World of X

Das älteste Archiv für deutsche Akte-X Fanfiction

Who I am

von Marion Kirchner, Stefan Rackow

Kapitel 2

Ich fuhr wie besessen durch die Straßen von Washington D.C. Es war zwar sonst nicht meine Art schnell zu fahren, aber in diesem Moment besiegte meine Neugier meine Vernunft. Es war mir egal, welchen Unfall ich bauen könnte, oder welche Verkehrsregeln ich mit Sicherheit verletzte. Zeit war etwas kostbares und wenn sie begann wie Sand durch die Hände eines Menschen zu laufen, waren Regeln nur noch nutzlose Worte.



Endlich erreichte ich das Armenviertel. Dutzende von alten Steinhäusern starrten mir vom Straßenrand entgegen. Ihr Putz war längst abgebröckelt und in ihren Fugen erkannte man Schimmel. Es stank nach Urin, vergammelten Essen und Erbrochenem. Ich verspürte den Drang mir die Nase zuzuhalten und schloss, während ich nach der Bakerstreet suchte, das Lüftungssystem des Autos.

Ich hatte nur noch eine ältere Karte dieses Viertels auftreiben können, was mir die Suche nach der Lagerhalle nur noch erschwerte. Die Sonne knallte auf das Dach des Wagens und trieb unzählige Schweißperlen meine Stirn hinab. So schön dieser Tag mir anfangs erschienen war, so hoffte ich jetzt, dass die Sonne bald hinter einer Wolke verschwinden würde, da die Hitze beinahe unerträglich war.



Ich kam durch die engen Straßen nur sehr langsam voran. Ab und zu wich ich ein paar von Dreck beschmierten Kindern aus die spielten, als befänden sie sich in einem Naturschutzpark. Die Mülltonnen waren ihre Sträucher und die Häuser ihre Bäume. Vermutlich stellten sie sich vor, dass der Gestank von frisch durchnässter Erde stammte und der Müll bloß von Fußspuren aufgewühlter Schlamm war. Es war schön die Phantasie eines Kindes zu besitzen...



Als ich wieder um eine viel zu enge Kurve bog, entdeckte ich die Lagerhalle hinter einem großen, von Sträuchern bewachsenen Maschendrahtzaun. Ich fuhr noch ein wenig weiter und hielt schließlich unter einer halb verfaulten Eiche. Ihre Krone war zwar zerfallen, doch ich hoffte, dass sie meinem Wagen dennoch genug Schatten spendete, damit ich die Rückfahrt überlebte.



Mit einem schlechten Gefühl im Magen öffnete ich die Wagentür. Mein Herz tickte wie das Uhrwerk einer Zeitbombe, die jeden Moment zu explodieren droht. Obwohl es hellichter Tag war, war diese Gegend ziemlich dunkel. Ich fühlte mich unwohl und fragte mich, wo die anderen Agenten waren, die Skinner zum Tatort geschickt hatte.



Es war ruhig, nicht ein Lüftchen wehte durch die Umgebung. Ich trat näher an den Zaun heran und spähte durch die Drähte. Endlich. Ich erkannte drei Wagen, die offenbar vom FBI stammten. Erleichtert wich ich vom Zaun zurück, folgte ihm bis zu einem eisernen Tor, das mich halb geöffnet einlud das Grundstück zu betreten. Als ich meine Stöckelschuhe auf den von der Hitze erhärteten Boden sinken ließ, fragte ich mich, was Doggett am Morgen hier gemacht hatte. Warum war er in ein teilweise verlassenes Viertel gefahren, das weit von seinem Weg zur Arbeit entfernt lag? Er musste einen Grund gehabt haben und es machte mich nervös, dass er mir nichts davon erzählt hatte.



Nach wenigen Sekunden war ich am Eingang der Halle angekommen. Die FBI-Fahrzeuge waren leer gewesen, woraus ich geschlossen hatte, dass sich das Einsatzteam vermutlich in der Halle befand. Ich lauschte kurz. Es war immer noch so leise wie zuvor. Nicht einmal das Geräusch von Schritten drang aus dem Inneren an meine Ohren. Es war, als befände ich mich in einer Geisterstadt.



