World of X

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The Lost Island

von XGirl

Kapitel 1


Autorenbemerkung: Das hier ist meine erste FF, deshalb seid nicht so streng mit mir *g*
Und danke noch mal an Marion für das schnelle Betalesen! *knuddel*





The Lost Island





Mittwoch, 12.15 Uhr



Sie konnten noch einen letzten, sehnsüchtigen Blick zurück auf das schöne Hawaii werfen, bevor das Flugzeug zu weit entfernt und die Insel somit aus ihrer Sichtweite verschwunden war.

Special Agent Dana Scully hatte ihren Laptop ausgeklappt und schrieb an ihrem Bericht, während ihr Partner Fox Mulder aus dem Fenster hinunter in den Pazifischen Ozean stierte, auf dem winzig kleine Wellen zu sehen waren. Vier Tage hatten sie auf der Insel verbracht, um dort das Verschwinden von Ausflugsschiffen aufzuklären. Auf mysteriöse Weise waren in kurzen Zeitabständen Schiffe samt Passagiere verschwunden und nie wieder aufgetaucht. Mulder hatte diesen Fall irgendwo ausgegraben und hatte Scully mit nach Hawaii geschleppt. Na ja, eigentlich hatte sie sich gar nicht schleppen lassen brauchen, denn sie wollte schon immer mal nach Hawaii, und auch wenn sie dort alle Hände voll zu tun hatten – ein paar freie Stunden auf der Sonneninsel waren ihnen dennoch geblieben. Doch ihr Ausflug ins Paradies hatte schneller als erwartete geendet, man hatte sie der Bearbeitung des Falles entzogen und zurück nach Washington kommandiert. Es wurde ihnen nicht gesagt, warum, und Scully fand es auch nicht unbedingt seltsam, dass sie diesen Fall abgeben mussten. Einfach darum, weil er nicht mehr unter ihr Fachgebiet fiel. Und das war auch Scullys Meinung, denn sie hielt ein paar verschwundene Schiffe nicht gleich für eine X-Akte. Ganz anders sah das allerdings Mulder. Er war enttäuscht darüber, sehr enttäuscht sogar, auch wenn er sich das nicht anmerken ließ. Scully wusste es einfach. Zwar war sie sich nicht ganz im Klaren darüber, was Mulder zu finden gehofft hatte, aber sie konnte seine Enttäuschung schon irgendwie nachvollziehen. Er hatte diesen Fall ausgegraben, er hatte ihn bearbeiten wollen und schneller als er sich versah saß er im Flieger zurück nach Washington. Das war wirklich nicht fair.

Eigentlich standen sie noch genauso schlau wie am Anfang da und der lange Flug war völlig umsonst gewesen. Dennoch musste Scully mit dem bisschen, was sie hatten, ihren Bericht zusammenbasteln.



Es war ein ruhiger Flug und die Sicht war klar, durch die Lautsprecher an der Decke drang leise Musik und das Tippen der Tastatur von Scullys Laptop konnte er nur noch von weit, weit fern hören. Mulder sah noch immer aus dem Fenster des kleinen Flugzeuges, in dem außer den beiden Piloten nur er und Scully saßen, und erblickte plötzlich auf dem unendlich weiten Ozean einen grünen Fleck. Eine Insel. Er fragte sich, was das wohl für eine Insel sein mochte, doch noch bevor er dazu kam, Scully darauf hinzuweisen, gab es einen heftigen Ruck und das Flugzeug neigte sich etwas nach vorn. Scully hätte vor lauter Schreck beinahe ihren Laptop fallen lassen, sie klappte ihn schnell zusammen und schob ihn unter ihren Sitz.



„Was war das?“, fragte sie leise. Mulder zuckte die Schultern und schon wieder gab es einen Ruck, heftiger als der davor. Die Musik verstummte und die Deckenbeleuchtung fiel aus, als der Flieger zu sinken begann, tiefer und immer tiefer.

