World of X

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Rückblick

von Steffi Raatz

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Ich sitze hier. Der Fernseher läuft - irgendeine Talkshow. Ein Glas Wein, halb geleert vor mir. Die Luft flirrt vor Hitze. Ein dünner Wind bewegt die Gardinen am offenen Fenster. Mein Blick geht in Leere.
Ich habe so viele Fehler begangen...

Keine zwei Tage ist es her, da habe ich noch geglaubt, mein Leben müsse sich ändern, habe geglaubt, so könne ich nicht weiterleben.
Wie sehr man sich doch täuschen kann.

Ich sehne mich zurück. Zurück an diesen Tag, um noch einmal von vorne zu beginnen und es diesmal richtig zu machen. Doch es ist mir nicht möglich und so muß ich mit meinen Entscheidungen leben.
Mulder hat einmal zu mir gesagt, daß alle Entscheidungen von uns auf einen möglichen Punkt des Lebens hinaus zielen, doch das ist etwas, was ich nun nicht mehr glauben kann.
Vor zwei Tagen traf ich die erste Entscheidung in einer Reihe von Entscheidungen, die mein Leben in eine Bahn gelenkt haben - die nicht nur mein Leben in eine Bahn gelenkt haben - die unwiderruflich die falsche ist.
Ich habe diesen Augenblick so vor Augen, als ob es eben erst geschah.
Es war ein Tag, wie jeder andere. Ich hörte Mulder bei seinen Ausführungen zu einem neuen Fall zu, glaubte nur wenig von dem, was er von sich gab und war nicht bei der Sache. Ich sinnierte über mein Leben, den Sinn und meinen weiteren Weg.
Irgendwann kam ich zu der Erkenntnis, daß es so nicht weiter gehen durfte und vertraute mich meinem Partner an.
Er war verstört, erstaunt und versuchte mir den Sinn unserer Arbeit zu erklären, doch sein Sinn war nicht meiner. Es gab keine Verschwörungen mehr, keine Eroberung. Die letzten des Konsortiums waren Geschichte, also was tat ich noch in dem kleinen Kellerbüro? Warum war ich dort? Verschwendete meine Zeit für Dinge, deren Sinn ich nicht erkannte?
Ein langer Streit entbrannte. Ein Wort gab das andere, bis ich wütend das Büro verließ - meine erste Fehlentscheidung...

Stundenlang lief ich durch die Straßen, spürte meine Frustration, meine Unsicherheit und wußte nicht, was ich als nächstes tun würde. Ich fühlte einen tiefen Schmerz in mir, den ich nicht begründen konnte, dessen Ursache mir so fremd war, wie ich mir in diesen Augenblicken selber.
Ich hatte viele Jahre meines Lebens für eine Wahrheit gekämpft, die nicht einmal meine Wahrheit war.
Irgendwann setzte ein feiner Nieselregen ein, durchnäßte mich. Ich spürte es kaum. Die Kälte war bereits in mir, kam aus meinem Inneren, nicht von der Nässe und dem Wind.

Irgendwann hatte es mich dann doch wieder in mein Appartement getrieben. Ich legte die nassen Kleider ab und stellte mich unter die Dusche. Während ich meinen Körper einschäumte, meine Hände auf meiner Haut spürte, da spürte ich diese Leere wieder - diesen unerträglichen Schmerz und mir wurde klar, was die Ursache war.

Ich überlegte, Mulder anzurufen, doch ich wußte nicht was oder wie ich ihm sagen sollte, was in mir vorging. Minuten vergingen, eh ich mich durchrang seine Nummer zu wählen. Jedoch legte ich sofort wieder auf, als seine Stimme erklang - meine zweite Fehlentscheidung...

Als ich am nächsten Morgen das Büro betrat, war mein Partner nicht anwesend. Ich spürte eine leichte Enttäuschung.
Doch ich mußte mit ihm reden, mußte ihm meine Erkenntnis mitteilen und meinen Schmerz bekämpfen, also entschloß ich mich zu warten - meine dritte Fehlentscheidung...

Der Vormittag war bereits einige Stunden alt, als ich meinen Vorgesetzten anrief und mich nach Mulder erkundigte. Ich wußte, ich hatte zu lange gewartet, als dieser mir erklärte, mein Partner sei allein auf einem Einsatz. Ich fühle noch immer dieses unbeschreibliche Gefühl von Angst, das mich augenblicklich beschlich. Ich ließ den Hörer fallen und rannte zu meinem Wagen. Ich wußte, wo er sein würde. Ich befürchtete es.
Meine Reifen quietschten als ich anfuhr. Das ungute Gefühl in meinem Inneren schnürte mir fast die Kehle zu.

