World of X

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von Fee

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basierend auf der Spiegelgeschichte von Ilse Aichinger





Es ist kalt. Aber ich spüre mich nicht. Ich weiß nur, dass es sich kalt anfühlt. In mir. Alles. Ich bin alleine. Liege hier. Und keiner ist bei mir. Wieso hat er mich verlassen? Oder habe ich ihn verlassen? Es ist dunkel. Eng. Ich habe enge Räume nie leiden können. Und das hier- ich liege in einem Sarg, kann mich nicht bewegen. Lasst mich hier raus. Als ob man meine Worte gehört hätte, kommen die Männer wieder. Ich spüre es, sie tragen den Sarg. Eine Erschütterung. Merken sie nicht, dass ich darin liege? Lasst mich hier raus.

Sie öffnen den Deckel. Ich kann wieder nach draußen blicken. Sehe den Raum. Der weiße Raum. Das Zimmer im Krankenhaus. Hier haben sie mich hingebracht. Ich schaue in die Gesichter der Männer. Sie blicken mich an. Aber ich sehe keine Trauer in ihren Augen. Wieso nicht? Ich bin tot. Aber ich kenne diese Männer auch nicht. Ihre Aufgabe war nur, mich aus diesem Sarg zu holen, den sie zuvor zugehämmert hatten. Sie haben die Nägel so tief eingeschlagen, dass ich diesen Sarg ja nie wieder verlassen könnte, aber nun haben sie ihn wieder geöffnet. Sie nehmen die Schleifen von dem Sarg und gehen. Lassen mich alleine in diesem Raum. Mir ist noch immer so kalt. Wo ist Mulder?

Ich liege noch hier, versuche mich an die letzten Stunden zu erinnern. Ich bin gestorben. Schon kommen die Männer wieder. Sie heben mich aus dem Sarg. Auf eine Trage. Und legen ein Tuch über mich. Die ganze Zeit der Mundschutz. Sie bringen mich in ein Zimmer, legen mich auf ein Bett. Endlich nehmen sie das Tuch von mir. Ich selbst kann es nicht. Ich kann mich nicht bewegen. Noch nicht. Ich bin in dem Krankenzimmer, in dem ich schon einmal war. Heute. Bevor ich gestorben bin. Immer noch tragen sie den Mundschutz. Bald werdet ihr ihn abnehmen. Die Tür geht auf. Mulder kommt herein. Nimm mich in die Arme, mein Liebster. Er sieht so alt aus. Er ist alt. Ich blicke auf meinen Körper. Auch ich bin alt. Noch. Er tritt an mein Bett, nimmt meine Hand. Er weint. Weine nicht, es ist noch nicht zu Ende. Ich war tot, aber es ist noch nicht zu Ende. Ich sehe so viel Schmerz in seinem Gesicht, ich halte es nicht aus. Er geht wieder. Nun bin ich erneut alleine, in diesem Zimmer. Es riecht schon nach Alter, Tod.

Auf einmal fühle ich in mir diesen Schmerz. Noch nie zuvor habe ich einen solchen Schmerz gefühlt. Es ist erschreckend. Doch es wird aufhören. Ich ringe nach Luft, doch sie bleibt aus. Mein Körper bäumt sich auf. Dann endlich strömt wieder Luft in meine Lungen, der unsagbare Schmerz hat aufgehört. Erschöpft von dieser Prozedur liege ich da. Noch immer alleine. Doch ich fühle mich besser. Noch ausgelaugt, doch ich spüre, wie das Leben wieder in meine Glieder zurück kommt. Ich spüre meinen Körper wieder. Ich fühle mich gut. Ich stehe auf, ziehe mich an, verlasse diesen Ort. Schnell, bevor sie mich zurückholen.

Ich gehe durch den Park, durch den ich schon so oft gegangen bin. Der Park ganz in der Nähe des FBI. Ich genieße es. Es ist ein wunderschöner Frühlingstag. Die Sonne scheint durch die Bäume. Ich atme ganz tief ein, um die kostbare Luft zu genießen. Der Weg führt mich zu dem wunderschönen kleinen Haus am Ende des Parks. Ein kleiner Weg führt zu dem Haus, das ein wenig versteckt zwischen den Bäumen liegt und von Efeu umwuchert ist.

