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Endlose Wege - Somnia periculosa vexatae animae

von Danalein

Kapitel 2

Sie findet sich in einem kleinen Wohnzimmer wieder, dessen kleiner Kamin feurige Wärme ausstrahlt. Der Fernseher läuft, bestrahlt diese Szenerie mit seinem unwirklich blauen Licht.

„Isobel, wir müssen dir etwas sagen.“ Eine etwa vierzigjährige Frau blickt von der schwarzen Ledercouch auf.

„Das ist nicht mein Name“, entgegnet Scully.

„Deine Mutter und ich werden uns trennen“, fährt ein Mann etwa gleichen Alters fort.

„Aber...“ Den Tränen nahe, beginnt Dana zu schreien: „Ihr seid so gemein! Ich hasse euch, ich hasse euch, ich hasse euch!!! Das könnt ihr mir nicht antun!“

„Na, Dana, spürst du jetzt auch, was ich damals fühlte?“, flüstert Isobels Stimme zynisch aus dem Hintergrund.

Mit einem lauten Knall schwindet der Raum. Unter den einstürzenden Mauern wird ein kleiner Hof sichtbar, auf dem Dana steht, einen schlanken, braunen Vollblutwallach am Zügel haltend, der sanft seine weiße, weiche Nase gegen ihren Rücken stupst.

Isobels Eltern. „Isobel, es tut uns leid, aber wir müssen Oceandiver verkaufen.“

„Nein!!! Das könnt ihr nicht tun! Er ist doch alles, was ich noch habe!“, schluchzt sie verzweifelt. Dann Stille, nur das Schnauben des aufgeschreckten Pferdes, das um sie herum tänzelt, bevor auch es zu Staub zerfällt und untergeht, gemeinsam mit der blutroten Sonne, die nie wirklich existiert hatte.

„Warum tust du das, Isobel?“, rzft sie.

„Na, hat das weh getan? Aber wart es ab, es kommt noch besser“, kichert Isobel.

„Warum hörst du nicht einfach damit auf?“, versucht Scully sie zu überzeugen. „Du hast doch keinen Grund für das, was du da tust.“

„Oh doch, glaub mir Dana, den hab ich. Ihr habt mich jahrelang herumgeschubst, mich verhöhnt und geärgert. Ich will, dass du, die ewige Klassenbeste, die, die für jeden ihrer Freunde außer für mich einsprang, mich endlich verstehst. Du hast dich hinter deiner kalten Maske verkrochen, wenn es darum ging, auch mal das Elend der Leute zu sehen, die nicht ständig um dich herum schwirrten. Du hast gar keine Ahnung, wie es ist, mein Leben zu leben.“

„Ich hab mich geändert“, wendet Dana vorsichtig ein.

„Man kann die Vergangenheit nicht ändern. Aber man kann sie einsehen. Hast du ihn verstanden, meinen Hilferuf, für den jeder taub war?“

„Wovon sprichst du?“

„Ich zeige es dir.“



Den Kopf auf die Hände gestützt saß Mulder bangend neben Scully im Krankenwagen. Sie hatte weiterhin unverständliche Sätze gemurmelt, die für ihn keinen Sinn ergaben, jedoch nicht mehr um sich geschlagen. Er wusste nicht, ob das ein gutes Zeichen war oder nicht, denn vielleicht war das ein Hinweis darauf, dass sie einen Kampf verloren hatte, von dem er zu diesem Zeitpunkt noch nicht wusste, gegen wen oder was. Hatte sie aufgegeben? Ihre jetzige Apathie war mindestens genauso erschreckend wie ihre panischen Versuche, gegen imaginäre Dämonen zu kämpfen. Man sah deutlich, dass sie Angst hatte, doch wovor? Konnten Träume so sehr angsteinflößend sein, dass man sogar am Anblick eines geliebten Träumenden seine Emotionen spüren kann?

„Bitte, Dana, halt durch“, flüsterte er. Vielleicht konnte sie ihn hören, vielleicht halfen ihr seine Worte, sich wieder zu wehren.



In dem kleinen gelben Zimmer brennt kein Licht, von draußen klopfen kalte, prasselnde Regentropfen gegen die Fensterscheiben. Der zarte Duft von Vanilleräucherstäbchen erfüllt den Raum, doch da ist noch etwas anderes.

