World of X

Das älteste Archiv für deutsche Akte-X Fanfiction

Spiel des Lebens

von Stefan Rackow

Kapitel 14

[ 6 ]

„Chronologie einer Lüge“



Während sich Mulder noch seine Gedanken machte, saß die Person, der sich seine Überlegungen widmeten, vor Reyes, Doggett und Steve Mac Finn und antwortete lang und ausführlich auf eine Frage Reyes’, die sich darauf bezog, wie Mulder und Scully in dieses ganzes Schema passten. Und Rob Hermes begann ganz am Anfang.







Irgendwann im Jahre 1946, FBI Hauptzentrale, Washington, D.C, Büro des Directors



Der alte Mann betrachtete die Akte in seinen Händen und legte sie, nachdem er den Inhalt notdürftig überflogen hatte, beiseite.

„Nun“, begann er und öffnete eine Zigarrenschachtel vor ihm auf dem Mahagoni – Tisch, „was erwarten Sie von mir?“

Er wandte sich zu den vor ihm Sitzenden und musterte jeden der Agenten eingehend.



„Sie wissen, worum es in der Akte geht?“, begann der größere von den Bundesagenten, der leicht verunsichert wirkte.

„Ja, im Groben...“

Die Zigarrenschachtel fiel klackend zurück ins Schloss.

„Nun, dann ist Ihnen sicherlich aufgefallen, Sir, dass wir es hier mit einem – wie soll ich sagen? – besonderen Fall zu tun haben...“

„Wenn Sie den Tod dreier Wanderer als „besonders“ klassifizieren wollen – ja, in der Tat.“ – Der Mann hinter dem Schreibtisch warf einen flüchtigen Blick auf die Akte.

„Die Untersuchungen der Leichen haben tiefe Kratzspuren zu Tage gefördert“, erklärte der andere Agent und legte zwei Schwarz-Weiß-Fotos auf den Tisch. Angewidert verzog das Gegenüber des Mannes das Gesicht.

„Oh mein Gott...“, stammelte der Vorgesetzte und betrachtete die Fotos, obschon sie bei ihm Ekel hervorriefen, noch einmal genauer, so als ob von der dargestellten Grausamkeit eine Art Faszination ausging. „Wessen Tat ist das? Mir war nicht klar, dass es so schrecklich ist!“

„Die Verletzungen legen den Schluss nahe, Sir, dass ein Tier für dieses Gemetzel verantwortlich zeichnet...“

„Der arme Kerl ist ja regelrecht zerrissen worden. Was für ein Tier tut das?!“

„Sir, wir nehmen an, dass es ein Wolf war.“

„Ein Wolf?“ – J. Edgar Hoover schüttelte den Kopf und erhob sich aus seinem Stuhl, beide Hände fest auf die Schreibtischplatte vor ihm gestützt. Man sah seiner Haltung an, dass er mit dieser Erklärung nicht zufrieden war. „Wölfe“, erklärte er launisch, „jagen im Rudel. Sie greifen entweder in der Gruppe oder gar nicht an. Sie können mir nicht weismachen, dass das die Tat eines Wolfes ist!“

„Die gerichtsmedizinischen Befunde bekräftigen meine eingangs aufgestellte Vermutung, Sir“, erwiderte der größere der beiden Agenten. „Und Sie können mir glauben, dass die Leiche mehr als nur einmal untersucht wurde...“

„Worauf wollen Sie hinaus, Agent?“ – Hoover nahm wieder auf seinem Stuhl Platz und schlug das rechte über das linke Bein, während er sich leicht nach vorne beugte.

„Am Tatort wurde noch – Er kramte in seiner Jackett-Tasche – „... Jack, hast du das Foto?“

Sein Partner griff sich in die Innentasche des schwarzen Jacketts und zog ein Foto heraus. „Ja“, sagte er und reichte Hoover das Bild („Bitte, Sir.“), welcher es sich sofort genauer betrachtete. Nach einer Weile sah er auf. „Was ist das?“

„Ein Fußabdruck, Sir.“

„Dass das ein Fußabdruck ist, sehe ich auch!“ – Er legte das Foto beiseite – „Ein menschlicher Fußabdruck, wie er überall zu finden ist. Wahrscheinlich vom Opfer.“

„Dachten wir zuerst auch, doch die angestellten Untersuchungen widerlegten diesen Verdacht. Nein, Sir, wir sind der festen Überzeugung, dass das der mögliche Hinweis auf den Täter ist...“

„Moment“, warf Hoover ein, „ich dachte, wir reden hier von Wölfen ...? - Sekunde, Sie meinen doch nicht etwa, dass ...“

„Es war Vollmond, Sir! Und in Nähe der Spur fanden wir Tierhaare, die vermischt waren mit denen eines Menschen“, sagte der andere Agent und fügte hintendran: „Es mag zwar abwegig erscheinen, aber das würde für...“

„Das spricht für gar nichts, Agents!“ – Hoover wurde merklich lauter. „Wenn Sie damit sagen wollen, dass dies die Tat eines Werwolfes ist, dann tun’ Sie mir leid...“

„Aber alles spricht dafür, Sir ... ich kann Ihre Meinung gut nachvollziehen, ich selber habe Schwierigkeiten, an die Existenz eines solchen Monsters zu glauben ... aber wenn doch alles darauf hindeutet...!“ – Der Agent mit Namen Jack unterbrach sich selbst, als er bemerkte, dass er gerade seinen Vorgesetzten belehrte.