Ich hielt kurz inne, betrat dann aber die Lagerhalle. Die Tür stand weit offen und auch jetzt, da ich mich im Inneren der Halle befand, entdeckte ich niemanden. Ich ging ein wenig tiefer in die Halle hinein, drehte meinen Kopf in alle Richtungen, doch es war anscheinend niemand hier.



„Hallo, ist hier jemand?“, rief ich in den Raum. Die einzige Antwort, die ich bekam, war mein Echo, das unheimlich laut zu mir zurückhallte. Ich zog die Augenbrauen zusammen und drehte mich nochmals um die eigene Achse. Nichts. Schließlich entdeckte ich in einer schattigen Ecke einen Stapel Kisten. Ich ging darauf zu und zog eine näher an mich heran. Ich begutachtete die Entdeckung eine Weile, bückte mich dann um den Deckel abzubrechen. Ich schaffte es ohne große Anstrengung, da die Nägel, die den Deckel gehalten hatten, fast durchgerostet waren. Durch das durch ein kleines Fenster fallende Licht erkannte ich nun den Inhalt der Kiste. Sie war mit einem schwarz-gräulichen Staub gefüllt, der mich an Asche erinnerte. Ich nahm vorsichtig etwas von der Substanz in meine Finger und rieb das Pulver zwischen Daumen und Zeigefinger. Anstatt wie Asche daran kleben zu bleiben, löste sich der Staub und fiel, ohne Spuren zu hinterlassen, wieder in die Kiste zurück.



Etwas verwirrt erhob ich mich und überlegte, ob die Einsatztruppe vielleicht losgezogen war um die Umgebung zu erkunden. Da ich aber davon ausging, dass Skinner sie über mein Kommen informiert hatte, erschien es mir sehr seltsam, dass sie in voller Besetzung gegangen waren und sogar ihre Fahrzeuge hier gelassen hatten.



Gerade wollte ich mich umdrehen, um die Halle zu verlassen, als mich ein Geräusch zusammenzucken ließ. Schwere, schleifende Schritte kamen auf mich zu. Leicht orientierungslos fuhr ich herum. Zuerst sah ich nur einen schemenhaften Schatten, der sich kaum von der Stelle bewegte. Die Person musterte mich gebannt, schien jedes einzelne meiner Körperteile genau zu studieren. Ich wollte etwas sagen, doch er kam mir zuvor:



„Ich hätte nie gedacht, dass Sie wirklich hier her kommen würden, Dana“, sagte er langsam. Seine Stimme war rau und alt, dennoch erinnerte sie mich an jemanden.

„Wer sind Sie und woher wissen Sie, wer ich bin?“ Ich sah ihn an. Er war Ende siebzig, sicherlich niemand, der zu der FBI-Einsatztruppe gehörte.

„Mein Name ist Harvey O´Brian. Sie müssten mich eigentlich kennen. Zumindest kennen mich Ihre Kollegen, die heute morgen die Halle durchsucht haben.“ Sein Blick war herausfordernd und doch schien er Angst zu haben, oder er war aufgeregt. Ich konnte es nicht genau zuordnen.

„Sind Sie etwa der Mann, der behauptet, Agent Doggett zu kennen?“

„Ich hatte erwartet, dass Sie das sagen werden. Sie haben recht, ich kenne Agent Doggett.“

„Wissen Sie vielleicht auch wo er ist?“ Mein Blick wurde ebenso herausfordernd.

„Nein, ich hatte gehofft Ihre Leute wüssten, wo er ist.“

„Wo sind sie?“

„Das weiß ich nicht.“ Er sah enttäuscht zu Boden.

„Wie lange sind Sie schon in dieser Halle, Mr O´Brian?“

„Den ganzen Morgen, hier ist aber nicht sonderlich viel passiert, wenn Sie das meinen.“

„Ach nein, und was ist mit dem Agenten der heute hier verschwunden ist? Und der Einsatztruppe, die die Halle auf den Kopf gestellt hat? Mr. O´Brian, wären Sie bitte so höflich mir zu sagen, wo die anderen FBI-Agenten sind?“ Ich hielt es langsam nicht mehr aus.