„Ich denke, du solltest es selbst fühlen, Dana.“ Aufflackernd beginnen die traurigen Töne eines langsamen Songs.

„Warum, Isobel? Warum ich?“

„Hatten wir das nicht schon? Du bist eine Versagerin!“, zischt Isobel.

„Aber das tut so verdammt weh“, wimmert Dana.

„Du beginnst schon zu denken, wie ich damals. Bald wirst du erfahren, wie es ist, ich zu sein. Und Schmerz ist besser als Leere, denn Leere macht nachdenklich. Du bist traurig? Dann lass dich einfach treiben. Lass dich von der Trauer erfassen, vielleicht wachst du irgendwann wieder auf.“

„Lass mich gehen. Ich will allein sein.“ Die letzten Takte des Liedes verklingen, in der Dunkelheit flackert von draußen schwach ein kleines Licht auf, hell genug, um Dana weiche Schatten an die Wand werfen zu lassen, aber zu dunkel, um Wärme und Hoffnung zu spenden. Ein kalter Luftzug streicht durchs Zimmer, zu kalt um Tränen trocknen zu können. Sie ist allein. Allein mit ihren Träumen, allein mit Gefühlen und Gedanken, die nicht ihr gehören. Schmerz. Was ist das? Hatte sie jemals so großen Schmerz erfahren wie in diesem Moment? „Bitte, lasst mich alle allein.“ Ihre Stimme ist kaum mehr ein leises Flüstern, das nichts vermag, außer wenigstens ein bisschen Leben in diese Stille zu bringen. Allein. War sie das nicht immer irgendwie gewesen? Gab es jemals jemanden, der sie wirklich verstand? Blut. Sie hatte noch nie gesehen, wie es aussah, wenn es aus ihren eigenen zerfetzten Adern spritzte, ist jedoch begierig, es zu erfahren. Ewige Einsamkeit. Würde jemand um sie weinen, würde jemand sie vermissen? Ihre Augen richen sich gen Himmel. Was passiert nach dem Tod? Seufzend wankt sie an das andere Ende des Raumes, der ihr so bekannt vorkommt, als hätte sie schon immer dort gewohnt. Ein schluchzender Seufzer, bevor sie zur Klinge greift.

Ihre Gedanken sind vernebelt. Sie weiß nicht, dass all das, was sie denkt und fühlt nicht ihre eigenen Gedanken und Gefühle sind, deshalb es es für sie unmöglich, sich gegen sie zur Wehr zu setzen. Sie kann nichts dagegen tun, als fremde Gedanken ihre Finger dazu bringen, zum Schnitt anzusetzen.



Hektische Betriebsamkeit herrschte in der Notaufnahme, Ärzte in weißen Kitteln hasteten hin und her, riefen sich gegenseitig etwas zu, schoben vereinzelte Bahren in den OP oder in die Pathologie. Überall lagen vor Schmerzen schreiende Unfallopfer, ohnmächtige Menschen, die in einen Großbrand hineingeraten waren und weinende Kinder.

Doch Mulder nahm dies alles nur durch einen Schleier war. Alles in seinem Kopf drehte sich um Scully, die gerade in den großen Raum hineingeschoben wurde. Sie bewegte sich nicht, doch er glaubte, ein Glitzern in ihren Augenwinkeln erkennen zu können. Ihr Mund war leicht geöffnet, unruhig strömte ihr Atem ein und aus. Keine Anzeichen der Schmerzen mehr, die ihr zugefügt wurden.

Warum musste immer alles in seinem Leben schief laufen? Warum konnte nicht einfach alles so funktionieren, wie es sollte? Er wollte doch nichts weiter als glücklich sein. Warum passierte immer etwas in seiner Gegenwart? Warum immer Scully? Warum, warum, warum... Tausend Fragen und niemand, der antwortete. Sein Kopf dröhnte von dem hohen Maße an Selbstquälung, von den Rätseln, die hämmernd darauf warteten, endlich gelöst zu werden. Er wollte doch einfach nur sein neues, ruhigeres Leben genießen und dann das...