„Das ist abstrus, meine Herren! Wir haben bisher jeden Fall halbwegs logisch erklären können. Es gab bisher für alles eine Erklärung, zumindest eine solche, dass man den Fall nachher getrost zu den Akten legen konnte.“ – Er senkte seinen Blick – „Wie lange sind Sie schon auf diesen Fall angesetzt?“

„Einen knappen Monat, Sir.“

„Da sehen wir es doch!“ – Hoover faltete die Hände – „Sie sitzen seit einem Monat an diesem Fall und haben noch kein brauchbares Ergebnis. Wissen Sie, was das für mich heißt?“ Keiner der beiden Agenten wagte es auszusprechen. „Inkompetenz...?“

„Nein, bei Gott“, entgegnete Hoover leise, „nein, das heißt für mich, dass dieser Fall vorerst nicht zu lösen ist und bis zu dem Zeitpunkt, an dem er aufgeklärt wird, zu den Akten gelegt wird.“

„Sir, das ist noch nie vorgekommen...“

„Was? Dass eine Akte beiseite gelegt wird, bis man in der Lage ist, den Fall neu aufzurollen?“ – Hoover lachte leise – „Sie sind beide noch nicht lange hier, oder?“

„Nein...“

„Dann müssen Sie noch viel lernen.“ – Er lächelte – „Gehen Sie ruhig, ich kümmere mich drum.“

„Wird uns der Fall hiermit etwa entzogen?“, fragte „Jack“ und rümpfte die Nase.

„Nein, nicht direkt.“ – Hoover zögerte – „Nein, ich komme beizeiten auf Sie beide zurück. Aber widmen Sie sich jetzt lieber den anderen Fällen. Nicht dass Sie nachher vor lauter Akten nicht mehr in Ihr Büro können...“

„Sir, aber...“

„Machen Sie sich keine Sorge, Agents. Sie müssen lernen, sich nicht an einem Fall festzubeißen. Seien Sie flexibel.“

„Sir...“

„... und stellen Sie nicht immer so viele Fragen, denn schließlich sind Sie die Person, die darauf erpicht ist, die Wahrheit herauszufinden. Wer alles hinterfragt, kann sich leicht verzetteln.“ – J. Edgar Hoover lächelte und geleitete die beiden Agenten zur Tür.



Nachdem er die Tür geschlossen hatte, ging er zurück zu seinem Schreibtisch und nahm die Akte in die rechte Hand.

„Und du willst dein Geheimnis nicht preisgeben?“, murmelte der Vorgesetzte fragend und ergriff mit der linken Hand die auf dem Schreibtisch liegenden Fotos, die er daraufhin in einem Kuvert, das sich in der Akte befand, verschwinden ließ. „Dann bleibt es vorrübergehend dein Geheimnis ...“



Er zog einen schwarzen Filzstift aus seiner Jackettinnentasche und schrieb in großen Lettern



4 6 / 0 1



auf den Aktendeckel.

„Der erste ungelöste Fall ...“, murmelte Hoover nachdenklich. „Der erste. Welch’ denkwürdiges Ereignis.“



Er wollte die Akte schon in seinem Schrank verschwinden lassen, da zückte J. Edgar Hoover noch einmal den Filzstift und setzte aufgrund des mehr als mysteriösen Falles als Sonderkennung zusätzlich ein Wort unter die Zahlen.



Es knisterte leise, als Hoover die Zigarre anzündete, welche er schon zu Beginn der Unterhaltung aus der Schachtel genommen hatte. Nachdenklich stellte er die Akte in seinen Schrank und beäugte sie stirnrunzelnd. Hatte er richtig gehandelt? War es richtig gewesen, die beiden von dem Fall abzuziehen? Er wusste es nicht.

Andererseits konnte eine Arbeit nicht effektiv sein, wenn sie solche Ergebnisse zutage förderte. Nein, es war wohl richtig gewesen. Der Fall sollte erst einmal ruhen, bis er dann von fähigen Leuten nochmals von vorne aufgerollt werden würde. Ja, die Entscheidung stimmte...



J. Edgar Hoover schloss die Schrankwand und schob der Akte mit dem mysteriösen Fall im wahrsten Sinne des Wortes vorerst den Riegel vor. Irgendwann, so sagte sich der Mann, irgendwann würde jemand diesen Fall wieder herauskramen und von vorne ermitteln. Irgendwann.



Doch bis dahin blieb der Fall nicht mehr als eine Akte. Eine ungelöste Akte mit der Kennung



4 6 / 0 1,



eingeordnet unter den Buchstaben –u- ; u wie



- unbekannt -





Gegenwart



Doggett massierte seine Stirn. Das lange Sitzen ermüdete ihn sehr. Doch was ihm noch viel weniger gefiel, war, dass Rob Hermes ihnen nun schon seit einer halben Ewigkeit als Geschichtenerzähler fungierte.

Der Agent machte seinem Unmut Luft.