„Ich sagte doch, ich habe keine Ahnung. Ich wünschte, ich wüsste es.“ Er sah eine Weile aus einem Fenster und sagte schließlich: „Folgen Sie mir, dann kann ich Ihnen vielleicht auch erklären, was hier vorgefallen ist, Agent Scully.“



Er setzte sich in Bewegung und erwartete offenbar von mir, dass ich ihm ohne weiteres folgte. Ich tat ihm den Gefallen, ohne zu wissen, wer er eigentlich war. Heute weiß ich, dass es besser gewesen wäre, in dieser Halle zu bleiben. Doch ich bin während meiner Arbeit an den X-Akten leichtsinnig geworden und dieser Leichtsinn sollte nun auf mich zurückkommen. Ich bemerkte es zwar erst nicht, aber das, was ich in den nächsten Tagen erfahren sollte, war schlimmer als jede sichtbare Strafe, die man mir hätte antun können.



Ich war diesem Mann nun schon fast eine Stunde gefolgt. Wir hatten nicht ein Wort gewechselt, waren nur, in unseren eigenen Gedanken vertieft, die von Hitze durchfluteten Straßen entlang gelaufen. Mittlerweile wusste ich selbst nicht mehr, wo wir uns befanden. Ich hatte einmal behauptet, mich in Washington sehr gut auszukennen, aber nun begann ich daran zu zweifeln, ob ich überhaupt jemals in Washington gewesen war. Diese kleine enge Straße, war mir auf jeden Fall unbekannt. Ebenso wie der Rest der Umgebung. Da ich meine Straßenkarte im Auto gelassen hatte, war es auch sinnlos, über meinen Aufenthaltsort nachzudenken. Solange wir D.C. nicht verließen, konnte ich mich nicht verirren, wenn ich es nicht längst hatte.



Nach gut eineinhalb Stunden hielt er in einer engen Gasse vor einer Treppe an. Ich sah mich um und entdeckte nicht das geringste Anzeichen, dass sich außer uns noch jemand hier aufhielt.



„Wo sind wir?“, fragte ich nun endlich.

„Vor Harrys Wohnung“, antwortete er.

„Wer ist Harry?“

„Ein Mann der uns noch sehr viel nützen wird, Agent Scully. Sie kennen doch mit Sicherheit Jaqueline Adams, oder?“

„Ja. Sie reden von einer älteren Dame, mit der ich heute Morgen eine Unterhaltung geführt habe, oder?"

„Ganz recht. Diese Jaqueline wohnte vor langer Zeit auch hier, bis sie gezwungen war, diesen Ort zu verlassen. Harry, oder besser gesagt Harrold, weiß genau warum sie ging und er würde gerne von Ihnen wissen, wo Jaqueline Adams sich aufhält.“

„Es tut mir wirklich leid, Mr. O´Brian, aber ich kenne ihren Aufenthaltsort nicht.“

„Doch, Sie kennen ihn. Sie müssen sich bloß vorstellen Sie wären Jaqueline Adams.“ Er fuhr nicht fort, sondern betrat die erste Stufe. Er sah zu mir und forderte mich erneut auf, ihm zu folgen. Ich tat es. Nicht, weil ich es für richtig hielt, sondern schlicht und einfach, weil ich neugierig war, was mich in diesem Haus erwartete. Zu neugierig.



Meine Augen brauchten eine Weile, um sich an die Dunkelheit zu gewöhnen. Wir hatten einen kleinen, muffigen Flur betreten, dessen Fenster mit vergilbten Planen verdeckt waren. Es roch nach angebranntem Fett und war so stickig, dass ich das Gefühl hatte, mir würde jemand ganz langsam die Kehle zuschnüren. Ich fragte mich wie die noble, zierliche Mrs. Adams in diesem Loch überlebt haben konnte. Es war zwar lächerlich, aber ich konnte mir keine Frau in diesem Gebäude vorzustellen.



