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Todeslicht

von Martina Bernsdorf

Kapitel 1

Newpoint, Nebraska
Saint Ann Hospital
31.1o.1992
23.54


„Schneller Mann!“ Die Hartgummireifen der Liege quietschten auf dem nächtlich stillen Krankenhausflur.
Ein Arzt mit vom Schlaf verquollenen Augen beeilte sich, die Fahrer des Krankenwagens einzuholen, während er bemerkte, dass zwei Schwestern der Nachtschicht ebenfalls zu der kleinen Gruppe stießen.
„Die zwei ist frei!“ Carla Shawn, die Oberschwester der Nachtschicht, dirigierte mit einem geübten, kräftigen Griff die Liege in die angestrebte Richtung.
„Was haben wir denn hier?“ Der Arzt starrte auf das Mädchen auf der Liege, der kleine, tragbare EKG-Monitor lag neben ihr, und die Zacken darauf waren alles andere als beruhigend.
Der Rettungsdienst hatte ihr T-Shirt mit einem brutalen Ruck aufgerissen, und die Elektroden des EKG klebten an ihrer nackten Haut.
Dr. Wyzek fand es immer erstaunlich, wie entwürdigend und preisgegeben die Menschen wirkten, die man auf diesen rollenden Bahren in die Notfallaufnahme brachte.
Manchmal war er auch überrascht, wie sehr man Knochen brechen konnte, wie sehr sich menschliches Fleisch verformen vermochte und wie vielfältig der Tod in der Notfallaufnahme sein konnte.
Er hatte erst seit einem Jahr seine Assistenzarztzeit hinter sich, aber das hatte genügt, um ihn jeder Illusion ärztlichen Schaffens zu berauben. Hier gab es keine Halbgötter in Weiß, keine Ärzte wie im Fernseher, deren Kittel immer weiß und gestärkt waren.
Sein Kittel war blutig, von dem Verkehrsunfall um 18.00 Uhr, getrocknetes Erbrochenes klebte noch an seinem Schuh, von der Magenverstimmung vor zwei Stunden.
Er fühlte sich müde, seine Augen brannten im grellen Licht der Neonlampen und er fragte sich, welches Unglück dieses junge Mädchen in diese Lage gebracht hatte.
Bleich und ausgestreckt auf einer Bahre, die Brüste entblößt, ein wenig Blut an der Nase.
Die Bahre krachte gegen die Schwingtüre von Raum 2 und stieß sie auf, noch mehr grelles Neonlicht. Wyzek blinzelte. „Was ist nun mit ihr?“
„Blutdruck 80 zu 60, Tendenz fallend! Puls 130! Wir bekamen einen Anruf, eine wilde Collegeparty, wir fanden das Mädchen bewusstlos auf!“ Der Rettungsfahrer zuckte die Schultern. „Drogen, nehm ich an!“
Gemeinsam mit den zwei Schwestern wuchteten sie das Mädchen auf den metallischen, kalten Untersuchungstisch.
„Wir haben sie wegen Atemstillstand intubiert!“ Der Rettungsfahrer wich ein paar Schritte zurück, seine Arbeit war eigentlich getan. Nun kümmerten sich der Arzt und die Schwestern um das Mädchen.
Wyzek begutachtete die Arme des Mädchens, keine Einstichstellen ließen sich finden. „Habt ihr einen Namen?“
„Julia Westmoor“, erklärte der zweite Rettungsfahrer. „Scheiß Abschlussfeiern!“
„Der Blutdruck fällt weiter!“ Carla Shawn hatte schon viele Teenager auf diesen Tischen gesehen, Drogen, Unfälle, Alkoholintoxikationen, sie hatte auch viele hier sterben gesehen, zu viele, wie sie im Stillen dachte.
Wyzek warf einen Blick auf den EKG-Monitor, die steilen Zacken des EKG ließen auf irgendeine Droge schließen, Kokain, Ecstasy, alles Dinge, die den Herzschlag auf diese Weise beschleunigen konnten.
„Eine Ampulle Etilefrin!“ Carla nickte und injizierte das Medikament in den bereits am Handgelenk gelegten venösen Zugang.
„Ich will ein volles Blutbild!“ Wyzek blickte zu der Oberschwester, die dies bereits veranlasst hatte.
Ein schrilles Piepsen des EKG Monitors entlockte Wyzek einen Fluch. „Flatline!“ Alle starrten auf den Monitor, wo sich die steilen Zacken und Wellen zu einer einzigen Linie abgeflacht hatten.
„Defibrilator!“ Wyzek war bereits dabei, das Herz zu massieren, sein Blick richtete sich auf den Monitor, wo nur eine grüne Linie den Tod andeutete. Wie oft hatte er das gesehen?
„200“ - Wyzek sah, dass Carla so weit war, und riss seine Hände zurück, der Elektroschock ließ den Körper des Mädchens sich aufbäumen, ihre Turnschuhe gaben ein widerlich quietschendes Geräusch auf dem Tisch.
„Flatline“, die Stimme der zweiten Krankenschwester klang resignierend.
„10 Milligramm Adrenalin!“ Wyzek bemerkte, wie beide Krankenschwestern stutzten, sie waren erfahren, Adrenalin bei einer Drogenintoxikation zu spritzen war eine gefährliche Sache.
„Wir verlieren sie, Carla!“ Die Oberschwester nickte, zog das Adrenalin auf und injizierte es.
„Noch mal 200“ - ein erneuter Elektroschock zuckte durch den Körper des Mädchens.
Die zwei Rettungsfahrer waren noch immer anwesend, nun ging einer von ihnen zur Türe. „Komm, Jake, unsere Schicht ist ohnehin vorbei.“
„Geh schon voraus.“ Jake Trebon hatte selbst eine Tochter in dem Alter und wollte gerne sehen, wie der Kampf um das Leben dieses Mädchens gewonnen wurde.
Sein Partner verließ den Raum, die Schwingtüre fiel mit einem sanften Geräusch wieder zu.
„300!“ Wyzek wusste, dass er eigentlich schon verloren hatte, die Unerbittlichkeit der grünen, flachen Linie schien ihn zu verspotten, ebenso wie der langgezogene Ton, den er schon lange mit dem Tod assoziierte.
Strom zuckte durch den Körper des Mädchens, Wyzek kniff die Augen zusammen, war das Licht nicht noch viel heller als sonst?
Kaltes, weißes Licht schien den Raum zu überfluten. Wyzek hörte den Ton des EKG, das darauf schließen ließ, dass das Herz des Mädchens zumindest momentan wieder schlug.
Aber er konnte die Zacken und Wellen nicht sehen, die auf dem Monitor leuchteten, alles schien lichtüberflutet.
Es war ein kaltes Licht, so hell und blendend, weiße Lichtblitze krochen über die medizinischen Geräte auf ihn zu.
Wyzek starrte in dieses Licht, es war so allumfassend in seiner Helligkeit!