„Wenn mich nicht alles täuscht“, begann er launisch, „dann haben Sie uns geradeeben erzählt, wie die erste X – Akte angelegt wurde. Gehe ich recht in der Annahme?“

Hermes nickte.

„In der Tat.“

„Gut“, fuhr Doggett rasch fort, „und warum?“

„Haben Sie es noch nicht verstanden, John?“ – Hermes faltete die Hände und blickte zu Reyes. „Erzählen Sie es ihm, bitte.“

Reyes wusste nicht, wie ihr geschah und sah Doggett mit großen Augen an. Er bemerkte, dass sie Angst hatte, doch der Agent ließ sich diese Beobachtung nicht anmerken, sondern nickte ihr zu, woraufhin er zu sehen meinte, wie ein Teil der Angst aus ihren Augen entwich.

„Ich glaube, Rob Hermes hat uns diese Geschichte erzählt, weil ab diesem Zeitpunkt gewissermaßen die Weichen gestellt wurden für das Jahre darauf folgende Projekt der Verschleierung.“ Sie sprach dies ohne jegliche Betonung, was den Schluss nahe legte, dass sie, genauso wie Doggett – und das bekräftigte ihn in seiner Einstellung – dem ganzen mehr als skeptisch gegenüberstand und nicht blindlings glauben wollte.

„Ich bin begeistert, Agent Reyes.“ – Hermes klatschte zweimal in seine Hände – „Mit Ihnen lässt sich noch was anfangen.“

„Schön, dass wir das geklärt haben... und wie geht es jetzt weiter? Wollen Sie uns immer noch einen Bären aufbinden oder haben Sie vielleicht endlich den Beweis für all das, was Sie uns erzählen?“

Hermes’ Miene verfinsterte sich plötzlich.

„Gemach“, sagte er leicht ungehalten und schluckte die aufkommende schlechte Laune herunter. „Ich bin noch nicht am Ende. Etwas müssen Sie sich schon noch gedulden, denn unvorbereitet kann und will ich Sie nicht zum Herzstück lassen.“ – Er machte eine Pause – „Es steht Ihnen frei, jederzeit in Ihre Zelle zurückzukehren, wenn es Ihnen danach beliebt.“ – Hermes schnipste einmal mit den Fingern – „Mein Kollege wird Sie ohne Umschweife dorthin geleiten. Also, ich fahre jetzt fort. Hören Sie zu oder lassen Sie es bleiben!“



Keiner der Gefangenen sagte etwas, teils aus Furcht, teils aus bloßer Verachtung. Sie mussten notgedrungen ihre jetzige Lage akzeptieren, ob sie es nun wollten oder nicht.

Und sie hörten die Geschichte einer jungen Medizinerin.











1990 ; Institut für Gerichtsmedizin in Quantico , spät am Abend ...



Dana Katherine Scully gähnte einmal und massierte ihren schmerzenden Nacken mit den Fingern ihrer rechten Hand. Der heutige Tag war anstrengend gewesen, was die Lehrerin für Gerichtsmedizin nicht verwunderte, denn dass ihr Job einfach werden würde – nein, damit hatte sie nicht gerechnet.

Sie lächelte etwas und entsorgte die blutigen Plastikhandschuhe im Mülleimer.



„Noch so spät am Arbeiten?“



Sie fuhr herum und blickte in ein ihr bekanntes Gesicht.



„Mister Jannings, könnten Sie das nächste Mal bitte anklopfen?“ – Sie setzte ein Lächeln auf – „Ich bin zwar noch jung, aber das heißt nicht, dass ich vor jedem Schrecken gefeit bin...“

Ihr Arbeitskollege schloss die Tür und trat neben sie.

„Entschuldigen Sie. Aber ich sah hier drinnen noch Licht, und da...“

„Ich weiß, Sie traten durch die Tür und fragten dann „Noch so spät am Arbeiten?““

„Sie sind gut, Dana...“ – Herman Jannings grinste – „Warum sind Sie noch zu so später Stunde hier?“

Scully zog die blutbefleckte weiße Schürze aus. „Weil manch einer noch für sein Geld arbeitet.“ Sie hoffte, dass Jannings die Ironie bemerken würde.

„Anscheinend viel zu tun, huh?“

Die Lehrerin nickte. „Ja. Aber es macht mir Spaß, den Dingen auf den Grund zu gehen.“ Dass sie gerade wieder doppeldeutig geantwortet hatte, bemerkte sie erst später. Scully wurde leicht rot. „Und Sie?“

„Ob ich viel zu tun habe?“

Scully nickte.