„Wir müssen nach oben gehen. Harrold ist nicht gerade der Typ Mensch, der gerne Leute um sich hat. Dazu hat er zu schlechte Erfahrungen mit ihnen gemacht.“ O´Brian deutete mit seinem alten, knochigen Arm die Treppe hinauf. Er betrat hastig die erste Stufe und erzeugte dabei ein morsches Knarren, das durch den gesamten Flur hallte. Aus einer hinteren Ecke miaute eine aus dem Schlaf geweckte Katze auf und schlich kurz darauf an meinen Beinen vorbei.



„Kommen Sie, Agent Scully, wir haben nicht viel Zeit.“ Seine Schritte wurden hastig und ich merkte, dass er sich anstrengte.

Nach kurzem Zögern erklomm ich ebenfalls die Treppe. Im ersten Stock sah es nicht viel anders aus. Der Teppich war durchgetreten und die Tapeten blätterten langsam ab. Unter ihnen kam grünlicher Schimmel zum Vorschein, der das Haus nur noch ungemütlicher machte.



O´Brian hielt vor einer Tür mit der Nummer zwölf an und klopfte mit harten Stößen an das morsche Türholz. Nach einigen Sekunden vernahm ich ein leises Grummeln, das sich der Tür näherte. Die Tür wurde einen Spalt weit geöffnet und zwei mir bekannte haselnussbraune Augen kamen zum Vorschein.



„Harvey bist du das?“, fragte er mit heiserer Stimme.

„Ja, Harry, ich habe sie mitgebracht. Ich denke, sie wird uns helfen können.“ O´Brian deutete auf mich und Harrys Augen wanderten gespannt meinen Körper entlang.

„Sie ist es“, sagte er langsam und lächelte Harvey O´Brian dankbar an.



Ich hörte, wie Harry die Tür entsicherte und sie einladend öffnete. Er strahlte übers ganze Gesicht, als er mir seine Hand reichte.



„Mein Name ist Harrold Sulivan. Es freut mich, Sie kennen zu lernen, Agent Scully.“

„Es freut mich ebenfalls Mr. Sulivan.“ Ich versuchte zu lächeln und sah mich dabei in dem kleinen Wohnzimmer um, das direkt hinter der Tür lag. Es war mit altertümlichen Möbeln ausgestattet, die nicht etwa wertvolle Antiquitäten waren, sondern eher schon seit den 30igern in dieser Wohnung standen. Auf einem kleinen Tisch stand ein laufender Schwarz-weiß-Fernseher, über den gerade die Wiederholung eines Footballspiels flimmerte. Harrold hatte es sich vermutlich vor unserer Ankunft gemütlich gemacht, da die Couch halb mit einer unordentlich zusammengerollten Decke bedeckt war und auf dem Tisch eine angefangene Tüte Sonnenblumenkerne lag. Bei diesem Anblick verdrehte ich die Augen. Sein Blick war mir so schon bekannt vorgekommen und nun aß er auch noch Sonnenblumenkerne. Irgendwie schien die Welt nach dem Besuch von Jaqueline Adams für mich auf dem Kopf zu stehen.



Ich sah zu O´Brian, der mich gespannt mit seinen blauen Augen ansah. In seinem Blick steckte Hoffnung, aber gleichzeitig eine gewisse Angst, vermutlich davor, dass ich ihnen das, was sie von mir wissen wollten, nicht sagen konnte.



„Setzen Sie sich, Agent Scully“, forderte mich Harrold auf und verließ sogleich das Zimmer. Nach kurzem Zögern schob ich die karierte Decke ein wenig beiseite und ließ mich auf der Couch nieder. O´Brian, der dies eigentlich für mich hatte machen wollen, platzierte sich auf einen kleinen Sessel, der neben dem Fernsehtisch stand. Er schielte auf das Footballspiel und glaubte wahrscheinlich, dabei unauffällig meinen Blick meiden zu können.



