World of X

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Ohne jede Chance

von Steffi Raatz

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Es ist schon lange her, dass ich ruhig geschlafen habe, dass mich die Nacht nicht so ängstigte, dass mein Herz so schnell schlug. Jedes Geräusch wird aufgenommen, analysiert und kategorisiert. Jedes neue Geräusch, das ich nicht einordnen kann, läßt mich zusammenzucken und glauben, alles sei wieder so wie früher.

Vor Ewigkeiten, in einem anderen Leben, da glaubte ich an die Liebe. An eine unerschöpfliche großartige Liebe, die alles Leid überwinden könnte. Ich wurde eines besseren belehrt.

Das schlimme ist, dass es so plötzlich und unerwartet kam, dass ich nicht vorbereitet darauf war.

7 Jahre meines Lebens hatte ich gewartet, um mit ihm das zu haben, was normale Paare miteinander haben - Sex. Vielleicht hätte es schon all die Jahre davor dazu kommen können, doch in diesem Augenblick taten wir es und es war ohne Reue. Keine Gewissensbisse mehr wegen der Arbeit, keine Gedanken mehr an das, was kommen würde, ob diese Beziehung, die wir eingingen, dieser Schritt, den wir 7 Jahre nicht gewagt hatten, unserer Freundschaft Ende sein würde.

Doch durch sein Verschwinden konnte sich nie eine wirkliche Beziehung entwickeln. Ja, ich war schwanger, schwanger von ihm. Zwar durch eine künstliche Befruchtung, doch es war sein Kind. Ein Kind, aber keine Beziehung und so klammerte ich mich an dieses Kind. Dieses unschuldige ungeborene Wesen, welches mir meine Kraft gab und mir zu überleben half.

Jeden in meiner Nähe, mochte er Freund sein oder von mir erklärter Feind, stieß ich von mir, verbannte ich aus meinem persönlichen Leid.

Mit der Zeit lernte ich zwar, gewissen Menschen in meinem Umfeld zu vertrauen, doch mein Lebensinhalt blieb Fox Mulder. Der Mann, dessen Arbeit und dessen Leben ich meines gewidmet hatte. So exzessiv, dass ich an seinem vermeindlichen Tod fast zerbrach.

Erst seine Rückkehr zu mir, brachte auch meinen Willen zu Leben wieder. Seine Rückkehr zu mir, ja, so glaubte ich damals noch, so hoffte ich.

Vielleicht hätte ich auf meinen Verstand hören sollen, der mir bereits die ersten Warnsignale sandte, vielleicht hätte ich damals schon diesen winzigen Aufschrei des Zweifels in meinem Herzen vernehmen müssen, doch ich war blind. Blind vor Glück und Liebe. Einer Liebe, die an Besessenheit grenzte, an eine dunkle selbstzerstörerische Besessenheit, die ich nicht erkannte.

Diese Besessenheit fraß mich auf, lenkte mein Handeln und Denken. So nannte ich meinen Sohn nach seinem Vater, einem Vater, dessen er sich nicht einmal sicher sein konnte.

Mein Herz schrie so sehr nach ihm, dass ich alles andere um mich herum nicht mehr wahr nahm.

7 Jahre blindes Vertrauen meinerseits, 7 Jahre die Hoffnung auf mehr und dann fast ein ganzes Jahr bitteres Suchen, verzweifeltes Flehen. Meine Seele lag offen dar, verletzlich, zerbrechlich.

Fox Mulder, er schien der Mann meiner Träume, der Mann, auf den ich schon immer gewartet hatte und so ging ich mit ihm. Verließ mit ihm das FBI, mein Leben, meine zweite Heimat.

Ich glaubte so sehr, ein normales Leben führen zu können. Mit ihm schien alles möglich.

Wie dumm war ich doch, zu glauben, er könne ohne seine X-Akten leben, wie dumm war ich, dass ich wirklich glaubte, ihn ändern zu können!