„Nun“, begann Jannings, „ehrlich gesagt kotzt mich gerade alles ziemlich an. Ich fühle mich wie die Titanic, die nur die Spitze des Eisbergs sieht, während das eigentlich Ungetüm in der Tiefe lauert. Dort, wo es keiner sieht.“ – Er lehnte sich an die Tür und verschränkte die Arme hinter dem Kopf. „Manchmal komme ich mir vor, als verschwendete ich mein Talent hier nur. Warum, frage ich mich, habe ich zig Semester Medizin studiert, wenn ich jetzt nur am Schreibtisch zu sitzen und Formulare auszufüllen habe?!“

„Herman...“

„Dana, macht Ihnen das hier wirklich Spaß?“

„Was soll die Frage?“ – Scully blickte den jungen Mann verwundert an. „Ich habe doch gerade eben gesagt, dass es mir Spaß macht.“

„Ja, sie haben es gesagt, aber meinen Sie es auch?“ – Er machte eine flüchtige Handbewegung – „Sagen und meinen sind zwei verschiedene Paar Schuhe.“

Die Lehrerin für Gerichtsmedizin erwiderte ironisch: „Haben Sie Ihr Examen in Philosophie gemacht, Herman?“

„Schön wär’s ...“ – Der Mann seufzte und schloss kurz die Augen, als wolle er einen flüchtigen Gedanken einfangen. „Dana, ich glaube, Sie vergeuden hier Ihr Talent.“

„Woher wollen Sie das wissen?“ – Scully verschränkte die Arme vor der Brust – „Was macht Sie da so sicher?“

„Ein inneres Gefühl sagt mir das.“ – Er hielt inne – „Was für ein Examen haben Sie gemacht?“

„Ich habe mit 1 bestanden ...“

„Und was geschah danach?“

„Bitte, ich will Ihnen jetzt nicht hier meine Lebensgeschichte erzählen!“ – Scully wurde merklich laut – „Danach“, begann sie widerwillig, „danach wurde ich vom FBI angeworben und habe mich ausbilden lassen als Lehrerin für Gerichtsmedizin hier in Quantico. Zufrieden?“

Herman blickte sie mit ausdrucksstarken Augen an.

„Aber einer Versetzung wären Sie nicht abgeneigt?“

„Herman, ich verstehe nicht, was Sie von mir wollen!“

„Um ehrlich zu sein: ich erhoffte mir Rückendeckung, da ich in Kürze um eine Versetzung bitten werde und nicht weiß, ob es das Richtige ist. Und als ich gerade gedankenverloren durch das Institut wanderte, da sah ich, dass hier noch Licht brannte...“ – Er sah traurig aus. Scully trat neben ihn und legte ihren linken Arm auf seine Schulter.

„Warum haben Sie das nicht gleich gesagt, Herman? Warum über diese vielen Fragen?“

„Ich war noch nie jemand, der schnell zum Punkt kam...“ – Er lächelte etwas und schaute Scully tief in die Augen. „Meinen Sie, ich sollte es versuchen?“

„Jeder ist seines eigenen Glückes Schmied. Mehr kann ich dazu nicht sagen, Herman, denn ich bin nicht Sie. Aber wenn Sie unglücklich sind, dann wissen Sie selber am besten, was richtig ist und was nicht.“

„Danke.“

Er erhob sich und wandte sich zum Gehen.

„Ach, äh ... Herman?“

Er drehte sich noch einmal kurz im Türrahmen um.

„Ja?“

„Nein, ich wäre einer Versetzung nicht abgeneigt. Ich denke, das sollte Ihren Entschluss noch bekräftigen“, sagte Scully freundlich und wünschte Herman Jannings noch einen schönen Abend.



Gedankenverloren packte sie ihre Sachen zusammen. Das Gespräch hatte sie nachdenklich gemacht, zutiefst nachdenklich. Sagte sie wirklich Sachen, die sie nicht meinte? Wenn ja, warum? Warum tat ihr Verstand das? Scully schüttelte den Kopf, um wieder frei denken zu können.

Es ist schon spät und du bist müde, hämmerte es in ihrem Verstand, und die junge Frau sagte leise „Ja“ – und dieses Mal meinte sie es auch so.



Sie nahm ihre Tasche unter den Arm, löschte das Licht und schloss leise die Tür des Raumes ab.





Ganz in der Nähe, genauer gesagt in einem Nebenraum, nahm in diesem Moment Herman Jannings den Hörer des roten Telefons ab und wählte eine Nummer. Alle Lichter in dem Raum waren gelöscht, nur durch ein kleines Oberlicht leuchtete der am Himmel stehende Vollmond und spendete etwas Helligkeit.

Endlich ertönte das Freizeichen, und jemand nahm am anderen Ende ab.



„Ja?“



„Ich bin’s“, flüsterte Herman leise und blickte um sich. „Ich kann gerade nicht lauter reden.“



„Rufen Sie von einer sicheren Leitung an?“



„Hier kann keiner mithören...“



„Gut...“ – Die markant tiefe Stimme machte eine Pause, bevor sie weitersprach – „Um was geht es?“



„Sie hatten mir vor knapp einem Monat den Auftrag gegeben, nach passenden Kandidaten zu suchen; nach passenden Kandidaten für das Projekt.“



„Ich erinnere mich...“



„Und dafür haben Sie mich hier eingeschleust, da Sie vermuteten, dass ich fündig werden könnte.“



„Auch das stimmt...“



„Nun“, begann Herman, und in seiner Stimme konnte man das Heranbilden eines euphorischen Gemütszustandes vernehmen, „nun, ich denke, wir haben einen Kandidaten, besser, eine Kandidatin.“



„Sie überraschen mich, Herman – wer ist es?“



„Ihr Name ist Dana Scully, Sir. Sie ist Lehrerin für Gerichtsmedizin hier in Quantico. Ihr rationales Denken könnte von Vorteil sein für das Gelingen des Projektes.“