Eine Viertelstunde später kehrte Harrold aus dem Nebenzimmer zurück. Er trug einen verstaubten Karton, der für ihn eindeutig zu schwer war in seinem Arm. Er schwankte ein wenig, stellte ihn dann aber erleichtert auf den Boden ab. Die Staubkörnchen tanzten fröhlich im Licht der einfallenden Sonne herum und kitzelten frech in meiner Nase. Harrold setzte sich neben mich. Er sah mich eine Weile an. Ich hatte fast den Eindruck als sauge er mein Erscheinen in sich auf. Gerade als es begann unangenehm für mich zu werden, beugte er sich und hob den Deckel des Kartons an. Schüchtern, als befände sich ein Monster in dieser Pappe, nahm er den Deckel schließlich in die Hand. Ich hatte viel erwartet und eine leichte Enttäuschung übermannte mich, als ich altes, vergilbtes Papier erkannte.



„Das ist alles, was wir noch haben. Es stammt aus einem Forschungslabor Ende der 40iger Jahre. Auf diesen Papieren sind Versuche an Menschen festgehalten worden. Namen, Adressen, Geburtsjahre und alles sonst noch nötige wurde hier aufgedruckt, damit man die Testpersonen zu jeder Zeit aufspüren konnte.“ Er kramte, von O´Brian eingehend beobachtet, in den Blättern herum und hielt eines nach dem anderen ins Tageslicht. Schließlich lächelte er kurz auf und hielt mir einen gebündelten Papierstapel unter die Augen „Jaqueline ist ebenfalls eines ihrer Versuchsobjekte gewesen. Sie haben verschiedene medizinische Mittel an ihr getestet. Als sie 27 Jahre alt war gelang es ihr durch ein kleines Wunder zu fliehen und sie kam nach Washington. Durch irgendeinen verrückten Zufall hat sie mich, damals noch als Penner auf der Straße, getroffen. Ich kannte diese Versuche und habe versprochen, ihr zu helfen.“



Ich musterte ihn eingehend. Man konnte in seinen Augen sehen, dass er sich gerne an diese alte Zeit erinnerte. Er blühte mit jedem Wort, das er sprach, mehr auf. Er schien erleichtert darüber, dass ich mich für seine Worte interessierte.

Nachdem er erneut eine Redepause einlegte, blätterte ich ein wenig in der Akte herum, die nun auf meinem Schoß lag. Ich war vorsichtig, da es mir schien, als könnten diese Papiere jeden Moment zu Staub zerfallen. Die Akte war ähnlich aufgebaut wie die, die Mulder und ich in einem alten Schacht auch von mir gefunden hatten. Ich erkannte Tabellen, in denen vermerkt war, welche Mittel man ihr zu welchem Zeitpunkt verabreicht hatte. Darunter befanden sich auch heutzutage gebräuchliche Medikamente. Jaqueline Adams war für diese Leute vermutlich so etwas wie ein Versuchstier gewesen. Wehrlos und ohne Erlaubnis hatte man dieser Frau Mittel verabreicht, die sie hätten töten können. Der Mensch ist des Menschen größter Feind, erst recht, wenn er die Wissenschaft an seiner Seite hat.

Ich überflog die Akte schließlich bis zum Ende. Sie stammte aus einem Versuchslabor aus Texas, das mir unbekannt war. Tief durchatmend sah ich wieder auf und erkannte, dass mich beide Männer die ganze Zeit über angestarrt hatten. Harrold machte sich wieder bereit zu reden.

Er räusperte sich:



„Wie gesagt, waren Jaqueline und ich nun beisammen und beschlossen, den Menschen, die diesen Monstern immer noch ausgeliefert waren, Frieden zu schenken. Wir wollten an die Öffentlichkeit gehen, diese Leute in den Boden stampfen, bis nichts mehr von ihnen übrig blieb. Doch dazu ist es nie gekommen. Nach sieben Jahren harter Arbeit verschwand Jaqueline spurlos. Sie hinterließ mir bloß einen Brief in dem sie schrieb, dass sie befürchtete, dass diese Verrückten wieder hinter ihr her seien. Sie war offenbar geflohen, und wir haben erst heute Morgen wieder etwas von ihr gehört. Wir hatten gehofft und hoffen immer noch, dass sie hierher kommt, da dies unser alter Ausgangspunkt war, etwas das heute für Sie Ihr Büro ist, Agent Scully.“

„Das ist eine sehr interessante Geschichte, Mr. Sulivan, doch was habe ich damit zu tun?“ Ich hatte in seiner Geschichte zwar gewisse Parallelen zu meinem Leben erkannt, wollte aber dennoch erst einmal genau wissen, was hier vorging.

