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Beloved Sister

von XFilerN

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Vorsichtig stellte sie den Kindersitz ab, in dem ihr Sohn friedlich schlief und nur gelegentlich zufrieden im Schlaf lächelte. Sie hatte sich vor ein paar Minuten auf den Weg hier her gemacht, um ihrer verstorbenen Schwester frische Blumen zu bringen und um ihr William vorzustellen.



Auch jetzt, sechs Jahre nach der Ermordung fiel es Dana schwer die Tränen zurückzuhalten, als sie den Strauß verschiedenfarbiger Gladiolen auf das Grab, direkt vor den Grabstein legte. Nachdenklich las sie die Inschrift des Steins, wie all die anderen Male zuvor auch.



Melissa Scully

Geliebte Schwester und Tochter

1962 – 1995



„Du fehlst mir so schrecklich, Melissa. Es vergeht kaum ein Tag, an dem ich nicht an dich denke und mir vorstelle, dass du vor mir sitzt, so wie früher. Du hast mir so oft versucht, die Augen zu öffnen, hast versucht mir zu zeigen, dass es dort draußen mehr gibt, als es auf den ersten Blick scheint. – Jetzt weiß ich, dass du Recht hattest.“ Ein trauriges Lächeln huschte über Danas Züge und sie atmete tief durch.



„Du hast versucht mir in meiner Beziehung zu Mulder den nötigen Anstoß zu geben, ebenso wie ihm. Erst jetzt, sechs Jahre später habe ich den Beweis für unsere Liebe. Ich habe einen Sohn, Melissa und er ist mein ganz persönliches Wunder.“ Sie sah hinab zu ihrem Sohn und ging neben dem Sitz in die Hocke. Seine kleinen Hände streichelnd wandte sie sich wieder dem Grabstein zu, als würde sie dort ihre Schwester sehen statt dem kalten Stein.



„Ich wünschte du könntest ihn sehen, meinen Engel. Er hat kaum Haare auf dem Kopf und seine Augen sind tiefblau. Die Nase hat er zum Glück von mir, nicht von Mulder.“ Sie lachte kurz auf, fuhr aber gleich fort. „Dafür hat er unverkennbar Mulders Lippen und auch dasselbe freche Lächeln. Er schläft noch sehr viel und alle drei Stunden muss ich ihn stillen. William ist ein richtiger Vielfraß, aber das macht mir nichts. Seit so vielen Jahren habe ich mir ein Kind gewünscht, deshalb stehe ich gerne auf, wenn ich mehrmals in der Nacht geweckt werde, weil er hungrig ist.“



Wieder hielt Scully einen Augenblick inne. „Mom sagte, dass wir beide auch niemals genug bekommen konnten und sie damals fürchtete und nicht ausreichend lang stillen zu können. – Ich erinnere mich noch an das Weihnachtsfest bei Bill und Tara, als ich mir so schäbig und verletzlich vorkam. Als Tara während des Essens von Matthew getreten wurde, erzählte Mom ihr, dass wir beide auch immer so stark zugetreten hatten. Ich glaubte damals, dass ich niemals hören würde, wie sie solche Vergleiche bei meinem Kind machen würde, doch ich habe mich zum Glück geirrt. Ich fühlte mich auf eine seltsame Weise nicht mehr als Frau. – Es ist schwer das Gefühl zu erklären. Ich fühlte mich unvollständig oder besser gesagt unvollkommen.“



Eine einzelne Träne rann ihr aus dem Augenwinkel, während Scully versuchte zu lächeln. „Ich wünschte mir wirklich, dass du noch bei uns wärst. Du hast eine Wunde in unseren Herzen zurückgelassen, die auch die Zeit nicht heilen kann. Ich habe Gott gefragt, warum er dich zu sich holte, doch er gab mir keine Antwort. Ich stellte damals meinen Glauben in Frage und entfernte mich von der Kirche. Erst an dem Tag, als Mom Father McCue zu mir schickte, als ich sterbend im Krankenhaus las, betete ich nach langer Zeit das erste Mal wieder.“



Abermals betrachtete Scully ihren Sohn, der einen Schmollmund machte, aber immer noch schlief. Sie sah, wie sich seine Augen unter den Lidern bewegten. Er träumte offenbar. Sie war froh, dass er nicht wusste, wie viel seiner Mutter bereits zugestoßen war und wie schrecklich sie sich an manchen Tagen fühlte. An Tagen wie diesem, an dem sie schon am frühen morgen beim Frühstück begann zu weinen. Es gab Tage wie diesen, da schien der Schmerz des Verlustes auch nach sechs Jahren noch so unbeschreiblich groß, das Weinen die einzige Möglichkeit war, das erdrückende Gefühl zu lindern.



