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Akte xXS

von Dorian Kray

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„Dana? – Danaaa!“ Fox Mulder eilte mit wehendem Mantel durch die schluchtartigen Flure. Er musste in sich hinein grinsen. Wie einfach es ihm fiel, seine Kollegin, die seit fünf Jahren seine Partnerin war, mit Vornamen anzusprechen. Das war tatsächlich ihre Idee gewesen.

„Dana, bitte! Wo bist Du?“ Er drückte sich an der Mauer entlang, schob sich bis zur nächsten Tür vor und verharrte. Seine Augen verengten sich zu Schlitzen, dann wagte er einen schnellen Blick, warf ihn in bester Sonny-Crocket-Manier um die Ecke, vielleicht ein wenig überstürzt.



Doch der Automatenraum war leer. Er war mit den mannshohen Getränkemaschinen, dem grellen Halogen-Licht und dem Surren der Kühlaggregate allein. „Verdammt“, presste er zwischen Zähnen und Lippen hervor. 19 Etagen des FBI-Verwaltungsgebäudes in Washington D.C. hatte er schon durchsucht – ohne greifbaren Erfolg. Wo mochte Scully nur sein? Sie hatte das Gebäude nicht verlassen, da war er sicher. Blieb noch das Dach. Mulder schwang sich geschickt die eiserne Feuerleiter herauf. Oben blies ihm der Wind eiskalt ins Gesicht, fuhr ihm unter den Kragen und griff beherzt in sein volles Brusthaar. Mit einer ebenso geschickten wie eleganten Bewegung zog er fast beiläufig den Cashmere-Shawl fester.



Angst verspürte er nicht. Höchstens ein leichtes Kribbeln im Nierenbereich. War da nicht ein Schatten? Nein, nichts. Er suchte erfolglos. „Verdammt“, wiederholte er.



„Deine Zeit ist abgelaufen“, hörte er plötzlich hinter sich. Die Stimme kam ihm bekannt vor. Schnell wirbelte er auf seinem Schweinslederabsatz herum und sah – Scully.

„Dana, wo waren Sie denn?“

„Hey, Foxy-Baby, wir duzen uns – schon vergessen? Außerdem war ich gleich hier drüben, im Schornstein.“



So sah sie allerdings auch aus. Die Haare hingen ihr wüst ins venushafte Gesicht, ihr grünes Kostüm war voller Ruß-Flecken. Mulder schüttelte den Kopf, als er sie betrachtete. „Scully!“ Er rang nach Worten und schüttelte mit zusammengepressten Lippen weiter den Kopf. „Scully, seit fünf Jahren spielen wir jetzt in der Mittagspause Verstecken. Aber du überrascht einen doch immer wieder.“

„Überraschen? Ich habe mich in all den Jahren noch nie irgendwo anders als im Schornstein versteckt, weißt Du das nicht mehr?“

„Doch, Dana, aber ich bin immer wieder überrascht, dass Du so ein dummes Spielchen Tag für Tag aufs Neue so ernst nimmst.“

„Gut, gehen wir einen Kaffee trinken?“







Scully und Mulder betraten den TT-Twister. Das war eine ziemlich angesagte Lounge in D.C. „Zwei Kaffee“, orderte Mulder, während er Scully aus dem Mantel half. Sie hatten kaum Platz genommen, als plötzlich acht Maskierte den Raum betraten. Sie waren schwer bewaffnet und machten einen unheimlichen Eindruck. Permanent schwenkten sie die Läufe ihre Waffen hin und her. Einer von ihnen machte einen Schritt nach vorn, warf sich in Pose, blickte irritiert auf Scullys fleckiges Kostüm, machte dann aber ein wichtiges Gesicht und tönte: „Wir suchen Axel Krycek, den Bruder von Alex Krycek.“

Scully und Mulder blieb der Mund offen stehen. Nicht nur, weil der Name Krycek gefallen war. Da stimmte doch irgendwas nicht! Jetzt fiel es Scully auf: Alle acht Typen zogen eklige Schleimspuren hinter sich her. Und alle waren nackt, wenn wir von dem Halstuch, das sie sich verschwörerisch über die Gesichter gezogen hatten, einmal absehen. Ihre nackten Körper waren aber nicht ästhetisch – ganz im Gegenteil! Ihre Torsos waren fast – geleeartig.



„Mulder, denken Sie dasselbe, was ich denke?“

„Klar doch. Die könnten mal eine Dusche vertragen, was?“ Er lachte laut.

