World of X

Das älteste Archiv für deutsche Akte-X Fanfiction

Lacrima Mortis

von Konstanze Faust

1/1

***** TASCHENTUCH WARNUNG *****
Ich erlebe es jeden Tag wieder. Jeden Tag, jeden Morgen um genau zu sein. Ich öffne die Augen und genau in dem Moment, wenn der Schleier der Müdigkeit etwas von mir abgefallen ist, habe ich dieses Gefühl in mir. Dieses Gefühl, dass ich es nicht mehr aushalte und dass heute der Tag ist, an dem ich etwas tun muss. An dem ich diese mich so lähmende Feigheit wie ein Hindernis beim Hürdenlauf überwinden muss und mein Mund die Worte formt, die mein Herz schon lange herausschreit.

Ich bin müde. Ich bin so müde davon, deine warmen Augen anzubeten und genau diese Wärme trotzdem mit dem Eis, von dem ich denke, daß es mich schützt, blockiere. Ist der Schutz es wirklich wert? Wovor habe ich eigentlich Angst? Es ist natürlich sinnlos, mir selbst solche Fragen zu stellen, da ich genau weiß, wovor ich Angst habe. Vor der kalten Dusche - von der beißenden Kälte des Gefühls, wenn du mich zurückstoßen würdest - der ich dann schutzlos ausgeliefert sein würde und die sich wie Säure über meine instabile Seele schütten würde. Ich weiß nicht, ob ich es ertragen könnte.

Ich weiß aber auch nicht, ob ich es jetzt noch ertragen kann, jede Nacht, jeden Augenblick von dir zu träumen, und jeden Morgen erneut mit dem immer stärker werdenden erdrückenden Gefühl aufzuwachen, bald meine Chance zu verlieren.

Seien wir doch mal ehrlich: Du bist nicht gerade der hässlichste Mann auf der Welt, nein, für mich bist du sicherlich der allerschönste, aber ich weiß, dass auch andere Frauen so denken und das zermürbt mich jeden Tag ein bisschen mehr.

Ich weiß, ich darf solche Gedanken nicht haben, aber ich bin auch nur eine Frau. Ich liege in meinem Bett und beschließe heute nicht zur Arbeit zu gehen. Ich halte es einfach nicht mehr aus. Ich will hier liegen bleiben, meine Augen schließen und ohne mir eine Maske auflegen zu müssen hemmungslos meinen Gedanken nachgehen. Ich möchte ihnen nicht nur nachgehen, ich möchte sie aufschreiben, klar und übersichtlich, um ein wenig Ordnung in meinen verwirrten Geist zu bringen.

Wie das klingt – Dana Scully und verwirrt. Die akkurate und ewig ordnungstreue Dana Scully ist verwirrt.... ja, ich glaube, dieses Bild ist daher entstanden, dass ich diese perfekte Maske schon immer parat hatte, immer, wenn man etwas von mir erwartete und ich glaubte wohl fast immer, dass man etwas von mir erwartete.

Meine Mutter erwartete von mir, eine gute Hausfrau zu werden, mit all den guten Tugenden, fleißig und solche Dinge, und mein Vater wollte immer, dass ich einen Mann finde, der auf mich aufpasst, redlich ist und – und alle diese Eigenschaften in einem Mann gebündelt zu finden ist fast ein Ding der Unmöglichkeit – der seinem Bild von einem „echten Kerl“ entsprach. Mein älterer Bruder Bill wollte, dass ich am besten gar keinen Mann finde und wenn ich doch einen finden sollte, stellte er an ihn die gleichen Anforderungen wie Vater – nur zehnmal verschärft. Er sollte schon ein paar Faustkämpfe mit ihm aushalten können und schon mit dieser Aussicht wurden die meisten – besser gesagt alle – meiner damaligen Freunde verschreckt.