Wir hatten eine schöne Zeit und mit schöner Zeit, meine ich das auch. Es gab nichts an unserem Leben auszusetzen. Ich empfand Glück, Glück und Zufriedenheit, die ich nie zuvor empfunden hatte.

Doch mit der Zeit... ich kann es nicht beschwören... waren es ein Vierteljahr, ein halbes... da kamen die ersten Anzeichen, die ich geflissentlich ignorierte, übersah.

Mulder wurde ungehalten, machte seinem Ärger Luft und so ging schon mal ein Teller zu Bruch. Dinge, die ich mit erstaunen wahrnahm, aber dennoch wortlos akzeptierte. Doch mit der Zeit wurde es immer schlimmer. Seine Unzufriedenheit ließ ihn aggressiv werden, aggressiv und unbeherrscht.

Mehr als einmal flehte ich ihn an, zu Skinner zu gehen und um eine Wiedereinstellung zu bitten, ja selbst mit John Doggett sprach ich darüber, verzweifelt wie ich war.

Doch was daheim geschah, wie er mich anschrie, Gegenstände warf oder nächtelang nicht nach Hause kam, all das und noch viel mehr behielt ich für mich. Verschloß ich in meinem Inneren. Tief und fest, so dass keiner heran kam. Keiner Einblick nehmen konnte. Ich war noch nicht bereit zu zugeben, dass mein Leben, was ich mir so blind und kompromisslos herbei gesehnt hatte, in so unglücklichen Bahnen verlief.

Das Ende nahm seinen Anfang in einer Vollmondnacht. Mulder hatte mich und William allein gelassen, mal wieder. Ich hatte es längst aufgegeben, ihm deswegen Vorwürfe zu machen und gerade deshalb war ich so erstaunt über seine Wut, mit der er in unser Schlafzimmer stürzte. Eine Wut, die aus seinen Augen funkelte, die mir Angst machte, obwohl ich diesen Mann wirklich liebte. Ich erinnere mich genau, er kam ins Zimmer, stürzte auf mich zu, nannte mich prüde in seinem alkoholisierten Zustand und riß mir die Kleider vom Leib. Entsetzt schrie ich auf, wollte mich wehren, ihn zur Vernunft bringen, doch es hatte keinen Sinn. Nachdem wochenlang nichts zwischen uns gewesen war, nahm er sich in dieser Nacht alles, was er haben wollte, nahm sich meinen Körper und verlor augenblicklich meine Seele.

In dieser Nacht begann mein Martyrium, in dieser Nacht begannen meine Alpträume, meine Angst.

Nacht für Nacht, Woche um Woche das gleiche Spiel, schmerzhafter, tyrannischer Tag um Tag bis er auch mein Herz verlor.

Nachts schlug ich beim kleinsten Geräusch die Augen auf. Jeder Schritt in der Dunkelheit wurde zur Qual. Kam er, ging er? Ließ er mich auch nur einmal in Ruhe? Die Ungewißheit und die Angst ließen sich nicht mehr kontrollieren.

Ich war verzweifelt, ich glaubte in der Hölle zu sein. Kein Ausweg, keine Flucht. William war mein letzter Halt vor der Selbstzerstörung, vor dem unausweichlichen einzigen Weg, den ich meines Erachtens wählen konnte.

Doch eines Tages stand John Doggett vor der Tür. Er fragte mich nach meinem Befinden, warum ich mich nicht mehr gemeldet hätte und da spürte ich einen Strohhalm ergreifen zu können, spürte, dass dort ein Rettungsring für mich war, den ich nur ergreifen mußte. Einen Weg aus meiner persönlichen Hölle.

Ich bat ihn herein, weil Mulder mal wieder nicht da war und begann sofort, ihm mein Leid zu klagen.

Nie hatte ich geglaubt, dass er derjenige sein würde. Mein Gott, ich hatte ihn zu meinem, zu Mulders, zu unserem persönlichen Feind erklärt und was tat ich, ich erzählte ihm alles, jede Einzelheit, jeden schmerzvollen Gedanken.