„Das meine ich nicht. Das sind Außerirdische! Mulder, verstehen Sie denn nicht? Sie hatten immer Recht! Was ich nie glaubte, sehe ich jetzt!“

„AUSSERIRDISCHE??!!“, sagten jetzt fast alle Gäste der Lounge wie aus einem Mund.

Mulder fragte sich, warum ihn Scully plötzlich wieder siezte.



Der Anführer der Maskierten sah wild und ärgerlich drein. „Verdammte Scheiße, wir sind maskiert. Woher wollen Sie wissen, dass wir Außerirdische sind“, schrie der vorderste Schleim-Mann Scully aus voller Brust zu.

Der hintere der acht Vermummten trippelte nervös von einem Bein aufs andere und zog so ungewollt die Aufmerksamkeit der beiden Agenten auf sich. Er war nicht ganz nackt, sondern trug die Uniform aller Nudisten: Nichts, außer einem kleinen Gürtel aus Klapperschlangenleder. Wenn man es recht betrachtete, sah dieser Achte auch nicht schleimig aus, sondern eher menschlich. Als Mann war er nicht einmal schlecht gebaut. Seine Maskierung war verrutscht.



Scully und Mulder sahen ihn sich genauer an, und blickten sich dann entsetzt in die Augen. „Oh nein, das nicht!“

Oh doch, das auch. Es war Richard „Ringo“ Langley, der langmähnige Blonde, der drei Lone Gunmen. Er hörte auf zu trippeln und sah hektisch abwechselnd zu Mulder und Scully.

„So, seid wohl stolz drauf, dass ihr mich erkannt habt, was? Echt toll! Tolle Freunde hab ich mir da ausgesucht.“

„Nein, nein!“ Scully wiegelte ab, blickte in die Runde, sie machte beschwichtigende Handbewegungen mit ausladender Geste. „Er ist nicht unser Freund!“, sagte sie laut.



„Ach, ich bin Dir wohl nicht mehr gut genug“, grantelte Ringo.

„Wieso ‚nicht mehr’“, konterte Scully.

„Aha, Du hast Mulder nicht gesagt, dass wir verlobt waren.“

„Das Thema ist längst vom Tisch. Die Messe ist gelesen, der Drops gelutscht. Durch. Und zwar endgültig.“

Jetzt fauchten beide, und Ringo schrie: „Mein Orgasmus war immer nur vorgetäuscht.“

„Waaas? Pah! Du hast doch nie einen hoch gekriegt!“

„Kein Wunder, wenn man mit einem Eisblock im Bett liegt.“

„Ich ein Eisblock? Warum denn wohl? Ich stehe eben nicht auf Sex in Hühnerkostümen.“



Eine peinliche Stille setzte ein. Das Wort „Hühnerkostüm“ hing wie ein Damoklesschwert über der Szenerie. Selbst die schleimigen Monster fühlten sich unwohl. Sie sahen betreten zu Boden oder kauten ihre wabbeligen Nägel. Nichts war zu hören. Nur das Surren des Deckenventilators lag über der bleiernen Stille. Alle Gäste der Lounge hatten das Gespräch aufmerksam verfolgt; selbst der Barkeeper hatte beim Gläserspülen inne gehalten und stand mit offenem Mund reglos hinter seinem Tresen.

Unpassenderweise setzte jetzt im Hintergrund gerade die Stereoanlage wieder ein: ein Tarkan-Disco-Mix.

Jeder einzelne überlegte fieberhaft, wie er die Situation retten könnte, sogar die sieben echten Ufo-Besatzungsmitglieder.



Ihr Anführer ergriff als Erster das Wort: „Kennt Ihr auf der Erde eigentlich auch Jeopardy?“, fragte er.

Da waren alle glücklich, besonders Scully, der das eisige Schweigen größtes Unbehagen bereitet hatte. „JAA!“, schrie sie sehr laut, „Möpse 500.“

Und Mulder wusste die Antwort: „Wer ist Pamela Anderson?“ Dafür bekam er einige Punkte.



Der Zufall wollte es, dass Frank Elsner zugegen war. Er stand auf und schritt, begleitet vom Beifall der Anwesenden, nach vorn. Unterwegs knöpfte er sich geschickt mit einer Hand das 70-er-Jahre-Jacket seines gestreiften Anzuges zu. Souverän wie immer, die dick umrandete Brille auf der Nase, die wie er selbst die besten Jahre schon hinter sich hatte. Als Spielleiter hatte er einige Erfahrung, und so entwickelte sich sehr schnell eine lustige Raterunde, in der sich besonders die Außerirdischen als gesellige Spaßmacher erwiesen und mit einem breiten Wissen glänzten.