Melissa ... Melissa.... ich weiß nicht, ob sie etwas von mir erwartete. Sie war halt einfach nur meine Schwester. Charlie erwartete, glaube ich, auch nie etwas von mir, aber schon die Tatsache, dass ich älter war als er, setzte mich unter Druck, weil ich glaubte, eine Art Vorbildsfunktion erfüllen zu müssen. Und zwar eine bessere als Bill es tat. Aber im Nachhinein war Charlie doch das Familienmitglied, bei dem ich am ehesten ich selbst sein konnte. Leider sehe ich ihn heute fast gar nicht mehr..... ich schweife ab, ich merke es.

Was ich damit sagen will, ist, dass ich fast immer in meinem Leben das Gefühl hatte, etwas leisten zu müssen, um angesehen und vielleicht auch geliebt zu werden. Nein, ich will mich hier nicht beklagen,

denn ohne diesen – wenn auch manchmal viel zu großen – Drang wäre ich in der Karriereleiter nie so hoch geklettert. Viele der anderen FBI-Agenten fragen mich heute, ob ich traurig wäre, so tief gesunken zu sein, aber sie haben alle keine Ahnung. Ich bin nie gesunken.

Denn ich kann nicht sinken, wenn du auf mich aufpasst. Ja, genau, dieser Drang hat mich zu dir geführt. Deswegen bin ich dankbar für mein Leben, wie es bisher verlaufen ist, egal wie schlimm es für Außenstehende aussehen muss. Aber jetzt bin ich an einem Punkt angelangt, an dem mir deine pure Gegenwart nicht mehr reicht.... O Gott, wie das klingen muss.... es ist nur so, deine warmen Augen, dein ganzer Anblick, alle deine Macken.... selbst wenn du wieder eine deiner abstrusen Theorien erzählst.... sind alle Teil von dir und ich will keinen dieser Teile mehr missen, auch wenn einige mir manchmal auf die Nerven gehen können. Ich weiß, ich sollte zum Punkt kommen. Ich glaube, ich liebe dich. Ich sage, ich glaube, weil die Gefühle, die ich für dich empfinde, die stärksten sind, die ich je für einen Menschen empfunden habe, aber ich weiß nicht, ob ich schon den Punkt erreicht habe, an dem ich sagen könnte, dass es Liebe ist. Auf jeden Fall weiß ich, dass ich dir – so verboten es auch sein mag – alle diese Dinge eines Tages – eines baldigen Tages – offenbaren muss.

Und genau aus diesem Grunde schreibe ich dir diesen Brief. Ich frage mich, ob ich ihn dir jemals schicken werde. Vielleicht gehe ich morgen ins Büro und gebe ihn dir. Vielleicht gebe ich ihn dir in zwanzig Jahre – nein, das glaube ich nicht, ich glaube nicht, dass ich es so lange aushalte.

Ich stehe jetzt auf. Ich tue es wirklich. Ich ziehe mich an und ziehe meinen Mantel an. Ich werde heute mit der U-Bahn fahren, weil ich im Auto nicht weiter schreiben kann und ich will, dass du jedes Gefühl, dass ich in jedem einzelnen Moment an jedem einzelnem Morgen erlebe, genau nachlesen und hoffentlich auch nachvollziehen kannst. Ich habe immer noch die leise Hoffnung, dass du genauso fühlst. Du hast schon so oft dein Leben für mich riskiert. Sicher, wir sind Partner beim FBI, aber ich glaube, in der unglaublichen Weite, wie wir uns füreinander einsetzen, sind weniger Agentenpaare da.

