World of X

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Rosen statt Nelken

von Netty

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Meine Finger waren taub, nicht wirklich eine Überraschung. Seit Stunden war es immer derselbe Rhythmus. Einen großen Stapel Blätter nehmen, zählen bis der Autopsiebericht einer x-beliebigen Leiche zu Ende war und abheften. Zählen und abheften. Zählen und abheften. Konzentrieren und bloß nicht denken, niemals denken. Stumm und konzentriert, zählen und abheften.



Ich habe mich dieser Tätigkeit so gewissenhaft gewidmet, wie ich mich dieser Tage jeder Sache verschrieben hatte. Verbissen bis zum Schluss, niemals einen Gedanken an etwas anderes verschwendend.



Jeden Tag herrschte die gleiche Routine, die einzige Variation in Wasserleiche, Mordopfer, erstochen, erschossen, erhängt, Selbstmord... und immer so fort. Immer in diesem plumpen Großraumbüro in dem ich meine Zeit abgesessen habe. Mich acht Stunden krampfhaft auf etwas anderes als dich konzentrierte. Nicht in dem kleinen Büro im Keller. Skinner hatte mich dort so schnell es ihm möglich war herausgeholt. Ich habe nicht protestiert, wieso sollte ich? Es ist nicht so, dass ich dort unten noch von nützen hätte sein können. Dass ich dir noch hätte nützen können.



Nicht denken! Das war die Devise.



Zählen und abheften.



Zählen und abheften.



Niemals denken.



Erstochen, abheften. Erschossen, abheften. Tot, tot und wieder einer tot. Nein, mir entging die Ironie nicht. Sich mit dem Tod vom Tod ablenken, du hättest ein herzliches Lachen dafür übrig gehabt. Wie du für jegliche Form von Ironie eines übrig hattest. Ein kleines verschmitztes Lächeln, dass deine Mundwinkel ein Stück nach oben zog, deinen Augen einen beinahe schon schadenfrohen Glanz verpasste und die kleinen Fältchen um deine Augen herum hervortreten ließ.



Nicht denken.



Es war so einfach, sich das jedes Mal ins Gedächtnis zu rufen, aber es war so viel schwerer sich auch daran zu halten. So schwer, wenn alles eine Erinnerung an dich hervorrief. Der gelbe HB Bleistift, auch wenn er nicht in der Decke steckte, sondern in meinem Stifthalter. Die potthässliche Kaffeetasse, die ich dir immer durch eine neue hatte ersetzen wollen und von der ich mich nun nicht trennen konnte, auch wenn ich keinen Kaffee daraus trinken werde. Wäre nicht gut für das Baby. Das Baby, eine einzige Erinnerung an sich. Alles, was mir von dir geblieben war.



Nicht denken.



Zählen, abheften.



Ein Räuspern riss mich aus der vierten Seite und ich sah auf. Vor meinem Schreibtisch stand ein Mann, genaugenommen ein Junge, noch genauer ein Lieferjunge. Er hatte einen großen Blumenstrauß Rosen in der Hand, wären es Nelken gewesen, hätte ich sofort gewusst, was los war, aber so lief ich blindlings in die nächste Erinnerung hinein.



Tatsächlich hatte selbst meinen Mund ein winziges Lächeln umspielt. Ich hatte meinen Geburtstag nicht vergessen, auch wenn jeder das angenommen hatte, es war nur einfach so, dass ich keinen Grund darin sah sie etwas anderes glauben zu lassen. Was sollte schon großartig gefeiert werden?



Doch irgendjemand musste ebenfalls daran gedacht haben.



Im nachhinein wünschte ich, es wären Nelken gewesen. Aber sie waren es nicht, es waren wunderschöne rote Rosen, so zart erblüht, dass ihre Schönheit beinahe wehtat.



„Sind Sie Dana Scully?“ fragte der junge Mann und sah mich prüfend an. Schien aber schließlich zu dem Schluss zu kommen, dass es in Ordnung war einer schwangeren Frau Blumen zu schicken.



„Ja, das bin ich“, meine Stimme klang weich, aber nicht zögernd. Wären es Nelken gewesen, hätte ich keinen Ton herausgebracht, doch die Rosen ließen meine Stimme nur schüchterner werden, unwissend.