Schweigend betrachtete er Scully, wie sie da lag. Ihre Wangen waren feucht, ihr Haar ungeordnet. Sie sah zerbrechlich aus, als könnte er es nicht wagen, sie zu berühren, ohne dass sie auseinanderbrach. Helle Haut, ungeschminkte Lippen, die trocken und aufgesprungen waren. Am liebsten hätte er mit den Fingern darüber gestrichen um sie wieder zurück in die Realität zu holen.

Ein dunkelroter Tropfen fiel hinab, traf auseinander platzend auf dem Boden auf. Resigniert seinen Kopf nach hinten legend sprach Fox ihr gedanklich Mut zu, versuchte ihr Hoffnung zu schenken.



„Du Versagerin!“ Verbittert hallt die laute Stimme über die leere Einöde.

„Lass mich in Ruhe!“, brüllt Dana.

„Dafür ist es leider zu spät. Du bist ich, daran führt kein Weg mehr daran vorbei.“

„Warum konnte ich es nicht? Warum?“ Sie beginnt zu laufen, in eine unbestimmte Richtung, ohne Ziel. Einfach geradeaus in die Wüste.

„Weil du versagt hast! Und das war nur der Anfang vom Ende. Du glaubst doch nicht wirklich, mit einem mickrigen Selbstmordgedanken sei es getan, oder? Ich will, dass du leidest, Dana. Dass du wirklich leidest, dass du so sehr leidest, dass du dir wünschst, nie geboren zu sein.“

„Das schaffst du nicht.“

„Du bist schwach. Sieh dich doch an, du bist nicht mehr als eine unwichtige Person, die es nicht einmal schafft, ihre Vergangenheit zu bewältigen.“

„Du bist nicht meine Vergangenheit.“

„Aber ein Bestandteil davon. Was ist mit der starken Dana Scully passiert, mh? Sag es mir doch!“

„Hör auf damit!“

„Geh mit mir durch diese Tür.“ Isobel deutet mit ausgestrecktem Finger nach vorne. „Ich habe dir noch nicht genug gezeigt. Außerdem gibt es noch viele Leute, an denen ich mich rächen muss.“ Hinter der flimmernden Luft über dem roten Wüstenboden erscheint ein Tor, dessen Ausmaßgewaltig ist.

„Was willst du jetzt schon wieder?“

Doch Danas Gegenüber schweigt, schreitet stattdessen durch das Tor hindurch in eine Landschaft, die eine krassen Gegensatz zu der Wüste bildet. Braune Blätter wirbeln durch dunkle, verlassen aussehende Straßen, die wenigen Straßenlaternen spenden nur spärliche Helligkeit, die kaum die Finsternis durchbricht.

„Wo sind wir hier, Isobel?“

„Find es selbst raus.“

„Ich kann nicht.“

„Du hast zu können!“ Isobel ballt die Hand zur Faust, holt weit aus. In ihrem Gesicht spiegelt sich purer Hass wieder, ihre Augen sind dunkel vor Zorn, ihre Lippen verzogen zu einer wütenden Grimasse. Mit voller Wucht rammt sie ihr die Hand ins Gesicht. Das dumpfe Geräusch aneinander geschlagener Körperteile erfüllt die Dunkelheit, ihre Halswirbel knacken leise, als ihr Kopf zurückschlägt und ein dumpfer Schmerz in ihrem Gesicht ihr Tränen in die Augen treibt. Blut, das aus ihrer Nase fließt, verleiht dem kalten Pflaster einen dunkelrötlichen Schimmer.



Den Kopf auf die Hände gestützt saß Mulder nachdenklich wartend in dem kalten, steril wirkenden Krankenhausflur. Er wusste nicht, was gerade hinter der verschlossenen Tür neben ihm vor sich ging, er wusste nicht, wie Scullys momentaner Zustand war, er wusste nicht, wie lange er noch hier sitzen würde. Alles, was er wusste war, dass er Angst hatte. Er hatte Angst, Scully zu verlieren, indem sie immer weiter in ihre Träume abdriftete, er hatte Angst, dass sie es nicht verkraften würde. Sie musste in den letzten Monaten eine ganze Menge durchstehen und sie hatte sich verändert. Sie war wesentlich emotionaler geworden, hatte oft geweint, was sie sonst so beharrlich zu verbergen versuchte. Sie hatte Angst vor der Zukunft und davor, wieder von ihrer Vergangenheit eingeholt zu werden, als sie glaubte, endlich über den Tod ihrer Familie hinweg zu sein. Doch genau das trat jetzt ein. Die Schatten der Vergangenheit schoben sich wie unheilverkündende Wolken vor ein greifbares, unbeschwertes Leben. Fox hoffte inständig, sie möge es endlich schaffen, sich unterbewusst ihren Dämonen zu stellen und sie zu besiegen, doch ob es ihr gelang, wusste er nicht. Wenn er so darüber nachdachte, wusste er eigentlich fast gar nichts. Wie gerne wäre er jetzt an ihrer Seite, um ihr zu helfen, alle angestauten Erinnerungen zu vergessen, doch es gab nichts, was er in diesem Moment für sie tun konnte.