„Nun, eigentlich ist es bloß eine Theorie. Eine glaubhafte zwar, aber eine die nur wir kennen und an die bisher nur wir glauben. Begonnen hat alles Mitte der fünfziger Jahre. Es war 1955, wenn ich mich nicht irre.“ Er schielte zu O‘Brian hinüber, um seine Schätzung bestätigen zu lassen. Dieser nickte. „Damals verschwanden duzende politisch wichtige Personen. Wir waren darauf aufmerksam geworden und hatten ihr Verschwinden eingehend studiert. Während dieser Zeit lernten wir auch Harvey kennen. Erst war er ein strikter Gegner unser Theorien. Bis ich 1956 ebenfalls verschwand. Harvey und Jaqueline suchten einen guten Monat nach mir, bis ich in einem Waldstück, entkleidet und völlig verwirrt, wieder auftauchte.“

„Haben Sie eine Ahnung, wo Sie damals gewesen sind, Mr. Sulivan?“ Ich vermutete, dass sich hier jemand über mich lustig machte.

„Wir hätten Glück, wenn Gott das weiß, Agent Scully. Mein Gedächtnis war wie wegradiert. Ich konnte mich nicht einmal mehr erinnern, wie ich verschwunden, oder gar in diesen Wald gekommen, war. Es war alles bloß ein schwarzer Fleck auf der Landkarte meines Gedächtnisses und das ist es heute immer noch.

Aber das ist damals gar nicht das Bedrohliche an dieser Sache gewesen, nein. An einem kalten Herbstabend hat Jaqueline in unserem Stützpunkt ein Buch gefunden, eingepackt in Zeitungspapier. Sie hat uns sofort benachrichtigt und wir haben es zusammen ausgepackt. Es war ein alter Maya-Ratgeber, der sich mit einem Countdown befasste, der im Jahre 2001 auslaufen sollte. Wir haben ihn studiert, drei Tage und drei Nächte, um genau zu sein, wurden aber einfach nicht schlau daraus. Der Autor redete von einer Apokalypse, von dem Weltuntergang, es war eines dieser Bücher, von denen man sich sicher sein konnte, dass sie in ein paar Jahren auf einem Wühltisch landeten.

Als wir genau dieses Buch vor einem halben Jahr wieder zur Hand genommen haben, ist uns etwas sehr interessantes aufgefallen. Nämlich, dass die in dem Buch beschriebene Handlungskette genau mit den damaligen Entführungen übereinstimmte. Dass man diese Handlungskette auf jedes fünfzigste Jahrzehnt anwenden konnte und sie auch mit diesem Jahr, dem Jahr 2001 übereinstimmt. Womit wir sagen wollen, dass der Countdown bald abläuft.

Jeder von uns hat in dieser Handlungskette eine bestimmte Rolle. Jeder Mensch auf dieser Erde trägt dazu bei, dass der Countdown immer schneller auf sein Ende zugeht. Wir haben einst die Hauptrollen gespielt. Und nun haben Sie, Agent Scully, eine der Hauptrollen in diesem Spiel.“ Ich sah ihn nur an und versuchte, das, was Harrold Sulivan mir gerade erzählt hatte, zu verdauen.

„Könnten Sie mir bitte erklären, was das für ein Spiel ist?“, fragte ich verdutzt.