Sie hatte sich ihren Sohn angesehen und zum ersten Mal seit sie ihn zur Welt gebracht hatte, war ihr schmerzlich bewusst geworden, dass Melissa und auch ihr Vater ihn niemals sehen würden. Und William würde sie niemals sehen und kennen lernen können. Erstaunlicher Weise trauerte sie mehr um ihre Schwester als um ihren Vater. Sie erklärte es sich so, dass ihr Vater ein relativ langes und erfülltes Leben geführt hatte, Melissa jedoch sehr jung ermordet worden war. Melissa war für sie und an ihrer Stelle gestorben, aus keinem anderen Grund und die Schuld schien sie manchmal zu erdrücken. Sie hatte selbst niemals die Chance erhalten Kinder zu bekommen, eine eigene Familie zu haben und das war es, das Scully an diesem Morgen wieder bewusst geworden war.



Hatte Melissa es denn nicht mehr verdient glücklich und vor allem lange zu leben? Sie hatte niemals ein schlechtes Wort verloren, ganz gleich wie wütend sie auch an manchen Tagen auf ihre Brüder oder Dana gewesen war, wenn sie ihr wieder einmal einen Streich gespielt hatten.

Sie hatte es nicht verdient hinterrücks erschossen zu werden. Erschossen mit einer Kugel, die eigentlich für Dana gedacht war. Und mehr als einmal hatte Scully sich gewünscht, dass die Kugel sie selbst getroffen hätte. Ihr wäre so vieles erspart geblieben, das sich im Laufe der Jahre ereignet hatte.



Seit Scully ihren Sohn hatte, wusste sie, warum sie noch lebte. Sie lebte für William, um ihm eine sichere Zukunft zu bieten, in einer sicheren Welt. Und sie würde alles tun, um ihm diese Sicherheit zu geben, auch wenn dies hieß, dass sie wieder zurück zum FBI gehen musste. Vielleicht nicht in dieser Woche oder diesem Monat, aber sie würde zurückgehen – weil sie es musste.



„Weißt du, Missy, es ist schon eigenartig. So viele Jahre lang habe ich all die Phänomene nicht glauben wollen. Wollte nicht wahrhaben, dass Mulders Theorie wahr ist und glaubte so fest an Gott, wie du an die Macht der Sterne, der Kristalle und des Universums. Kannst du dir vorstellen, dass ich inzwischen auch an Außerirdische glaube und an Geister, an Dinge die ich nicht wissenschaftlich erklären kann? Ich habe mich so sehr dagegen gewehrt, hatte sogar Angst davor an diese Dinge zu glauben, doch jetzt sehe ich das Positive daran. Ich glaube daran, dass ich dich eines Tages wieder sehen werde. Ich glaube daran, dass dein Geist immer bei mir ist und du mich und William beschützt. Und ich glaube daran, dass du wiedergeboren wirst, um eine faire Chance auf ein normales Leben zu bekommen. – Im Augenblick ist die Zukunft der Menschheit noch ungewiss, aber ich werde meinen Teil dazu beitragen, um eine sichere und gute Zukunft zu ermöglichen. Eine Zukunft in der du deine Chance bekommen wirst und in der wir uns wieder sehen werden.“



Mit einem leisen Stöhnen erhob Scully sich wieder, nahm den Kindersitz auf den Arm und streichelte mit der freien Hand über den Grabstein.



„Wir werden uns wieder sehen, Missy. Irgendwann.“



Zögerlich wandte sie sich von dem Grab ab und ging den Weg, den sie gekommen war zurück. William wachte plötzlich auf und sie lächelte ihren Sohn an. Wenn er alt genug sein würde, um zu verstehen, dann würde sie ihm von seiner Tante erzählen, damit auch er sie niemals vergessen würde.





Ende
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