Wir stürzen ab, wurde es Mulder bewusst und er warf einen entsetzten Blick auf Scully, die mit aller Kraft versuchte, ruhig zu bleiben. Schneller und schneller rasten sie im Sturzflug auf den Boden zu, das Ziehen im Bauch wurde immer heftiger und die Piloten schienen den Flieger nicht mehr kontrollieren zu können… Mulder schloss die Augen, krallte sich an den Armlehnen seines Sitzes fest und wartete auf den Aufprall und die darauf folgende Schwärze. Er konnte die Luft sausen hören, als sie noch immer und nun beinahe senkrecht fielen. RUCK! Mulder und Scully wurden nach vorn geschleudert, ihre Anschnallgurte rasteten ein und sie wurden zurück in ihre Sitze gedrängt, als das Flugzeug die Baumwipfel der kleinen Insel streifte, sich darin verfing und für einen Moment still zu stehen schien – doch der Schein trog. Noch immer rasten sie auf den Boden zu, waren durch die Palmen nur ein wenig in ihrer Geschwindigkeit verlangsamt worden und es gab einen heftigen, lauten Aufprall auf etwas Hartem. Mulder hörte Glas bersten, Metall krachen und Scully neben sich schreien. Dann wurde alles schwarz und um ihn herum und jedes, der eben noch so laut und deutlich zu hörenden, Geräusche verstummte.



Nichts bewegte sich, die Welt schien still zu stehen und noch nicht mal das Rauschen des Meeres war zu hören, als Mulder das nächste Mal die Augen öffnete. Er wusste nicht, wie lange er bewusstlos gewesen war. Es könnte eine Stunde gewesen sein, vielleicht nur ein paar Minuten oder mehrere Tage. Er hatte wirklich keine Ahnung. In seinem Kopf hämmerte ein heftiger Schmerz und er spürte, dass er mit dem Fuß fest hang, an irgendetwas in dem Flugzeug, das eher einem Auto glich, nachdem es in die Schrottpresse gekommen war. Mulder versuchte sich verzweifelt zu befreien, schaffte es schließlich seinen Fuß freizubekommen und lehnte sich herüber zu Scully, deren Augen geschlossen waren und die noch blasser als sonst wirkte.



„Scully“, wisperte er sanft und gab ihr leichte Ohrfeigen, um sie aufzuwecken. Sie hatte blutige Kratzer an der Stirn und am Kinn, doch ernst verletzt war sie wohl nicht – äußerlich zumindest. Als sie blinzelnd die Augen aufschlug, fiel Mulder ein Stein vom Herzen – sie lebte.

„Was ist passiert?“, hauchte sie und sah sich um. Als sie ihren Kopf bewegen wollte, zuckte sie vor Schmerzen zusammen und ließ es besser bleiben.

„Wir sind mit dem Flugzeug abgestürzt“, antwortete Mulder. „Wir müssen hier raus!“



Nach einer Tür zu suchen, war gar nicht mehr notwendig, denn die gesamte rechte Seite des Flugzeuges war beim Sturz aufgerissen worden. Der Schlitz war groß genug, um durch ihn hindurch raus ins Freie zu klettern.



„Kommen Sie“, sagte Mulder und zog Scully vorsichtig hoch. Sie nickte und quetschte sich als Erste durch den Schlitz nach draußen, sprang auf den sandigen, von großen Steinbrocken übersäten Boden und taumelte etwas, bevor sie ihr Gleichgewicht wieder fand und sich aufrecht halten konnte. Das Flugzeugwrack lag nur einige Meter entfernt vom Wasser in weißem, feinem Sand zwischen einigen Felsbrocken und wurde von der schon sehr tief stehenden Sonne angestrahlt. Wie es aussah, war der größte Teil der Insel bewaldet, riesige, tropisch wirkende Pflanzen wogen leicht im Wind, der in diesem Moment aufkam. Nur hier unten am Wasser wuchs nichts und der feine, vom Wind aufgewehte Sand peitschte ihnen an die Haut, als Mulder und Scully sich zu allen Seiten umsahen. Nach was sie suchten, wussten sie wohl selber nicht.



„Was ist mit den Piloten?“, stieß Scully nach einigen Sekunden hervor und umrundete das Wrack. Die Scheibe des Cockpits war zerbrochen und die Scherben hatten sich über die zwei Männer ergossen, die blutüberströmt und mit weit aufgerissenen Augen noch immer in ihren Sitzen saßen. Scully brauchte sie gar nicht mehr genauer untersuchen, um zu wissen, dass sie beide tot waren.



