit meinem Partner. Und ich will dich nicht zu Hause lassen“, sagte Scully, als sie ihre Tochter zum Wagen brachte. „Wenn es später werden sollte, dann hole ich dich morgen früh ab und bringe dich zur Schule.“

„Morgen ist Sonntag, da hab' ich keine Schule“, berichtigte sie ihre Mutter.

„Meinetwegen. Ich hole dich trotzdem morgen früh ab, wenn es spät wird. Die drei werden schon gut auf dich aufpassen. Ich mache mir zwar Sorgen um deine Ernährung, aber die eine Nacht wirst du schon überleben.“ Insgeheim sah sie schon die ganzen ungesunden Sachen vor ihren Augen, mit denen ihr armes Kind heute vollgestopft werden sollte.

„Frohike hat immer superleckere Sachen da“, bestätigte die Kleine Scullys Gedanken.

„Ja, das habe ich befürchtet“, erwiderte Scully mit einem gequälten Lächeln.

„Er mag dich!“, kicherte ihre Tochter, während sie die Stadt durchquerten, um zu Mulders ehemaligen Freunden und Informanten zu gelangen.

„Wer?“, fragte Dana und hoffte, dass jetzt nicht der Name fallen würde, den sie befürchtete.

„Frohike!“

Und da war er auch schon.
Seit Mulder sie das erste Mal mit zu den Lone Gunmen genommen hatte, war Frohike hinter ihr her. Er hatte alles versucht, um an sie heranzukommen. Doch vergeblich. Sie hatte ihn immer wieder abwimmeln können.
Danach herrschte wieder Stille. Samantha schaute lächelnd aus dem Fenster und freute sich auf den bevorstehenden Abend mit den Lone Gunmen.
Und auch Scully ging ihren Gedanken nach. Sie sah ihren Kleiderschrank vor sich und überlegte ernsthaft, was sie beim Treffen mit Doggett tragen sollte. Sie war ungefähr beim fünfzehnten Kleid angekommen, als sie das Hauptquartier der drei Männer erreichte. Sie war gerade stehen geblieben, als Sam auch schon die Wagentür aufriss und zum Hauseingang stürmte. Dort klopfte sie mit ihrer kleinen Kinderhand an die Tür und schon vom Wagen aus hörte Scully das Schnappen der Sicherheitsverriegelungen.
`Na ja, wenigstens ist sie sicher´, dachte sie und musste wieder einmal über die übertriebene Vorsicht der drei Paranoiden schmunzeln.
Hastig schloss sie den Wagen ab und lief zu ihrer Tochter hinüber, die gerade freudig von Langly empfangen und durch die Luft geschleudert wurde.

„Hallo, schöne Frau!“, ertönte Frohikes Stimme aus dem Hintergrund, als Scully in die Wohnung trat.

`Nicht schon wieder! Hört das denn nie auf?´, fragte sie sich verzweifelt, ging aber tapfer weiter und drückte dem kleinen Kerl mit der riesigen Glatze Sams Rucksack in die Hand.

„Schön, euch zu sehen!“, sagte nun auch Byers, der einen kurzen Moment investierte und von seinem Computer aufsah.

Scully fragte sich gerade, wann genau sie eigentlich das „Sie“ abgelegt hatten, als Sam auf sie zugerannt kam und ihr freudig ein mit Eis beschmiertes Grinsen schenkte. `Das fängt ja gut an!´
Als sie mit den Lone Gunmen allein war, sagte sie: „Wir halten es wie jedes Mal: Kein Sterbenswörtchen über Mulder. Ist das klar? Ich weiß, dass es schwer ist, aber ihr schafft das schon.“
Dann verabschiedete sie sich von ihrer Tochter, die sich noch einmal sanft an sie kuschelte, und verließ die Wohnung.

