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Familienbande IV: Zerfetzte Herzen

von Dawn

Kapitel 1

A.D. Skinners Büro
Montag
15:43 Uhr


„Sir, das können Sie nicht *machen*!“

Walter Skinner fixierte mit seinem Blick die Akte, die vor ihm lag, er hatte die Zähne zusammengebissen und sein Kiefer zuckte. Der gewöhnliche Ärger in der Stimme des Agenten hatte die Grenze zwischen Protest und Ungehorsam überschritten, etwas das Skinners militärische Vergangenheit nicht gut heißen konnte.

„Agent Mulder, Sie überschreiten ihre Grenzen.“, knurrte er. „Ich kann es nicht nur tun, ich habe es getan. Sie sind bis auf weiteres von dem Fall abgezogen.“

„Das ist Bockmist!“, schoss Mulder aufsässig zurück.

Skinner sah langsam von dem Autopsiebericht auf, er spürte seine Wut wie ein lebendiges Wesen wachsen. Er hörte Scullys tadelndes Fauchen kaum, so fixiert war er darauf Mulder mit gefährlich glitzernden Augen festzunageln.

„Was?“

„Ich sagte, dass es Mist ist! Das ist mein Fall, das war er von Anfang an. Sie werden ohne mich nichts herausbekommen und das wissen Sie!“

Während Mulder seine Tirade weiterführte, nahm Skinner den Hauch einer Bewegung war und folgte ihm zu seiner Quelle. Scully drückte verstohlen Mulders Hand und zum ersten Mal wandte er ihr seine Aufmerksamkeit zu. Sie war sich seines Blickes nicht bewusst, völlig auf ihren Partner fixiert. Skinner erfasste die kleinen Sorgenfalten, die Zähne, die an der Unterlippe knabberten, bevor sein Blick zu dem tobenden Mulder zurückkehrte. Dieses Mal sah er genauer hin, versuchte mit Scullys Augen zu sehen. Die Erkenntnis löschte seine Wut wie ein Schwall kalten Wassers und erinnerte ihn daran, warum er die Entscheidung getroffen hatte, die den Mann so hatte ausrasten lassen.

Mulders Haut war kreidebleich und verdunkelte sich zu dunkeln, violetten Schatten unter seinen blutunterlaufenen Augen. Der teure schwarze Anzug, der, wie er gesehen hatte, schon oft von einer ganzen Ansammlung von Sekretärinnen bewundert worden war, war zerknittert und schlabberte um seinen vom plötzlichen Gewichtsverlust eingefallenen Körper. Und seine, obwohl oberflächlich von Wut getrieben, Stimme hatte einen verzweifelten Tonfall, der unvergossenen Tränen ähnelte. Skinner verstand urplötzlich Scullys große Sorge und verstand warum sie ihn heimlich um Hilfe gebeten hatte. Mulder war mehr als erschöpft, er stand am Rande eines totalen Nervenzusammenbruchs.
„Mulder.“

Seine ruhige, feste Aussprache des Namens beendete den Fluss der bitteren Worte auf eine Art, wie es eine Zurechtweisung nie geschafft hätte. Skinner stand auf und ging herum um sich mit verschränkten Armen gegen die Front des Schreibtisches zu lehnen. Skinner seufzte und wählte seine nächsten Worte sorgfältig, er hatte das Gefühl als würde er durch ein Minenfeld navigieren.

„Mulder, Sie müssen kürzer treten. Sie haben den Blick dafür verloren, was wichtig ist, was ihre Prioritäten sein sollten.“

„Meine *Priorität* ist es den Metzger zu finden, der diese kleinen Mädchen tötet! Alles andere ist zweitrangig!“, fauchte Mulder.

Skinner sah ihn ruhig und mitfühlend an. „Das ist genau was ich meine.“ Als Mulder zu reden begann, hob er eine Hand. „Sie verlieren sich selbst an diesen Verrückten, Mulder. Wann haben Sie zum letzten Mal etwas gegessen? Oder für mehr als ein oder zwei Stunden geschlafen? Sie waren das ganze Wochenende hier, oder etwa nicht?“

Mulders lange Finger krallten sich um die Armlehne seines Stuhls und er wandte seine Augen von Skinners ab. Skinner schüttelte den Kopf und beugte sich nur ein wenig vor um bis an die Grenze zu gehen und in Mulders Privatsphäre einzudringen.

„Sie müssen nicht antworten, Mulder. Ich sehe es selbst. Sie sehen beschissen aus.“

Die Worte waren ruhig gesprochen, ohne Verachtung, aber etwas in Mulder brannte durch und er streckte sein Gesicht vor, weigerte sich aufzugeben.

„Das ist nebensächlich. Aus irgendeinem unbekannten Grund versucht dieser kranke Bastard mich zu beeindrucken. Ich bin der Einzige, der eine Chance hat ihn zu finden, und ich muss meinen Job machen. Nichts anderes zählt.“

Die Schlussfolgerung, die sich aus diesem Statement ziehen ließ, zerrte an Skinners Herzen, mehr noch weil er wusste, dass Mulder völlig davon überzeugt war.