Nervös trommelte er mit den Fingern auf die Lehne des unbequemen Stuhls, auf dem er saß. Wann kam endlich jemand, um ihm zu sagen, was überhaupt los war? Konnte eine einfache, komplikationslose Bestandsaufnahme so lange dauern? War mit Scully etwas Unvorhergesehenes passiert?



„Betrachte das, was ihr mir angetan habt, aus meiner Sicht, Dana.“

„Warum sollte ich das tun?“

„Ich möchte dich quälen“, kichert Isobels Stimme. „Ich möchte dich erniedrigen, ich möchte um Gnade winselnd auf den Knien sehen.“ Sie laufen durch den von Menschen überfüllten Schulflur. Höhnische Gesichter weit und breit, die lachend auf sie zeigen. Am liebsten würde sich Dana verkriechen, doch es gibt kein Entrinnen. Was hat sie falsch gemacht? Ungeschickt stößt sie mit ihrem Rucksack gegen einen geöffneten Spind, als sie sich umdreht, um nach Isobel Ausschau zu halten, fallen ihre Bücher, die sie in den Armen gehalten hat, hinunter. Noch lauteres Gelächter, das spöttisch an ihr Ohr dringt.

„Ich will hier weg, Isobel! Hörst du mich?“ Während sie ruft, läuft sie weiter, als sei ihr Weg vorgezeichnet, betritt sie eine dunkle Halle, in der bunte Lichter über festlich gekleidete Schüler tanzen.

„Ich bin hinter dir“, flüstert die Stimme unheilverkündend. „Es stehen noch ein paar deiner Freundinnen aus, findest du nicht auch?“

„Hör auf!!!“ In diesem Moment blendet ein Scheinwerfer, der sich direkt auf sie beide richtet. Ein blondes Mädchen stolpert dazu, ihre Augen sind weit aufgerissen vor Entsetzen. „Julia?“

Eine blanke Klinge fährt durch de Luft, schneidet haarscharf an Scully vorbei. „Du bist dran, Dana.“ Sie spürt das Messer in ihren Händen liegen, betrachtet es fassungslos. „Ich werde das nicht tun.“ Sie wirft es weit von sich, doch in dem Moment, in der es ihre Hände verlässt, liegt es wieder in ihnen.

„Du musst.“

„Nein.“ Mit einem spitzen Aufschrei stürzt sie sich auf Isobel, die sich geschickt abwendet.

„Dafür ist jetzt noch nicht die Zeit gekommen, Dana. Du weißt, was du tun musst.“

„Aber ich kann nicht.“

„Du hast zu können!“

„Nein!!! Ich kann doch nicht einfach jemanden umbringen!“

„Tja, das musst du selbst entscheiden. Denn wenn du es nicht tust, mache ich es, doch dann hast auch du nicht mehr lange zu leben. Du hast die Wahl zwischen Leben und Tod, also entscheide dich“, zischt Isobel.

„Nein, ich kann nicht. Ich kann nicht, ich kann nicht, ich kann nicht!“, stammelt Scully. „Hör endlich auf damit!“

„Dana, wenn ich dich umbringe... Denkst du nicht, dass dich dann jemand sehr vermissen würde?“

Zitternd weicht sie zurück. „Nein...“

„Möchtest du wissen, was dein Freund dazu zu sagen hat?“ Kichernd dreht sich Isobel um.

„Woher weißt du das?“

„Ich weiß alles über dich. Ich kenne dich besser als du mich, ich kenne dich besser als jeder andere. Ich weiß sogar deine dunkelsten Geheimnisse.“

„Das ist nicht wahr“, spricht Scully leise.