Als ich an meinem Zielort ankam, spürte ich es. Das dünne zarte Band, was mich stets mit ihm seelisch verbunden hatte, wurde schwächer...
Die Wagentür blieb offen hinter mir, meine Schritte hallten durch die Nacht. Meine Zunge war trocken. Die Waffe in meinen Händen, sie schwankte. Zittern - überall an meinem Körper, wie eine böse Vorahnung.
Sekunden später die Erkenntnis, die grausame Wahrheit. Ich ging auf die Knie, ließ mich fallen, ignorierte den Schmerz. Ein anderer war größer.
Meine Hände flogen über seinen Hals und fühlten den Puls. Er war vorhanden und dennoch konnte ich spüren, wie das Leben aus ihm entfloh.
"Halte durch", flüsterte ich ihm zu und alarmierte Krankenwagen und Ärzte.

Das Zimmer in kaltem Weiß. Ich schwieg. Hielt seine Hand. Brachte kein weiteres Wort heraus. Ich hatte alle Verkehrsregeln übertreten, nur um ihm an diesen Ort zu folgen. Doch ich schwieg, wußte nicht, ob er mich wahrnahm, ob er verstanden hätte. Meine Kehle wie zugeschnürt.
Wir waren allein. Allein war auch ich, spürte den Schmerz, jetzt noch unerträglicher als zuvor. Ich hoffte, ich flehte, bat zu Gott.
Ich betrachtete sein Gesicht, doch ich berührte es nicht. Ich wollte ihm so viel sagen, doch ich tat es nicht, schwieg - meine vierte und schwerste Fehlentscheidung...

Als ich die Augen wieder öffnete, wußte ich zuerst nicht wo ich mich befand, doch die weißen Wände, der Geruch, brachten die Erinnerungen zurück. Mein Blick blieb an seinem bleichen Gesicht hängen.
Ich legte meinen Kopf auf seine Brust und hörte das leise Schlagen seines Herzens. "Verlaß mich nicht!" flüsterte ich.
Das Entsetzen steckt noch immer in meinen Gliedern, das Entsetzen, das mich plötzlich erfaßte, als die Herzmaschine einen langen pfeifenden Ton von sich gab.
"Nein, nicht", ich klammerte mich an ihn, wollte ihn nie wieder los lassen, "verlaß mich nicht!" Meine Stimme brach. Immer wieder bat ich ihn mich nicht zu verlassen, immer wieder.
Als die Ärzte und Schwestern mich von ihm fort zogen, kamen die Tränen. Sein lebloser Körper, der unter den Elektroschocks zusammen zuckte und dennoch nicht reagierte. Ich hielt es nicht aus und rannte - meine letzte Fehlentscheidung - rannte aus dem Zimmer, aus dem Krankenhaus, durch die Straßen, bis mir die Luft weg blieb und ich zusammen brach...

Der Schmerz in meinem Inneren ist unerträglich. Ich habe so viele Fehler begangen. Fehler, die ich nie wieder gut machen kann. Nur eine andere Entscheidung hätte ihm vielleicht das Leben gerettet, nur eine einzige andere Entscheidung.
Als ich den Anruf aus dem Krankenhaus bekam, daß er es nicht überlebt hatte, erfuhr ich, daß man mich gesucht hatte. Nach der Reanimierung war Mulder noch einmal zu Bewußtsein gekommen, hatte nach mir gefragt, doch ich war nicht aufzufinden, lag in einer Gosse im Regen und machte mir Vorwürfe. Jetzt habe ich wirklichen Grund zu Vorwürfen.
Er muß geglaubt haben, er sei mir egal. Doch am schlimmsten ist das Wissen mich im Streit von ihm getrennt zu haben. Ich hatte die Chance, ihm zu sagen, was mich retten könnte, was ihn retten könnte, doch ich schwieg.
Jetzt muß ich damit leben.
Nie wird er erfahren, wie sehr ich ihn liebte und noch immer liebe. Nie wieder werde ich sein Lachen hören, seine ach so absurden Theorien, das Knacken der Sonnenblumenkerne. Nie wieder ist seine starke Schulter für mich da, kein Mensch wird mich mehr anblicken und ich werde darin das lesen können, was ich in seinen Augen las.
"Ich liebe dich, Mulder!", sage ich leise, doch ich weiß nicht, ob er mich hört. Ich hoffe es dennoch.



Ende
Ich weiß, vielen paßt dieser Schluß nicht, vermutlich die ganze Geschichte nicht, aber die Wahrscheinlichkeit, daß die beiden jemals ein Paar würden, war in der Serie so gering, daß dies für mich das einzig realistische Ende darstellte. Nun gut, Mulder verschwand mit einem Raumschiff, aber ist das nicht ein ähnliches Ende (sehen wir mal von den Geschehen in Staffel 8 ab)?
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