„...und Sie sind überzeugt davon, dass sie geeignet sein könnte?“



„Ich habe sie den ganzen letzten Monat über beobachtet und Gespräche mit ihr geführt. Glauben Sie mir, Sir, entweder sie oder keine.“



„Dann vertraue ich Ihnen einfach mal blind, auch wenn dies nicht meine normale Vorgehensweise ist...“



„Ich weiß, Sir.“



„Gut, dann lassen Sie mir irgendwie eine Kopie ihrer Personalakte zukommen. Ich werde mich mit dem Chef des FBIs ,einem Freund von mir, in Verbindung setzen, der dann alles Weitere in die Wege leiten wird.“



„Wie steht es denn momentan mit den X-Akten, Sir?“



„Es gab vor kurzem einen Agenten hier beim FBI, der, wie ich gehofft hatte, Feuer fangen könnte und in der Abteilung arbeiten würde. Sein Name war Fox Mulder. Selbiger arbeitet immer noch beim FBI. Doch der erste Kontakt mit den X-Akten war nicht von positiver Resonanz geprägt. Er zeigte keinerlei Interesse, bzw. kein großes. Und wir brauchen nun mal noch einen Part, der sich den Akten mit Hingabe widmet.“



„Ich verstehe“, erwiderte Jannings rasch. „Aber ich würde, was seine Person angeht, nicht aufgeben.“



„Das tue ich auch nicht, denn ich kenne Fox Mulder, seit er ein kleiner Bengel war. Und glauben Sie mir: er kommt ganz nach seinem Vater, dem alten Draufgänger...“



„Bevor ich das Gespräch beende, Sir, würde ich gerne noch eines wissen...“



„Fragen Sie.“



„Warum brauchen Sie einen Mann und eine Frau für diese ganze Verschleierungsgeschichte?“



Stille.

Am anderen Ende knackte es in der Leitung.



„Verwenden Sie diesen Terminus nie wieder, Herman! Es geht hier um viel mehr als um bloßes Verschleiern. Wir bewahren die Menschheit davor, die schreckliche Wahrheit zu erkennen. Und deshalb muss man einen Deckmantel über die Wahrheit hüllen. Doch dieser Deckmantel muss erst noch gewebt werden, und zwar von den zwei Hauptpersonen in unserem kleinen Schauspiel. Wir geben die Materialstoffe vor – den Rest überlassen wir den beiden... verstehen Sie?“



„Nicht so recht...“



„Sie werden es aber, Herman, glauben Sie mir. Und um auf Ihre Frage bezüglich des unterschiedlichen Geschlechts zurückzukommen: Gegensätze ziehen sich an, was der beste Ausgangspunkt für die Grundidee hinter unserem Projekt ist.“



„Wie meinen Sie das?“



„Nun, das macht die Sache spannend. Denn es liegt nicht in unserer Macht, jetzt schon zu wissen, wie das fertige Endprodukt aussieht. Das liegt alleine in den Händen unserer zwei ... wie nannten Sie sie so trefflich? ... Kandidaten. Und ein inszeniertes Drama lebt von Spannung, von Dramatik. Und die entsteht nur, wenn man zwei unterschiedliche Pole aufeinander loslässt.“



„Jetzt wird es klarer...“, entgegnete Herman und warf einen Blick hinter sich. „Dann kümmere ich mich um die Personalakte und schicke Ihnen so schnell wie möglich eine Kopie zu.“



„Tun Sie das.“



„In Ordnung.“



Herman Jannings legte den Hörer auf und öffnete vorsichtig die Tür des Raumes. Draußen war alles dunkel, was darauf hindeutete, dass er nun wirklich alleine war. Leise schloss er die Tür des Nebenraumes ab und schlich blind durch die dunklen Gänge des Instituts, bedacht darauf, ja keinen Laut zu machen.

Ihn interessierte das Projekt, sehr sogar. Denn genauso dunkel wie das Institut in diesem Augenblick war, ebenso dunkel war ihm das Ausmaß des ganzen. Sein Boss, von allen nur C.S. genannt, schien etwas richtig Großes am Laufen zu haben. Aber, kam es Herman in der Sinn, als er die Eingangstüre erreichte, aber hatte sein Chef wirklich genau vor Augen, wie alles vonstatten gehen sollte?

Oder war er hinter der Fassade des Strippenziehers genauso unwissend wie seine Untergebenen?



Die Eingangstür fiel hinter Herman Jannings ins Schloss und sperrte die Dunkelheit ein, so dass der junge Mann den letzten Gedanken verwarf und sich alsbald auf den Heimweg machte.







24. 12. 1991, irgendwo in Washington, D.C. , in den späten Abendstunden



Der Mann stellte das Rotweinglas beiseite, als das Telefon klingelte und erhob sich langsam aus seinem Ohrensessel, der vor einem Kamin stand, in dem knisternd ein Feuer loderte.

Er nahm den Hörer ab.