Als es draußen schon wieder hell wurde und die ersten Vögel ihre Morgenständchen zu trällern begannen, löste sich die gesellige Runde auf, und eine schwere Hand legte sich auf Fox Mulders Schulter. Als er sich umsah, erschrak er.

„Krebskandidat! Was machen Sie denn hier?“

„Mulder, ich hatte nie viel für Sie übrig, und väterliche Gefühle wecken Sie bestimmt nicht in mir, aber ich muss meine alte Meinung revidieren, ich wünschte, ich würde mich für Ufos interessieren.“

Scully überlegte lange, wo sie diesen Satz schon einmal gehört hatte. Dass ihr eine kleine Biene in den Ausschnitt krabbelte und in ihren Push-up-BH lugte, bemerkte sie nicht. Doch das machte nichts, denn es handelte sich nicht um ein manipuliertes Insekt, sondern um eine ganz gewöhnliche Honigbiene.



Ringo Langley hatte sich inzwischen ein schwarzes T-Shirt übergestreift, das er zuvor aus seinem kleinen Rucksack gezogen hatte. Obwohl ein gefährliches Monster auf dem Shirt prangte, gab er ein lächerliches Bild ab – so ganz ohne Hosen. Eigentlich hatte er die Außerirdischen auslöschen wollen, aber im Laufe des Abends waren sie ihm sympathisch geworden. Er hatte seinen Plan aufgegeben und beschloss kurzerhand, nach Hause zu fahren, um sich allein eine Video-Aufzeichnung eines Konzertes der Band „Machine Victim“ anzusehen.



Sollte dies das Ende der Geschichte sein? Nicht doch:



Die Außerirdischen machten eine erstaunliche Entwicklung durch. Nachdem sie im TT-Twister ein üppiges Frühstück verschlungen hatten, besorgten sie sich Baggy-Trousers und Stüssy-T-Shirts, um sich in einen Park zu setzen. Dort wollten sie einige jugendliche Skater beobachten. Doch die Außerirdischen trockneten komplett aus, weil sie das Klima auf der Erde auf Dauer nicht vertragen konnten, und direkte Sonnenbestrahlung erst recht nicht. Diese plötzliche Erkenntnis machte dem 40.000-jährigen Kolonisierungsversuch auf der Erde ein wahrlich abruptes Ende und stellte das komplette geheime Regierungsprogramm in Frage, das so viel Zeit und Geld und Nerven verschlungen hatte.



Langley verliebte sich bald darauf in Scully, Scully in Mulder, Mulder in den Krebskandidaten, dieser in Axel Krycek, und der wieder in Scully, die aber bald nach diesem denkwürdigen Abend mit Frank Elsner nach Hamburg zog. Viel später machte sie von sich Reden, als sie ein bahnbrechendes Werk in drei Bänden über die Sizilianische Eröffnung beim Schach veröffentlichte und eine angesehene Biographie über Luis Trenker schrieb.

Mulder bekam vier Kinder vom Krebskandidaten (Bauchhöhlenschwangerschaften, versteht sich – diese Technik hatten die Außerirdischen dem Krebskandidaten als Erbe hinterlassen); alle vier Babys hatten schon bei der Geburt glimmende Zigaretten im Mundwinkel, eines kam sogar hustend auf die Welt. Die beiden Väter erzählten ihnen die unglaublichen Geschehnisse nie. Und als die vier Geschwister viele Jahre später in Washington von einem langhaarigen, alten Mann in zerschlissenen Hosen und Heavy-Metal-T-Shirt belästigt wurden, der ihnen die Obdachlosen-Zeitung andrehen wollte, da erkannten sie den bärtigen Fremden zum Glück nicht.



Scully hatte einen der konfitüreartigen Körper der Außerirdischen mit nach Hamburg genommen, ehe er ganz eingerunzelt war. In der Küche ihres neuen mondänen Heimes legte sie ihn in Erdbeerweinsauce ein und verkaufte ihn später auf dem Hamburger Fischmarkt als Schweinskopfsülze in Aspik. Ihr Werbeslogan „Schmeckt wie von einem anderen Stern“ bescherte ihr viele Kunden und lockte ihr selber immer wieder ein kleines Grinsen auf das zauberhafte Gesicht. Seitdem hofft sie auf eine baldige Rückkehr von Außerirdischen.



ENDE
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