XXX

Henrie Lesall, der zweite Rettungsfahrer, reckte sich auf dem Krankenhausflur und ging langsam in Richtung Ausgang, er hoffte, dass Jake bald nachkommen würde. Nach so einem Abend nahmen sie meist noch ein Bierchen und spülten den Tag damit hinunter.
Er blieb stehen, als er den Schatten auf dem Boden sah, er war groß, scharf umrissen, schwarz. Henrie schauderte, ehe ihm bewusst wurde, dass es sein eigener Schatten war, aber solche Schatten warf kein Neonlicht!
Henrie drehte sich um und schloss geblendet die Augen, durch das Sichtfenster in der Schwingtüre von Raum zwei gleißte das hellste Licht, das er je gesehen hatte.
Er riss die Hände hoch, vor seine Augen.
Lesall blinzelte überrascht durch seine Finger, das Licht war schlagartig wieder erloschen, und nach dieser Helligkeit wirkte das Licht der Neonlampen schwach, matt und dämmrig.
„Jake!“ Lesall wusste nicht, warum er sich plötzlich um seinen Partner und Freund so sorgte, seine Beine rannten schon, ehe ihm bewusst wurde, was er tat.
Er stieß die Schwingtür zu Raum 2 auf und taumelte einen Schritt zurück, ehe er wieder hineinrannte.
„Code Blau!“ Lesalls Stimme drang nur gedämpft durch die Türe, er sprang wieder auf den Flur, wo eine Krankenschwester bereits loslief.
Code Blau war das gängige Codewort für einen Herzstillstand. „Sie sind alle tot!“ Lesall rannte wieder in den Raum und kniete sich neben Trebon.
Die beiden Krankenschwestern lagen auf dem Boden, Wyzek lag mit weit offenen Augen auf dem Rücken, seine Augen konnten den Monitor nicht mehr sehen, auf dem ruhige Zacken und Wellen einen beständigen Herzrhythmus anzeigten.
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