„Ich bräuchte hier noch eine Unterschrift“, er hielt mir eines dieser elektronischen Geräte hin und ich kritzelte abwesend meine Signatur, in Gedanken damit beschäftigt durchzugehen, wer mir die Blumen geschickt haben könnte. Eine Frage, die offensichtlich auch alle anderen Mitarbeiter im Großraumbüro zu quälen schien.



„Danke und einen schönen Geburtstag wünsche ich“, er drückte mir die Blumen in die Hand, schenkte mir ein Abschiedslächeln und war verschwunden. So schnell, wie er gekommen war.



Es waren keinen Dornen an den Stängeln und meine Hände umfassten zärtlich den Strauch. Mein Gesicht senkte sich und ich füllte meine Nasen mit dem zauberhaften, süßlichen Geruch, meine Augen genießerisch schließend. Und dann fühlte ich die kleine Karte an meine Nase stoßen.



Ich hätte sie nicht öffnen sollen. Wenn es Nelken gewesen wären, hätte ich sie nicht geöffnet, zumindest nicht so achtlos und beinahe schon erfreut. Richtige Freude kannte mein Körper nicht mehr. Aber es waren keine Nelken.



Und deshalb öffnete ich den kleinen Umschlag beinahe neugierig, deshalb las ich die Karte und deshalb ließ ich sie fallen. Legte die Rosen geistesabwesend auf den Tisch, griff mir mit der rechten Hand vor den Mund, um das Schluchzen zu unterdrücken und spürte wie sich die Tränen unaufhaltsam in meinen Augen sammelten.



Ich weiß nicht wie lange ich so saß, völlig darauf konzentriert die Tränen und den Schmerz zu unterdrücken, aber schließlich spürte ich eine Hand auf meiner Schulter und wie von weiter ferne hörte ich jemand meinen Namen sagen, meinen Vornamen. Ich sah auf und erblickte Skinners sorgenvolles Gesicht.



„Es sind Rosen“, stammelte ich. „Es sind Rosen, keine Nelken“, als würde das alles erklären und für mich tat es das auch. Er wollte mich an seinen Körper ziehen, doch das konnte ich nicht zulassen, er konnte nicht wissen was passiert war und es war an mir es ihm zu erklären.



„Er hat meinen Geburtstag vergessen, beinahe jedes Jahr und jedes Jahr habe ich ihm daraus einen Vorwurf gemacht“, ich musste tief durchatmen um die Tränen nur noch ein bisschen länger im Zaum zu halten. „Vor vier Jahren hat er dann eine Blumenfirma beauftragt, die mir jedes Jahr Blumen schicken sollte“, ich sah auf und konnte die Erkenntnis in seinen Augen sehen. „Nelken“, fügte ich hinzu und konnte spüren, wie die erste Feuchtigkeit meine Wangen einzuhüllen begann.



„Nelken waren ein Symbol für Freundschaft, letztes Jahr hat er gescherzt, dass er sie nun wohl darum bitten müsste mir Rosen zu schicken. Ich hatte nicht geglaubt, dass er es wirklich tun würde“, meine Stimme brach und diesmal ließ ich mich in seine Arme ziehen und wünschte mir so sehnlichst den Halt, den mir die Blumen gegeben hätten, wärst du noch bei mir gewesen.



Mein Blick viel auf die Karte, die ruhig auf dem Boden lag, nichts ahnend, was sie angerichtet hatte.



Happy Birthday.

Ich vergesse dich nicht, vergiss du mich auch nicht.

Mulder



Eine Botschaft, die jedes Jahr auf der Karte stand und die jedes Jahr dazu dienen sollte, mich an deinen Geburtstag zu erinnern.



Jetzt tat sie noch so viel mehr.


Ende
Ich weiß, dass ist die zweite Geburtstagsgeschichte, aber ich denke, sie hat absolut nichts mir der anderen gemeinsam, insofern könnt ihr mir sicherlich vergeben. Erst recht, wenn ich euch mitteile, dass ein großes Werk von mir kurz vor seiner Vollendung steht. Broken Throne, sollte noch in den nächsten Wochen fertig werden und Baby, wenn euch das nicht glücklich macht, kann ich euch nicht mehr helfen. Der letzte Teil der Hotelsaga dauert wohl leider noch ein bisschen länger, ist schwer mit meinem Perfektionismus umzugehen, verdammte Vererbung, hab ich von meiner Mutter.

Seid geduldig, es lohnt sich. Hoff ich zumindest. Netty.
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