Ich gehe durch das kleine verrostete Tor und schließe die mächtige Tür auf. Ein schönes Haus. Ich liebe es. Es ist unser Haus. Ich gehe ins Wohnzimmer, dort sitzt ihr. Du, Mulder, und unsere Tochter mit ihrem Mann und unserem Enkelsohn. Ich setze mich. Es ist mein Geburtstag, und wir sind alle beisammen, unsere kleine Familie. Unsere Tochter teilt uns mit, dass sie noch ein Kind erwartet. Wir sind überglücklich. Ein schöner Tag. Ich bin froh ihn noch einmal erleben zu dürfen. Dann stehe ich auf und verlasse das Haus wieder. Gehe wieder in den Park. Dort sitzen wir zu dritt im Gras. Ich sitze mit unserer Tochter im Arm auf der Decke, und du machst Fotos von uns. Wir lachen. Sind einfach glücklich. Wir waren immer sehr glücklich. Die Passanten gehen vorüber, betrachten unser Glück.

Und wieder stehe ich auf, gehe weiter. Durch den Park. Ins FBI. In unser Büro. Du sitzt dort, auf deinem Stuhl. Dem selben wie immer. Ich spüre, dass sich ein Strahlen auf meinem Gesicht ausbreitet, spüre noch das aufregende Kribbeln in meinem Bauch. Gleich werde ich es dir sagen. Du weißt noch von nichts. Drehst dich unwissend um, lächelst, gehst auf mich zu und gibst mir einen Kuss. Wie schön es ist dich küssen zu dürfen. Ich habe jeden Kuss von dir genossen, doch diesen, unseren ersten Kuss seit meinem Tod genieße ich noch mehr, als ich je einen Kuss genossen habe. Mein Lächeln, unglaublich- ich hätte nie gedacht, dass ich so glücklich sein könnte. Aber mit dir bin ich es. Bin es immer gewesen. Und ich sage es dir.

„Mulder, ich bin schwanger.“

Und du, du bist genauso glücklich wie ich. In deiner Umarmung spüre ich, wie du die ganze Welt umarmen möchtest. Ich möchte den Moment weiter genießen, doch ich gehe wieder. Aus der Tür, in das kleine Motel. Es steht noch. Ich dachte sie hätten es abgerissen, aber es steht. Und ich gehe hinein, in mein Zimmer. Wir lieben uns in diesem Hotelbett zum ersten Mal. Es ist wohl nicht der romantischste Ort, nicht der beste Moment, doch wir lieben uns, und das ist die Hauptsache. Du stehst aus dem Bett auf, ich auch, wir halten uns in den Armen. Ich tröste dich, fühle deine Verletzlichkeit. Es war ein schlimmer Fall. Ich streichle deinen Kopf, zerzause dein Haar. Dann gehst du, um erst einmal Anzuklopfen.

Ich sitze da und warte auf dich, auf den Augenblick, in dem du unser Beziehung veränderst, auf so wundervolle Weise. Noch sitzt du nebenan, wir sind Partner beim FBI, wir lieben uns, doch keiner von uns wagt es, den ersten Schritt zu machen. Ich gehe aus dem Hotel, wir sitzen wieder in unserem Büro, sitzen uns gegenüber, vertieft in einen Fall, in dem du meinst das Verschwinden deiner Schwester zu lösen. Du hast es dir zur Lebensaufgabe gemacht, bevor ich zu deiner Lebensaufgabe wurde. Jetzt betrete ich zum ersten Mal dein Büro. Wir kennen uns nicht. Ich vermisse unsere Nähe. Ich wurde dir zugeteilt. Du siehst in mir eine Feindin, dennoch merke ich jetzt schon, dass zwischen uns etwas ist. Du kannst mich nicht hassen. Und ich dich nicht. Wie auch. Du bist mein Mulder. Mein Mann. Nein, du bist nur mein Partner beim FBI. Ich möchte dich küssen, doch dieser Moment ist vergangen.

Ich gehe durch die Straßen von Washington, vor kurzem bin ich hier her gezogen, weil ich versetzt wurde. Ich schlendere durch den Park. Und ich sehe dich. Ich wusste nicht, dass ich dich schon zuvor gesehen hatte. Es ist auch nur ein flüchtiger Blick den wir austauschen, wir kennen uns nicht. Aber wir fallen einander auf. Dieser Blickkontakt ist jetzt so viel wertvoller als er es damals war. Mein Leben begann erst, als ich dich kennenlernte. Also gehe ich wieder zurück. Wieder deine Küsse. Die Geburt unserer Tochter. Wir wiegen unseren Enkelsohn in den Schlaf. Jetzt höre ich sie wieder. Sehe wieder das grelle Licht. Höre diese Geräusche.

„Sie ist tot“ sagt die Stimme hinter mir.

Ich muss zurück. Aber zuvor durfte ich dich noch einmal sehen, küssen. Es war alles wert. Ich hatte ein wundervolles Leben mit dir. Ich werde es zwar vermissen, aber ich bin froh alles noch einmal zu erlebt zu haben. Und nun werde ich geduldig sein, dich wieder zu sehen, auf ein erneutes wundervolles Leben. Ich liebe dich. Und es herrscht Dunkelheit.

Ende
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