Ich sitze jetzt in der U-Bahn. Ich weiß immer noch nicht genau, ob ich wirklich die Richtung in Ihr, na ja in unser Büro einschlagen werde. Ich spüre die Angst vor dem Risiko in mir aufkriechen. Es ist wie, als würde ich in der Ferne das Wunderland, das deine Liebe sicher darstellt, sehen können, doch vor mir liegt eine tiefe Schlucht und wenn ich abrutsche, werde ich es niemals wieder schaffen, aus ihr herauszuklettern. Aber ich weiß, dass ich den Sprung wagen muss. Ich bin besessen davon, den Sprung wagen zu müssen. Ich bin mir nur nicht so sicher, ob ich schon gut genug bin im Springen, um direkt in deine Arme fallen zu können.

Ach was rede ich.... Es ist alles so kompliziert geworden in letzter Zeit. Ich weiß nicht mehr, an wen ich mich halten soll. Nicht nur von meinem Glauben her, von allem was ich bin. Dieser Beruf hat mich von allen Menschen entfremdet, die ich jemals als Freunde betrachtet habe.... niemand kann es nachvollziehen, soviel Leid erblickt zu haben.... nein, bitte, fass das nicht als Vorwurf auf. Wie ich schon erwähnt habe, ich bin glücklich über den Verlauf meines Lebens. Aber da du der einzige Mensch bist, der mich in dieser –wahrscheinlich in beinahe jeder – Hinsicht verstehen kann, ist es schon fast zwingend, dass ich mit dir zusammen sein möchte.

Die U-Bahn hält jetzt. Ich steige aus. Es ist meine übliche Station, wo ich immer aussteige und ich setzte auch schon den Weg an, den ich immer zum J. Edgar Hoover-Building einschlage. Und jetzt ertappe ich mich dabei. Es ist als würde ich automatisch in meinen bekannten Mustern festsitzen, dass ich sie schon so tief in meinem Fleisch und Blut verankert habe, dass ich durch pure Willenskraft fast nicht imstande bin, sie zu durchbrechen. Es ist das gleiche, jeden Tag. Das Schauspiel, was ich dir immer vorführe. Meine Rolle ist immer die gleiche. Ich bin die Ordnungshüterin. Die Ordnungshüterin, in der Chaos herrscht. Ich glaube ich wiederhole mich.

Ok, ich drehe mich heute mal um. Wenn ich in die andere Richtung gehe, komme ich zum Park. Ich war ehrlich gesagt noch fast nie da, so sehr haben mich die altbekannten Alltagsschablonen in ihren Bann gezogen. Ach, Alltag. Es ist schon merkwürdig, dass ich zu unserem verrückten Beruf schon Alltag zu sagen beginne. Ich muß wirklich abgehärteter sein, als ich dachte. Aber gegen eins bin ich nicht abgehärtet: Gegen den unglaublichen Schmerz, wenn du mich zurückweisen würdest und ich in die unendlich tiefe Schlucht fallen würde. Ich habe wahnsinnige Angst vor dem Aufprall.

Aber trotz dessen drehe ich mich erneut um. Ich sehe das altbekannte FBI-Hauptgebäude vor mir stehen, doch schon so bekannt. Doch heute sieht es irgendwie anders aus, vielleicht liegt es daran, dass ich es zum ersten Mal vom Park aus sehe. Durch die nun mit wenig Blättern besetzten dunklen Baumkronen. Vielleicht sieht es aber auch anders aus, weil ich dich förmlich darin sehen kann. Wie du in unserem Kellerbüro wartest, wahrscheinlich auf mich. Wahrscheinlich hast du wieder eine X-Akte entdeckt und wir fliegen in irgend so ein Nest in Iowa oder Maryland.

Ich gehe auf das Gebäude zu. Jetzt bin ich drin und sehe, wie ich die Treppen förmlich herunterstürme. Mein Herz pocht genauso schnell wie meine Atemzüge, weil ich die ganze Zeit gerannt bin, um meinen Zweifeln gar keine Chance zu geben. Ich klopfe an unsere Tür. Normalerweise mache ich das überhaupt nicht. Ich weiß auch nicht genau, warum ich es mache. Vielleicht, damit ich dich nicht bei etwas störe und es wirklich ein perfekter Moment wird.... Du antwortest nicht. Ich klopfe erneut. Keine Antwort. Vielleicht bist du ja nur einen Kaffee holen gegangen oder du hast verschlafen..... oder du bist mit dem gleichen Gefühl aufgewacht wie ich. Bei dem Gedanken muss ich lächeln. Ich beschließe, das Büro zu betreten. Ich könnte ja auf dich warten.