„Das Spiel des Lebens“, antwortete nun O´Brian, „Agent Scully, ich hatte Ihnen doch gesagt, dass ich Ihnen vielleicht erklären kann was in dieser Lagerhalle vorgefallen ist. Ich verschwand ebenfalls vor 34 Jahren, nun ist Agent Doggett an der Reihe. Wir vermuten, dass Jaqueline gespürt hat, dass sie sie holen werden. Darum ist sie verschwunden, sie hat vermutlich gehofft, dass sie uns auch mitnehmen könnten, würden wir zu dem Zeitpunkt ihrer Entführung bei ihr sein. Doch es war nutzlos. Egal, wo wir waren und egal, wo wir uns hätten verstecken können, sie hätten uns gefunden.“

„Wer hätte Sie gefunden?“

„Die Götter.“



Ich sah ihn halb abwesend an und hatte das Gefühl, gerade durch einen enormen Sog gezogen zu werden. Indirekt ahnte ich, wen er mit den Göttern gemeint hatte, mein Geist weigerte sich jedoch meine Vermutung zu bestätigen. Ich starrte O´Brian nur mit offenem Mund an und war mir sicher, ziemlich dumm dabei auszusehen.



„Ist alles in Ordnung mit Ihnen, Agent Scully?“ Harrolds Stimme klang besorgt.

„Ja... ich... ich, ich verstehe nur nicht ganz, was Sie damit sagen wollen.“ Irrtum Dana, du verstehst sehr wohl, was er sagen will, trichterte mir mein Gewissen ein und es hatte recht.

„Nun, ich hatte eigentlich beabsichtigt, Ihnen zu erklären, was hier vor sich geht. Doggett hat heute Morgen einen Menschen verfolgt, aber das FBI hat den Verdächtigen, sowie Agent Doggett nachher nicht mehr gefunden. Agent Doggett wurde geholt, das weiß ich, aber dieser Mann.....“

„Sie schlagen also vor, dass ich mich auf die Suche nach dem Verdächtigen mache?“

„Genau das.“

„Denken Sie er hat etwas beobachtet?“

„Ich denke nicht, ich weiß es. Er muss die Götter gesehen haben, sonst hätte man ihn gefunden.“ O´Brian zeigte mit seiner Hand auf die Tür. Vermutlich ein Zeichen für mich zu verschwinden. Ich warf den beiden Männern einen letzten Blick zu, erhob mich von der Couch und ging auf die Tür zu. Ich verließ die kleine Wohnung und lehnte die Tür nur an, da sie nicht ins Schloss fallen wollte.

Plötzlich vernahm ich von Sulivan und O´Brian erneut Worte, die aber nicht an mich, sondern an sie selbst gerichtet waren. Eigentlich wusste ich, dass ich jetzt zu gehen hatte, hielt aber mitten im Schritt inne und lauschte.



„Verdammt Harvey, wir hätten sie fragen sollen, du weißt wir haben kaum noch Zeit. Sie können uns jederzeit holen. Vielleicht auch jetzt oder in fünf Minuten.“

„Oder in fünf Jahren, Harrold. Ich habe Sie schon einmal gefragt. Sie weiß nicht, wo Jaqueline ist.“

„Du weißt genau, dass sie nur hätte nachdenken müssen. Gott noch einmal Harvey, sie ist Jaqueline.“

„Ja, aber sie glaubt es nicht. Du hast doch gesehen, was für Blicke sie uns zugeworfen hat. Sie hält uns für Idioten.“

„Tut sie nicht. Ich bin sicher, wenn wir ihr nur ein wenig Zeit gelassen hätten, hätte sie uns ernst genommen, wenn sie uns nicht schon ernst nimmt, Harvey. Ich sage dir, wir haben unsere letzte Chance verspielt. Ich spüre es.“

„Dann geh sie doch holen! Renn raus, vielleicht erwischt du sie noch.“



Ich erkannte die Verzweiflung in Harrolds Stimme. Seine Worte waren beinahe bebend über seine Lippen gekommen. Ich war offenbar seine letzte Hoffnung, warum auch immer. Ich beschloss ihnen einen weiteren Besuch abzustatten. Langsam, etwas unschlüssig, näherte ich mich der Tür. Mir war bewusst, dass ich vermutlich würde zugeben müssen, dass ich ihr Gespräch belauscht hatte.