Mulder hatte inzwischen versucht, den Laptop einzuschalten, und damit übers Internet einen Hilferuf zu starten, doch es war hoffnungslos. Das Ding war kaputt.

Scully wandte ihren Blick von den toten Piloten ab und musterte ihren Partner, der müde und mitgenommen aussah. Sie spürte außer den stechenden Schmerzen überall an ihrem Körper einen riesigen Durst und sie schaute hinüber zum Wald, der so grün und fruchtbar aussah, dass dort bestimmt irgendwo ein Fluss oder Bach zu finden war. Als sie gerade ihren Mund aufmachte, um Mulder etwas zuzurufen, setzte dieses Plätschern ein… wunderschönes Plätschern von frischem, reinem Wasser. Als Scully abermals ihren Blick über den tropischen Wald schweifen ließ, sah sie ihn: Einen großen, wunderschönen Wasserfall zwischen den Bäumen und Büschen. Das hellblaue Wasser schien sie geradezu dazu aufzufordern, etwas von ihm zu trinken und ihren höllischen Durst zu löschen.



„Mulder, kommen Sie mit, da ist ein Wasserfall“, sagte sie ohne aufzuhören, das fließende Wasser anzustarren. Mulder drehte sich zu ihr um und suchte mit den Augen den Wald ab – konnte allerdings nirgends einen Wasserfall erblicken.

„Wo denn?“, fragte er, aber Scully hörte ihm nicht zu. Sie lief geradewegs in den Wald hinein, bahnte sich einen Weg durch die Pflanzen und hatte noch immer den großen, fast leuchtenden Wasserfall im Blickfeld. Mulder hatte Mühe, mit ihrem schnellen Schritt mitzuhalten und fragte noch mal: „Wo denn, Scully?“

Sie streckte ihre Hand aus.

„Da! Da vorn, sehen Sie ihn denn nicht?“ Sie deutete ins Leere. Dort war nichts außer Bäume und Büsche. Das Plätschern des Wassers in ihren Ohren wurde lauter, ihre Kehle war so trocken und schien mit jedem Meter, den sie dem Wasserfall näher kam mehr auszudörren und kurz bevor sie endlich da war, endlich ihre Hände ausstrecken und das kühle Wasser an ihren Lippen spüren konnte, riss eine große, fast schon unmenschliche Kraft sie zu Boden und drückte sie fest auf die Erde. Sie war so erschrocken darüber, dass sie nicht einmal schreien konnte. Da war nichts, kein Tier, kein Mensch, rein gar nichts, das sie umgestoßen hatte, doch sie spürte, dass noch immer eine ungeheure Kraft sie fest auf den Boden drückte. Dann passierte etwas, das Scully wohl ihr Leben lang nicht vergessen würde. Sie konnte keinen Teil ihres Körpers mehr bewegen, war auf einmal nicht mehr Herr über sich selbst. Ihr Mund öffnete sich, doch es war nicht sie, die das tat, sondern nur ihr Körper, der einer anderen Macht gehorchte… Hilflos musste sie mit ansehen, wie ein weißer, durchsichtiger Nebel begann, durch ihren Mund hindurch in sie einzudringen. Ein eiskalter Schauder ließ sie erzittern, der Nebel war kalt, so ungeheuer kalt und es tat weh, so schrecklich weh… und mit jedem Stück, das der Nebel sich tiefer in sie hinein schob, wurde ihre Seele aus ihrem eigenen Körper verdrängt, löste sich unter Einwirkung von starken Schmerzen von ihm, schwebte nun einige Zentimeter über dem Boden.