„Bitte, Dana, tu, was sie dir sagt“, vernimmt sie Mulders weiche Stimme neben sich. „Ich kann mir ein Leben ohne dich nicht vorstellen.“ spricht er beruhigend auf sie ein. „Ich brauche dich doch.“ Seine Worte sind eindringlich, traurig, stockend. Es bricht ihr das Herz, ihn in der Dunkelheit stehen zu sehen, würde ihn am liebsten in den Lichtkreis hineinbitten, doch es scheint so, als sei das, was sie sagen muss, vorprogrammiert.

„Das bist nicht du, Fox.“ Ihre Stimme zittert. „Ich kann nicht das Leben eines anderen Menschen riskieren, nur um mich selbst zu retten.“

„Dana, du musst. Bitte, tu es für mich. Wenn du dein eigenes Leben durch das, was du zu verhindern versuchst, aufs Spiel setzt, könnte ich auch nicht mehr leben.“

„Warum sagst du so was?“ Doch er ist verschwunden, ohne sich zu verabschieden. In Danas Augen schwimmen Tränen, als sie Julia betrachtet, wie sie mit einem verzweifelten Blick ihr gegenüber steht. Sie muss sich entscheiden. Mulder oder Julia. Verdammt, warum muss man es ihr auch so schwer machen?

„Egal, wie du dich entscheidest, es wird immer Tote geben“, unterbricht die heisere Stimme von Isobel ihre Gedankengänge.

„Ich will das nicht tun. Bitte, lass mich in Ruhe“, fleht Scully. Mit einem wütenden Aufschrei, reißt ihr Isobel das Messer aus der Hand.

„Na schön, dann eben nicht. Aber sag nicht, ich hätte dich nicht gewarnt.“ Ohne Vorwarnung stößt sie Julia das Messer in den Brustkorb. Ein Schwall dunkelroten Blutes strömt aus der Wunde, als das Mädchen noch ein letztes Mal nach Luft schnappend zusammenbricht. Ihre nun toten Augen scheinen Dana anzustarren, sie erschaudert unter ihrem kalten Blick.

„Tja, Dana... So könntest du auch enden“, bemerkt Isobel.

„Ich hatte es nie für möglich gehalten, aber so langsam fange ich an, dich wirklich zu hassen.“ Fassungslos weicht Dana zurück, schüttelt entsetzt den Kopf, bis sie spürt, dass etwas auf sie herabrieselt. Noch ein Schritt nach hinten. Sie streckt die Hand aus, prüft die kleinen Körnchen. Sand. Einfacher Wüstensand, der auf den Boden fließt wie ein feines Rinnsal. Sie blickt nach oben, erspäht ein Loch in der Decke, das von Sekunde zu Sekunde wächst.

„Tja, ich schätze, die Zeit ist abgelaufen“, bemerkt Isobel. „Gleich wird sich das Schicksal entscheiden. Entweder für dich oder für mich.“



„Mister Mulder?“ Die Stimme schreckte ihn aus seinen trübsinnigen Gedanken, veranlasste ihn dazu, mit einem Male hellwach aufzuspringen.

„Wie geht es ihr“, fragte er drängend den Arzt, der gerade neben ihn auf den Flur getreten war, doch das drückende Schweigen, das er statt einer Antwort erntete, ließ ihn gleich wieder auf den Stuhl zurücksinken. „Kann ich sie sehen?“

„Nein. Sie lebt noch, aber sie gleitet und immer weiter ab. Wir tun unser Bestes, um sie zurückzuholen, doch ihre Vitalzeichen werden schwächer. Zudem gab es einige seltsame Vorkommnisse, die unsere Versuche, sie zurück in die Gegenwart zu holen, nicht gerade erleichtern.“

Sofort begannen sich seine Augen mit Tränen zu füllen, die den Kummer und die Besorgnis, die er um sie hegte, hervorbrachten. Sie durfte nicht aufgeben, nicht jetzt, nicht ohne ihn. Warum konnte er ihr nicht einfach helfen, ihr beistehen, in ihre Illusionen einbrechen, um all die Schatten darin zu vertreiben? Es war seine Schuld. Er hätte sie nicht mit ihren Träumen allein lassen sollen. Vielleicht wäre sie vorzeitig aufgewacht, wenn sie in seinen Armen eingeschlafen wäre. Sein Schluchzen durch den kalten Krankenhausflur bildete eine verzweifelte Bitte: „Halt durch, halt durch, halt durch.“