Als Scully abgefahren war, schloss Sam die Tür, klatschte in die Hände und rief: “So, ihr drei! Wer ist Mulder?“


Wohnung von Special Agent Dana Scully, 18:53 Uhr

Dana betrachtete sich zum wiederholten Male an diesem Abend im Spiegel und stellte wieder einmal fest, dass sie viel zu festlich für einen Abend mit ihrem Partner gekleidet war. `Es ist doch nur ein Geschäftsessen mit Doggett! Er ist mein Kollege´, rief sie sich immer wieder ins Gedächtnis zurück. Aber jetzt war es ohnehin zu spät, um sich noch einmal umzuziehen.
Sie trug ein fast bodenlanges bordeaux-farbenes Abendkleid, das sie noch nie angehabt hatte. Wie oft hatte sie sich gewünscht, es einmal in Mulders Gegenwart zu tragen. Es hätte ihm bestimmt gefallen.
Ihr Haar zierte eine zierliche silberne Spange und ihre Wangen wurden von einem Hauch Rouge bedeckt. Ihre Lippen glänzten im Licht, was durch eine dünne Schicht Lipgloss ausgelöst wurde. Ansonsten trug sie kein Make-up. Sie war ein natürlicher Typ und hatte nie etwas davon gehalten, ihr Gesicht unter einer Maske aus Schminke zu verbergen.
Ihr Blick fiel gerade auf ihre Dienstwaffe, als es draußen hupte. Reflexartig steckte sie sie in ihre Handtasche und ging hinaus zu ihrem Partner.
Als Scully das Haus verließ und in die Dunkelheit hinaustrat, sah sie Doggett neben der geöffneten Beifahrertür stehen. `Er ist ein echter Gentleman!´, dachte sie insgeheim und lief auf ihn zu.
Doggett traute seinen Augen kaum, als er Scully erblickte. Sie war so bezaubernd schön und elegant, fast engelsgleich. Im gleichen Moment gratulierte er sich selbst dafür, dass er doch den Smoking gewählt hatte. Nichts hätte besser zu diesem wundervollen Kleid gepasst.
Er lief zu Dana hinüber und bot ihr seinen Arm an. Sie nahm schweigend an und ließ sich von ihm zum Auto führen.
Seine Augen fielen auf Scullys rotes Haar, in dem sich das Licht des Mondes spiegelte. Der sanfte Duft von Pfirsichblüten stieg ihm in die Nase und unwillkürlich näherte sich sein Kopf ihren Haaren, die diesen Duft ausstrahlten. Er liebte diesen Geruch, den er schon so oft vernommen hatte. Jedes Mal, wenn sie das Büro betrat, trug sie ihn an sich.
Sie setzten sich in den Wagen und schlossen die Türen.

„Sie sehen einfach bezaubernd aus!“
In der Dunkelheit konnte er nicht erkennen, wie Scully errötete und so startete er den Motor und fuhr langsam los.


Hauptquartier der Lone Gunmen, 19:02 Uhr

„Bitte, bitte, bitte!!!!“, bettelte das kleine Mädchen, das es sich neben den drei Männern am Computer bequem gemacht hatte.

„Ich halte das nicht mehr aus!“, flüsterte Langly verzweifelt.

„Kannst du ihr nicht ein Eis oder so etwas geben, damit sie abgelenkt ist?“, bemerkte Byers ebenso frustriert und entnervt.

„Das wäre dann das Fünfte! Das können wir nicht machen, Scully würde uns töten!“, konnte Langly den Vorschlag nur verneinen.

„Och, nicht, wenn ich mit ihr rede!“, behauptete Frohike siegessicher.

„Na, klar! Ausgerechnet du!“, antworteten die Anderen im Chor, allerdings so laut, dass Sam wieder aufmerksam wurde.

„Was ist los?“, fragte sie neugierig, ließ es aber nicht zu einer Antwort kommen, sondern wandte sich erneut ihrem Lieblingsthema zu. „Wer ist denn nun Mulder?“

Das Einzige, was sie als Antwort erhielt, war ein gemeinschaftliches Seufzen der Männer. Sie waren mit ihren Nerven am Ende.