Scully wollte schreien, aber sie besaß keinen Körper mehr, schwebte als Seele über dem Boden und sah sich selbst, ihren Körper auf der Erde liegen, den Mund noch immer weit geöffnet und der durchsichtige Nebel nun fast vollständig in sie eingedrungen, bis…



Mulder riss seine Partnerin grob an den Armen hoch und zog sie mit sich. Er schlängelte sich durch die dicht stehenden Bäume hindurch und wäre beinahe über eine Wurzel gestolpert, konnte sich aber gerade noch abfangen. Er umklammerte Scullys leblosen Arm fest und hörte nicht auf zu rennen, obwohl sie den Wald nun verlassen hatten und unten am Strand angekommen waren. Er stürzte sich in die Wellen, zog Scully mit sich unter Wasser und blieb dort einige Sekunden lang, ohne ihren Arm loszulassen. Erst als Scully sich zu wehren und von ihm loszureißen versuchte, tauchte er wieder an die Oberfläche und seine Partnerin schnappte keuchend nach Luft.



„Ist es weg? Ist es weg?“, schrie sie panisch und betastete sich von oben bis unten. Sie konnte wieder alles spüren, ihre Arme, ihre Beine, ihren Kopf…

„Es ist vorbei, Scully, es ist vorbei“, versuchte Mulder sie zu besänftigen und hielt sie an den Armen fest. Sie schlotterte und schloss die Augen, um ihre Panik loszuwerden.

„Was – war – das?“, fragte sie schließlich noch immer völlig außer Atem. Ihre Stimme zitterte und klang sehr dünn.

„Ich weiß es nicht“, wisperte Mulder und warf einen angsterfüllten Blick auf die Insel, die im abendroten Licht der Sonne auf den ersten Blick idyllisch zu sein schien, doch wenn man genauer hinsah und den dunklen Wald betrachtete, erkannte man tausende, leuchtende Augenpaare, die einen anstarrten. Unmenschliche Augen. Böse Augen. Mulder sah schnell wieder weg.



Zwar hatte keiner der beiden viel Lust ans Land zurückzukehren, aber hier im Wasser würden sie auch nicht ewig stehen können, und so lange sie unten am Strand blieben würde ihnen nichts passieren – denn scheinbar lauerten diese Wesen nur im Wald auf sie und versuchten sie mit Tricks, wie Scullys eingebildeten Wasserfall, dorthin zu locken. Sie blieben dicht am Wasser und legten sich in den harten, vom Tag noch aufgewärmten Sand und starrten in den wolkenlosen Himmel, auf dem bereits einige Sterne blitzten. Irgendwann fielen sie beide vor lauter Erschöpfung in einen flachen, unruhigen Schlaf…



Mulder befand sich in dem Wald der kleinen Insel, hatte sich darin verirrt. Verzweifelt versuchte er, an den Strand zu flüchten, doch wohin er auch schaute waren nur Bäume und Pflanzen. Plötzlich erschien neben ihm ein heller, durchsichtiger Nebel, ein Geist, dessen große, schöne Augen hoffnungsvoll zu ihm aufsahen. Er kannte diese Augen.

„Scully!“, schrie er ungläubig und starrte auf den unförmigen Geist, der nichts menschliches mehr an sich hatte – außer diese großen, blauen Augen, die ihn traurig musterten.

„Nein! Bitte nicht“, sagte er und schüttelte den Kopf. Plötzlich wurde er zu Boden gerissen, und seine Seele begann sich von seinem Körper zu lösen. Schnell war alles vorbei, er schwebte über dem Boden und sah seinen Körper aufstehen und davongehen – nun von einer anderen Seele bewohnt – und schaute wieder in Scullys traurige Augen, die die ganze Szene hilflos mit angesehen hatte.

„Jetzt sind wir zwei verlorene Seelen, für immer und ewig Teil dieser Insel“, sagte Scullys Geist ruhig.



„NEIN!“ Mulder schreckte hoch, atmete heftig ein und aus und brauchte einige Sekunden, um zu realisieren, dass er geträumt hatte. Er befand sich noch immer am Strand der kleinen Insel, hörte das Wasser rauschen und war von Dunkelheit umgeben. Nur der Mond, der als Sichel am Nachthimmel stand, warf ein fahles, schummriges Licht auf ihn nieder. Einen Augenblick lang glaubte Mulder, zu Hause in seinem Apartment zu sein. Er wünschte es sich sogar fest. Doch er war noch immer hier auf der Insel mitten im Pazifik, wo sie mit dem Flugzeug abgestürzt waren, ohne Lebensmittel und mit nur wenig Hoffnung, jemals gefunden zu werden. Er warf einen Blick auf die schlafende Scully, die gleichmäßig und ruhig atmete. Zwar war es noch dunkel aber Mulder verspürte keine Müdigkeit, und so stand er auf und begann jeden halbwegs großen Stein, den er fand, zu sammeln.