Ich hänge meinen Mantel auf und lege meine Aktentasche auf den Boden und da..... da sitzt du. Auf deinem Schreibtisch liegst du. Ich schüttele den Kopf und lache leise. Schläft einfach auf seinem Schreibtisch ein! Ich gehe zu dir.

„Mulder! Hey, wachen Sie auf!“ Du reagierst nicht, nicht einmal ein leises Brummen kommt aus deinem Mund. „Mulder, kommen Sie schon!“ Ich schüttele an deiner Schulter. Keine Reaktion. Langsam beginne ich mir Sorgen zu machen. „Mulder, was ist denn, wachen Sie auf!!“ Mein Herz rast, doch mein medizinischer Verstand schaltet sich ein. Ich fühle nach deinem Puls. Es ist keiner vorhanden.

„Mulder,“ krächze ich heraus. Ich weiß nicht, was ich tun soll. Ich fühle mich so hilflos, als wäre mein Verstand ausgesaugt worden und ich kann nichts anderes tun, als immer wieder deinen Namen zu krächzen. Ich will irgendwie alles in meinem Geist ordnen, aber es geht nicht. Ich versuche, aus dem, was meine Sinne erfassen, ein Bild zu formen, doch alles was ich fühle, ist eine dumpfe Vorahnung von etwas..... von etwas, dass mich in genau diesem Moment immer wieder seinen Namen schreien lässt. Ja, ich schreie, immer lauter.

Plötzlich erreichen mich wieder Fetzen meines medizinischen Wissens.... wie kann ich nur hier sitzen und mich selbst bemitleiden? Ganz ruhig.... die Atmung.... du hast keinen Atem mehr, o Gott….. was, Mund-zu-Mund-Beatmung gut…. Ausatmen, wieder einatmen.... Herzmassage... O Gott, Mulder, komm zurück.... du darfst nicht, du darfst nicht….. ich höre Schritte von weitem kommen. „Nein, nicht sterben, bitte stirb nicht, bitte, bitte...“

Dann sehe ich nur noch schwarz.



Ich glaube ich habe einen Traum. Ich sitze auf einem Waldboden und versuche verzweifelt, aus dem Sprengstoff in meiner Patrone ein Feuer zu entzünden. „Hei, Scully, wen mochten Sie mehr, Betty oder Wilma?“ „Betty.... andererseits wollte ich nie mit Barney Geröllheimer verheiratet sein.“



„Hey, Scully, ich habe mal gehört, dass die beste Methode sich warm zu halten ist, nackt in einem Schlafsack zu liegen mit einer anderen Person, die ebenfalls nackt ist.“



„Wenn es Schlafsäcke regnet, haben Sie vielleicht Glück.“



„Hei, Scully, singen Sie was.... zum Einschlafen.“

Du liegst verletzt in meinen Armen und ich weiß nicht, ob ich deine plötzliche Frage süß finden oder es mir peinlich sein soll. „Mulder, nein....“ meine ich mürrisch. Genau das Gegenteil von dem, was ich fühle.



Irgendwann bin ich dann soweit und singe leise „Joy to the world“, nicht gerade sauber, aber es scheint zu wirken und du entspannst dich in meinen Armen. Ich lächele und irgendwann schlafe ich neben dir ein....