„Ja?“



„Frohe Weihnachten, Sir“, meldete sich ein junger Mann am anderen Ende. „Ich hoffe, ich störe Sie nicht gerade, so dass mein Anruf ungelegen kommt...“



„Ich feiere allein, Herman“, antwortete der Mann sodann und griff wieder zum Weinglas. „Was liegt Ihnen am Herzen?“



„Eine gute Nachricht, Sir. Der Fisch hat angebissen.“



„Sagen Sie bloß...!“ – Der Mann wollte sich gerade einen Schluck genehmigen, doch nun ließ er merklich überrascht wegen der Nachricht von diesem Vorhaben ab und verschüttete etwas von dem edlen Getränk auf seinen schwarzen Anzug, ohne es zu bemerken. „Ich dachte schon, unser Projekt sei zum Scheitern verurteilt, doch jetzt sehe ich Licht am Ende des Tunnels.“



„Ja, Sie haben richtig gehört. Fox Mulder hat vor kurzem seine Arbeit an den X-Akten aufgenommen. Der eine Part wäre also da. Fehlt nur noch der andere.“



„Ich werde mich sofort mit Sektionschef Blevins in Verbindung setzen, damit er so schnell wie möglich Dana Scullys Versetzung in die Wege leitet...“, erwiderte Hermans Boss rasch und konnte ein Lächeln vor Freude nicht unterdrücken. „Herman, das ist ein wunderbares Weihnachtsgeschenk... Ich hatte die Hoffnung schon fast aufgegeben.“



Herman erwiderte eine ganze Zeit lang nichts. Er schien zu überlegen. „Sir“, begann er schließlich vorsichtig, und in seiner Stimme schwang ein Gefühl der Verunsicherung mit, „Sir, und wie läuft das Ganze dann weiter ab? Ich meine, Sie haben in all den Jahren der Vorbereitung die...“ – Er stockte – „...die Lüge ausgearbeitet, Personen besorgt, Vorkehrungen getroffen; wollen Sie jetzt alles dem Zufall überlassen und abwarten, wie es sich entwickelt? Ich meine, war dann der ganze Aufwand nicht im Prinzip überflüssig?“



„Herman“, erklärte sein Gesprächspartner mit einfühlsamer Stimme, um den Keim der Unsicherheit zu zerdrücken, „Sie haben recht, es hat Jahre bis zu dem jetzigen Zeitpunkt gedauert. Und es wäre in der Tat ökonomisch nicht klug, Mulder und Scully alles gewissermaßen alleine tun zu lassen. Nein, dass wir Vorbereitungen getroffen haben, muss honoriert werden, und deshalb werden wir den beiden ein wenig nachhelfen, auf dass sie auch wirklich das sehen, was sie sehen sollen. Dies würde den Erfolg des Projektes garantieren und wir müssten keine Angst haben, dass die Wahrheit jemals ans Licht kommt, denn ab jetzt wird unsere Lüge für die beiden ihre Wahrheit sein.“



„Entschuldigung, Sie wollen ... nachhelfen?“



„Ja“, sagte Hermans Boss leise, wobei er unmerklich nickte, „es gibt Mittel und Wege, einen Menschen das sehen zu lassen, was er sehen soll. Entweder lässt man es ihn in real sehen, oder man spiegelt vor, dass er es in real sieht. Letzteres ist der Weg, den wir einschlagen werden.“ – Der Mann grinste und schloss die Augen – „Wir werden die beiden ganz einfach das glauben lassen, was sie sehen sollen. Und da kommt uns gewinnbringend der Umstand zugute, dass Menschen nur das sehen, was sie sehen wollen. Wir nutzen lediglich diesen Umstand aus und helfen mittels eines kleinen Wundermittels etwas nach.“



„Sprechen Sie von Gehirnwäsche?“



„Gewissermaßen“, erwiderte er bejahend. „Ja.“



„Entschuldigen Sie meine Unwissenheit, Sir, aber wie...?“



„...gedenken wir, dies durchzuführen?“, beendete der mächtige Mann Herman Jannings Frage und fuhr gleich fort: „Mittels einer Injektion. Einer Injektion, die völlig heimlich über die Bühne geht.“



„Was bitteschön wollen Sie denn den beiden injizieren?“



Der Mann nahm einen Schluck Rotwein und genoss den Augenblick. Es war absolut unglaublich, mit welch’ einfachen Mitteln man die größte Lüge seit Menschen Gedenken erschaffen konnte.



*



Bei dem Präparat, welches führende Wissenschaftler aus aller Welt entwickelt haben, handelte es sich um eine Art Stimulator, der gezielt auf die Gehirnzellen einwirkt und gewisse Reaktionen hervorruft. Welche Reaktionen das jeweils sind, entscheidet ein mikroskopisch kleiner Metallchip, der mit der Lösung injiziert wird. Auf diesem gespeichert sind Leitbilder; diese Bilder werden, nachdem der Chip mit der Lösung in die Nervenbahn des Betreffenden gelangt ist, mittels kleiner elektrischer Impulse, die von dem Chip ausgehen, fortdauernd auf das Gehirn übertragen. So prägt sich der Patient diese Bilder ein und speichert sie unbewusst in seinem Unterbewusstsein.