Als die Sonne langsam begann aufzugehen und ihre ersten, warmen Strahlen auf die Erde warf, hatte Mulder einen kleinen Haufen Steine zusammenbekommen und begann nun sie aufzureihen.

Jetzt wusste er, was Hitze war. Die Sonne stand als riesiger, glühender Ball am Himmel und schien ohne Erbarmen zu scheinen. Nicht eine einzige Wolke war in Sicht, die sich vor sie schieben und einen Moment lang Schatten spenden könnte. Hier unten am Strand war auch nichts, wo man hätte hinflüchten können, um den beißenden Sonnenstrahlen zu entkommen.



Mulder betrachtete keuchend und mit den Händen in die Hüften gestemmt sein Werk. Er hoffte, dass es groß genug war, damit der Pilot eines Flugzeuges oder Helikopters es gleich sah, wenn er die Insel überflog. Mit den Steinen hatte Mulder riesengroß und eigentlich unübersehbar das Wort





HELP





in den Sand gelegt.



„Hey“, wisperte eine Stimme neben ihm und er fuhr zusammen. Es war Scully, die sich neben ihn gestellt hatte, ohne dass er es gemerkt hatte. Es war nicht zu glauben, wie schreckhaft er plötzlich war!

„Hey“, erwiderte er mit einem schwachen Lächeln in ihre Richtung. „Wie geht es Ihnen?“

Scully presste die Lippen aufeinander und schaute etwas hilflos in der Gegend herum, bevor sie leise antwortete: „Mal abgesehen von dem Durst, dem Hunger, der Hitze… soweit eigentlich ganz gut.“ Sie lachte leise. Mulder nickte.



Die Kleidung klebte ihnen nur so am Körper und nicht ein Windchen wehte, als sie sich erschöpft in den nassen Sand unten am Wasser fallen ließen. Die Stunden verstrichen, verstrichen, verstrichen… niemand sprach ein Wort, denn jede Bewegung strengte bei dieser unmenschlichen Hitze ungemein an. Erst als ein kühler, angenehmer Wind aufkam, öffnete Mulder blinzelnd die Augen. Große, graue Wolken hingen am Himmel und verdunkelten die Sonne. Neue Hoffnung machte sich in ihm breit. Vielleicht würde es anfangen zu regnen! Und sie brauchten nicht mehr lange darauf zu warten. Völlig unverhofft und ganz plötzlich brach der Himmel auf und Unmengen Wasser prasselten aufs Meer, auf die Insel. Überrascht von der Abkühlung sprang Scully auf und breitete die Arme aus, spürte wie das kalte Wasser ihre Kleidung durchnässte und sie erfrischte…



„Wir müssen irgendwo das Wasser auffangen“, sagte Mulder und musste fast schreien, um das heftige Prasseln des Regens zu übertönen. Er eilte hinüber zum Flugzeugwrack, in dem es von der ständigen Sonneneinstrahlung noch unerträglicher und heißer war als draußen, und suchte nach irgendeinem geeigneten Behältnis, das Regenwasser aufzufangen, bis er auf den First-Aid-Koffer stieß. Er schüttete den Inhalt des Koffers aus und hielt ihn gen Himmel. Schneller als sie sich versahen war der Koffer voll und sie suchten nach einem weiteren Behältnis, um nichts von dem kostbaren Wasser zu vergeuden – wer wusste schon, wann es hier das nächste Mal regnen würde?



„Hier“, rief Scully, nachdem sie ihren Aktenkoffer aus dem Wrack geangelt hatte und alles achtlos in den aufgeweichten Sand warf, was drin war. Dann legte sie den geöffneten Koffer hin und Regenwasser begann sich darin zu sammeln. Es regnete noch den ganzen Tag lang. Scully konnte sich nicht erinnern, sich schon einmal in ihrem Leben so sehr über Regen gefreut zu haben. Erst jetzt schien ihr bewusst zu werden, wie wichtig es war, und sie war sich sicher, dass sie – wenn sie eines Tages lebend wieder von dieser Insel kommen würden – nie wieder über Regenwetter schimpfen würde. Niemals.