„Die Wahrheit wird Sie retten, Scully, ich glaube sogar, Sie wird uns beide retten.“



„Sie brauchen mich nicht, Mulder.“



„Doch, Scully, Sie haben mich gerettet. So frustrierend Ihre Skepsis auch manchmal gewesen war, sie hat mich mindestens tausendmal gerettet. Durch Sie bin ich ein besserer Mensch geworden. Ich kann allein nicht weitermachen....“





Kaltes Wasser. Eisig kaltes Wasser und kalte Luft. Es ist die Schlucht. Die Schlucht in der deine Liebe nicht existiert. Und nun hatte ich nicht einmal mehr die Chance zu springen, weil es keine andere Seite mehr gibt. Ich müsste schon ein Vogel sein, um herauszukommen, aber es wäre sowieso ohne Sinn, denn es gibt das unendlich weiche Paradies, dass in deinen Armen liegt, nicht mehr, denn dein Gesicht ist schon ganz kalt. Es ist sinnlos. Es ist sinnlos, dass du mitten aus der Blüte deines Lebens herausgerissen wurdest.... was soll es heißen, aus der Blüte.... vielleicht hast du dich genauso nach mir gesehnt und ich nach dir und dieses Leben wäre eine wirkliche Blüte geworden. Doch nun liege ich in der Schlucht, ohne eine Chance herauszukommen und ich muss mich mit dem eisig kalten Leben hier abfinden. Ein Leben ohne dich. Meine Mutter hat mal gesagt, dass man sich an alles anpassen kann. Dass der Mensch eine Menge Leid ertragen kann, bevor er daran zugrunde geht. In diesem Augenblick glaube ich ihr weniger den je. Ich glaube, ich habe das Maximum erreicht.



Es ist so schrecklich hier ohne dich. Ich sitze neben dir, neben deinem Krankenbett, doch selbst die tausend selbst für mich unidentifizierbaren Geräte können dich nicht mehr am Leben halten. Denn dort, wo vor ein paar Minuten noch deine schwachen Atemzüge zu erkennen waren, ist jetzt eine harte gerade Linie. Ich kann nichts weiter machen, als sie wie in Trance anzuschauen oder vielmehr durch sie hindurch zu starren. Mein Kopf schmerzt, mein Herz schmerzt, alles an mir schmerzt, denn jede Faser deines Körpers sehnt sich nach dir. Wieso kannst du nicht einfach, genau in diesem Moment, anfangen zu lächeln und die Augen öffnen? Du könntest irgendeine witzige Bemerkung machen.... hei, ich würde mit dir so oft wie du willst „Planet der Affen“ kucken oder deine UFO-Geschichten anhören.... alles, es ist ganz egal was du sagst. Du könntest sogar sagen, dass du mich hasst und ich wäre glücklich. Aber du hasst mich nicht. Das weiß ich. Aber es schenkt mir keinen Frieden.



Das letzte, was du zu mir gesagt hast. Es fällt mir jetzt wieder ein. Wir waren mal wieder mitten in einem typischen Streit, in so einem Streit, die wir von dieser Art so oft haben. Dieses übliche Zeug, Wissenschaft gegen Glauben. Ich weiß gar nicht mehr so genau, was es war, um was wir uns gestritten haben, aber irgendwann sagtest du, dass es ziemlich egal wäre und dann hast du irgendeinen Witz gerissen. Ja, du hattest gesagt, du würdest abends noch mal weggehen, weil in dem Convention Center irgendein Dia-Vortrag über Geistererscheinungen stattfand. Ich habe natürlich so getan, als hätte es mich interessiert, aber wenn ich gewusst hätte, dass es das letzte Mal war, dass ich dich sehen würde, ich hätte mir diese Sache sogar noch mit angesehen – ich hätte den ganzen Abend bis in die Morgenstunden mit dir verbracht, ich hätte irgendwie versucht, die ganze Sache, deinen Tod zu verhindern. Manchmal wünsche ich mir, ich könnte in die Zukunft sehen. Aber ich glaube, es ist besser so. Ich hätte mit dem Gedanken an deinen baldigen Tod nicht leben können.