Erlebt der Betreffende nun eine Situation, die einer auf den Leitbildern ähnelt, kommt es zu einer wohlbekannten Situation: man denkt nach, denn man ist der Meinung, dass einem das bekannt vorkommt, was vor einem passiert. Folglich wird das Gehirn beansprucht, und nun kommt der Mikrochip zum wiederholten Male zum Einsatz. Er fängt die Nervenströme, die in dem Augenblick des déjà – vu – Erlebnisses vom Gehirn ausgehen, auf und schickt stattdessen selber Impulse los – vorprogrammierte Impulse. Verstärkt werden diese durch die Lösung. So erreicht man, dass Personen bei bestimmten Erlebnissen eine bestimmte Handlung vornehmen.

Einfach, aber produktiv.



*



„Eine Lösung. Ihnen alles zu erklären, ist – wie Sie sicher verstehen – nicht möglich, da selbst ich nicht genau weiß, was das für ein Präparat ist“, log der Mann und fuhr sich mit der freien Hand durch die grauen Haare. „Und die Injektion? Das geht problemlos vonstatten. Verborgen in der Hand, ein kurzer Händedruck – der Patient wird nur einen kleinen Stich merken, nicht viel stärker als der einer Mücke.“



„Sie mögen es mir nachsehen, dass sich das alles irgendwie ... wie Science Fiction anhört...“



„Science Fiction“, begann Hermans Boss kühl, „ist lediglich die Weiterentwicklung der Realität. Und genau das tun wir hier. Wir verbessern, wir erweitern, wir ... wir modernisieren.“

Es entstand eine kurze Pause, die der Intensität der vorher gesprochenen Worte keinen Abbruch tat, sie vielmehr noch verstärkte. Es schien regelrecht, als warte die Stille auf das bevorstehende Crescendo.



„Wir sind Visionäre, Herman!“



Die Stille zog sich zurück und wohnte dem Zuhören des Höhepunktes bei. Herman Jannings schluckte am anderen Ende der Leitung. Sein Boss deutete dies als Zeichen seiner Unsicherheit, und er konnte es ihm nicht einmal verübeln, hörte es sich beim ersten Mal wirklich doch alles mehr als seltsam an.

Jannings fand allmählich seine Worte wieder.



„Nun denn, Sir, ich wollte Ihnen nur diese Nachricht übermitteln ...“, sagte er beinahe flüsternd und fügte noch hinten dran: „Frohe Weihnachten.“



>>“Klick“ Verstecken der Apparatur in der Handfläche



Danach wie vereinbart weiterverfahren. [...]





„Das ... das ist Scullys erster Arbeitstag beim FBI ... der Tag, an dem sie Mulder kennen lernte. Mein Gott, das hieße ja, dass Scully und Mulder von Anfang an für ein abgekartetes Spiel missbraucht wurden!“ – Reyes blätterte in dem Manuskript – „Die Ufosichtungen in Oregon ...“ – Sie blätterte hastiger – „... Scullys scheinbare Unfruchtbarkeit ... all’ das war wirklich nicht mehr als eine ... eine Inszenierung!“

Hermes nickte.

„Sie glauben ja gar nicht, was man Menschen mit Alien – Föten aus Plastik und falschen ärztlichen Untersuchungen alles glauben machen kann.“

„Und das ist sie jetzt also ... die Wahrheit“, entgegnete Doggett kühl und blickte zu Professor Mac Finn. „Sie glauben das doch hoffentlich nicht...“

„Es ist alles logisch... wenngleich ich die ganze Sache mit dem FBI nicht nachvollziehen kann, was aber auch verständlich ist, da ich in dieser Branche nicht tätig bin...“ – Mac Finn nickte – „Doch, das erste Mal in meinen Leben fühle ich mich bestätigt.“

„Sie können das nicht glauben, Steve! Da können Sie noch so viele Abhandlungen zu dem Thema geschrieben haben – das alles sind nur schön verpackte Lügen! Nicht mehr, nicht weniger! Es gibt keinen stichhaltigen Beweis für all das, nicht einen einzigen...“ – Doggetts Gesicht wurde rot vor Zorn – „Ich kann und will das nicht glauben!“

Hermes stand plötzlich auf und trat neben Doggett. Seine kalte Stimme transportierte tiefsten Hass, als er sich neben den Agenten kniete und ihm ins Ohr flüsterte. „Urteilen Sie, nachdem Sie das Herzstück gesehen haben. Vielleicht lassen Sie dann den Schleier der blockierenden Dickköpfigkeit fallen...“

Er ging aus der Hocke und trat vor die hintere weiße Wand. „Stehen Sie bitte auf und schauen Sie genau hin, denn das, was Sie jetzt zu Gesicht bekommen, ist die einzige Wahrheit. Wie Sie das verarbeiten, ist mir schnurz. Entweder glauben Sie es, meine Damen und Herren, oder Sie lassen es bleiben...“ – Er blickte Doggett an – „aber bedenken Sie die damit einhergehenden Folgen. Wir werden Sie alles vergessen lassen, was Sie hier gehört und gesehen haben und Sie weiterhin Ihr Leben in der Lüge leben lassen. Vorausgesetzt, Sie überleben die Behandlung...“

Es klickte einmal. Plötzlich glitt die gigantische Wand zur Seite und verschwand fast vollständig im Nichts. Der Lärm war derart ohrenbetäubend, dass die drei Gefangenen gezwungen waren, sich die Ohren zuzuhalten.