„Für mich schon.“, sagte er mit ruhiger Entschlossenheit. „*Sie* zählen. Das hier ist nicht die verdammte ISU, Mulder, und ich weigere mich in die Rolle von Bill Patterson gedrängt zu werden. Sie werden sich für eine Woche *nicht* in diesem Gebäude blicken lassen. Sie werden *nicht* anrufen. Sie werden die Akte *nicht* mit nach Hause nehmen. Wenn ich herausfinde, dass sie gegen eine meiner Anweisungen verstoßen haben, werde ich Sie suspendieren. Am Ende der Woche werde ich Ihre Verfassung beurteilen und entscheiden, ob Sie ihren Platz im Team wieder einnehmen dürfen. Habe ich mich klar ausgedrückt?“

Mulders Augen waren fast schwarz und für einen Moment war Skinner sicher, dass der Mann ihn schlagen würde. Das wäre nicht das erste Mal dachte er reumütig, den Drang unterdrückend seinen Kiefer zu massieren.

„Ja. *Sir*.“ Mulders Antwort tropfte von Verachtung. „Sind wir fertig?“
Skinner nickte, plötzlich fühlte er sich müde. Mulder sprang auf seine Füße und stolzierte aus dem Büro, er sah nicht einmal zurück um zu sehen ob Scully ihm folgte. Skinner nahm seine Brille ab und rieb sich den Nasenrücken, er fragte sich ob Kim Aspirin hatte. Scullys Stimme war leicht entschuldigend, als sie erklang.

„Nehmen Sie das nicht persönlich, Sir. Er ist momentan nicht er selbst.“

Skinner bewegte sich vorwärts, um in den Stuhl zu sinken, den Mulder verlassen hatte. „Scully, Sie haben ein Talent dafür zu untertreiben.“, sagte er ironisch. Als sie vergeblich versuchte sein Lächeln zu erwidern, ernüchterte er. „Wie lange ist er schon so? Ich muss zugeben, dass ich als Sie mich baten, ihn von dem Fall abzuziehen, fürchtete, dass Sie überreagieren. Aber ihn jetzt zu sehen…“ Er ließ seine Worte, leicht beschämt, verhallen. In Wahrheit hatte er befürchtet, dass die Veränderungen in Mulders und Scullys persönlicher Beziehung ihre Objektivität beeinflusst hatte.

„Es hat sich stetig aufgebaut, seit er das erste Herz bekommen hat. Aber seit der Änderung bei den Opfern. Sie schluckte und blinzelte schnell. „Es zerreißt ihn innerlich. Er kann nicht loslassen, nicht mal um zu essen oder zu schlafen. Ich habe die Geschichten, darüber wie er während dem Profilen ist, gehört, aber sie zu leben ist anders. Ich habe Angst um ihn, Sir.“

Skinner seufzte, er erinnerte sich lebhaft daran, wie sein Agent acht Wochen zuvor unangekündigt in sein Büro gestürmt war. Mulders Gesicht war eine undurchdringliche Maske gewesen, nur seine Augen hatten den Horror widergespiegelt, den er empfand. In seiner Hand hatte er ein Stoffherz umklammert gehalten, das denen glich, die der verstorbenen Serienmörder John Lee Roche gemacht hatte. Abweichend von Roches Modus Operandi hatte dieser Mörder Mulder jedoch zusammen mit den Herzen eine Beschreibung zum Fundort der Leiche geschickt. Die Sammlung bestand nun aus sechs Herzen, und Skinner hatte Mulder bei jeder neuen Lieferung ein bisschen sterben sehen. Die letzten drei kleinen Mädchen waren alle dunkelhaarig und erinnerten unheimlich an seine Schwester Samantha.

„Ich wusste, dass er zu hart arbeitete.“, gab Skinner zu, er fühlte sich mehr als nur ein bisschen schuldig wegen seiner Gleichgültigkeit. „Ich habe nur nicht bemerkt, dass er diesen Punkt erreicht hatte. Er ist gut darin, dass zu verstecken, und wir brauchten ihn so dringend, dass ich mich selbst davon abgehalten habe, genau hinzusehen. Es tut mir Leid, Scully.“

Scully zuckte mit den Schultern, aber ihre Augen waren noch immer besorgt.
„Sie haben mich unterstützt, Sir. Sie haben dafür gesorgt, dass Mulder Sie für den Bösewicht hält, und das weiß ich zu schätzen. Wenn er wüsste, dass die Idee von mir war, würde er das als Verrat ansehen.“

Skinner legte kurz eine tröstende Hand auf ihren Arm, bevor sie beide aufstanden. „Kümmern Sie sich um ihn, Scully. Wir wissen beide, dass er dagegen ankämpfen wird. Halten Sie ihn von hier fern, bringen Sie ihn dazu etwas zu essen und etwas zu schlafen. Ich werde mich melden.“

Scully zog eine Augenbraue hoch und für einen Moment sah er einen Funken ihres trockenen Humors. „Ihr Vertrauen in mich ehrt mich, Sir, ich hoffen nur, dass es nicht fehl am Platz ist. Ich werde mein Bestes tun.“

Skinner beobachtete, wie sie ihre Schultern ein wenig straffte, bevor sie das Büro verließ. Auf Mulder in seiner gegenwärtigen geistigen Verfassung aufzupassen würde keine einfache Aufgabe sein, aber er zweifelte nicht daran, dass sie ihr gewachsen war.
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