Die Ärzte haben gesagt, es wäre eine spezielle Art von Gehirntumor. Das ist eine dieser schrecklichen Krankheiten, die man im Alltag oft kaum bemerkt – abgesehen von Kopfschmerzen. Du hattest wahrscheinlich gedacht, sie kämen vom dem Stress, den unser Beruf mit sich bringt – O Gott, ich glaube, niemand mit solchen Symptomen würde etwas Schreckliches vermuten. Wieso hast du mir nichts gesagt? Natürlich, ich würde dir glaube ich auch nichts sagen, wenn ich ein paar Kopfschmerzen hätte. Und vor allem würde sich da niemand große Sorgen machen. Es ist ja nur der Stress....



Warum? Warum musste es gerade dich treffen? Ich weiß, dass diese Art von Gehirntumor wirklich sehr selten ist. Er ist ganz anders als der den ich gehabt hatte. Du warst einfach herausgerissen worden aus deinem Leben, wo ich noch gespürt hab, dass der Tod mich Stück für Stück packt. Ich hatte noch Zeit mich und meine Familie und auch dich darauf vorzubereiten..... Skinner hat mir gesagt, dass ich solange freibekomme, bis es mir wieder einigermaßen gut geht. Ich glaube nicht, dass dieser Tag eintreffen wird, niemals wieder in meinem Leben. Und außerdem: Was ist dann, nach diesen paar Tagen, Wochen Rehabilitation? Wie soll es weitergehen? Ich kann nicht ohne dich weitermachen. Nie habe ich es so schrecklich als Wahrheit erkannt wie jetzt.



„Scully? Alles in Ordnung?“ Ich sitze jetzt wahrscheinlich schon seit Stunden in diesem Krankenhaus. Eben war Skinner gerade gegangen, aber es hätte auch draußen ein Vulkan ausbrechen können, ich hätte es nicht gemerkt. Es hätte keinerlei Bedeutung für mich gehabt. Als ich Byers’ Stimme höre, bewege ich mich nicht. Nein, ich werde meinen Blick nicht von deinem Gesicht wegbewegen. Ich kann einfach aufhören dich anzusehen, zu beobachten, wie die Zeichen des Lebens endgültig aus dir verschwinden. „Scully?“

Ich zittere und blicke dann doch kurz auf, aber nur sehr kurz. „Ja?“ presse ich heraus.

„Alles in Ordnung?“

Und ich glaube zum allerersten Mal bei dieser Frage schüttele ich heftig den Kopf und vergrabe mein Gesicht in meinen Händen. Ich schluchzte, mein Brustkorb schmerzt, mein Herz schmerzt, alles schmerzt mir. Ich sehe schwarze Punkte vor meinen Augen, doch ich schluchzte weiter und ich bekomme fast keine Luft mehr. Ich atme in panischen kurzen Stößen, fast röchelnd. Es tut so weh. So höllisch weh.

„Nein.......mir......geht...es nicht....... gut......“

Langly legt eine Hand auf meine Schulter. „Beruhigen Sie sich bitte. Wir haben gehört, was passiert es. Es tut uns leid.“

Ich kann jetzt kein Mitleid ertragen. Ich kann es nicht. Unbewusst fasse ich nach deiner Hand und wahrscheinlich gebe ich damit ein ziemlich lächerliches Bild ab. Aber es ist mir egal. Deine Finger sind kraftlos und kalt, aber sie geben mir plötzlich über etwas Klarheit..... Meine Atmung wird schlagartig wieder normal. Meine Stimme ist ruhig. „Könnt ihr bitte meine Mutter holen.“

Es ist keine Frage.

„Natürlich, Dana,“ sagte Frohike mit diesem betroffenen Unterton den zur Zeit alle in meiner Gegenwart in ihrer Stimme liegen haben. Du hattest mich nie bemitleidet, du hattest mir Trost geschenkt, wenn ich ihn brauchte. Ich schließe die Augen.