In einer großen Stadt auf einem unüberschaubaren Marktplatz stehen sie sich gegenüber. Die Straßen sind von Schluchten übersäht, zwischen denen hohe Häuser ragen, niemand wagt es, aus dem Fenster zu schauen oder sich gar nach draußen zu begeben. Und sind sie allein. Allein mit ihren Zielen, Ambitionen und Hoffnungen vereint an einem Ort. In ihren nachtschwarzen Kleidern sehen sie sich verblüffend ähnlich, die Augen beider funkeln hasserfüllt, jede hält ein Schwert in der Hand. Die Klingen blitzen gefährlich in der roten Abendsonne, deren Licht lange Schatten wirft.

„Showdown.“ Isobels Stimme nimmt mit einem Mal einen beinahe ernsten Tonfall an. „Jetzt wird sich zeigen, wer von uns beiden es verdient hat, weiter zu leben“, erklärt sie verbittert. „Es gibt nur eine Regel: Wer zuerst zustößt, hat gewonnen, verstanden?“

„Du stellst Regeln auf? Wie ironisch, da du dich selbst nie an welche gehalten hast. Aber das hier ist kein Spiel.“

„Ich weiß. Und deshalb werde ich es auch gewinnen. Ich habe es satt, immer nur guter Durchschnitt zu sein. Jetzt habe ich endlich die Chance, etwas zustande zu bringen.“

„Du bist nicht stärker, nur wenn du es schaffst, das Leben vieler Trauernder zu zerstören.“

„Das Leben vieler Trauernder? Oh bitte! Deine Familie ist tot, wer sollte dann noch um dich trauern?“

Danas Schweigen ist die einzige richtige Antwort. In ihr stauen sich Wut, Verzweiflung, Hass. Alles, was sie sonst unterdrückt, sammelt sich direkt unter der Oberfläche, bereit zum Ausbruch. Ein langsamer Schritt vorwärts, dann noch einer. Die Sonne beginnt sich zu drehen, die Sterne leuchten auf. Ein kurzer, irritierter Blick gen Himmel. Totenstille. Sie spürt pures Adrenalin durch ihre Adern fließen, als sie noch einen Schritt auf ihre ehemalige Freundin zugeht. „Du weißt, dass ich dich eigentlich gar nicht töten will“, flüstert sie. „Aber du lässt mir ja keine andere Wahl.“ All ihre Muskeln sind angespannt, bereit, bei der kleinsten Bewegung der Rivalin zu reagieren. Noch ein Schritt. Höchstens drei Meter trennen die beiden noch voneinander. Ein leichtes Schwindelgefühl überkommt Dana, doch sie ignoriert es beharrlich. Beide bleiben stehen, sehen sich in die Augen.

„Ich dachte nie, dass ich dich jemals so sehr hasse würde“, keucht Scully.

„Ich tue es schon seit mindestens zwanzig Jahren“, entgegnet Isobel, die sie mindestens um zwei Köpfe überragt.

„Warum bist du so, wie du heute bist?“

„Tja, Dana, fragen wir uns das nicht alle? Ich habe es dir gezeigt, ich habe dich so fühlen lassen, wie ich es tat, und doch ist es dir nicht gelungen, mich zu verstehen?“

„Doch, das ist es. Denkst du, es ist Schicksal?“

„Nein. Alles ist eine bloße Aneinanderreihung von Zufällen. Wärt ihr damals netter zu mir gewesen, wären wir beide heute nicht hier.“

„Vielleicht sollte es so geschehen. Isobel, du hast immer noch die Chance, aufzuhören.“

„Nein. Ich werde genauso wenig aufhören, wie du deine neuerworbene Gabe verlieren wirst.“

„Welche Gabe?“

„Erinnerst du dich nicht? Als auf eurer Reise die Lampe explodierte. Als du unterbewusst die Vase zertrümmertest. Das, was wahrscheinlich heute nacht schon mehrfach da draußen um dich herum geschehen ist, während du hier bist und dich deiner Vergangenheit stellen musst. Diese Gabe meine ich.“

„Das ist absurd.“ Eine steile Furche auf Danas Stirn.