Der dahinter liegende Raum war stockdunkel.



„Treten Sie ein, meine Damen und Herren“, begann Hermes übertrieben euphorisch, als sich der Lärm gelegt hatte „und sehen Sie“ – Er drückte einen Knopf – „die Wahrheit!“



Und daraufhin sprang eine ganze Lichterbatterie an der Decke an, eine Leuchtröhre nach der anderen.

Klack.

In Sekundenbruchteilen zog sich das Schwarz der Dunkelheit nach und nach zurück, machte Platz für das Licht.

Klack.

Ein Raum zog sich meterweit in die Ferne; ein kleiner Gang, umsäumt von Mauern aus weißem Kalkstein, führte gradlinig auf etwas zu, das noch im Verborgenen lag. Vorsichtig traten Reyes, Doggett und Mac Finn in die Helligkeit, langsam einen Schritt vor den anderen setzend.

Klack.

Klack.

Ihre Blicke wanderten umher, doch außer den weißen Wänden und dem grellen Licht der Leuchtröhren an der Decke war noch nichts zu sehen.

Klack.

Klack.

Klack.

Allmählich wurde das Klacken leiser, eins noch irgendwo fast lautlos in der Ferne (Klack.), dann war es still.

Hermes, der vorneweg ging, forderte die drei auf, schneller zu gehen, und die Gefangenen taten widerwillig, wie ihnen befohlen wurde.

Nachdem sie ungefähr die Hälfte der Strecke gegangen waren, gebot Hermes den anderen, still zu sein, und führte seinen Zeigefinger vor die Lippen. „Seien Sie einen Moment still und lauschen Sie“, sagte er leise und deutete auf einen hellen Fleck am Ende des Ganges. „Hören Sie? Hören Sie das?“

„Da ist nichts“, erwiderte Reyes verwirrt und versuchte, noch einmal genauer zu lauschen. Plötzlich sah sie auf.

„Wenn Sie dieses penetrante leise Pfeifen meinen, das von dahinten zu kommen scheint – ja, das höre ich wirklich.“

Hermes schüttelte seinen Kopf. „Wissen Sie, wie blasphemisch diese Worte auf mein geschultes Ohr wirken, Agent Reyes? Wenn Sie wüssten, was dieses penetrante Pfeifen für uns alle bedeutet, dann würden Sie vor Scham im Boden versinken und darauf hoffen, dass Sie allmählich immer tiefer sinken, auf dass man Sie niemals, ich wiederhole: niemals! irgendwann mal wieder ausbuddeln kann!“ – Er wirkte angespannt und schien von dem, was er sagte, wirklich überzeugt zu sein, erkannte Reyes erschrocken, denn seine Augen funkelten wie ein Rohdiamant. Sie waren zudem mehr als das: sie schauten abgrundtief böse, was der Agentin einen kalten Schauer über den Rücken jagte. Auch Doggett bleib dies nicht verborgen, und er berührte sie sanft an der Schulter.

„Weitergehen!“, befahl Hermes barsch, „los, bewegen Sie Ihre faulen Ärsche! Im Grunde frage ich mich, warum ich mir das antue! Ihr seid so arm, wisst ihr das?!“



Irgendwas schien in diesem Gang auf Hermes abzufärben, als ob er alle negativen Schwingungen auf einmal aufsog und in sich kompensierte. Ein Magnet in Menschenform. Reyes dachte weiter nach, als sie Hermes zum Ende des Ganges folgte. Nein, kam sie zu dem Schluss, nicht der Raum war schuld an Hermes’ Verhalten oder das, was er beherbergte. Der Punkt war schlicht und ergreifend der, dass Hermes selbst durch und durch böse war. Besessen von der Vorstellung, er würde für die richtige Sache kämpfen; verdorben bis ins Mark durch seine Machtsanmaßung, er könne mit Menschen verfahren, wie er wolle, da er das nach seiner kranken Vorstellung einzig Richtige tat.

Was auch immer am Ende des Ganges auf sie warten würde, es würde nicht so schlimm sein wie das personifizierte Übel, welches ihnen voranging, sie anbrüllte und mit seiner kranken Art langsam aber sicher auch zu infizieren drohte – dessen war sich Reyes bewusst. Keine Sache ist schlecht – die Menschen sind es, die dahinter stehen. Dieser einfache Grundsatz sagte alles, und die drei Personen harrten der Dinge aus, die sie am Ende erwarten würden.



Das personifizierte Übel hielt nach einigen Schritten plötzlich inne und drehte sich mit weit geöffneten Augen zu Reyes, Doggett und Mac Finn um. Es sagte nichts, sondern schien zu lauern. Ja, es wartete auf eine Reaktion. Erst jetzt erkannten die Gefangenen mit Schrecken, dass sie am Ende des Tunnels angelangt waren und sich in einem meterhohen, mit Betonwänden verkleideten Raum befanden, der das Unglaublichste beherbergte, was sie je zu Gesicht bekommen hatten. „Das“, sagte die Kreatur eines Menschen in Gestalt von Rob Hermes, „ist das Herzstück... habe ich Ihnen zuviel versprochen?“
Rezensionen