Restaurant „Blue Moon“, 19:53 Uhr

Scully und Doggett saßen sich gegenüber und schwiegen. Es war ein betretenes Schweigen. Es war anders. Anders als alle Schweigemomente, die sie je mit Mulder gehabt hatte, dachte sich Scully. Sie fühlte sich unwohl, obwohl sie aufgrund der vielen Köstlichkeiten auf ihrem Teller keinen Grund dazu hatte. Nach weiteren fünf wortlosen Minuten fragte sie aus heiterem Himmel:

„Haben Sie sich bei Skinner entschuldigt?“ Doggett war im ersten Moment sprachlos, da er nicht erwartet hatte, dass sie das Schweigen plötzlich brechen würde.

„Ja, natürlich!“, antwortete er hastig, hoffte aber, dass ihr diese Antwort nicht genügte. Er wollte nicht, dass ihre Konversation schon zuende war. Es war vielleicht nicht das perfekte Thema für solch einen Abend, aber es war besser als sich anzuschweigen.
Zum Glück war das Thema für Scully noch nicht vom Tisch und so fragte sie ihn schüchtern und ein klein wenig besorgt, ob Skinner denn sonst noch etwas erwähnt hatte.

Doggett, der sich über diese Frage ein wenig wunderte, sagte daraufhin: „Nein, eigentlich nicht. Sollte er denn?“

„Nein!“, antwortete Scully leise und wandte sich wieder ihrem Essen zu, das mittlerweile schon anfing, kalt zu werden.
`Sie weicht aus!´, dachte Doggett, als er seine Partnerin betrachtete. `Irgendetwas ist ihr unangenehm.´
Er kämpfte mit sich, ob er sie nicht einfach direkt fragen sollte und nach einem kurzem Moment brachte er es doch über sich.

„Scully, was ist mit Ihnen? Haben Sie etwas auf dem Herzen?“, fragte er sie besorgt.
Dana saß wie versteinert auf ihrem Stuhl und sagte nichts. Was sollte sie ihm jetzt auch antworten? Sie konnte es ihm nicht einfach sagen. Er wusste zwar, dass sie Mulder vermisste, aber was sie wirklich für ihn empfand, würde er nicht nachvollziehen können. Und sie war nicht bereit, es ihm zu sagen.
Plötzlich spürte sie eine Hand auf ihrer. Erschreckt sah sie auf und als sie Doggetts Blick bemerkte, zog sie ihre Hand hastig weg. Er hatte nur ihre Hand berührt und schon wehrte sich alles in ihr. Sie wollte das nicht, aber er würde es nicht verstehen. Wie sollte sie es ihm erklären? Diese Frage hatte sie sich so oft gestellt, aber sie fand keine Lösung.

„Entschuldigen Sie mich bitte einen Moment?“, fragte sie zaghaft und stand auf. Sie wollte einfach nur gehen, aber das konnte sie unmöglich. Er war ihr Partner und sie beide waren auf eine gute Zusammenarbeit angewiesen. Also ging sie zunächst in Richtung Waschraum, um sich ein wenig frisch zu machen. Sie hoffte, auf diese Weise ein paar klare Gedanken fassen zu können. Natürlich, Doggett war ein sehr netter Mensch. Er war immer hilfsbereit und stand ihr immer zur Seite, aber manchmal wünschte sie sich, er würde sie einfach nur in Ruhe lassen. Sie hatte zunehmend das Gefühl, dass er sich in sie verliebte und das machte ihr ein wenig Sorgen. Es komplizierte ihre Zusammenarbeit zunehmend. Sie wusste einfach nicht mehr, wie sie sich ihm gegenüber verhalten sollte.