Die aufgewühlte See spülte alle möglichen Gegenstände an Land: noch geschlossene Muscheln, Seesterne, Krebse und Krabben – das mochte vielleicht nicht gerade sehr appetitlich sein, aber zum Überleben würde es reichen.

Erst in den späten Abendstunden wurde der Himmel wieder klar und der Regen setzte aus. Alles triefte nur so vor Nässe, und leider war es auch zu nass, um ein Feuer zu machen. Mulder und Scully knieten im Sand vor den verschiedenen Meeresfrüchten und zögerten. Als Mulder schließlich als erster die Initiative ergriff und eine rohe Muschel öffnete und das schleimige, klebrige Innere sah, warf er Scully einen angeekelten Blick zu. Doch der Hunger überwog und er nahm das Tier aus seiner Schale, beäugte es eine Zeit lang, steckte es sich dann in den Mund und schluckte es ganz hinunter. Scully hatte ihn die ganze Zeit beobachtet und fragte nach einer Weile: „Und?“

„Hm, es fehlt vielleicht ein bisschen Salz aber sonst…“

Scully lachte und griff ebenfalls nach einer Muschel.



„Was glauben Sie sind das für Wesen in dem Wald?“, fragte Mulder später, als auch Scully ihren inneren Ekel überwunden und die rohe Muschel gegessen hatte.

„Ich…“ Sie hielt inne und sah ihn kurz an. „Ich weiß es nicht. Und ich weiß auch nicht, was es mit mir machen wollte. Aber ich glaube, dass ich es lieber überhaupt nicht wissen will.“ Sie mied es, sich zum Wald umzudrehen und womöglich wieder eine Halluzination zu haben, die sie dort hinein zu diesen seltsamen Gestalten lockte.

„Glauben Sie, man wird uns finden?“ Ihre Stimme klang zwar fest, aber Mulder kannte sie lang genug um zu erkennen, dass sie Angst hatte. Und er hatte das auch.

„Ganz bestimmt“, antwortete Mulder leise, klang aber wenig überzeugt. „Wir sterben nicht so, Scully. Nicht hier. Nicht jetzt. Es ist…“ Er vollendete den Satz nicht, sondern starrte geradeaus aufs Wasser, das glatt und wie ein Spiegel aussah. Mehrere Minuten verstrichen, bevor er sagte: „Wissen Sie, es ist nur so… wir jagen Aliens und Monster, suchen nach UFO’s und Regierungsverschwörungen, und da wäre es doch ziemlich unlogisch, hier auf einer winzigen Insel im Nirgendwo zu sterben… das passt einfach nicht ins Bild.“

Scully nickte.

„Ich verstehe, was Sie meinen. Ich fände es auch unlogisch.“ Sie sahen sich an und lächelten müde.



Ein Rascheln aus dem Wald hinter ihnen ließ sie zusammenfahren und herumwirbeln. Wie automatisch griffen beide nach ihrer Waffe im Halfter und starrten in die Dunkelheit, die sie umgab. Mulder wagte es nicht zu atmen. Er hielt seine Waffe fest umklammert und lauschte…



Plötzlich wurde es hell, doch es war kein Tageslicht, auch kein Mondlicht oder eine Taschenlampe… es war ein unwirkliches, dämmeriges Licht. Der Himmel färbte sich gelb und ein starker, eisiger Wind kam auf. Mulder schaute hinüber zu Scully, die entsetzt zurückschaute – sie sah dasselbe wie er…

Stimmen ertönten von weit, weit her, Männer grölten und lachten. Mulder und Scully drehten sich um, denn die Stimmen kamen vom Wasser. Dort waren zwei Schiffe aufgetaucht, uralte, hölzerne Segelschiffe mit einer Galionsfigur in Form einer Meerjungfrau auf dem Bug. Männer in seltsamer Kleidung sprangen von den Schiffen und liefen an den Strand. Sie trugen Säbel und Messer, einige hatten Pistolen –es waren Piraten…



Mulder und Scully wollten weglaufen, weil diese Männer direkt auf sie zukamen. Doch sie schienen sie nicht zu sehen, waren in einer anderen Welt, einer anderen Wirklichkeit… wie ein Film lief das Szenario vor den Augen der FBI-Agenten ab.