„Ich weiß, dass du es nicht schaffen wirst, mich zu töten. Du hast noch nicht einmal Julia umgebracht, als dein eigenes Leben auf dem Spiel stand.“ Hörte Dana wirklich in ihrem Tonfall so etwas wie Bedauern mitschwingen? Je länger sie sich in die Augen sahen, desto unerträglicher wurde die Spannung, desto stärker flackerte die Zwietracht zwischen ihnen auf.

„Ich hatte sie nicht gehasst. Aber wenn es meine einzige Möglichkeit ist, diesen Alptraum zu beenden, ist das etwas vollkommen anderes.“ Wenn sie ihren Arm ausstrecken würde, könnte sie sie berühren. Dana fällt eine Haarsträhne ins Gesicht, die sie am liebsten mit einer zittrigen Bewegung wegstreichen würde, doch sie umklammert mit beiden Händen den Griff des Schwertes. Sie hatte noch nie eine solche Waffe benutzt, und doch kommt es ihr so vor, als sei sie mir ihrem Gebrauch vertraut.

„Du tust es nicht, Dana. Sehen wir der Tatsache ins Auge. Du bist schwach und eine Versagerin“, kommentiert Isobel sachlich.

Das gibt Dana den Rest. Mit einem lauten Aufschrei und einer Kraft, von der sie nie glaubte, dass sie existierte, springt sie ab, genau im gleichen Moment mit ihrer Rivalin. Es scheint so, als bliebe die Zeit stehen, all der Schrecken der nun fast vergangenen Nacht manifestiert sich in dieser Sekunde. Rund um den Platz herum schwingen sich schwarze Raben mit gleichmäßigen Flügelschlägen empor, krächzend, als würden sie diesen Ausbruch von Emotionen gebührend feiern wollen. Innerhalb von wenigen Augenblicken bricht der Himmel auf, nasskalte Wassermassen spülen den Staub der Straßen fort. Mit einem lauten, krachenden Geräusch, das genauso gut ein Donnerschlag sein könnte, stoßen Dana und Isobel zusammen. Gemeinsam sinken sie zu Boden, die Schwerte noch immer erhoben. Als erste schafft es Isobel, sich wieder zu fangen, mit einem geschmeidigen Sprung findet sie sich wieder auf den Beinen wieder.

„Verabschiede dich, Dana“, knurrt sie leise, bevor sie sich ein zweites Mal auf sie zustürzt. Dana schafft es gerade noch, sich geschickt zur Seite zu rollen, so dass das Schwert um Haaresbreite an ihrer Haut vorbeischrammt. Zu überrascht, um direkt wieder aufzustehen, bleibt Isobel auf dem Boden knien. Diesen Augenblick ausnutzend, reagiert Scully blitzschnell, richtet die Spitze des Schwertes Richtung Herz zielend auf ihren Rücken.. Noch ein letztes, ironisch gemurmeltes „Danke für alles, Isobel“, bevor sie zusticht. Das Geräusch von Metall, das auf Knochen trifft, hallt über den weiten Platz, gräbt sich unwillkürlich in Danas Gedächtnis ein.

Qualvoll fällt die Dunkelhaarige zur Seite, ihr Blick ist starr auf Scully geheftet. „Ich dachte nicht, dass du das tun würdest“, flüstert sie stockend, dann schließt sie für immer ihre Augen.

Und die Stadt löst sich auf. Dort, wo eben noch Raben kreisten, beginnt der Himmel zu brennen, die heißen Flammen verkohlen alles, bis der gesamte Traum für alle Ewigkeit zu Asche zerfällt.



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„Ich bin wieder zuhause, Dana!“, rief Mulder, als er nach seinem ersten Arbeitstag als Psychologe ihr gemeinsames Zuhause betrat. Keine Antwort. Sie war gestern nach einigen Nachkontrollen aus dem Krankenhaus entlassen worden, und seitdem hatte er das Gefühl, sie gehe ihm aus dem Weg. Sie hatten nicht über das, was geschehen war gesprochen, denn er wollte ihr Zeit geben. Zeit, die Dinge zu verarbeiten, Zeit, sich zu überwinden. Ihre Bitte, keine Fragen zu stellen, hatte er erhört, auch wenn er den Grund nicht verstand. Wäre es für sie nicht besser, zu reden?