Mit diesen Gedanken lief sie an den vielen Tischen vorbei und musste Acht geben, keinen der zahlreichen Kellner umzurennen, als ihr Blick auf die verspiegelten Regale am Tresen fiel. Sie erkannte das Spiegelbild eines Mannes, der sie mit seinen braunen Augen regelrecht zu fixieren schien. Er fuhr sich mit seiner rechten Hand durch die braunen Haare, ohne sie auch nur einen Augenblick aus den Augen zu lassen. Dann drehte sie sich blitzartig um, aber er war weg.
`Das kann nicht sein!´, war ihr letzter Gedanke, bevor um sie herum alles schwarz wurde. Ihr Kreislauf war überlastet. Es war einfach eine Aufregung zu viel an diesem Tag.


Hauptquartier der Lone Gunmen, 23:14 Uhr

„Na endlich!“, seufzte Langly erschöpft. „Sie schläft! Wenn sie noch einmal gefragt hätte, wer Mulder ist, dann hätte ich es ihr gesagt, nur, damit sie Ruhe gibt!“

„Ich bin fix und fertig!“, gähnte Byers. „Gute Nacht! Wir sollten schlafen gehen, wer weiß, wann sie morgen früh aufwacht!“

„Ja, eine sehr gute Idee!“, meinte auch Frohike und ließ sich auf der Couch nieder.
Kurze Zeit später waren alle eingeschlafen.


Georgetown Memorial Hospital, 23:32 Uhr

“Scully, wachen Sie auf! Können Sie mich hören?“

Leise drangen diese Worte in ihr Ohr. Sie erkannte Doggetts Stimme, aber sie wollte jetzt nicht mit ihm reden. Nicht nach dem, was sie eben gesehen hatte.

„Doggett, würden Sie bitte kurz rausgehen?“, hörte sie eine weitere Stimme, die für sie wesentlich angenehmer klang.

Als sie die Tür zuschlagen hörte, blinzelte sie und erkannte Skinner, der sich über sie beugte.

„Hab ich es mir doch gedacht!“, sagte dieser und lächelte sie zaghaft an. „Wie geht es Ihnen, Agent Scully?“, fragte er besorgt.

„Ich habe ihn gesehen!“, sagte sie hastig und strahlte ihn mit feuchten Augen an.

„Wen haben Sie gesehen?“, fragte Skinner verblüfft, wobei er eine Vorahnung hatte, wen die kleine Agentin gesehen haben könnte.

„Mulder. Ich hab' Mulder gesehen!“, lachte sie ihn an. „Er lebt!“ Skinner war sprachlos. Was sollte er jetzt sagen? Er wollte ihr diese Freude nicht nehmen, aber er konnte nicht glauben, dass Mulder jetzt plötzlich nach zehn Jahren zurück gekommen sein sollte.

„Scully, sind Sie sich da ganz sicher? Könnte es nicht sein, dass Sie sich das nur eingebildet haben? Vielleicht haben Sie es geträumt, während Sie bewusstlos waren.“
„Nein, Sir! Da besteht überhaupt kein Zweifel! Ich kann es ja selbst kaum glauben, aber er war es wirklich. Glauben Sie, ich könnte mich da so irren? Ich würde ihn überall erkennen, das wissen Sie doch!“, versuchte sie es noch einmal.

„Wie Sie meinen“, gab er klein bei, obwohl er nicht gerade überzeugt war. Aber er wollte sich jetzt nicht mit ihr streiten. „Jetzt sollten Sie aber schlafen! Wenn Sie wollen, kümmere ich mich morgen früh um Ihre kleine Sam! Wo soll ich sie denn abholen?“, fragte ihr Vorgesetzter hilfsbereit.

Nachdem sie kurz nachgedacht hatte, beschloss sie, dass sie das Krankenhaus am nächsten Morgen verlassen würde, um ihre Tochter selbst abzuholen. Skinner wäre sicherlich schockiert gewesen, wenn er wüsste, in welchem Umfeld Scully ihre Tochter großzog.
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