„Bitte tun Sie uns nichts“, riefen Menschen vom Wald der Insel her. Es waren drei Frauen mit dunkler Gesichtsfarbe und großen, hoffnungsvollen Augen. „Bitte! Wir geben Ihnen alles, was wir haben, aber lassen Sie uns am Leben.“

Die Piraten lachten und stürmten auf die Frauen zu, warfen sie zu Boden und schlitzen ihnen die Kehlen auf… Schreie durchbrachen das Gelächter, kurze und spitze Aufschreie. Die Piraten drangen tiefer in den Wald ein, töteten jeden, der ihnen in den Weg kam – Frauen, Kinder, Männer und Tiere… und sie plünderten die winzige Stadt, die Mulder und Scully auf einmal hinter den Bäumen und Büschen leuchten sehen konnten. Eine wunderschöne, kleine Stadt mit nur wenigen Häusern und einem großen Palast wurden im Handumdrehen von den Piraten geplündert und anschließend abgebrannt. Jeder, der den Seeräubern nun noch nicht zum Opfer gefallen war, starb in den Flammen…



Langsam verschwamm das Bild vor Mulders Augen, wurde immer blasser und verschwand schließlich vollständig. Nun war es wieder dieselbe, dunkle Nacht wie zuvor. Das einzige, was Mulder jetzt hörte, war das schwere Atmen seiner Partnerin neben sich und sein eigenes Herz, das so schnell schlug, dass es zu zerspringen drohte. Es dauerte eine Weile, bis sich Scully wieder bewegen und die schrecklichen Bilder abschütteln konnte. Sie hatte schon viele Morde gesehen, aber dies hier war mit das Grausamste, was ihr jemals unter die Augen gekommen war. Sie zitterte, als sie ihre Waffe langsam zurück in den Halfter sinken ließ und sich mit leerem Blick zu Mulder umdrehte. Ihm war augenblicklich klar geworden, warum sie in diesem Wald von tausenden, traurigen Augenpaaren angestarrt wurden… warum diese verlorenen Seelen der einstigen Einwohner dieser Insel wieder zurück ins Leben wollten und im Tod keine Ruhe fanden… man hatte ihnen ihr Leben gestohlen, Kindern und vielen jungen Leuten… sie wollten dieses Leben zurück… Ein eisiger Schauer lief ihm den Rücken runter und er ließ sich langsam in den noch immer feuchten Sand sinken.



Weder Mulder noch Scully schliefen diese Nacht. Sie saßen schweigend am Strand und beobachteten die Sonne, die langsam aus dem Meer kroch. Mulder wusste schon fast gar nicht mehr, wie lange sie schon hier waren.

Erst als ein Rattern zu hören war, ein Rattern, das ihm bekannt vorkam, wachte er aus seinem Trancezustand, in dem er sich seit letzte Nacht befand, auf und suchte den Himmel ab – da war tatsächlich ein Hubschrauber. Er sprang auf, hüpfte auf und ab und winkte mit den Armen.



„Hiiiiier!“, schrie er, obwohl er sich im Klaren darüber war, dass der Pilot ihn nicht hören konnte. Scully tat es ihm gleich und sie fielen sich freudestrahlend in die Arme, als der Hubschrauber sank und sich am Strand einen Platz zum Landen suchte. Scully stieg als Erste in den Helikopter, und bevor Mulder neben ihr Platz nahm, schaute er noch einmal zurück zum Wald. Dort stand, halb hinter einem Baum verborgen, seine Schwester Samantha. Er schüttelte den Kopf und schloss kurz die Augen, schaute dann abermals hin. Er wusste, dass es eine Täuschung war, und auch wenn es ihm unglaublich schwer fiel, den Blick von seiner Schwester, die er seit 21 Jahren nicht gesehen hatte, abzuwenden, er tat es, weil er wusste, dass sie nicht wirklich dort war. Er lächelte traurig, stieg dann ein und ließ sich erschöpft in den Sitz des Helikopters sinken. Die traurigen, leuchtenden Augen waren nun wieder da und starrten ihnen hinterher, als sie abhoben und auf dem Rückweg zum Festland waren.