Er fand sie schließlich im Schlafzimmer, mit traurigem Blick auf dem Bett sitzend ein Bild von ihnen beiden betrachtend. Neben ihr lagen zwei große Koffer, beide verschlossen und vermutlich gepackt. Sobald sie ihn erblickte, stand sie auf und räusperte sich.

„Ich wollte mich noch von dir verabschieden.“

Mit fassungslosem Erstaunen sah er sie an. „Du gehst weg?“

„Ich komme wieder.“ Nervös rieb sie den Verband, der ihren linken Unterarm zierte. „Ich habe noch ein paar Dinge abzuklären. Mit mir selbst.“

„Aber... du kannst doch nicht einfach fortgehen!“ In seinen Augen schwammen stumme Tränen.

„Ich muss. Es tut mir leid, aber ich schaffe es sonst nicht.“ Ihre Stimme klang gefasst, doch innerlich focht sie einen Kampf aus.

„Wie lange wirst du voraussichtlich bleiben?“ Er schluckte, atmete mehrmals tief durch. Er wusste, dass es falsch wäre, sie hier festzuhalten, doch was sollte er tun? Sie einfach gehen lassen?

„Ich weiß es noch nicht. Vielleicht ein paar Wochen, vielleicht mehrere Monate.“ Sie biss die Zähne zusammen, denn sie wusste, dass dies eine lange Zeitspanne war.

„Bleib hier.“

Scully schüttelte den Kopf. „Ich würde gern, aber ich kann nicht. Im Krankenhaus gab es wegen mir ein technisches Chaos. Ich muss meine neuerworbenen Fähigkeiten unter Kontrolle bringen. Und ich muss mich selbst finden. Lass uns das einfach als einen längeren Urlaub ansehen, ja?“

„Ich fahr dich an den Bahnhof.“ Er drehte sich um, um zu verbergen, dass er kurz davor stand, zu weinen.

„Das brauchst du nicht. Ich habe ein Taxi bestellt.“ Als bräuchte sie eine Bestätigung, ertönte von draußen ein Hupen. Beide Koffer ergreifend erhob sie sich, lief Richtung Flur. Doch sobald sie die Schlafzimmertür passiert hatte, wand sie sich noch einmal um. „Leb wohl.“ Am liebsten hätte sie Mulder umarmt, der mit todtraurigem Blick zu ihr herübersah, doch das bedeutete, Schwäche zu zeigen. Es hätte sie dazu veranlassen können, ihre Entscheidung zu revidieren.

„Bleib hier.“

„Nein. Du kannst auf Wiedersehen sagen und mir Glück wünschen, oder du kannst nichts sagen und mich ohne ein Wort des Abschieds gehen lassen. Aber bleiben werde ich nicht. Ich kann es nicht.“ Sie wartete auf eine Antwort, auf eine Entscheidung seinerseits. Als er nicht reagierte, sondern sie einfach nur noch unfähig zu sprechen ansah, ging sie etwas enttäuscht weiter. Wie konnte sie nur so naiv sein zu glauben, er würde sie nicht einfach so gehen lassen?

Als die Tür hinter ihr ins Schloss fiel, warf sie noch einen letzten Blick zurück. Sie sah sein Gesicht hinter der Fensterscheibe, über seine Wangen rollte eine Träne. Verdammt, warum musste er es ihr auch so schwer machen? Schweren Herzens stieg sie ins Taxi, setzte sich so entspannt wie möglich hin.

„Zum Flughafen, bitte“, rief Scully dem Fahrer zu, bevor sie der Straße folgend die Stadt hinter sich ließen.



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Mulder war ihr nachgelaufen. Er hatte noch Minuten nach ihrem Abschied aus dem Fenster geschaut, jedoch nicht die Kraft aufbringen können, zu winken. Er hatte einfach nur da gegessen, geweint, seinen Gedanken freien Lauf gelassen und das Taxi so lange beobachtet, bis es außer Sichtweite war.

„Viel Glück“, murmelte er, bevor er sich wieder in den einsamen Alltag stürzte.



Ende
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