Plötzlich zuckte ich zusammen. Ein komisches Geräusch bohrte sich durch die dünnen Wände des Hauses. Es wurde immer lauter, immer lauter, so dass ich meine Hände schmerzverkrampft gegen meine Ohren presste. Ich zitterte, eiskalte Angst kam in mir hoch. Mit Gewalt richtete ich meinen Kopf nach oben. Ich erkannte ein seltsames Licht, das durch die Fenster des Flures fiel. Nach einer Weile wurde mir klar, dass es nicht das Licht der Sonne war... Ich wusste, was es war...

Ich kauerte mich instinktiv gegen die Wand.

Das Licht wurde immer heller. So hell, dass es den gesamten Raum in sich verschlang. Panik ergriff mich, als es selbst meinen Körper verschluckte. Es blendete mich, ließ meine Muskeln verkrampfen. Bis ich, zu einem Schrei ansetzend, zu Boden kippte.



Es mussten Stunden vergangen sein, bis sich mein Körper wieder mit Leben füllte. Ich zitterte, mir war kalt und ich suchte verzweifelt nach etwas, das mich wärmen konnte. Tastete mit geschlossenen Augen in der Luft herum, bis meine Hände den rauen Boden berührten. Teppich, ein verschlissener Teppich war das, was unangenehm an meiner Haut kratzte. Erst jetzt bemerkte ich, dass ich an einer feuchten Wand lehnte. Ich schreckte zurück, versuchte mich von der Wand nach vorne zu stoßen und landete unangenehm auf dem Teppichboden. Seine harten Fasern ratschten mein Kinn auf und ließen eine brennende Schürfwunde entstehen. Der stechende Schmerz ließ mich meine Augen öffnen. Das weißliche Tageslicht brannte in ihnen und ließ mich sie kurz darauf wieder schließen. Es dauerte eine Weile, bis sich ein Bild vor mir formte, das ich sofort erkannte. Ich befand mich immer noch in dem Treppenhaus vor der Tür mit der Nummer zwölf. Natürlich, wo auch sonst, meldete sich mein Gewissen zum zweiten Mal an diesem Tag.

Am liebsten wäre ich auch an dieser Stelle verweilt, bis irgend jemand kam, um mich wegzutragen. Doch es war sinnlos hier liegen zu bleiben, da ich immer mehr Zeit verlor. In jeder Sekunde in der ich nichts tat konnte Doggett immer mehr in Gefahr geraten.



Schließlich nahm ich all meinen Willen zusammen und zog mich, mit schwachen Händen, an der Wand hoch. Ich hatte das Gefühl, als würde ich von einem Tonnengewicht wieder zu Boden gezogen. Ich schwankte, wäre beinahe gestürzt, schaffte es aber doch noch, mich an der Türklinke festzuklammern. Mein Kopf dröhnte erbärmlich und alles, was ich in diesem Moment wollte, war ein warmes Bad oder zumindest ein Bett in das ich mich werfen konnte. Doch ich verlor Zeit mit jedem nutzlosen Gedanken... .



Ich rieb mir kräftig die Augen und schüttelte meinen Kopf ein paar mal hin und her, um meine Benommenheit zu verlieren und klar denken zu können. Ich erreichte mein Ziel einigermaßen und starrte wieder auf die Tür. Was war nur passiert? Auf einmal kam brennende Sorge in mir hoch. Was war, wenn den beiden etwas passiert war? Wenn sie auf dem Boden lagen, Hilfe brauchten?



Langsam, auf alles vorbereitet, öffnete ich schließlich die Tür. Sie knirschte leicht, das war aber auch das einzige Geräusch, das ich in diesem Moment vernahm. Ich entsicherte meine Waffe und richtete sie gegen die Luft des Wohnzimmers. Niemand war da. Ich betrat das Zimmer, sah mich in jeder Ecke um. Niemand. Ich ging weiter, durchsuchte die kleine Küche. Niemand. Das mit Klappbetten eingerichtete Schlafzimmer. Niemand. Der kleine Abstellraum. Niemand.



„Mr O´Brian? Mr. Sulivan?“, rief ich laut durch die Wohnung. Niemand......
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