Und er, er dem ich nie vertraute, er dem ich mein Leid während Mulders Abwesenheit in die Schuhe hatte schieben wollen, er den ich als Kersh's Wachhund betitelt hatte, ausgerechnet er half mir. Gab mir die Kraft, meine Sachen zu packen, William zu nehmen und zu gehen.

Ich liege wach. Mein Herz schlägt schnell und mein Atem geht rasselnd. Es ist die Aufregung, es ist die Angst. Ich höre Schritte, doch es sind nicht Mulders. Es sind die eines anderen Mannes – John.

Meine Augen fallen langsam wieder zu, doch mein Verstand arbeitet noch immer, katalogisiert die Geräusche, stuft sie ein – gefährlich oder nicht.

William weint und doch bleibe ich liegen. Ich weiß, dass John sich um ihn kümmert. Er ist liebevoll zu mir und zu meinem Sohn, doch meine Gedanken kreisen immer noch um den Mann, der meine Zukunft hätte darstellen sollen und nun eine bittere Vergangenheit ist. Eine Vergangenheit, die ich gerne rückgängig machen würde. Noch mal neu anfangen. Dort anfangen, wo zwischen Mulder und mir noch Freundschaft herrschte. Gott, ja, ich wäre sogar bereits auf William zu verzichten, nur um mein altes Leben wieder zu bekommen, so sehr ich meinen Sohn auch liebe.

Meine Sinne spielen in der fremden Umgebung verrückt und ich sehne mich nach meinem eigenen Bett, obwohl mich dort unermeßliche Qualen trafen. Ich sollte dankbar sein, dass John mich und William so kompromißlos aufgenommen hat, ich sollte ihm zeigen, dass ich es zu schätzen weiß, doch ich habe eine derartige Leere in mir, die mich immer mehr auffrißt und mich normalen Handlungen nicht fähig macht.

Ich glaube John liebt mich und William. Ich glaube, er tat es schon, als William noch gar nicht geboren war und ich noch auf der Suche nach Mulder.

Manchmal wünschte ich, ich hätte schon damals etwas davon gemerkt und Mulders Wesen erkannt. Seine exzessive Besessenheit von den X-Akten. Vielleicht hätte ich nicht John gewählt, aber ich hätte meine Entscheidungen eventuell überdacht. Konsequenter über Folgen nachgedacht.



Mein Leben ist noch immer die Hölle. Es wird noch lange die Hölle sein und jetzt kann und will ich keinen Mann mehr in mein Leben lassen.

John hat nicht verdient, dass ich seine Gastfreundschaft länger nutze. Es ist bereits beschlossene Sache, dass ich ihn verlassen werde und zu meiner Mutter ziehe. So leid es mir für ihn tut, so leid mir alles in meinem Leben tut. Meine Blindheit vor Mulders wahrem Wesen, meine Besessenheit von diesem Mann, meine Abneigung gegen John, der wahrlich nichts dafür konnte oder die Liebe, die ich nicht erwidern kann.

Jetzt weiß ich, dass die Einsamkeit nicht schlimmer sein kann. Jetzt endlich weiß ich, dass Mulder und ich schon immer ohne jegliche Chance waren. Es hätte nie funktioniert. Damals nicht, heute noch weniger. Es ist erschreckend dies festzustellen, doch ich habe die Zeichen absichtlich nicht wahrnehmen wollen. Also werde ich mein Leid tragen, meine bitteren Erinnerungen, mein zerbrochenes Herz, meine unvollständige Seele.

Es ist bitter zu verstehen, dass Liebe nicht das ist, was sie in Romanen erscheint. Es ist bitter, die dunkle Seite der Leidenschaft zu erfahren und ich habe meine Lektion gelernt.

Mein Herz trauert, meine Seele schreit und ich weiß nicht, ob ich je wieder so bedingungslos lieben kann.



Ende
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