„Niemand hier außer dem überall unbeliebten Agent Mulder.“



Ich bin ziemlich... nun ja, ein bisschen erschrocken in diesem Moment. Ich frage mich, was da auf mich zukommt, als ich dein wirklich chaotisches Büro betrete.



„Hallo, ich bin Agent Dana Scully, ich soll Sie bei Ihrer Arbeit unterstützen.“ Ich setze mein professionellstes Lächeln auf und strecke dir meine Hand hin. Du siehst von deinen – was auch immer es waren – Dias auf und in dem Moment, wo du mir deine Hand gibst, merke ich, dass durch diesen Händedruck ein Pakt geschlossen wurde. Ein ganz besonderes Versprechen.



„Na, ist das nicht schön, so hoch angesehen zu sein? Was haben Sie gemacht, dass man Sie hierher versetzt hat?“



„Nichts und ich freue mich darauf mit Ihnen zu arbeiten.“





Nach einer Ewigkeit, die mir wie eine Minute scheint, wird die Tür geöffnet mit einem leisen Knarzen. Ich höre Flüstern. Wieso wollen sie alle so heuchlerisch auf mich Rücksicht nehmen? Warum werde ich von allen wie ein verlorenes Küken behandelt?

„Dana, es tut mir so leid.“ Meine Mutter legt ihre Arme um mich und ich drücke sie fest an sich. Mein Atem geht normal. Ich öffne die Augen und ich sehe zu dir herüber. Ich weine nicht.

„Mum, ich liebe dich. Und jetzt geh bitte.“

Der Ausdruck auf dem Gesicht meiner Mutter ist unbeschreiblich. Ich glaube, er hätte mir das Herz gebrochen, wenn ich noch eins hätte. Aber meine Stimme bleibt unnatürlich ruhig, als ich meine Worte wiederhole. „Geh, Mutter. Bitte, sofort.“

Völlig verstört kommt Mum auf mich zu. Ich schlage ihren Arm weg. Ich schließe die Augen. „Bitte, sofort! Geh jetzt!“ Ich halt meine Ohren zu, um die bettelnden Worte von meiner Mutter nicht hören zu müssen. „Geh! GEH!!“

Als ich es mit meiner tiefsten Kraft herausschreie, tritt meine Mutter ein paar Schritte zurück. Es schmerzt mir alles, und ich will nicht mehr die Schwärze dieses Raumes sehen müssen. Ich will sie nicht mehr sehen müssen. Ich will..... Es ist egal.

„Nein, Dana, ich gehe nicht. Was ist los mit dir?“

Sie will nicht gehen und plötzlich beruhige ich mich. Ich lächele – ja, ich lächele meine Mutter an! – und es macht mir sogar keine Angst. Dann sehe ich nur noch die Bilder von mir, wie als wäre es eine Geschichte, die mit Illustrationen versehen ist. Ich glaube nicht, dass ich etwas spüre.

Ich spüre das kalte Metall in meiner Manteltasche. Ich höre das altbekannte Klicken, und ich sehe ganz genau, wie sich das Gesicht meiner Mutter bleich färbt. Aber ich kann nicht anders. Es tut mir ja nicht einmal mehr weh.

„Bye, Mom,“ flüstere ich und ich höre noch den Knall, als ein heftiger Schmerz meinen Kopf erfasst und ich aufs Krankenbett falle, als irgendetwas warmes meine Schläfe runter läuft, was wahrscheinlich mein Blut ist. Von irgendwoher höre ich meine Mutter schreien, als mein Kopf neben deinem liegt. An der unendlichen weichen Haut deines Halses liegt meine Wange. Das ist das letzte was ich spüre. Ich muss dir die Wahrheit sagen.

Und ich fliege aus der Schlucht... ich bin ein Vogel...



ENDE
Rezensionen