„Wir wussten nicht einmal, dass diese Insel existiert“, sagte der Co-Pilot an Mulder und Scully gewandt. „Noch nie, als wir diese Strecke geflogen sind, haben wir sie gesehen, und wir fliegen hier oft.“ Dann sagte er noch irgendetwas, aber weder Scully noch Mulder hörten ihm mehr zu. Sie lehnten sich aneinander an und schliefen den ganzen Weg bis zurück an den Flughafen von L.A.







FBI-Zentrale, Washington D.C.

1 Woche später



Scully lächelte breit, als sie das X-Akten Büro im Keller betrat und ihren Partner hinter dem mit Aktenordnern, losen Blättern, Fotos und Büchern voll gestellten Schreibtisch erblickte. Er las in irgendeinem Buch und schien sie noch gar nicht bemerkt zu haben. Erst als Scully sich direkt vor ihn gestellt hatte und neugierige Blicke auf das warf, was er las, schaute er auf und lächelte ebenfalls. Das war das erste Mal, dass er sie nach ihrem kleinen Insel-Abenteuer sah. Beide hatten sich eine Woche Urlaub genommen, um das Ganze erstmal zu verarbeiten.



„Ich habe ein wenig recherchiert, Scully“, sagte er, umrundete den Schreibtisch, stellte sich dicht neben sie und hielt ihr das Buch hin, in dem er eben noch gelesen hatte. Es trug den Titel 1000 Geheimnisse unserer Welt.

„Da steht was über die Insel drin?“, wunderte sich Scully. „Ich dachte, nicht mal die Helikopter-Piloten hätten davon gewusst!“

„Tja, diese Insel ist auch nicht immer da…“, erklärte Mulder und kassierte einen von Scullys „Blicken“, die so viel bedeuteten wie Mulder Sie sind verrückt. Er war noch nie so froh wie jetzt, diesen Blick bei ihr zu sehen. „Manchmal taucht diese Insel auf, dann ist sie auch für uns sichtbar. Aber die meiste Zeit soll sie nur in einer anderen Dimension sichtbar sein, eine Welt, die für uns verborgen ist… schon viele vor uns haben das Geheimnis dieser Insel entdeckt, Scully. Die Seelen der auf brutale Weise abgeschlachteten Einwohner dieses Ortes treiben noch immer im Wald ihr Unwesen und wollen zurück ins Leben. Es ist nur eine Theorie, aber das, was der durchsichtige Nebel da mit Ihnen machen wollte das… könnte doch eine Seelenübernahme gewesen sein. Diese Seelen wollen ihr Leben zurück und beschaffen sich den Körper eines Lebenden, indem sie dessen Seele verdrängen…“ Er tippte mit dem Zeigefinger auf den Text. „Können Sie sich mal durchlesen.“

„Nein danke“, sagte Scully und legte das Buch auf den Schreibtisch. „Ich glaube, ich hab erstmal genug von dieser verlorenen Insel – und so viel Neues wird für uns doch nicht in dem Buch stehen, oder?“

Mulder stutzte einen Moment, denn eigentlich hatte er damit gerechnet, dass Scully alles Erlebte irgendwie rational zu erklären versuchte, mit Einbildung, Übermüdung oder Hitzschlägen als Rechtfertigung… doch er verbarg seine Erstaunung und freute sich innerlich, dass Scully endlich auch mal glaubte.

„Gehen Sie mit mir was trinken? Ich habe einen Höllendurst!“, sagte Scully. Als sie gemeinsam mit Mulder das Büro verließ und in den Aufzug stieg, begann sie in ihrem typischen, skeptischen Tonfall und aus heiterem Himmel: „Es kann auch sein, dass wir uns wegen unserer Übermüdung und der Hitze…“









THE END



Cover and Story by: Meike Mittmeyer ©
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